BAG Urteil v. - 5 AZR 248/23

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Instanzenzug: ArbG Lübeck Az: 5 Ca 973/22 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 2 Sa 203/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und dabei insbesondere über den Beweiswert der von der Klägerin eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit.

2Die Klägerin war vom bis zum bei der Beklagten als Pflegeassistentin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer auf den datierten ordentlichen Eigenkündigung der Klägerin, die sie nach ihrem Vortrag am verfasst hatte. Die Klägerin beantragte in dem Kündigungsschreiben ua. die Erteilung von Resturlaub für die Zeit vom 1. Juni bis zum und bat um die Übersendung der Arbeitspapiere und des Zeugnisses per Post. Nach dem Vortrag der Klägerin und den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gab sie das Kündigungsschreiben am persönlich bei der Beklagten ab.

3Die Klägerin legte der Beklagten für die Zeit vom bis zum fünf von demselben Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Dabei handelte es sich um eine Erstbescheinigung vom 5. Mai und eine Folgebescheinigung vom , sowie um eine weitere Erstbescheinigung vom 12. Mai und zwei hierauf bezogene Folgebescheinigungen vom 19. Mai und vom . Die Beklagte leistete für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

4Mit ihrer Klage hat die Klägerin - soweit für die Revision noch von Bedeutung - für die Zeit vom 5. Mai bis zum Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verlangt. Sie hat gemeint, sie habe ihre Arbeitsunfähigkeit durch die vorgelegten Bescheinigungen, deren Beweiswert nicht erschüttert sei, nachgewiesen. Die Kündigungsfrist sei nicht durch eine passgenaue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgedeckt worden. Vielmehr habe es sich um aufeinanderfolgend ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit unterschiedlichen Diagnosen gehandelt. Bei ihr habe eine psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeit infolge arbeitsplatzspezifischer Belastung vorgelegen, welche sich in den ersten Tagen auch körperlich durch starke Magenschmerzen geäußert habe.

5Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt beantragt,

6Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Die Klägerin habe am den Kündigungsentschluss gefasst und sich am Folgetag krankschreiben lassen. Die vermeintliche Arbeitsunfähigkeit habe passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist angedauert.

7Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und die Klage, soweit hier noch erheblich, abgewiesen. Anders als das Arbeitsgericht ist es von einer Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgegangen und hat den behandelnden Arzt als Zeugen vernommen. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist es zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nicht nachweisen können. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter und greift dabei auch die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht an. Die Beklagte beantragt demgegenüber die Zurückweisung der Revision.

Gründe

8Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

9I. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Beklagten gegen das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht entsprochen. Es ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 5. Mai bis zum kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zusteht.

101. Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ( - Rn. 16, BAGE 169, 117).

11a) Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Die Gesetzesbegründung zu der - im streitgegenständlichen Zeitraum im Jahr 2022 noch nicht eingeführten - elektronischen Meldung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat die in § 5 Abs. 1a Satz 2 EFZG vorgesehene Papierbescheinigung „als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel mit dem ihr von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert“ bezeichnet (BT-Drs. 19/13959 S. 37) und sich damit diese Bewertung zu eigen gemacht (aA Ricken RdA 2022, 235, 239 f.).

12b) Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt. Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt ( - Rn. 12 mwN; - 5 AZR 149/21 - Rn. 12 mwN, BAGE 175, 358; im Ergebnis zu der hier maßgeblichen Rechtslage bis ähnlich, aber mit abweichender Begründung Uffmann NZA 2024, 217, 221 f.: verfassungskonforme Verschiebung der Darlegungs- und Beweislastverteilung ausgehend von den normativen Wertungen des § 5 EFZG; Ricken RdA 2022, 235, 239 f., stellt auf Erkenntnismöglichkeiten der Parteien des Arbeitsverhältnisses als Maßstab der Darlegungs- und Beweispflichten ab).

13c) Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers (dazu zB  - Rn. 18, BAGE 157, 102) oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben ( - Rn. 13, BAGE 175, 358; - 5 AZR 335/22 - Rn. 13 ff.).

