Instanzenzug: Az: 6 U 47/20vorgehend Az: 10 O 52/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Er kaufte im Juni 2018 von einem Dritten einen Gebrauchtwagen des Typs Mercedes-Benz V 250d mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Euro 6). Er verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen, das Berufungsgericht seine Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Dem Kläger stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Hinsichtlich des Thermofensters und einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung könne dahinstehen, ob es sich um unzulässige Abschalteinrichtungen handle. Ihr Einsatz sei jedenfalls nicht sittenwidrig. Entsprechendes gelte für weitere vom Kläger behauptete Abschalteinrichtungen. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich dieser Vorschriften liege.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Der Kläger hat sich entgegen der Ansicht der Beklagten mit einer zulässigen Berufung gegen die Klageabweisung durch das Landgericht gewandt. Einer Überprüfung der Berufungsentscheidung in der Sache durch den Senat steht ein Mangel dieser amtswegig zu prüfenden Prozessfortsetzungsvoraussetzung (vgl. etwa VIa ZR 510/22, juris Rn. 4; Urteil vom - VIa ZR 368/22, juris Rn. 6) daher nicht entgegen; der von dem Kläger vorsorglich gestellte Wiedereinsetzungsantrag bedarf keiner Entscheidung. Dies gilt hier auch mit Blick auf die Anforderungen gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO an die Einlegung der Berufung. Deren Wahrung hat der darlegungsbelastete Kläger (vgl. , ZIP 2000, 705, 706) durch Behauptung der ordnungsgemäßen Einlegung der Berufung unter den besonderen Umständen des Streitfalls - namentlich der seit Einlegung der Berufung verstrichenen Zeit - hinreichend vorgetragen. Der Vorsitzende des Berufungssenats hat sich dienstlich unter Ausführung der näheren, durch die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bedingten Gegebenheiten dahin geäußert, er habe diese Anforderungen regelmäßig überprüft und gehe deshalb davon aus, dass er das auch in diesem Fall getan habe. Dass der Eingang einer formwirksamen Berufung nach regelwidriger Löschung der entsprechenden Daten beim Berufungsgericht nicht mehr aufklärbar ist, fällt unabhängig hiervon in den Verantwortungsbereich des Gerichts (vgl. , NJW-RR 2022, 1579 Rn. 21 ff.; Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl., § 519 Rn. 20 mwN).
82. Soweit das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB verneint, sind Rechtsfehler nicht ersichtlich. Die von der Revision erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln erachtet der Senat nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).
93. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Die Berufungsentscheidung ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Krüger Götz
Rensen Katzenstein
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:121124UVIAZR171.21.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-79760