Steuerliches Einlagekonto: Offenbare Unrichtigkeit trotz fehlender Erkennbarkeit des zutreffenden Werts
Leitsatz
NV: Allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos nicht die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage ausreicht, sondern auf einer zweiten Stufe noch weitere Sachverhaltsermittlungen zur Höhe des steuerlichen Einlagekontos erforderlich sind, schließt eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 Satz 1 der Abgabenordnung nicht aus (Bestätigung des , BFHE 275, 293, BStBl II 2022, 827).
Gesetze: AO § 129 Satz 1; KStG § 27 Abs. 2
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Jahr 2010 gegründete GmbH. Die Alleingesellschafterin A erhöhte mit notariellem Vertrag vom das Stammkapital der Klägerin um 100 € (auf 25.100 €) und brachte ihre Beteiligung (25 %) an einer GbR zu Buchwerten nach § 20 des Umwandlungssteuergesetzes —UmwStG—) in die Klägerin ein.
2 In ihrer Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos auf den gab die Klägerin den Bestand des steuerlichen Einlagekontos mit 0 € an. In der Bilanz der Klägerin auf den ist eine Kapitalrücklage von 1.073.611,72 € ausgewiesen. Im Jahresabschluss 2010 ist dazu erläutert, die Gesellschafterin A habe in der GbR einen Eigenkapitalanteil von 1.073.711,72 € gehabt, von dem 100 € für die Erhöhung des Stammkapitals der Klägerin verwendet worden seien.
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) stellte das steuerliche Einlagekonto der Klägerin zum durch Bescheid vom erklärungsgemäß in Höhe von 0 € fest. Der Bescheid ist nach Eintritt der Bestandskraft mehrfach nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geändert worden. Die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos mit 0 € änderte sich dadurch nicht. Die nachfolgenden Feststellungsbescheide zum und stehen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Gegen die geänderten Feststellungsbescheide zum , und , jeweils vom , legte die Klägerin Einsprüche ein. Sie beantragte zudem die Berichtigung des Bescheids zum gemäß § 129 AO. Das FA lehnte die Berichtigung mit Bescheid vom ab. Dagegen erhob die Klägerin ebenfalls Einspruch.
4 Mit Einspruchsentscheidung vom verwarf das FA den Einspruch gegen den Feststellungsbescheid zum als unzulässig und wies die übrigen Einsprüche als unbegründet zurück. Die dagegen eingelegte Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1176 veröffentlichten Gründen keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Feststellungsbescheids zum lägen nicht vor. Zur Feststellung des steuerlichen Einlagekontos hätte das FA den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Deshalb könne der Bescheid nicht berichtigt werden. Auch eine unzutreffende Anwendung von § 20 UmwStG und § 27 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) sei nicht auszuschließen.
5 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Bundesrechts (§ 129 AO).
6 Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das sowie den ablehnenden Bescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und das FA zu verpflichten, das steuerliche Einlagekonto der Klägerin zum in Höhe von 1.073.611,72 € festzustellen.
7 Das FA beantragt,
die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
II.
8 Im Revisionsverfahren ist nur noch streitig, ob das FA die Berichtigung des Feststellungsbescheids auf den zu Recht abgelehnt hat. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
9 1. Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO).
10 a) Die Berichtigung nach § 129 AO setzt grundsätzlich voraus, dass die offenbare Unrichtigkeit in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Die Unrichtigkeit muss aber nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein. § 129 AO ist daher auch anwendbar, wenn die Behörde offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (sogenannte Übernahmefehler; ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2024, 371, Rz 41, m.w.N.).
11 b) Offenbare Unrichtigkeiten im Sinne des § 129 AO sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Ein Fehler ist offenbar, wenn er auf der Hand liegt, also durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist (, BFH/NV 2003, 1139, Rz 13, m.w.N.). Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts, eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2024, 371, Rz 42, m.w.N.).
