Instanzenzug: Hanseatisches Az: 6 U 66/21vorgehend Az: 322 O 42/21
Tatbestand
1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Jahr 2012 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten neuen Audi A5 Coupé 3.0 TDI, der mit einem V6-Turbo-Dieselmotor der Baureihe EA 896 Gen2 ausgerüstet ist.
2 Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs (Antrag zu 1), Feststellung des Annahmeverzugs (Antrag zu 2), Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Antrag zu 3) und Feststellung einer Teilerledigung (Antrag zu 4) gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er nur die Anträge zu 1 bis 3 geltend gemacht hat, ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge weiterverfolgt.
Gründe
3 Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht, das einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht geprüft hat, hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - wie folgt begründet:
5 Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 831, 31, 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB nicht zu. Es könne unterstellt werden, dass das "Thermofenster" eine europarechtswidrige Abschalteinrichtung darstelle. Seine Verwendung sei jedenfalls nicht in sittenwidriger Weise erfolgt. Soweit der Kläger weitere, prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen behaupte, sei sein Vortrag prozessual nicht erheblich beziehungsweise habe er nicht substantiiert vorgetragen, dass eine entsprechende Funktion überhaupt in seinem Fahrzeug implementiert und diese grenzwertkausal sei, weswegen aus der etwaigen Implementierung nicht darauf geschlossen werden könne, dass die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung habe nutzen wollen.
II.
6 Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
7 1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
8 2. Das Berufungsgericht hat es jedoch rechtsfehlerhaft unterlassen, auf mögliche Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen eines fahrlässigen Verhaltens der Beklagten einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9 Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10 Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist demnach aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
11 Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Götz
Rensen Vogt-Beheim
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:271124UVIAZR437.22.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-81148