Beweiskraft des Protokolls - Urteilsverkündung
Leitsatz
Die Verkündung eines Urteils - gerade in einem gesonderten Verkündungstermin - kann nach § 160 Abs. 3 Nr. 7, § 165 ZPO nur durch ein Protokoll bewiesen werden.
Gesetze: § 160 Abs 3 Nr 7 ZPO, § 165 ZPO, § 311 Abs 2 S 1 ZPO, § 60 ArbGG, § 68 ArbGG, § 173 Abs 1 GVG, § 21 Abs 1 S 1 GKG 2004
Instanzenzug: Az: 7 Ca 105/22 Teilurteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 1 Sa 8/23 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
2Der Kläger hat sinngemäß beantragt
3Das Arbeitsgericht hat der Klage durch „Teilurteil“ stattgegeben. Dieses beruht auf der mündlichen Verhandlung vom . Dort hat die Kammer den Beschluss verkündet, für den einen Termin zur Verkündigung einer Entscheidung anzuberaumen. Der Verkündungstermin wurde zuletzt auf den verlegt. In der Akte des Arbeitsgerichts folgt die Urteilsformel, unterschrieben vom Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern. Im Anschluss findet sich das „Teilurteil“ in vollständig abgefasster Form, untrennbar verbunden mit einem Verkündungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Es schließt sich eine Verfügung einer Justizangestellten vom an betreffend die Zustellung des „Teilurteils“ an die Parteien. Ein Protokoll über eine Verkündung des „Teilurteils“ existiert nicht. Nach Auskunft der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts werden Protokolle über gesonderte Verkündungstermine in der betreffenden Kammer seit der elektronischen Führung der Prozessakten nicht mehr erstellt.
4Die Beklagte hat gegen das „Teilurteil“ Berufung eingelegt. Diese ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.
Gründe
5Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte über die Klage nicht in der Sache entscheiden, weil das Verfahren vor dem Arbeitsgericht mangels Verkündung eines Urteils noch nicht abgeschlossen ist. Tatsächlich handelt es sich bei dem „Teilurteil“ des Arbeitsgerichts lediglich um einen Urteilsentwurf. Die bisher ergangenen Entscheidungen waren aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
6I. Das „Teilurteil“ des Arbeitsgerichts leidet an einem nicht behebbaren Verfahrensfehler. Es ist weder verkündet noch auf andere Weise wirksam geworden. Damit ist die erste Instanz bislang nicht abgeschlossen.
71. Die Verkündung eines Urteils erfolgt im Namen des Volkes durch Vorlesung der vollständigen Urteilsformel einschließlich Kostenentscheidung, Streitwert und ggf. einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung, jedenfalls aber durch Bezugnahme auf die schriftlich niedergelegte Urteilsformel; sie hat immer in öffentlicher Sitzung zu erfolgen, § 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG. Ein Urteil wird erst durch diese förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Solange die Entscheidung noch nicht verkündet wurde, liegt rechtlich nur ein - allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender - Entscheidungsentwurf vor ( - Rn. 20; - 5 AZR 712/19 - Rn. 9, BAGE 172, 372; für das Beschlussverfahren: - Rn. 23).
82. Die Verkündung einer Entscheidung ist nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO im Protokoll festzustellen. Die Feststellung der Verkündung ist eine nach § 165 ZPO wesentliche Förmlichkeit, die nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. - Rn. 12). Findet sich im Protokoll kein Hinweis auf die Verkündung des Urteils, steht infolge der Beweiskraft des Protokolls gemäß §§ 165, 160 Abs. 2 ZPO ein Verstoß gegen das aus § 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG folgende Erfordernis der Urteilsverkündung in öffentlicher Sitzung fest ( - Rn. 21; - 5 AZR 712/19 - Rn. 10, BAGE 172, 372).
93. Das gilt auch, falls es - wie vorliegend - kein unterschriebenes Protokoll der Verkündung gibt. Wenn die Feststellung der Verkündung eine nach § 165 ZPO wesentliche Förmlichkeit ist, die nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. - Rn. 12), und es kein Protokoll gibt, kann die Verkündung - gerade in einem gesonderten Verkündungstermin - nicht durch ein Protokoll bewiesen werden ( - Rn. 22).
