BFH Urteil v. - VII R 58/20

Zolltarifliche Einreihung bestimmter EMV-Ferrite

Leitsatz

1. NV: Mit einem Ferrit umfasste Kabel sind zolltariflich keine Selbstinduktionsspulen im Sinne der Unterpos. 8504 90 11 der Kombinierten Nomenklatur. Basierend auf dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und ausweislich der einschlägigen Erläuterung zum Harmonisierten System 37.0 zu Pos. 8504 ist eine solche Spule durch die gewickelte Anordnung von elektrischem Leitermaterial gekennzeichnet. Auf spezifische Begriffsbestimmungen in der Fachsprache darf im Interesse einer kohärenten Interpretation im Rahmen der Auslegung zolltariflicher Bestimmungen erst zurückgegriffen werden, wenn ein Begriff im Zolltarif und den dazu ergangenen Erläuterungen nicht näher definiert ist (Bestätigung der Rechtsprechung, Senatsurteil vom  - VII K 7/74, BFHE 117, 512).

2. NV: Verwirft das Finanzgericht im vorbereitenden Verfahren unstreitigen Sachverhalt ohne weitere angemessene Sachaufklärung, so kann dies einen Verstoß gegen die auf § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung gründende Sachaufklärungspflicht bedeuten.

Gesetze: ZK Art. 220; KN Unterpos. 8504 90 11 Unterpos. 8548 90 90 KN Unterpos. 8504 90 11, Unterpos. 8548 90 90; ErlHS 37.0 zu Pos. 8504; FGO § 76

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung von Einfuhrabgaben für verschiedene Ferrite, beruhend auf einer abweichenden Einreihung in die Kombinierte Nomenklatur (KN).

2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte die streitgegenständlichen Waren zwischen dem und dem in das Zollgebiet der Gemeinschaft ein. Ausweislich der aus dem angefochtenen Urteil ersichtlichen tatsächlichen Feststellungen handelte es sich um verschiedenförmige sogenannte EMV-Ferrite aus Nickel-Zink, die nachträglich und ausschließlich auf elektrische Kabel und Leitungen aufgebracht (zum Beispiel Klappferrite) beziehungsweise durch die elektrischen Kabel und Leitungen durchgeführt werden (zum Beispiel Ferrithülsenringe). Die Ferrite entkoppeln dabei leitungsgebundene Störungen im Hochfrequenzbereich und dienen damit dem Schutz der über diese Kabel angeschlossenen Endgeräte verschiedener Anwendungsbereiche vor elektromagnetischen Störungen. Das deklarierte Ursprungsland war in den meisten Fällen ein Drittland. Soweit einzelne Waren mit dem Ursprung in der Europäischen Union angemeldet wurden, fehlte ihnen indes ein entsprechender Ursprungsnachweis.

3 Die Klägerin meldete alle Waren als Teile von Transformatoren und Selbstinduktionsspulen unter der Codenummer 8504 90 11 10 0 zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Aufgrund der für Waren dieser Tarifposition geltenden Zollaussetzung überließ die Zollverwaltung die Waren bei ihrer Einfuhr zunächst zollfrei.

4 Allerdings überprüfte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt —HZA—) die Vorgänge im Rahmen einer am begonnenen Zollprüfung. Prüfungszeitraum war der bis . Das wesentliche Prüfungsergebnis lautete, dass die Ferrite nicht als erkennbares Teil eines bestimmten, in Abschn. XVI des Harmonisierten Systems (HS) aufgeführten Gerätes anzusehen seien und nicht als erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für ein bestimmtes Gerät oder eine bestimmte Maschine vorgesehen betrachtet werden könnten. In der Folge seien sie daher nicht als Teile von Selbstinduktionsspulen, sondern als elektrisches Teil (ohne eigene elektrische Funktion) von Maschinenapparaten und Geräten, in Kap. 85 HS anderweit weder genannt noch inbegriffen, der Codenummer 8548 90 90 99 0 mit einem Drittlandzollsatz von 2,7 % zuzuweisen. Eine Nacherhebung des auf diese Weise errechneten Zolls in Höhe von . € erfolgte —gestützt auf Art. 220 des Zollkodex (ZK)— mittels Bescheid vom .

5 Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das Finanzgericht (FG) die dagegen gerichtete Klage als unbegründet ab. Es urteilte, die von der Klägerin eingeführten Waren seien als elektrische Teile von Maschinen, Apparaten und Geräten, die in dem entsprechenden Kapitel anderweitig weder genannt noch inbegriffen seien, der Pos. 8548 KN, Unterpos. 8548 90 90 KN zuzuweisen. Da ihr Anwendungsbereich zudem nicht erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich auf Kabel von bestimmten Maschinen, Apparaten oder Geräten beschränkt sei, würden die streitgegenständlichen Ferrite insbesondere auch nicht nach Anm. 2 Buchst. c zu Abschn. XVI KN als „erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für eine bestimmte Maschine oder für mehrere in der gleichen Position erfasste Maschinen bestimmt“ aus der Pos. 8548 KN ausgewiesen.

