Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 26 U 62/22vorgehend LG Frankfurt Az: 2-12 O 317/21
Gründe
I.
1 Der Kläger - Testamentsvollstrecker für den Nachlass des H. M. (im Folgenden: Erblasser) - macht Honoraransprüche aus einem Beratervertrag geltend.
2 Der Erblasser war bis Mitte 2020 Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der Beklagten, eines in der chemischen Industrie tätigen - ursprünglich familiengeführten - Unternehmens. Er veräußerte seine Anteile an dem Unternehmen sowie die von zweien seiner Kinder (zusammen 100 %) mit Wirkung zum an die jetzige Muttergesellschaft der Beklagten. Für eine Übergangszeit von zunächst zwei Jahren sollte der Erblasser jedoch weiter für die Beklagte beratend tätig werden. Der am geschlossene - auf Seiten des damals bereits erkrankten Erblassers durch seine spätere Ehefrau unterzeichnete - Beratervertrag sah dafür ein monatliches Honorar von 22.100 € netto vor. Ferner waren Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung des Erblassers zu leisten.
3 Der Erblasser verstarb nur zehn Monate später am . Bis zu seinem Tod erbrachte er keine Beratungsleistungen. Ebenso wenig erstellte er die nach dem Vertrag monatlich vorgesehenen Rechnungen (vgl. Nr. 3.1 der Urkunde). Dementsprechend zahlte die Beklagte kein Beratungshonorar, wohl aber zahlte sie Beiträge für die Altersvorsorge. Erstmals der Kläger verlangte im Herbst 2021 außergerichtlich vergeblich ein Honorar für die Zeit zwischen Juni 2020 und März 2021. Die Parteien streiten um die Auslegung des Beratervertrags. Der Kläger hat behauptet, es sei um die Sicherung der Tätigkeitsbereitschaft des Erblassers und um den jederzeit möglichen Zugang zu seinem Knowhow gegangen. Seine Leistung habe er der Beklagten nicht anzudienen brauchen, sondern diese hätte sie abrufen müssen. Demgegenüber hat die Beklagte vorgetragen, es seien - jenseits eines bloßen Bereithaltens - tatsächliche Beratungsleistungen des Erblassers, die in einem gemeinsamen Prozess hätten abgestimmt werden sollen, geschuldet gewesen. Zu einer solchen Abstimmung sei es aufgrund der Erkrankung des Erblassers jedoch nicht gekommen.
4 Das Landgericht hat die auf Zahlung von 259.012 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hat bis auf einen Teil der Zinsforderung Erfolg gehabt. Das Oberlandesgericht hat - anders als die erste Instanz - angenommen, die objektive Auslegung des Vertrags spreche für eine pauschale Vergütung des Erblassers unabhängig von einer tatsächlichen Beratungsleistung. Dies werde unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen dadurch gestützt, dass anderenfalls jegliche Vergütung einseitig zur Disposition der Beklagten gestanden hätte, die dem Erblasser konkrete Aufgaben habe zuweisen müssen. Demgegenüber sei die Beklagte in Bezug auf die Behauptung eines übereinstimmenden Willens der Vertragsparteien, das Honorar habe nur bei konkreter Beratungstätigkeit (mindestens eine pro Monat) gezahlt werden sollen, darlegungs- und beweisfällig geblieben. Ihr diesbezüglich gehaltener Vortrag, der sich auf innere Vorgänge beziehe, sei nicht ausreichend substantiiert, weshalb die dafür angebotenen Zeugen nicht zu vernehmen seien. Hinreichend konkrete Indizien, die einen Schluss auf den tatsächlichen Willen des Erblassers zulassen könnten, habe die Beklagte in Gestalt nachvertraglicher Äußerungen des Erblassers erstmalig mit zweitinstanzlichem Schriftsatz vom vorgetragen. Dieses - ebenfalls durch die Benennung von Zeugen unterlegte - Vorbringen sei jedoch gemäß § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert. Allein der Umstand, dass der Erblasser keine Rechnungen gestellt habe, reiche als Indiz für die Richtigkeit des Beklagtenvortrags nicht aus, weil dies angesichts seiner schweren Erkrankung verschiedene Gründe gehabt haben könne.