104. Da der Beweis der Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten nur durch das Sitzungsprotokoll erbracht werden kann, beweist der Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 315 Abs. 3 ZPO eine Verkündung nicht (vgl. - Rn. 10, BAGE 172, 372). Zweck dieses Verkündungsvermerks ist die Bescheinigung der Übereinstimmung des Urteilstenors mit der verkündeten Urteilsformel ( - Rn. 23). Das gilt unverändert auch bei elektronischer Führung der Prozessakten.
115. Das „Teilurteil“ des Arbeitsgerichts ist nicht auf andere Art und Weise wirksam verlautbart worden.
12a) Verkündungsmängel stehen dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Sind deren Mindestanforderungen hingegen gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils nicht. Zu den Mindestanforderungen gehört allerdings, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden ( - Rn. 26; - 5 AZR 712/19 - Rn. 13, BAGE 172, 372). Eine wirksame Verlautbarung des Urteils kann ggf. dadurch erfolgen, dass der Vorsitzende der Kammer dessen Übersendung an die Parteien selbst verfügt hat, so dass sein Wille, die Entscheidung zu erlassen, außer Frage steht (vgl. - Rn. 14, BAGE 172, 372).
13b) Es kann dahinstehen, ob dies auch gilt, wenn das Gericht die Zustellung in der irrtümlichen Annahme veranlasst, es habe die betreffende Entscheidung bereits verkündet (dagegen: - Rn. 17; - VI ZB 25/83 - Rn. 10; - zu B I 1 c der Gründe). Vorliegend fehlt es bereits an einer Verfügung des Vorsitzenden zur Übersendung des Urteils an die Parteien. Die Schlussverfügung der Geschäftsstelle kann die richterliche Verfügung nicht ersetzen, weil sie nicht den Willen des Richters dokumentiert, die Entscheidung der Kammer nach außen kundzutun (vgl. - Rn. 14, BAGE 172, 372).
146. Es ist unerheblich, dass die Parteien den Mangel der Verkündung bislang nicht gerügt haben. Die fehlende Verkündung ist von Amts wegen zu beachten und kann nicht durch unterlassene Rüge geheilt werden ( - Rn. 28; OLG Frankfurt - 1 U 32/09 - zu B I 1 a cc (6) (a) der Gründe; für das Beschlussverfahren: - Rn. 24).
15II. Da das „Teilurteil“ des Arbeitsgerichts nicht wirksam verkündet worden ist, kann es keine rechtliche Wirkung erzeugen, gleichwohl aber zur Beseitigung des mit ihm verbundenen Rechtsscheins mit der Berufung angefochten werden (vgl. - Rn. 29; - 5 AZR 712/19 - Rn. 15, BAGE 172, 372).
161. Bei fehlender Verkündung des erstinstanzlichen „Urteils“ ist das Verfahren nach wie vor in der ersten Instanz anhängig und dort noch nicht abgeschlossen. Mit der Berufung kann der äußere Anschein einer wirksamen, den ersten Rechtszug beendenden gerichtlichen Entscheidung beseitigt werden. Daher hätte das Landesarbeitsgericht auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche „Teilurteil“ aufheben und den Rechtsstreit ausnahmsweise an das Arbeitsgericht zurückverweisen müssen. Eine eigene Sachentscheidung war dem Landesarbeitsgericht dagegen verwehrt (vgl. - Rn. 30; - 5 AZR 712/19 - Rn. 16, BAGE 172, 372).
172. Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren steht § 68 ArbGG nicht entgegen. Zwar ist nach dieser Vorschrift im Arbeitsgerichtsprozess die Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Landesarbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts unzulässig. § 68 ArbGG schließt die in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO für diesen Fall vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung an die erste Instanz grundsätzlich aus. Dies dient der Prozessbeschleunigung und gilt auch bei schwerwiegenden Verfahrensfehlern (vgl. - Rn. 28, BAGE 147, 227). Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht kommt jedoch - neben den in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 7 ZPO genannten Fällen - ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann (vgl. - Rn. 29, aaO). So lag der Fall hier. Das Landesarbeitsgericht konnte die im ersten Rechtszug unterbliebene Urteilsverkündung nicht selbst vornehmen (vgl. - Rn. 31; - 5 AZR 712/19 - Rn. 17, BAGE 172, 372).