6 Der seitens der Klägerin vertretenen Tarifierungsauffassung, nach der die Pos. 8504 KN zutreffend sei, weil schon die Kombination aus Ferrit und Kabel physikalisch als Selbstinduktionsspule bezeichnet werde, folgte das FG aus folgenden Erwägungen nicht: Zwar seien Ferritkerne in Unterpos. 8504 90 11 KN ausdrücklich erwähnt; eine Einreihung in diese Unterposition setze jedoch voraus, dass es sich bei den einzureihenden Waren um Ferritkerne handele, die Teil einer Selbstinduktionsspule seien. Bei einem stromführenden Kabel, das durch einen Ferrit lediglich durchgeführt oder um das ein (mehrteiliger) Ferrit gelegt werde, handele es sich indes nicht um eine Selbstinduktionsspule im Sinne der KN. Eine Spule im elektrotechnischen Sinn sei ein Bauelement, bei dem ein stromführender Leiter zu einer Spule aufgewickelt werde. Die Spule sei somit dadurch gekennzeichnet, dass sie aus einer Wicklung eines stromführenden Leiters (zum Beispiel einer Drahtwicklung) mit mindestens einer —vollständigen— Windung bestehe. Daran fehle es im Streitfall. Die streitgegenständlichen Ferrite dienten lediglich der Kabelkonfektion. Mit einem Ferrit umfasste Kabel seien zolltariflich keine Selbstinduktionsspule.

7 Ein verfahrensrechtliches Hindernis für die Nacherhebung sah das FG nicht. Ein Irrtum der Zollbehörden im Sinne des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK sei nicht erkennbar. Soweit sich die Klägerin auf die vorangegangene Zollprüfung . berufe, lasse sich aus den Feststellungen des diesbezüglichen Prüfungsberichts kein Vertrauensschutz dergestalt ableiten, dass Ferrite der streitgegenständlichen Art und Funktion stets in die Codenummer 8504 90 11 10 0 einzureihen seien. Zum einen gebe es keine hinreichend belastbaren Hinweise darauf, dass es sich bei den damals als „Ferritkerne“ bezeichneten Waren stets um die gleichen Ferrite gehandelt haben könnte, die Gegenstand des streitgegenständlichen Nacherhebungsbescheids seien. Zum anderen habe die Klägerin —soweit speziell die Einreihung von Klappferriten in Frage stehe— gerade nicht die vom damaligen Prüfer vorgenommene Einreihung in die Codenummer 8504 50 95 20 0 übernommen. Auch die Klägerin sei nicht davon ausgegangen, dass es sich bei den Ferriten für sich betrachtet um Selbstinduktionsspulen handele. Sie habe sie regelmäßig (nur) als Teile derselben angemeldet. Das Argument der Klägerin, sich hinsichtlich der Einreihung der streitgegenständlichen Ferrite an der für gleichartige Waren der Z-Gesellschaft erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) orientiert zu haben, belege zudem, dass sie aus dem vorangegangenen Prüfungsbericht tatsächlich keinen Vertrauensschutz abgeleitet habe.

8 Ihre gegen das Urteil geführte Revision begründet die Klägerin wie folgt:

Die Entscheidung des FG verletze das einschlägige Zolltarifrecht.

9 Korrekterweise seien die streitgegenständlichen Ferrite als Teile von Selbstinduktionsspulen —konkret als Ferritkerne— unter die Codenummer 8504 90 11 10 0 einzureihen. Sie seien im Wortlaut der Unterpos. 8504 90 11 KN speziell genannt. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zur Pos. 8504 gehörten auch Selbstinduktionsspulen aller Art und für jeden Verwendungszweck zu dieser Position (ErlHS 07.0 zu Pos. 8504). Vorbehaltlich der allgemeinen Bestimmungen über die Einreihung von Teilen (s. ErlHS zu Abschn. XVI) gehörten nach den Erläuterungen die Teile der Waren dieser Position ebenfalls hierher (ErlHS 40.0 zu Pos. 8504). Die streitbefangenen Ferrite seien Teil einer Selbstinduktionsspule und daher auch aus diesem Grund in die Pos. 8504 KN einzureihen.

