BGH Urteil v. - VIa ZR 760/21

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 14 U 89/21vorgehend LG Osnabrück Az: 9 O 1775/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Der Ehemann der Klägerin erwarb im März 2016 von der Beklagten zum Preis von 49.500 € einen Mercedes-Benz GLK 350 CDI 4-Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Im November 2020 trat er sämtliche Ansprüche in Bezug auf den Fahrzeugkauf an die Klägerin ab, an die er das Fahrzeug zuvor zum Preis von 28.000 € weiterveräußert hatte.

2Die Klägerin hat die Beklagte zunächst aus eigenem Recht unter den Gesichtspunkten kaufrechtlicher Gewährleistung und deliktischer Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Einspruch eingelegt und erklärt, die zwischenzeitlich von ihrem Ehemann an sie abgetretenen Ansprüche geltend zu machen. Sie hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 49.500 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung zu verurteilen (Berufungsantrag zu 1). Ferner hat sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitergehende Schäden, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat den Einspruch der Klägerin zurückgewiesen und die darüberhinausgehende Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Berufungsantrag zu 1 insoweit weiter.

Gründe

3Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

A.

4Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung fehlt es nicht an einer Prozessfortführungsvoraussetzung, weil die Klägerin mit ihrem Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts erklärt hat, ihr Klagebegehren nunmehr nur noch auf Ansprüche aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns stützen zu wollen. Dies hat nicht zur Folge, dass der Einspruch unzulässig gewesen ist, weil er sich nicht gegen eine Beschwer aus dem Versäumnisurteil richtet. Die Rechtsprechung zur Unzulässigkeit einer Berufung, die lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt (vgl. , NJW-RR 2023, 1549 Rn. 10), ist auf den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil nicht zu übertragen. Ebenso wie die Berufung verhindert ein zulässiger Einspruch zwar den Eintritt der materiellen und formellen Rechtskraft. Es handelt sich aber um einen Rechtsbehelf eigener Art, der - anders als die Berufung - dazu dient, die nachteiligen Folgen der Säumnis zu beseitigen (vgl. , NJW-RR 1993, 1408; Büscher in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 338 Rn. 4). Seine Wirkung besteht gemäß § 342 ZPO darin, dass der Prozess, soweit der Einspruch reicht, in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich vor Eintritt der Säumnis befand. Dafür muss die Einspruchsschrift außer den in § 340 Abs. 2 ZPO genannten Angaben keinen weiteren Inhalt aufweisen (vgl. BeckOK-ZPO/Toussaint, Stand: , § 340 Rn. 9). Dementsprechend wird der Einspruch nicht dadurch unzulässig, dass mit der Einspruchsschrift erklärt wird, nach Wiederherstellung des Status vor Eintritt der Säumnis ausschließlich einen neuen Anspruch zur Entscheidung stellen zu wollen (vgl. OLG Köln, aaO).

B.

5Der angefochtene Beschluss hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Als Anspruchsgrundlage aus Gesetz komme allein die Regelung zu §§ 826, 31 BGB in Verbindung mit § 398 BGB in Betracht, deren Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Verwendung einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems, die bei kühleren Temperaturen unter 17 Grad Celsius die Abgasrückführung zurückfahre, sei für sich genommen nicht ausreichend, um dem Verhalten der Beklagten ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dem Vortrag der Klägerin seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Das schlichte Vorhandensein einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sei ebenfalls kein ausreichender Anknüpfungspunkt für eine Haftung. Für den behaupteten Prüfstandsbezug der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung in dem Fahrzeug der Klägerin gebe es keine greifbaren Anhaltspunkte.

II.

8Diese Beurteilung ist von Rechtsfehlern beeinflusst.

91. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB in Verbindung mit § 398 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung verneint hat. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur , juris Rn. 12 f.;  VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11) hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte verneint, weil es dem Klägervorbringen keine greifbaren Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung beziehungsweise für einen bewussten Gesetzesverstoß der für die Beklagte handelnden Personen entnommen hat. Die Rüge der Revision, die Beurteilung des Berufungsgerichts verstoße gegen Verfahrensgrundrechte der Klägerin, weil ihr Vortrag, insbesondere zu einer die Prüfstandsituation erkennenden Abschalteinrichtung in Gestalt der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, ausreichend gewesen sei, um den Vorwurf einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch die Beklagte zu begründen, hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2, § 398 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2, § 398 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines von ihrem Ehemann erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Die Berufungsentscheidung ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit ha­ben, einen Differenzschaden ihres Ehemanns darzulegen. die erforderlichen

                        

                        

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:201124UVIAZR760.21.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-79841