14d) Auffallend und ungewöhnlich ist es und damit im Regelfall geeignet, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, wenn zwischen der in Kenntnis einer Kündigung bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist zeitliche Koinzidenz besteht. Dies betrifft zB Fälle, in denen ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (vgl.  - Rn. 19 f., BAGE 175, 358). Eine solche zeitliche Koinzidenz zwischen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist liegt auch vor, wenn der Arbeitnehmer einen später umgesetzten Kündigungsentschluss fasst, diesen - zB durch das Verfassen eines Kündigungsschreibens - manifestiert und im Anschluss daran Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlegt. Ob die Kündigung dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Krankschreibung bereits zugegangen ist, ist demgegenüber unerheblich. Ebenso kann bei der Kündigung durch den Arbeitgeber für die Koinzidenz nicht erst deren Zugang, sondern eine schon vorher bestehende Kenntnis des Arbeitnehmers von der bevorstehenden Kündigung von Bedeutung sein (vgl.  - Rn. 19). Maßgeblich ist, dass der Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt. Ob eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen den Zeitraum der Kündigungsfrist abdecken ist demgegenüber nicht entscheidend (vgl.  - Rn. 24). Entsprechendes gilt in der Regel für die Frage, ob diese - soweit mitgeteilt - eine oder mehrere verschiedene nach ICD-10 kodierte Diagnosen aufweisen.

152. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe den Beweiswert der von der Klägerin vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert, ist ausgehend hiervon frei von Rechtsfehlern.

16a) Ob es dem Arbeitgeber gelungen ist, den Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, ist eine Frage der Beweiswürdigung. Diese ist grundsätzlich gemäß § 286 ZPO dem Tatrichter vorbehalten. Revisionsrechtlich ist nur zu prüfen, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt ist, ob sie rechtlich möglich ist und ob das Berufungsgericht alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt hat ( - Rn. 22).

17b) Dieser Überprüfung hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stand. Es ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Beklagte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert hat.

18aa) Das Berufungsgericht ist zunächst zu Recht vom Vorliegen zeitlicher Koinzidenz zwischen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist ausgegangen. Die Klägerin hatte das Kündigungsschreiben nach ihrem eignen Vortrag bereits am und damit unmittelbar vor Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit selbst verfasst und lediglich noch nicht aus ihrem Machtbereich entlassen. In dem auf den datierten Schreiben manifestierte sich der ernsthafte Kündigungsentschluss der Klägerin, den sie durch die Übergabe des Schreibens auch umsetzte. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin das Kündigungsschreiben am oder - wie von der Beklagten behauptet - zu einem anderen Zeitpunkt der Beklagten übergab, da der Zugang als solcher unstreitig ist. Maßgeblich für die Annahme zeitlicher Koinzidenz zur bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ist in diesem Zusammenhang die Kenntnis des Arbeitnehmers von der (beabsichtigten) Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. Rn. 14).

19bb) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht weiter angenommen, dass es für eine mögliche Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die in zeitlicher Koinzidenz zur Kündigungsfrist stehen, nicht entscheidend darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer für deren Dauer eine oder mehrere Bescheinigungen vorlegt. Ebenso wird es in der Regel unerheblich sein, ob diese dieselbe oder verschiedene nach ICD-10 kodierte Diagnosen aufweisen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt, zu dem er (subjektiv) davon ausgeht, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt (vgl.  - Rn. 24 mwN). Dass bei einer längeren Kündigungsfrist mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erforderlich sind, um diesen Zeitraum abzudecken, ist in erster Linie durch § 5 Abs. 4 Satz 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie in der im Mai 2022 geltenden Fassung bedingt, wonach die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit im Grundsatz nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden soll (vgl.  - Rn. 24).

20cc) Soweit das Berufungsgericht die Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch auf Formulierungen aus dem Kündigungsschreiben stützt, liegen ebenfalls keine revisiblen Rechtsfehler vor. Die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO), das Landesarbeitsgericht habe den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil es nicht vorab auf seine Interpretation des Schreibens hingewiesen habe, ist unzulässig.

21(1) Art. 103 Abs. 1 GG normiert keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts, insbesondere nicht im Blick auf dessen Rechtsansichten. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muss und nicht schon jeder Verstoß gegen die einfach-gesetzlichen Hinweispflichten eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG darstellt. Verfassungsfest ist an den Hinweispflichten der Verfahrensordnungen vielmehr nur ein engerer Kern (vgl.  - Rn. 50 mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG in Form einer Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen Sachverhalt oder ein Vorbringen in einer Weise würdigt, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem vorherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte. Dann verstößt ein der Zivilprozessordnung unterworfenes Gericht elementar gegen seine aus § 139 Abs. 1 ZPO folgende Pflicht, darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen können ( - Rn. 5;  - Rn. 8). Besteht der Verfahrensmangel darin, dass das Landesarbeitsgericht den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat, weil es der Hinweispflicht aus § 139 ZPO nicht nachgekommen ist, muss der Revisionskläger konkret darlegen, welchen Hinweis das Gericht hätte geben müssen und wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte. Hierzu muss er vortragen, welchen tatsächlichen Vortrag er gehalten oder welche für die Entscheidung erheblichen rechtlichen Ausführungen er gemacht hätte (vgl.  - Rn. 34;  - Rn. 13, jew. mwN).