10 Die anderslautende Tarifierungsauffassung des FG beruhe auf einer fehlerhaften Tatsachen- und Beweiswürdigung. Im Streitfall fraglich sei das Vorliegen einer Selbstinduktionsspule. Die Besonderheit der Wirkung der Selbstinduktion habe das FG bei seiner Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt; ebenso wenig ihren Vortrag, dass die Ferritkerne ausschließlich und bauartbedingt für Selbstinduktionsspulen verwendet würden. Bereits die Kombination aus Ferrit und Kabel würde physikalisch als Selbstinduktionsspule bezeichnet. Schon mit dem Aufschieben eines Ferrits auf oder durch das Umklappen eines Ferrits um einen stromführenden Leiter werde eine Selbstinduktionsspule im elektrotechnischen Sinne hergestellt. Eine solche Kombination aus Ferrit und Kabel unterdrücke elektromagnetische Störsignale durch die Begrenzung des Stromflusses. Ferrite für Kabelkonfektionen seien ausnahmslos zur Reduktion von elektromagnetischen Störsignalen auf Kabeln und Leitungen gedacht. Der Strom auf dem Leiter erzeuge ein Magnetfeld und dies wiederum einen magnetischen Fluss, der durch den Einsatz der Ferritkerne gebündelt werde. Fertige Selbstinduktionsspulen müssten dabei keinesfalls aus mehreren Windungen, also Leiterschleifen, bestehen. Die Wicklung könne physikalisch durch den durchgeführten stromführenden Leiter ersetzt werden. Die Erläuterungen (ErlHS 36.0 und 37.0 zu Pos. 8504) bestätigten dies, denn sie gingen davon aus, dass die fraglichen Waren „im Wesentlichen“ aus einer stromleitenden Wicklung bestünden. Weshalb im zolltariflichen Sinne nur eine mechanische Wicklung anwendbar sein sollte und dieser Effekt nicht wie üblich durch einen durchgeführten stromführenden Leiter ersetzt werden könne, sei nicht ersichtlich. Das Wort „im Wesentlichen“ impliziere bereits die mögliche Ausnahme. Ein Ferritkern als Teil einer Selbstinduktionsspule sei zolltariflich nicht so zu verstehen, dass er zwingend den Mittelpunkt darstelle, um den etwas „herumgewickelt“ werden müsse. Entscheidend sei vielmehr, dass er aufgrund seiner Beschaffenheit und Dichte in Kombination mit dem stromführenden Kabel die Selbstinduktion erzeuge.

11 Das FG habe im Rahmen seiner Urteilsfindung zudem gegen das verfassungsrechtlich garantierte Willkürverbot verstoßen. Sie —die Klägerin— habe sich im Verfahren auf Vertrauensschutz im Sinne des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK berufen, da in einer vorangegangenen Zollprüfung sowohl identische Waren als auch dieselben Lieferanten geprüft worden seien. Das FG verneine das Vorliegen identischer Ferritkerne im hiesigen Verfahren rein willkürlich und ergebnisorientiert und ohne die insoweit entscheidungserheblichen Tatsachen zu ermitteln. Insbesondere der Umstand, dass sie sich zur Stützung ihrer Ansicht im Nachhinein auf eine der Z-Gesellschaft erteilte vZTA berufen habe, dürfe nicht dazu führen, den Vertrauensschutz zu versagen, denn ihre Einreihungsauffassung habe auch bereits ohne die der Z-Gesellschaft erteilte vZTA bestanden.

12 Darüber hinaus verletze die Entscheidung des FG verfahrensrechtliche Bestimmungen. Sie habe ihre Rechtsposition diesbezüglich auch nicht mangels Rüge verloren.

13 So habe das FG seine auf § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gründende Verpflichtung zur Sachaufklärung verletzt. Es habe keine Aufklärung betrieben, ob es sich bei den Waren um solche gehandelt habe, die bereits Gegenstand der Vorprüfung gewesen seien. Das FG hätte Art und Umfang der eingeführten Waren angesichts ihres substantiierten Sachvortrags hierzu im Detail prüfen müssen und nicht pauschal davon ausgehen dürfen, dass es sich im damaligen Prüfungszeitraum um andere Waren gehandelt habe. Eine zutreffende Entscheidung zum Vertrauensschutz sei so unmöglich gewesen, das Urteil beruhe auf diesem Verfahrensfehler. Die vom FG ausgesprochene Rechtsfolge sei folglich nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt.

14 Auch verstoße die Entscheidungsfindung tragend gegen § 96 Abs. 1 FGO. Das FG hätte das Gesamtergebnis des Verfahrens vollständig und zutreffend zur Kenntnis nehmen müssen. Im Widerspruch hierzu übergehe das FG die Ausführungen des vorgelegten Sachverständigengutachtens und treffe infolgedessen letztlich keine belastbare Aussage zur erheblichen Frage, was ein Ferritkern im zolltariflichen Sinne sei.