12 c) Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2024, 371, Rz 43, m.w.N.). In Fällen, in denen die offenbare Unrichtigkeit auf der versehentlichen Nichtangabe eines Werts in der Steuererklärung beruht, ist § 129 Satz 1 AO bereits dann anwendbar, wenn für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar ist, dass die Nichtangabe fehlerhaft ist. Entsprechendes gilt, wenn (nur) die Angabe einer Endsumme mit 0 € erfolgt und dies erkennbar unrichtig ist (vgl. , BFHE 275, 293, BStBl II 2022, 827, Rz 22). Allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos nicht die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage ausreicht, sondern auf einer zweiten Stufe noch weitere Sachverhaltsermittlungen zur Höhe des steuerlichen Einlagekontos erforderlich sind, schließt eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 Satz 1 AO nicht aus (, BFHE 275, 293, BStBl II 2022, 827, Rz 23). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
13 2. Das FG ist von anderen Maßstäben ausgegangen. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung des geänderten Bescheids über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zum nach § 129 Satz 1 AO liegen vor. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben.
14 a) Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass es für die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum weiterer Sachverhaltsaufklärung und Prüfung bedarf. Das FG hat daraus aber rechtsfehlerhaft den Schluss gezogen, dass die Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO nicht möglich sei. Das trifft nicht zu. Allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos noch weitere Sachverhaltsermittlungen erforderlich sind, schließt eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 Satz 1 AO nicht aus (vgl. , BFHE 275, 293, BStBl II 2022, 827, Rz 23).
15 b) Die Voraussetzungen für eine Berichtigung des angefochtenen Feststellungsbescheids nach § 129 Satz 1 AO liegen im Übrigen vor. Die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum mit 0 € ist auf der Grundlage der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen offenbar unrichtig. Es liegt ein sogenannter Übernahmefehler des FA vor. Sowohl die fehlerhafte Angabe des steuerlichen Einlagekontos mit 0 € in der Feststellungserklärung der Klägerin als auch deren Übernahme durch das FA beruhen jeweils auf quasi mechanischen Versehen; eine gedankliche Fehlleistung kann aufgrund der vom FG festgestellten Umstände auf beiden Ebenen ausgeschlossen werden.
16 Es steht außer Streit, dass im Streitjahr 2010 eine Einbringung stattgefunden hat. Nach einer Einbringung könnte der Bestand des steuerlichen Einlagekontos nur 0 € betragen, wenn entweder der Wert der eingebrachten Wirtschaftsgüter exakt dem Nennwert der ausgegebenen Anteile (hier: 100 €) entspräche oder wenn die Sacheinlage den Nennwert der ausgegebenen Anteile nicht erreichen würde. In diesem Fall wäre auch der Grundsatz der Kapitalaufbringung verletzt und die Kapitalerhöhung hätte nicht in das Handelsregister eingetragen werden dürfen. Dafür, dass ein solcher Fall vorgelegen haben könnte, spricht im Streitfall nichts. In allen anderen denkbaren Fällen kann das steuerliche Einlagekonto nicht 0 € betragen. So liegt auch der Streitfall, denn in der Bilanz der Klägerin auf den ist eine Kapitalrücklage von 1.073.611,72 € ausgewiesen und dieser Wert ist im Jahresabschluss der Klägerin nachvollziehbar erläutert. Selbst wenn man davon ausginge, dass dem FA im Feststellungsverfahren der Einbringungsvertrag noch nicht vorlag, war für einen unvoreingenommenen Dritten unter den gegebenen Umständen offensichtlich, dass der Bestand des steuerlichen Einlagekontos nicht 0 € betragen konnte.
17 3. Die Sache ist nicht spruchreif. Die vom FG bisher festgestellten Tatsachen reichen nicht aus, um die zutreffende Höhe des steuerlichen Einlagekontos zum ermitteln zu können. Der Senat kann deshalb die begehrte Verpflichtung nicht aussprechen. Das FG wird die Höhe des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 2 KStG zum zu ermitteln und über das Verpflichtungsbegehren erneut zu entscheiden haben.
18 4. Die Entscheidung ergeht mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO).
19 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:U.221024.VIIIR33.21.0
Fundstelle(n):
BB 2024 S. 2902 Nr. 50
ZAAAJ-80802