18III. Der Rechtsstreit war unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
191. Das Bundesarbeitsgericht kann den Rechtsstreit - ausnahmsweise - an das Arbeitsgericht zurückverweisen, wenn schon das Landesarbeitsgericht die Sache an das Arbeitsgericht hätte zurückverweisen müssen (vgl. - Rn. 27, BAGE 147, 227). Das Landesarbeitsgericht konnte den nicht behebbaren Verfahrensfehler des Arbeitsgerichts nicht wirksam heilen. Eine nach § 528 ZPO der Überprüfung durch das Berufungsgericht unterliegende erstinstanzliche Entscheidung war zwischen den Parteien nicht ergangen (vgl. - Rn. 33; - 5 AZR 712/19 - Rn. 19, BAGE 172, 372).
202. Der Rechtsstreit ist unter Aufhebung der beiden vorinstanzlichen Entscheidungen und auch unter Aufhebung des Verfahrens (§ 562 Abs. 2 ZPO) ab dem Zeitpunkt, zu dem die Parteien vom Arbeitsgericht mit dem Hinweis auf eine Verkündung eines Urteils in einem gesonderten Termin entlassen wurden, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückzuverweisen (vgl. - Rn. 20, BAGE 172, 372).
213. Der Senat sieht davon ab, Hinweise zur materiellen Rechtslage zu erteilen. Solche Hinweise des Revisionsgerichts an die Vorinstanz sind nur angezeigt, wenn diese prozessual daran gebunden ist (vgl. § 563 Abs. 2 ZPO). Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil mangels Abschlusses des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht zum Zeitpunkt der Entscheidung im Revisionsverfahren das rechtliche Prüfprogramm für den Senat nicht feststeht. Der Senat gestattet sich allerdings den Hinweis, dass sowohl der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung (vgl. - Rn. 46, BAGE 177, 25) als auch derjenige auf Entfernung der näher bezeichneten Abmahnung vom aus der Personalakte des Klägers nach §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB als unechte Hilfsanträge zu verstehen sein dürften, die nur zur Entscheidung anfallen sollen, wenn die streitbefangene Kündigung für unwirksam befunden wird. Das gilt für den „Entfernungsantrag“, weil der Kläger - soweit ersichtlich - keinerlei Ausführungen dazu gemacht hat, aufgrund welcher objektiver Anhaltspunkte ihm der Verbleib der Abmahnung in der bei der Beklagten geführten Personalakte ausnahmsweise auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden könnte (vgl. Niemann NZA 2019, 65, 72).
224. Das Arbeitsgericht wird auch über die bisher entstandenen Kosten des durchgeführten Berufungsverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Parteien im Revisionsverfahren zu entscheiden haben. Die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens hat der Senat nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG niedergeschlagen.
23a) Es ist anerkannt, dass bei einer Aufhebung und Zurückverweisung wegen eines erheblichen Verfahrensmangels die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ggf. nicht zu erheben sind (vgl. nur -; BeckOK KostR/Dorndörfer Stand GKG § 21 Rn. 6; Binz/Dörndorfer/Zimmermann/Zimmermann 5. Aufl. § 21 GKG Rn. 6). Das betrifft, weil der Verkündungsmangel beim Arbeitsgericht aufgetreten ist, zwar unmittelbar nur die Gerichtskosten für das Berufungsverfahren, zu deren Niederschlagung das Revisionsgericht aber nach § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG nicht berechtigt ist ( RiZ (R) 4/99 - zu II 3 der Gründe, BGHZ 144, 123). Es tritt hinzu, dass die Beklagte die Berufung nicht wegen des Verkündungsmangels geführt hat, so dass es an der erforderlichen Kausalität zwischen der unrichtigen Sachbehandlung durch das Arbeitsgericht und der Durchführung des Berufungsverfahrens gefehlt haben könnte.
24b) Doch ist eine „eigene“ unrichtige Sachbehandlung durch das Landesarbeitsgericht darin zu sehen, dass es die Sache nicht aufgrund des offenkundigen Mangels der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils an das Arbeitsgericht zurückverwiesen, sondern stattdessen eine - ihm unzweifelhaft verwehrte (Rn. 16) - Sachentscheidung getroffen hat. Diese falsche Sachbehandlung durch das Berufungsgericht ist für die Durchführung des Revisionsverfahrens kausal geworden. Angesichts der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu nicht geheilten Verkündungsmängeln ( -; - 5 AZR 712/19 - BAGE 172, 372) hätte ersichtlich kein nach § 72 Abs. 2 ArbGG begründeter Anlass bestanden, die Revision gegen eine die Sache an das Arbeitsgericht zurückverweisende Berufungsentscheidung überhaupt zuzulassen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:241024.U.2AZR260.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 50
AAAAJ-79825