15 Zur höchstrichterlich bislang ungeklärten Auslegung der streitgegenständlichen Begrifflichkeiten aus der Kombinierten Nomenklatur wäre letztlich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens zu konsultieren gewesen. Dies betreffe die folgenden Fragestellungen:

„Ist ein elektrischer Leiter, der durch einen Ferrit durchgeführt wird oder um den ein geteilter Ferrit vollständig herumgeklappt wird, eine Spule im Sinne des Zolltarifs?“

„Ist für das Vorliegen einer Selbstinduktionsspule im Sinne des Zolltarifs (KN) der Pos. 8504 HS erforderlich, dass eine mechanische Wicklung mit mindestens einer Windung vorliegt?“

„Liegt eine Selbstinduktionsspule im Sinne des Zolltarifs (KN) der Position 8504 HS vor, wenn durch die Kombination aus einem stromführenden Leiter und einem Ferrit, durch den dieser entweder hindurchgeführt oder herumgeklappt wird, eine Selbstinduktion erzeugt wird?“

„Sind die in der Unterposition 8504 9011 KN genannten Ferritkerne so zu verstehen, dass sie nur aufgrund ihrer Beschaffenheit und Dichte als Ferritkern anzusehen sind und nicht zusätzlich erforderlich ist, dass um einen Ferritkern etwas mechanisch gewickelt werden müsste und der Ferritkern dadurch die Mitte im Sinne eines Kernes bilden müssen?“

16 Aus den genannten Gründen beantragt die Klägerin,

das angefochtene und damit den Einfuhrabgabenbescheid des HZA vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

17 Das HZA beantragt demgegenüber,

die Revision zurückzuweisen.

18 Es trägt vor, die streitgegenständlichen EMV-Ferrite würden unstrittig ausschließlich auf elektrische Kabel der Pos. 8544 KN montiert und dadurch zu Bestandteilen der entsprechenden Kabel. Die Anm. 2 zu Abschn. XVI KN, die die Einreihung von Teilen von Maschinen, Apparaten und Geräten des Abschn. XVI regele, nehme indessen explizit im Klammerzusatz in Satz 1 der Anm. 2 zu Abschn. XVI KN die Einreihung von Teilen elektrischer Kabel als Waren der Pos. 8544 KN aus. Damit müssten die Ferrite nach dem Wortlaut der Position gemäß der Allgemeinen Vorschrift für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur (AV) 1 in die Pos. 8548 KN als „elektrische Teile von Maschinen, Apparaten und Geräten, im Kapitel 85 anderweit weder genannt noch inbegriffen“ eingereiht werden, da kein anderer Positionswortlaut die Ferrite als Geräte oder Teile eines Gerätes genauer erfasse. Gestützt werde dies durch die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur (ErlKN) zu Pos. 8548, die „Ferrite“ namentlich aufführten und als „elektrische Teile“ qualifizierten, die in gleichem Maße für in verschiedenen Positionen dieses Kapitels erfasste Maschinen, Apparate oder Geräte verwendet werden könnten (vgl. ErlKN 05.0 zu Pos. 8548). Da die streitgegenständlichen Ferrite nicht als erkennbare Teile oder als Ware einer bestimmten Position eingereiht werden könnten, verbleibe nur die Einreihung als „elektrische Teile, in Kapitel 85 anderweit weder genannt noch inbegriffen“ in die Pos. 8548 KN (vgl. ErlHS 08.0 und 10.0 zu Pos. 8548). Innerhalb der Pos. 8548 KN seien sie mangels ausdrücklicher Aufführung in den entsprechenden Unterpositionswortlauten der Unterpos. 8548 90 90 KN zuzuweisen.

19 Eine Einreihung als Teile von „Selbstinduktionsspulen“ der Pos. 8504 KN sei ausgeschlossen. Ausweislich der ErlHS 37.0 zu Pos. 8504 bestehe eine Spule im Wesentlichen aus einer stromleitenden Wicklung, die, wenn sie in einen Wechselstromkreis eingeschaltet werde, durch ihre Selbstinduktion das Fließen des Stroms begrenze oder verhindere. Das Vorhandensein einer Drahtwicklung stelle damit das wesentliche Merkmal und mithin eine zwingende Voraussetzung einer Selbstinduktionsspule im Sinne des Zolltarifs dar.

20 Im Übrigen teile es die Auffassung des FG, wonach die Klägerin keinen Vertrauensschutz geltend machen könne. Eine weitergehende Sachaufklärung sei insoweit nicht geboten gewesen. Das FG habe basierend auf dem Sachvortrag der Beteiligten im Rahmen der freien Beweiswürdigung eine Entscheidung treffen können.

