Instanzenzug: LG Berlin I Az: 523 KLs 17/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 21 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 291.475 Euro angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft führen zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Neufassung und der Änderung des Schuldspruchs und erzielen in dem hieraus ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist im Übrigen unbegründet.
I.
2Nach den Urteilsfeststellungen handelte der (auch) einschlägig vorbestrafte Angeklagte von Ende Mai bis Anfang Juni 2020 unter Nutzung eines Encrochat-Mobiltelefons in Gewinnerzielungsabsicht im Kilogrammbereich mit Marihuana und Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 10 Prozent und mit Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 50 Prozent. In den Fällen 1, 2, 4, 7 bis 9, 11, 12, 14, 15 und 17 bis 21 der Urteilsgründe verkaufte er insgesamt 49,5 Kilogramm Cannabis und erlöste hierdurch 220.350 Euro. Im Fall 3 der Urteilsgründe verkaufte er 3,5 Kilogramm Marihuana und 150 Gramm Kokain aus einem Vorrat von 180 Gramm und erlöste hierdurch insgesamt 19.400 Euro; die restlichen 30 Gramm behielt er zum Eigenkonsum. In den Fällen 5, 6, 10, 13 und 16 der Urteilsgründe erwarb er 200, 100, zweimal 250 und 300 Gramm Kokain. In den erstgenannten vier Fällen behielt er jeweils 30 Gramm zum Eigenkonsum; im Übrigen verkaufte er die Drogen und erzielte einen Gesamterlös in Höhe von 39.225 Euro.
II.
3Die Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg.
41. Der Schuldspruch hat in den Fällen 10, 12, 13, 15 und 16 keinen Bestand, weil die konkurrenzrechtliche Bewertung dieser Fälle als jeweils gesonderte Taten durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
5a) Mehrere Handelsgeschäfte können zu einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbunden sein, wenn es im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung zur Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel aus Anlass der Bezahlung zuvor bereits gelieferter Betäubungsmittel kommt. Stehen zwei Betätigungsakte – ohne tatbestandliche Überschneidung in zumindest einem Teil der Ausführungshandlung, sondern aufeinander folgend – in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang und erscheinen sie vor dem Hintergrund einer zwischen den Beteiligten bestehenden Lieferbeziehung als ein einheitliches, zusammengehöriges Tun, ist nicht lediglich von einem nur gelegentlichen Zusammentreffen zweier Tatbestände auszugehen, sondern von einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit (vgl. , BGHSt 63, 1, 10, auch zum erforderlichen subjektiven Element).
6b) Das Landgericht hat dies nicht bedacht, obwohl eine solche Konstellation nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls nicht fernliegt. Danach erwarb der Angeklagte in den Fällen 5, 6, 10, 12, 13, 15 und 16 die Drogen von ein und demselben Lieferanten. In den Fällen 5 und 6 bezahlte er die Lieferung bei Übernahme. Hingegen übergab er dem Lieferanten in den Fällen 13 und 16 zunächst jeweils fünfstellige Geldbeträge als Bezahlung für vorangegangene Drogengeschäfte und erhielt die bestellten Drogen unmittelbar anschließend im Fall 13 persönlich oder im Fall 16 über einen „Läufer“. Die Handelsgeschäfte in den Fällen 10, 12 und 13 einerseits und diejenigen in den Fällen 15 und 16 andererseits könnten daher jeweils als eine Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbunden sein.
7Der Senat kann den Schuldspruch nicht ändern, weil er auf der Grundlage der Feststellungen nicht beurteilen kann, ob die Bezahlung früherer Lieferungen im Zuge der Übernahme bestellter Drogen überhaupt und gegebenenfalls sämtliche oder einzelne abgeurteilte Handelsgeschäfte mit diesem Lieferanten betrafen.
8c) Die Aufhebung des Schuldspruchs bedingt den Wegfall der Einzelstrafen und des Gesamtstrafausspruchs sowie die Aufhebung des – für sich genommen rechtsfehlerfreien – Einziehungsausspruchs in den betreffenden Fällen.
92. In den Fällen 1, 2 bis 6, 7 bis 9, 11, 14, 17 bis 21 bedarf der Schuldspruch der Neufassung.
10a) In den Fällen 1, 2, 4, 7 bis 9, 11, 14, 17 bis 21 beziehen sich die Handlungen des Angeklagten ausschließlich auf Cannabis. Das Handeltreiben mit Cannabis unterfällt seit dem der Strafvorschrift des § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, die sich hier auch unter Annahme eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 4 KCanG als das mildere Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) darstellt, weil das Landgericht die Strafen dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen hat (vgl. Rn. 3). Dies hat der Senat nach § 354a StPO zu beachten, weshalb er den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO insoweit neu gefasst hat.
11b) Im Fall 3 handelte der Angeklagte mit 3,5 Kilogramm Marihuana und 150 Gramm Kokain, im Fall 5 mit Marihuana und 170 Gramm Kokain. Zudem besaß er jeweils 30 Gramm zum Eigenkonsum. Da sich das Handeltreiben teilweise auf Marihuana bezog, bedarf es auch insoweit einer Neufassung des Schuldspruchs entsprechend § 354 Abs. 1 iVm § 354a StPO, die dem KCanG Rechnung trägt. Das Landgericht hat außerdem übersehen, dass sich der Angeklagte im Hinblick auf das von ihm zum Eigenkonsum besessene Kokain in Tateinheit mit dem abgeurteilten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auch des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht hat (vgl. , NStZ-RR 2016, 82, 83). Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ergänzt.