II.
5 Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Vorinstanz hat den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, jedenfalls indem sie zweitinstanzliches Vorbringen zu Unrecht als präkludiert angesehen und deswegen erhebliche Beweise nicht erhoben hat.
61. Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich grundsätzlich nur eingeschränkt überprüfbarer tatrichterlicher Würdigung im Ergebnis angenommen, aus dem Vertrag ergebe sich, dass der Erblasser auch ohne konkrete Tätigkeit für sein "Bereitstehen" habe vergütet werden sollen. Diese Würdigung beruht jedoch auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage und kann daher rechtlich keinen Bestand haben. Denn das Berufungsgericht hat unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG wesentliches Beklagtenvorbringen bei seiner Würdigung nicht berücksichtigt (vgl. dazu zB Senat, Beschluss vom - III ZR 91/22, NJW 2023, 2042 Rn. 7 mwN).
7 Das Berufungsgericht hat verfahrensfehlerhaft jedenfalls das unter Beweis gestellte zweitinstanzliche Tatsachenvorbringen der Beklagten zum Grund der unterbliebenen Rechnungslegung durch den Erblasser als für die Vertragsauslegung unter Umständen bedeutsamen (nachvertraglichen) Umstand gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen. Auch die offenkundig fehlerhafte Anwendung der Präklusionsvorschrift verletzt das rechtliche Gehör der betroffenen Partei gemäß Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. zB BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 1304/20, NJW-RR 2021, 249 Rn. 9 und vom - VI ZR 490/13, NJW-RR 2015, 1278 Rn. 7 mwN).
8 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine in erster Instanz siegreiche Partei - wie hier die Beklagte - darauf vertrauen, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis nach § 139 ZPO zu erhalten, wenn es in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (zB Senat, Beschluss vom - III ZR 184/22, NJW-RR 2024, 199 Rn. 18 sowie Urteil vom - III ZR 17/22, NVwZ-RR 2023, 849 Rn. 32; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZR 377/18, NJW-RR 2020, 284 Rn. 14; vom - VI ZR 370/17, NJW 2018, 3652 Rn. 15 und vom - II ZR 212/10, juris Rn. 6; jew. mwN). Außer zur Hinweiserteilung ist das Berufungsgericht in einem solchen Fall auch verpflichtet, der betroffenen Partei Gelegenheit zu geben, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen sowie gegebenenfalls Beweis anzutreten (Senat, Beschluss vom aaO; aaO). Schon zur Gewährung des rechtlichen Gehörs ist neues Vorbringen des Berufungsbeklagten, das auf den Hinweis des Berufungsgerichts erfolgt, und den Prozessverlust wegen einer von der ersten Instanz abweichenden rechtlichen oder tatsächlichen Beurteilung durch das Berufungsgericht vermeiden soll, zuzulassen, ohne dass es darauf ankommt, ob es schon in erster Instanz hätte vorgebracht werden können (Senat aaO; , juris Rn. 6 mwN). Die Parteien sollen durch § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu Darlegungen und Beweisangeboten gezwungen werden, die vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts unerheblich sind (zB aaO mwN).
9 b) Es kann dahinstehen, ob und in welcher Weise das Oberlandesgericht seiner Hinweispflicht nachgekommen ist. Dass das neue Vorbringen der Beklagten im Anschluss an den ersten Termin zur mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz erfolgt ist, deutet - wie im Schriftsatz vom anklingt - allerdings darauf hin, dass dort sowohl eine von der Würdigung des Landgerichts abweichende Vertragsauslegung als auch eine von der Vorinstanz nicht in Erwägung gezogene die Beklagte treffende Darlegungs- und Beweislast für die dieser Auslegung entgegenstehenden Umstände angesprochen worden sind. Ungeachtet einer solchen Erörterung hätte das Berufungsgericht, das von der Beurteilung des Landgerichts abweichen wollte, der Beklagten aber Gelegenheit geben müssen, zu der von ihm für zutreffend gehaltenen Würdigung und der insoweit maßgeblichen Tatsachengrundlage ergänzend vorzutragen sowie Beweis anzubieten. Den Vortrag aus dem im Nachgang zu der Verhandlung eingereichten Schriftsatz vom nebst Beweisantritten hätte es daher nicht als verspätet zurückweisen dürfen. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei insgesamt um neues oder teilweise auch um in zweiter Instanz nur konkretisiertes - bereits hinreichend schlüssiges - erstinstanzliches Vorbringen handelte (vgl. dazu zB , BGHZ 159, 245, 251 mwN).