21 Anlass für eine EuGH-Vorlage bestehe nicht, da eine Einreihung der streitgegenständlichen Ferrite in die Kombinierte Nomenklatur anhand der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur eindeutig lösbar sei.

Gründe

II.

22 1. Der Senat entscheidet nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 90a Abs. 1 FGO durch Gerichtsbescheid.

23 2. Die Revision ist begründet mit der Maßgabe, dass die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat zwar in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die hier zu beurteilende Ware in die Unterpos. 8548 90 90 KN, Codenummer 8548 90 90 99 0 einzureihen ist. Allerdings vermag der Senat nicht abschließend in der Sache zu entscheiden, ob das HZA mit dem streitgegenständlichen Einfuhrabgabenbescheid vom und der ihn bestätigenden Einspruchsentscheidung vom gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK zu Recht Zoll nacherhoben hat. Die Vorentscheidung hält im Hinblick auf einen der Nacherhebung entgegenstehenden etwaigen Vertrauensschutz im Sinne von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand, weil sie diesbezüglich verfahrensfehlerhaft unter Verletzung der nach § 76 Abs. 1 FGO gebotenen Sachaufklärungspflicht zustande gekommen ist.

24 a) Die Nacherhebung des Zolls richtet sich hier deshalb nach Art. 220 Abs. 1 ZK, weil die im Streitfall zu beurteilenden Einfuhren zwischen Juni 2011 und März 2014 durchgeführt wurden. Art. 220 ZK ist eine Vorschrift des materiellen Zollrechts, die auf vor dem Inkrafttreten des Zollkodex der Union entstandene Sachverhalte weiterhin anwendbar bleibt (Senatsurteil vom  - VII R 21/20, Rz 25).

25 b) Gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK ist der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nachzuerheben, wenn er mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden ist. Letzteres war hier —insoweit ist die Vorentscheidung zu bestätigen— der Fall. Der streitgegenständliche Zollbetrag wurde zuvor gesetzlich geschuldet, aber nicht buchmäßig erfasst, weil die fraglichen Waren tatsächlich in die Codenummer 8548 90 90 99 0 (Drittlandzollsatz: 2,7 %) und nicht —wie von der Klägerin ursprünglich angemeldet— in die Codenummer 8504 90 11 10 0 (Drittlandzollsatz: frei) einzureihen sind. Für das Jahr 2011 maßgeblich ist die Kombinierte Nomenklatur i.d.F. der Verordnung (EU) Nr. 861/2010 der Kommission vom zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (Amtsblatt der Europäischen Union —ABlEU— 2010, Nr. L 284, 1). Für das Jahr 2012 maßgeblich ist die Kombinierte Nomenklatur i.d.F. der Verordnung (EU) Nr. 1006/2011 der Kommission vom zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABlEU 2011, Nr. L 282, 1). Für das Jahr 2013 maßgeblich ist die Kombinierte Nomenklatur i.d.F. der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABlEU 2012, Nr. L 304, 1). Für das Jahr 2014 maßgeblich ist die Kombinierte Nomenklatur i.d.F. der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABlEU 2013, Nr. L 290, 1).

26 aa) Das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit gemäß AV 1 Satz 2 allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der Kombinierten Nomenklatur und der Anmerkungen zu den entsprechenden Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Der Verwendungszweck des betreffenden Erzeugnisses kann dabei ein objektives Einreihungskriterium sein, sofern er dem Erzeugnis innewohnt, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses beurteilen lassen muss. Des Weiteren hat der EuGH wiederholt entschieden, dass die Erläuterungen zum Harmonisierten System und diejenigen zur Kombinierten Nomenklatur zwar nicht verbindlich sind, aber wichtige Hilfsmittel für die Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs darstellen und als solche wertvolle Hinweise für dessen Auslegung liefern (EuGH-Urteil Viterra Hungary vom  - C-366/22, EU:C:2023:876, Rz 33 ff., m.w.N. aus der ständigen Rechtsprechung). Diese Grundsätze gelten vorbehaltlich der vorrangigen Anwendbarkeit einer Tarifierungsverordnung, da eine solche nach gefestigter Rechtsprechung Normcharakter hat und für die Gesamtheit der Waren gilt, die mit der vom Ausschuss für den Zollkodex geprüften Ware identisch sind (EuGH-Urteil Onlineshop vom  - C-268/18, EU:C:2019:353, Rz 40).

27 bb) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die in dem angefochtenen Urteil geäußerte Tarifierungsauffassung des FG zu bestätigen. Die streitgegenständlichen Waren sind ausgehend von den —vorliegend maßgeblichen— tatsächlichen Feststellungen des FG nicht in die Unterpos. 8504 90 11 KN, sondern in die Unterpos. 8548 90 90 KN einzureihen.