22(2) Gemessen hieran ist die von der Revision erhobene Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet.

23(a) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, das von der Klägerin am mit dem Datum verfasste Kündigungsschreiben (beim Arbeitgeber abgegeben am ) habe eine Kündigungsfrist bis zum enthalten. In dem Kündigungsschreiben habe die Klägerin zusätzlich elf Tage Urlaub ab dem 1. Juni bis zum beantragt und um Verrechnung der verbleibenden sechs Tage mit der Gehaltsabrechnung gebeten. Obwohl es sich lediglich um einen Urlaubsantrag gehandelt habe, der noch nicht bewilligt war, und der Zeitraum vom 5. Mai bis zum vier Wochen ausgemacht habe, habe die Klägerin die Zusendung der Kündigungsbestätigung, der Arbeitspapiere sowie eines qualifizierten Arbeitszeugnisses an ihre Privatadresse erbeten. Sie habe sich des Weiteren für die bisherige Zusammenarbeit bedankt und dem Unternehmen alles Gute gewünscht. Aus dieser Formulierung des Kündigungsschreibens ergebe sich, dass die Klägerin bereits am nicht die Absicht hatte, nochmals in den Betrieb zurückzukehren.

24(b) In der Revisionsbegründung führt die Klägerin nichts dazu aus, weshalb ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter mit der Auslegung des Kündigungsschreibens, wie das Berufungsgericht sie vorgenommen hat, nicht rechnen musste. Dass die Klägerin bereits in dem Kündigungsschreiben mehr als einen Monat vor Ende des Arbeitsverhältnisses um die postalische Übersendung der Arbeitspapiere gebeten hat, ist in Zusammenschau mit der zugleich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit jedenfalls auffallend und hätte zu Erläuterungen Anlass gegeben. Zudem fehlt ausreichender Vortrag dazu, welche weiteren entscheidungserheblichen Tatsachen die Klägerin in der Berufungsinstanz auf einen Hinweis des Gerichts vorgebracht hätte. Der bloße Verweis auf ein Beweisangebot in Form der Parteivernehmung oder eine informatorische Anhörung ersetzt nicht den konkreten und schlüssigen Tatsachenvortrag, den die Klägerin hätte leisten wollen. Die knappen Ausführungen dazu, es sei „gängige Praxis“, um die Übersendung von Zeugnis und Arbeitspapieren zu bitten, reichen hierfür nicht aus.

253. Nachdem das Landesarbeitsgericht zu Recht von der Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgegangen ist, lag die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 3 Abs. 1 EFZG (wieder) bei der Klägerin. Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung des behandelnden Arztes hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass sie im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig war.

26a) Die gegen diese Würdigung des Berufungsgerichts erhobenen Rügen der Revision sind unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Sie rügt im Wesentlichen das Übergehen von Beweisantritten, das Unterlassen nach § 139 ZPO gebotener Hinweise durch das Berufungsgericht sowie Verstöße gegen den Beibringungsgrundsatz. Zudem verweist die Klägerin darauf, dass dem Landesarbeitsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung eine Datumsverwechslung unterlaufen ist, so dass es insoweit von „offensichtlich falschen Tatsachen“ ausgegangen sei.

27aa) Nach Art. 103 Abs. 1 GG sind die Gerichte verpflichtet, das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, bei der Urteilsfindung in Erwägung zu ziehen ( -) und erhebliche Beweisantritte zu berücksichtigen ( -). Für eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge wegen eines übergangenen Beweisantritts genügt es jedoch nicht, nur vorzutragen, das Landesarbeitsgericht habe angetretene Beweise nicht berücksichtigt. Es muss vielmehr nach Beweisthema und Beweismittel angegeben werden, zu welchem Punkt das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft eine an sich gebotene Beweisaufnahme unterlassen haben soll und welches Ergebnis diese Beweisaufnahme hätte zeitigen müssen. Eine nicht näher bestimmte Bezugnahme auf einen übergangenen Beweisantritt reicht dazu nicht aus ( - Rn. 27). Ferner muss dargelegt werden, dass die Unterlassung der Beweiserhebung kausal für die Entscheidung gewesen ist ( - zu II 3 d aa der Gründe mwN, BAGE 109, 145).

