Instanzenzug: Az: 20 U 417/21vorgehend LG Landshut Az: 24 O 1419/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im März 2017 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 250, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Den Kaufpreis finanzierte er teilweise mithilfe eines Darlehens.
2Der Kläger hat, insbesondere gestützt auf die Verwendung eines sogenannten Thermofensters und einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises zuzüglich der Finanzierungskosten nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und abzüglich einer nach einer im Antrag wiedergegebenen Formel zu berechnenden Nutzungsentschädigung zu verurteilen. Er hat ferner die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Prozesszinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge weiter.
Gründe
3Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB habe der Kläger nicht nachvollziehbar dargelegt. Er habe keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der von ihm monierten Programmierungen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten.
6Soweit der Kläger behaupte, die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung arbeite auf dem Prüfstand in anderer Weise als im Straßenverkehr, gebe es für die Richtigkeit dieser Behauptung keinerlei greifbaren Anhaltspunkte, weshalb sie als ins Blaue hinein aufgestellt unbeachtlich bleibe. Im Übrigen habe die Beklagte unwidersprochen bestritten, dass die Funktion im fraglichen Fahrzeug grenzwertrelevant sei, womit bereits aus diesem Grund eine arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes über das Emissionsverhalten des Fahrzeugs mit dem Ziel der unberechtigten Erlangung der Typgenehmigung ausscheide.
7Der Kläger könne seinen Anspruch auch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beziehungsweise § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stützen, denn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung seien die in Betracht kommenden Normen der Verordnungen nicht drittschützend.
II.
8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung verneint hat. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur , juris Rn. 12 f.; VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11) hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers verneint, weil es dem Klägervorbringen keine greifbaren Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung beziehungsweise einen bewussten Gesetzesverstoß der für die Beklagte handelnden Personen entnommen hat. Hinsichtlich der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung hat es zudem die Grenzwertkausalität verneint und danach zu Recht keinen Anhaltspunkt für eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes zum Zweck des Erhalts der EG-Typgenehmigung gesehen (vgl. , juris Rn. 17; Urteil vom , aaO, Rn. 11; Urteil vom - VIa ZR 1062/22, WM 2024, 277 Rn. 9). Der Senat ist an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat er geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Möhring Wille
Liepin Katzenstein
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:201124UVIAZR764.21.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-80555