28 (1) Die Pos. 8548 KN erfasst nach ihrem Wortlaut unter anderem „elektrische Teile von Maschinen, Apparaten und Geräten, in diesem Kapitel anderweit weder genannt noch inbegriffen“. Die streitgegenständlichen Ferrite weisen sämtliche vom Wortlaut der Pos. 8548 KN „elektrische Teile von Maschinen, Apparaten und Geräten“ beschriebenen Eigenschaften —dies ist eindeutig und unstreitig— auf. In der Unterpos. 8548 90 90 KN werden „andere“ als die in den sonstigen Unterpositionen zu Pos. 8548 KN genannten Waren erfasst. Sonstige Unterpositionen zu Pos. 8548 KN sind hier indes ersichtlich und unstreitig nicht einschlägig, weshalb die vom HZA gewählte und vom FG bestätigte Unterposition im Falle der Einschlägigkeit der Pos. 8548 KN zuträfe. So nennen die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur in ihrer beispielhaften Auflistung der von der Unterpos. 8548 90 90 KN erfassten elektrischen Teile explizit „Ferrite“, die in gleichem Maße für in verschiedenen Positionen dieses Kapitels erfasste Maschinen, Apparate oder Geräte verwendet werden können (ErlKN 05.0 zu Pos. 8548). Die Einreihung der streitgegenständlichen Ware in die Pos. 8548 KN ist aber nach dem klaren Wortlaut dieser Position und gestützt auch auf die zusätzlich speziell für Ferrite gegebene Erläuterung nur denkbar, wenn es nicht möglich ist, sie in eine andere Position des Kapitels 85 einzureihen.

29 (2) Es ist auf Grundlage der den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG indes ausgeschlossen, die streitgegenständlichen Ferrite in eine andere Position des Kapitels 85 einzureihen.

30 (a) Die Ferrite, die Gegenstand der vorliegenden Tarifierungsfrage sind, werden gemäß den Feststellungen des FG an elektrischen Kabeln verwendet. Elektrische Kabel und ihre Bestandteile können unter die Pos. 8544 KN fallen. Für die besagten Ferrite ist jedoch eine solche Einordnung ausgeschlossen. Die Anm. 2 zu Abschn. XVI KN regelt die Klassifizierung von Teilen von Maschinen, Apparaten und Geräten dieses Abschnitts. Im Klammernachtrag von Satz 1 der Anm. 2 zu Abschn. XVI KN wird die Einordnung von Teilen elektrischer Kabel als Waren der Pos. 8544 KN ausgeschlossen.

31 (b) Die von der Klägerin vertretene Tarifierung der Ferrite als Teile von Transformatoren und Selbstinduktionsspulen unter die Pos. 8504 KN —weil schon eine Kombination aus Ferrit und Kabel physikalisch eine Selbstinduktionsspule bilde— scheidet basierend auf den tatsächlichen Feststellungen des FG ebenfalls aus.

32 (aa) Das Kapitel 85 des Zolltarifs umfasst die Pos. 8504 KN mit dem Titel „Elektrische Transformatoren, elektrische Stromrichter (z.B. Gleichrichter) sowie Drossel- und andere Selbstinduktionsspulen“. Der Begriff der Selbstinduktionsspule ist im Zolltarif nicht näher definiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH richtet sich die Auslegung von Unionsvorschriften, die in den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht näher definiert sind, in erster Linie nach dem ihrem Wortlaut entsprechenden Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch (s. etwa EuGH-Urteil Phantasialand vom  - C-406/20, EU:C:2021:720, Rz 29). Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist eine Spule eine Anordnung von Draht oder einem ähnlichen Material, das in einer spiraligen oder gewundenen Form aufgewickelt ist, oft um einen Kern herum. In den Erläuterungen zum Harmonierten System ist der Begriff der Selbstinduktionsspule dementsprechend dahingehend konkretisiert, dass eine Selbstinduktionsspule im Wesentlichen aus einer stromleitenden Wicklung besteht, die, wenn sie in einen Wechselstromkreis eingeschaltet wird, durch ihre Selbstinduktion das Fließen des Stroms begrenzt oder verhindert (ErlHS 37.0 zu Pos. 8504; s.a. Senatsurteil vom  - VII R 20/07, Rz 18). Die Wicklung ist ausweislich der zitierten Erläuterung ein wesentliches Merkmal einer Selbstinduktionsspule im zolltariflichen Sinne. Im zolltariflichen Sinne liegt eine Selbstinduktionsspule mithin basierend auf dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und ausweislich der einschlägigen Erläuterung vor, sofern sie mittels einer Wicklung dazu konstruiert ist, eine elektromagnetische Induktion in einem Stromkreis zu erzeugen, wenn sich der Strom in diesem Kreis ändert. Insofern kann ein elektrischer Leiter, der durch einen Ferrit hindurchgeführt wird oder um den ein geteilter Ferrit vollständig herumgeklappt wird, nicht als Selbstinduktionsspule im Sinne des Zolltarifs angesehen werden. Denn um als Spule im zolltariflichen Sinne klassifiziert zu werden, muss eine Vorrichtung eben die genannten charakteristischen Beschaffenheitsmerkmale einer Spule aufweisen - das heißt insbesondere eine gewickelte Anordnung von elektrischem Leitermaterial. Es mag zwar —wie die Klägerin geltend macht— in der Physik und der Elektrotechnik auch der Funktion nach Selbstinduktionsspulen ohne Wicklungen geben. Jedoch handelt es sich ausweislich der auf den Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur fußenden Auslegung insoweit nicht um Selbstinduktionsspulen im zolltariflichen Sinn. Auf spezifische Begriffsbestimmungen in der Fachsprache darf im Interesse einer kohärenten Interpretation im Rahmen der Auslegung zolltariflicher Bestimmungen erst zurückgegriffen werden, wenn ein Begriff im Zolltarif und den dazu ergangenen Erläuterungen nicht näher definiert ist (so schon Senatsurteil vom  - VII K 7/74, BFHE 117, 512, 3. Absatz der Gründe, zum Gemeinsamen Zolltarif).