28bb) Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann weiter vorliegen, wenn das Gericht einen Sachverhalt oder ein Vorbringen in einer Weise würdigt, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem vorherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte, ohne entsprechende Hinweise nach § 139 ZPO zu erteilen. Für eine zulässige Verfahrensrüge muss die Revision vortragen, welchen Hinweis das Gericht hätte geben müssen und wie der Rügeführer hierauf reagiert hätte, insbesondere, welchen tatsächlichen Vortrag er gehalten oder welche für die Entscheidung erheblichen rechtlichen Ausführungen er gemacht hätte (vgl. hierzu Rn. 21 mit zahlreichen Nachweisen). Auch § 279 Abs. 3 ZPO verpflichtet das Gericht grundsätzlich nicht dazu, im Anschluss an die Beweisaufnahme seine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, um der Partei Gelegenheit zu geben, weitere Beweismittel anzubieten. Anders ist es nur, wenn eine Mitteilung zur Vermeidung einer nach Art. 103 Abs. 1 GG unzulässigen Überraschungsentscheidung erforderlich ist, weil die Partei nach dem Verlauf der Beweisaufnahme nicht damit rechnen musste, dass das Gericht den Beweis als nicht geführt ansehen wird ( - Rn. 29 ff. mwN).

29cc) Der Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör kann zudem verletzt sein, wenn das Berufungsgericht in einem dem Beibringungsgrundsatz unterliegenden Verfahren seiner Entscheidung einen nicht von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt zugrunde legt ( - Rn. 15).

30b) Ausgehend hiervon ist zu den Verfahrensrügen der Klägerin, die der Senat im Einzelnen geprüft hat, im Wesentlichen auf Folgendes hinzuweisen:

31aa) Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe gegen § 286 ZPO verstoßen, weil es die Klägerin trotz Beweisantritts im Rahmen der Berufungserwiderung vom nicht als Partei vernahm oder persönlich anhörte, ist unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Der damit in Bezug genommene Beweisantritt in der Berufungserwiderung bezog sich allein auf die persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens am . Dass dieses Beweisthema im Rahmen der von der Revision angegriffenen Beweiswürdigung erheblich gewesen wäre, behauptet sie selbst nicht. Zudem ist das Landesarbeitsgericht auf S. 11 und 12 seiner Entscheidung jeweils davon ausgegangen, dass die Klägerin die Kündigung am übergeben habe. Ein Beweisangebot zu dem vom Landesarbeitsgericht angenommenen Täuschungsverhalten der Klägerin, auf das die Rüge wohl eigentlich bezogen sein soll, enthält die Berufungserwiderung vom nicht. Daher konnte das Berufungsgericht ein solches auch nicht übergehen. Darüber hinaus fehlt vorinstanzlicher Vortrag zur Zulässigkeit der Parteivernehmung (§§ 447 f. ZPO).

32bb) Weiter rügt die Revision ua. hinsichtlich der Relevanz der Glaubwürdigkeit der Klägerin bzw. der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben, der Bedeutung ihrer persönlichen psychischen Belastbarkeit und hinsichtlich des ihr unterstellten Täuschungsverhaltens unterlassene Hinweise durch das Berufungsgericht. Sie legt jedoch nicht dar, weshalb es - ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Senats - überraschend gewesen sein soll, dass es auf die Glaubwürdigkeit der Klägerin bzw. die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage zu ihrem subjektiven Krankheitsempfinden ankommen würde. Vielmehr hätte ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter damit rechnen müssen, dass diese Gesichtspunkte im Rahmen eines Entgeltfortzahlungsprozesses von Bedeutung sein würden. Denn der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen stand im Streit, und die von der Klägerin behauptete Arbeitsunfähigkeit war nach ihrem Vortrag auch auf psychische Ursachen zurückzuführen. Zudem hatte die Beklagte jedenfalls in der Berufungsbegründung gerügt, die Klägerin habe keinen schlüssigen Vortrag zum Vorliegen einer Erkrankung iSd. Entgeltfortzahlungsgesetzes erbracht. Im Übrigen legt die Revision nicht dar, was die Klägerin auf einen erteilten Hinweis im Einzelnen vorgetragen oder welche für die Entscheidung erheblichen rechtlichen Ausführungen sie im Weiteren gemacht hätte. Der bloße Verweis auf mögliche Beweisantritte kann entsprechenden substantiierten Vortrag nicht ersetzen.