10 Schon mit der Klageerwiderung hatte die Beklagte vorgetragen, der Erblasser habe keine Rechnungen gestellt, weil er ihr Verständnis von der zu vergütenden Dienstleistung geteilt habe, und sich dafür auf die informatorische Anhörung des - damals noch als Geschäftsführer tätigen - M. H. bezogen (vgl. Klageerwiderung vom S. 14). Mit Schriftsatz vom hat sie vertiefend ausgeführt, der Erblasser habe bei einem persönlichen Treffen mit M. H. am geäußert, er verlange kein Honorar, wenn er das Unternehmen nicht berate; dementsprechend habe er auch noch keine Rechnungen gestellt. Weiter hat die Beklagte dort vorgebracht, am habe der Erblasser auf telefonische Nachfrage seiner langjährigen Sekretärin, S. L. , die sich auch nach seinem Ausscheiden um seine (steuer-)rechtlichen Angelegenheiten gekümmert habe, zu etwaigen Umsatzsteuervoranmeldungen erklärt, er habe nicht beraten und stelle daher keine Rechnung. Auf entsprechende Rückfrage seiner Steuerberater - S. N. und B. J. - habe er ebenfalls keine Umsatzsteuervoranmeldungen veranlasst. Danach ist der Erblasser selbst davon ausgegangen, das vereinbarte Beraterhonorar nicht verdient zu haben, weshalb er keinen Anlass sah, die anderenfalls erforderlichen Erklärungen gegenüber dem Finanzamt abzugeben.
112. Dieses Vorbringen war vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts aus erheblich. Hätte sich das Berufungsgericht mit dem vorstehend bezeichneten Vortrag der Beklagten inhaltlich auseinandergesetzt und die dazu angebotenen Beweise erhoben, ist nicht auszuschließen, dass es den Inhalt des zwischen dem Erblasser und der Beklagten geschlossenen Vertrags sowie die unstreitige Tatsache, dass der Erblasser vor seinem Tod keine Rechnungen gestellt hat, anders gewürdigt hätte, als bisher geschehen, und einen Honoraranspruch des Klägers verneint hätte. Denn das nachvertragliche Verhalten einer Partei kann bei der Auslegung eines Vertrags einen Rückschluss auf dessen Inhalt zulassen (vgl. zB BGH, Versäumnisurteil vom - VIII ZR 136/04, WM 2005, 1895, 1897 mwN). Demgemäß wird das Berufungsgericht, wenn es an seiner Auslegung des Textes der Vertragsurkunde festhält, dem unter Beweis gestellten Vorbringen der Beklagten nachzugehen haben, dabei aber auch die entgegenstehende unter Beweis durch das Zeugnis der Ehefrau des Erblassers, D. H. , gestellte Behauptung des Klägers, der Erblasser habe ihr gegenüber mehrfach geäußert, sie müsse sich angesichts der noch ausstehenden Honoraransprüche aus dem Beratervertrag finanziell keine Sorgen machen, zu berücksichtigen und in seine Gesamtwürdigung einzubeziehen haben.
12 Darüber hinaus wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich mit den weiteren Rügen der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen, auf die einzugehen der Senat im vorliegenden Verfahrensstadium keine Veranlassung hat.
Herrmann Böttcher
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:141124BIIIZR42.24.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-80910