33 (bb) Der Umstand, dass „Ferritkerne“ in der Unterpos. 8504 90 11 KN als Teile von Geräten der Pos. 8504 KN ausdrücklich erwähnt werden, begründet kein abweichendes Einreihungsergebnis. „Ferritkerne“ sind —dem Namen entsprechend— (magnetische) Kerne, die aus Ferrit bestehen. Sie können mögliche Bauteile von Selbstinduktionsspulen im zolltariflichen Sinne darstellen, weshalb sie in der Unterpos. 8504 90 11 KN auch aufgeführt sind. Die streitgegenständlichen Ferrite sind aus den oben genannten Gründen indes bauartbedingt keine Bauteile von Selbstinduktionsspulen im zolltariflichen Sinne.

34 (c) Zweifel an der Auslegung von Unionsrecht bestehen insoweit nicht, weshalb der Senat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht für angezeigt hält.

35 c) Im Streitfall ist allerdings mangels belastbarer tatsächlicher Feststellungen nicht ersichtlich, ob das HZA von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung des gesetzlich geschuldeten Abgabebetrags aufgrund der in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK geregelten Vertrauensschutzregelung abzusehen hatte. Das FG hat unter Verstoß gegen die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO die Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK verneint. Die Sache ist nicht spruchreif.

36 aa) Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK steht einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung dann entgegen, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist. Weitere Voraussetzung ist, dass dieser Irrtum vernünftigerweise vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat (Senatsurteil vom  - VII R 21/20, Rz 42).

37 bb) Die Rechtsprechung des EuGH fordert insofern einen „aktiven“ Irrtum, also einen solchen, der auf ein Handeln der zuständigen Behörden zurückzuführen ist (EuGH-Urteil Veloserviss vom  - C-47/16, EU:C:2017:220, Rz 28, m.w.N). Im Streitfall könnte ein solcher aktiver zollbehördlicher Irrtum darin gesehen werden, dass eine von den Zollstellen veranlasste zollamtliche Überprüfung der Tarifierung —möglicherweise— gleichartiger Waren im Rahmen einer vorangegangenen Außenprüfung stattgefunden hatte. Ein aktiver Irrtum der Zollbehörde kann anerkanntermaßen in einem Rechtsirrtum des Prüfers im Rahmen einer Außenprüfung begründet sein, der eine unzutreffende Tarifierung nicht beanstandet oder sogar selbst vornimmt (vgl. EuGH-Urteil Sommer vom  - C-15/99, EU:C:2000:574, Rz 36; Senatsurteil vom  - VII R 36/10, BFHE 234, 77, Rz 11).

38 cc) Das FG vermochte im Streitfall einen solchen Irrtum der Zollbehörden nicht zu erkennen. Gegenstand der Vorprüfung seien zwar ausweislich des dortigen Prüfungsberichts unter anderem „Ferritkerne verschiedenster Formen für Induktionen“ gewesen, deren Einreihung in die Codenummer 8504 90 11 10 0 anhand eines Beispiels überprüft und nicht beanstandet worden sei. Hinweise darauf, dass es sich bei den damals an der angegebenen Stelle als „Ferritkerne“ bezeichneten Waren um die gleichen Ferrite gehandelt haben könnte, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits seien, ergäben sich daraus nicht. Die Einreihung bestimmter Klappferrite in die Codenummer 8504 90 11 10 0 wiederum sei ausweislich des Prüfungsberichts in der Vorprüfung ausdrücklich beanstandet worden. Der Prüfer habe diese Waren als „Selbstinduktionsspulen mit einer Induktivität von nicht mehr als 62 MHz“ in die Codenummer 8504 50 95 20 0 eingereiht - eine Tarifierung, die die Klägerin nicht übernommen und auf die sie demzufolge nicht vertraut habe.