12c) Die Regelung des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der geständige Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
13d) Der Strafausspruch wird davon nicht berührt. Zwar hat das Landgericht die Strafen in den Fällen 1, 2, 4, 7 bis 9, 11, 14, 17 bis 21 dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen. Es hat aber mit Blick darauf, dass sich der Handel auf die vergleichsweise weniger gefährliche („weiche“) Droge Cannabis bezog und das KCanG kurz vor dem Inkrafttreten stand, die Strafen bereits an dem milderen Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG gemessen, und ausgeführt, dass es die Strafen „auch unter Anwendung“ dieses Strafrahmens für „tat- und schuldangemessen“ halte. Der Senat kann angesichts dessen ausschließen, dass das Landgericht bei Bewertung der Taten nach dem KCanG zu niedrigeren Strafen gelangt wäre (§ 337 Abs. 1 StPO). Das Gleiche gilt für den Strafausspruch in den Fällen 3 und 5, zumal angesichts des rechtlich zusammentreffenden Handels mit Kokain und Marihuana die Strafe auch bei Geltung des KCanG dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zu entnehmen gewesen wäre.
14e) Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB weist auch insoweit keine Rechtsfehler auf.
15f) Angesichts des Tatbildes und der Besonderheiten im Lebenslauf des Angeklagten, insbesondere der den Taten nachfolgenden Entwicklung, war eine Erörterung der Voraussetzungen der Maßregel nach § 64 StGB rechtlich nicht geboten.
III.
16Die wirksam auf den Schuld- und Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Soweit sie mit Blick auf das Konsumcannabisgesetz zugunsten des Angeklagten eine Umstellung des Schuldspruchs beantragt hat, hat der Senat diese schon auf dessen Revision hin vorgenommen.
171. Die Strafzumessung begegnet in allen Fällen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
18a) Zu Recht weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass der festgestellte Wirkstoffgehalt der verfahrensgegenständlichen Drogen auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Das Landgericht hat den im B. er Straßenverkauf üblichen Wirkstoffgehalt angenommen, die eine „eher mittlere bis schlechte Qualität“ abbilden. Im Widerspruch dazu ist es angesichts der erzielten Preise jedoch davon ausgegangen, dass die gehandelten Betäubungsmittel „tatsächlich eine mittlere, eher sogar gute Qualität“ aufwiesen. Zudem ist nicht beweiswürdigend belegt, dass der Angeklagte die Drogen im Straßenverkauf veräußerte. Dies versteht sich angesichts der großen Menge der gehandelten Drogen und der zeitlichen Dichte der Geschäfte nicht von selbst. Die Strafzumessung beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO), weil der Wirkstoffgehalt gehandelter Drogen einen wesentlichen Umstand bei der Bestimmung des Schuldumfangs von Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und mit Cannabis darstellt (vgl. Rn. 13). Die Einführung des Konsumcannabisgesetzes hat daran nichts geändert (vgl. Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 269).
19b) Der Schuldspruch wird davon nicht berührt. Der Senat kann angesichts der Mengen ausschließen, dass in den Kokainfällen der Grenzwert zur nicht geringen Menge unterschritten ist.
20c) Der Wegfall der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Zudem haben die Staatsanwaltschaft und der Generalbundesanwalt zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Landgericht bei der Gesamtstrafenbildung ein eigenständiger, den Angeklagten begünstigender Rechtsfehler unterlaufen ist. Denn es hat ihm einen Härteausgleich für eine dem Grunde nach einbeziehungsfähige, aber bereits bezahlte Geldstrafe gewährt ( Rn. 11).
21d) Anders als vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertreten, kann der Senat keine weiteren Rechtsfehler bei der Strafzumessung erkennen. Der Senat schließt aus, dass dem Landgericht die Gewerbsmäßigkeit des Handelns des Angeklagten aus dem Blick geraten sein könnte. Der enge Zusammenzug der verhängten Einzelstrafen bei der Bestimmung der Gesamtstrafe und deren Höhe begegnet eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs keinen Bedenken. Sie ist entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht unvertretbar niedrig.
222. Ungeachtet dessen kann der Strafausspruch in den Fällen nicht bestehen bleiben, in denen der Angeklagte Teile des von ihm erworbenen Kokains zum Eigenkonsum behielt, was vom Landgericht im Schuldumfang nicht berücksichtigt worden ist. Denn es hat übersehen, dass der Angeklagte sich insoweit in Tateinheit mit dem abgeurteilten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auch des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht hat (vgl. , NStZ-RR 2016, 82, 83); es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei einer zusätzlichen Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu höheren Strafen gelangt wäre (§ 337 Abs. 1 StPO).
23Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ergänzt. Die Regelung des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der geständige Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
243. Die Feststellungen können mit Ausnahme derjenigen zum Wirkstoffgehalt der verfahrensgegenständlichen Drogen bestehen bleiben; sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen (§ 353 Abs. 2 StPO).
254. Der Senat weist darauf hin, dass eine durch den Vollzug von Untersuchungshaft bedingte Trennung von der Familie nicht ohne weiteres eine besondere und damit strafmildernde Belastung darstellt (vgl. Rn. 39). Das gilt angesichts der hier vergleichsweise kurzen Dauer der Untersuchungshaft umso mehr.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:231024U5STR318.24.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-79753