Instanzenzug: Az: I-8 U 14/21vorgehend LG Hagen (Westfalen) Az: 8 O 63/20
Tatbestand
1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Jahr 2018 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi Q 7 3.0 TDI Q S-Line, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 897 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
2 Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und Feststellung des Annahmeverzugs gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Senat im tenorierten Umfang zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie ihre Berufungsanträge im Umfang der Zulassung weiterverfolgt.
Gründe
3Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Der geltend gemachte Anspruch folge nicht aus § 826 BGB. Das bloße Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines "Thermofensters" sei nicht geeignet, den Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu begründen. Es müsse vielmehr eine besondere Verwerflichkeit hinzutreten, was in der Regel das Bewusstsein der handelnden Personen voraussetze, gegen gesetzliche Bestimmungen zu verstoßen. Dazu habe die Klägerin keine greifbaren Anhaltspunkte vorgetragen. Auf die Frage, ob es sich bei dem "Thermofenster" um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, komme es in diesem Zusammenhang nicht an. Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, da die genannten Vorschriften bereits keine Schutzgesetze darstellten. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Regelungen.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insofern auch keine Einwendungen.
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10Die Berufungsentscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Möhring Götz
Rensen Vogt-Beheim
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:271124UVIAZR13.21.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-81147