39 (1) Diese Ausführungen des FG sind zwar rechtlich schlüssig: Ein Vertrauensschutz käme im vorliegenden Zusammenhang ausweislich obiger Ausführungen nur in Betracht, sofern die seitens der Klägerin vorgenommene Tarifierung gleichartiger Waren unter die Codenummer 8504 90 11 10 0 im Rahmen der vorangegangenen Außenprüfung überprüft und nicht beanstandet worden wäre. Allerdings gründet die Verneinung des Vertrauensschutzes durch das FG maßgeblich auf seinem Befund, dass sich gleichartige Waren insoweit nicht feststellen ließen.

40 (2) Zu dieser Feststellung ist das FG jedoch —wie von der Klägerin gerügt— verfahrensfehlerhaft unter Verletzung der ihm obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) gekommen. In ihrer Klagebegründung vor dem FG hatte die Klägerin zu den in der Vorprüfung untersuchten Waren ausgeführt, dass es sich insoweit um „die gleichen“ Ferritkerne handele (S. 3 der Klagebegründung). Nach Lage der FG-Akte ist diese Behauptung im schriftlichen Verfahren unstreitig geblieben. Zudem ist nicht ersichtlich, dass das FG die Klägerin im vorbereitenden Verfahren diesbezüglich zu näherem Sachvortrag aufgefordert hätte. Lediglich im Protokoll über die mündliche Verhandlung vom heißt es zu diesem Thema wörtlich: „Schließlich wird mit den Beteiligten die Frage erörtert, inwieweit sich aus der Beurteilung von nach Darstellung der Klägerin vergleichbaren Waren im Rahmen einer vorausgegangenen Zollprüfung ein Vertrauensschutz für die Klägerin ableiten lasse. Es wird darauf hingewiesen, dass kein Irrtum der Zollbehörde ersichtlich sei, der als Anknüpfungspunkt für Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 ZK in Betracht komme.“ (S. 3 des Protokolls). Dass das FG diese Erkenntnis unter Ausschöpfung aller zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten hinsichtlich der Gleichartigkeit der Waren gewonnen hat, ist nicht erkennbar.

41 (3) Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Es ist dabei an das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). Substantiierten Vortrag der Beteiligten darf es dabei aber nicht übergehen (Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 76 Rz 31, m.w.N.). Indem das FG hier den im vorbereitenden Verfahren nach Lage der Akten unstreitigen Sachverhalt ohne weitere angemessene Sachaufklärung verworfen hat, hat es gegen seine Verpflichtung zur Sachaufklärung verstoßen. Insbesondere hätte das FG die Klägerin im Verfahren dazu auffordern müssen, näheren Sachvortrag zu leisten oder gegebenenfalls weitere Nachweise vorzulegen, um die Gleichartigkeit der Waren zu belegen. Die Unterlassung einer angemessenen Sachaufklärung führt dazu, dass das Urteil des FG nicht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht. Dies stellt einen Verfahrensfehler dar, der die Rechte der Klägerin verletzt. Demnach ist das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Denn die Vorentscheidung könnte auf diesem Verfahrensmangel beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass das FG ohne diesen Verfahrensmangel zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

42 (4) Dem steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Klägerin die mangelnde Sachaufklärung im Verfahren nicht gerügt hat. Die Klägerin hat insoweit ihr Rügerecht nicht nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung verloren. Zwar geht bei —wie vorliegend— verzichtbaren Verfahrensmängeln das Rügerecht auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren. Dies gilt jedoch nicht, wenn der gerügte Verfahrensverstoß —wie im Streitfall— erst aus den Entscheidungsgründen selbst ersichtlich wird und den Beteiligten daher eine rechtzeitige Rüge in der mündlichen Verhandlung nicht möglich war (, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Im Streitfall konnte die Klägerin nach dem protokollierten Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht damit rechnen, dass das FG die oben benannte Gleichartigkeit der Waren in Frage stellen würde. Allein der Hinweis, dass kein Irrtum der Zollbehörde ersichtlich sei, der als Anknüpfungspunkt für Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 ZK in Betracht komme, verdeutlicht dies nicht.

43 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:U.090724.VIIR58.20.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-80099