33cc) Soweit die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht habe seiner Entscheidung einen nicht von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt zugrunde gelegt, ist diese Rüge jedenfalls unbegründet. Die Revision behauptet, weder die Klägerin noch die Beklagte hätten vorgetragen, dass die Klägerin dem Rat des Arztes, sich noch einmal bei der Beklagten zu melden, nicht gefolgt sei. Es fehlt indes an den erforderlichen Darlegungen zu den Auswirkungen dieser etwaigen Rechtsverletzung auf das angefochtene Urteil. Die Revision zeigt nicht auf, dass das Landesarbeitsgericht ohne den vermeintlichen Verfahrensverstoß zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Für die Begründetheit einer Verfahrensrüge genügt es zwar, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die angefochtene Entscheidung ohne den Fehler anders ausgefallen wäre. Ergibt sich aus dem Prozessvorgang, in dem der Verfahrensverstoß liegt, aber nicht ohne Weiteres die mögliche Kausalität der Verfahrensverletzung für das Urteil, so müssen in der Revisionsbegründung die Tatsachen angegeben werden, die die Möglichkeit begründen, dass das Landesarbeitsgericht ohne die Verfahrensverletzung anders entschieden hätte (vgl.  - Rn. 16 mwN). Daran fehlt es vorliegend. Zudem zeigt die Revision nicht auf, dass die aus einer Würdigung des beiderseitigen Parteivortrags folgende Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe sich entgegen des ärztlichen Rates nicht bei der Beklagten gemeldet, überhaupt unzutreffend wäre. Erstinstanzlich hat sie insoweit vorgetragen, ihr Arzt habe ihr ausdrücklich geraten, den Betrieb der Beklagten nicht mehr aufzusuchen (Schriftsatz vom S. 2). Dass sie dies dennoch auf ärztliches Anraten getan oder in anderer Weise Kontakt aufgenommen habe, behauptet auch die Revision nicht.

34dd) Schließlich rügt die Klägerin, das Landesarbeitsgericht sei von falschen Tatsachen ausgegangen und habe diese als vermeintlichen Widerspruch im Verhalten der Klägerin seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich, dass - anders als es auf S. 14 (unten) der Entscheidung ausführt - die Klägerin ihrem Arzt nicht in dem Gespräch am , sondern bereits am erklärte, dass sie kündigen werde. Sie teilte ihm dies damit zwar nach Abfassen des Kündigungsschreibens mit, aber bevor sie es nach ihrem Vortrag am bei der Beklagten abgab. Diesen zeitlichen Ablauf hat das Berufungsgericht im Rahmen der Widergabe der Aussage des als Zeugen vernommenen Arztes festgehalten (S. 13 der Berufungsentscheidung). Dennoch ist es im Folgenden davon ausgegangen, dieses Gespräch habe am nach Übergabe der Kündigung stattgefunden. Die Klägerin hat jedoch auch insoweit nicht ausreichend dargelegt, warum das Ergebnis der Beweiswürdigung und des Urteils auf dieser Datumsverwechselung beruht. Sie zeigt nicht auf, dass das Landesarbeitsgericht ohne den Verfahrensverstoß zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das Gericht hat im Rahmen seiner Überzeugungsbildung mehrere Argumente angeführt und dabei auch - ohne hieran weiter anzuknüpfen - auf den nur vermeintlichen Widerspruch hingewiesen, der sich aus der Verwechslung der Daten ergibt. Allein daraus ergibt sich ohne weitere Darlegungen der Klägerin noch nicht, aus welchen Gründen der aufgezeigte Verfahrensverstoß für das Urteil kausal gewesen sein soll und inwieweit die Möglichkeit bestanden haben sollte, dass das Landesarbeitsgericht ohne die Verwechslung anders entschieden hätte. Dies gilt umso mehr, als dem Berufungsgericht unter Berücksichtigung des gesamten Urteils die zutreffenden Abläufe bewusst waren und der Fehler lediglich im Rahmen einer Hilfserwägung eine Rolle spielt.

35c) Von weiteren Ausführungen wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

364. Der Vortrag der Klägerin zu einer Besorgnis der Befangenheit der entscheidenden Kammer des Landesarbeitsgerichts kann der Revision ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Es ist schon nicht erkennbar, ob insoweit eine Verfahrensrüge erhoben werden soll. Soweit die Klägerin auf den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 3 ZPO Bezug nehmen wollte, wäre diese Rüge unzulässig. Nach § 547 Nr. 3 ZPO liegt ein Revisionsgrund vor, wenn an der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war. Daran fehlt es, wenn das Ablehnungsgesuch erstmalig im Rahmen der Revisionsbegründung angebracht wird (ähnlich  - zu I der Gründe;  - Rn. 14). Die Klägerin hat nicht dargelegt oder auch nur behauptet, dass sie bereits in der Berufungsinstanz ein Ablehnungsgesuch gestellt hätte, das von dem Landesarbeitsgericht übersehen oder nicht beschieden worden wäre.

37II. Ein Zinsanspruch scheidet mangels Hauptanspruchs aus.

38III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:210824.U.5AZR248.23.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-81131