Instanzenzug: Az: 5 StR 276/24 Beschlussvorgehend Az: 2 KLs 500 Js 71649/22 (2)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen schuldig gesprochen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 130 Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte und in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte, weiter des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 131 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte und in einem Fall in Tateinheit mit einem sexuellen Übergriff und dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte, ferner des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwölf Fällen, die tateinheitlich in jeweils zwei Fällen zusammentreffen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte, sowie schließlich des Verbreitens kinderpornographischer Inhalte in drei Fällen und des Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Es hat gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verhängt und Entscheidungen im Adhäsionsverfahren getroffen. Dagegen führt die Staatsanwaltschaft ihre vom Generalbundesanwalt vertretene Revision, mit der sie sich im Wege der Sachrüge insbesondere gegen die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit in den Fällen 3 bis 278 wendet und weitere Rechtsfehler in der Strafzumessung geltend macht. Das Rechtsmittel führt zur teilweisen Aufhebung des Strafausspruchs.
I.
21. Nach den Feststellungen des Landgerichts nutzte der Angeklagte über viele Jahre hinweg in zahlreichen Fällen die regelmäßig an den Wochenenden stattfindenden Besuche mehrerer Kinder aus der entfernteren Verwandtschaft (den Nebenklägerinnen und Nebenklägern) sowie in einem Fall aus seiner Nachbarschaft dazu aus, um die Kinder sexuell zu missbrauchen. Dabei vollzog der Angeklagte schon in den Jahren 1995 oder 1996 in zwei Fällen sexuelle Handlungen gegenüber seinem Patenkind, der Nebenklägerin N. R. , indem er seine Finger an ihrer Klitoris rieb (Fälle 1 und 2); hinsichtlich eines dritten derartigen Tatvorwurfs (Fall 3 der Anklage) hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Dem folgten im Zeitraum von 2011 bis 2019 insgesamt 271 Taten an den jeweils unter 14 Jahre alten Nebenklägern L. C. und F. C. (Neffen der Nebenklägerin N. R. ) sowie an K. R. und R. R. (Sohn und Tochter der Nebenklägerin N. R. ). Dabei berührte oder manipulierte der Angeklagte in einer Vielzahl von Fällen L. C. und K. R. am Penis (Fälle 3 bis 80, 178 bis 217). Zudem kam es häufig zu Oralverkehr des Angeklagten an den beiden Jungen; bei K. R. führte er auch mehrfach einen Finger in dessen Anus ein. Auch ließ er beide Nebenkläger Analverkehr an sich durchführen (Fälle 81 bis 177, 218 bis 242). Bei insgesamt 31 weiteren Taten (Fälle 243 bis 273) filmte oder fotografierte der Angeklagte das Geschehen oder bestimmte eines der nun insgesamt vier beteiligten Kinder dazu, dies zu tun. Neben Anal- und wechselseitigem Oralverkehr kam es bei einzelnen dieser Taten auf Veranlassung des Angeklagten auch dazu, dass zwei Kinder untereinander Anal- und Oralverkehr oder beischlafähnliche Handlungen vollzogen. In ähnlicher Weise nutzte er am den Besuch des vier Jahre alten Sohnes und der zwei Jahre alten Tochter seines Nachbarn aus, um diese zu veranlassen, sich nackt aufeinander zu legen, wobei er eine Berührung der Geschlechtsteile herbeizuführen versuchte (Fall 274).
3Im Zeitraum Juni bis November 2022 lud der Angeklagte ferner insgesamt 72 kinderpornographische Bilddateien ins Internet hoch (Fälle 275 bis 277). Am verwahrte der Angeklagte zudem in seinem Haus mehrere Datenträger, auf denen unter anderem 54 kinderpornographische Bilder gespeichert waren (Fall 278).
42. Das Landgericht ist bei allen Taten mit Ausnahme der Fälle 1 und 2 davon ausgegangen, dass eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht auszuschließen sei, und hat deshalb in den Fällen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs minder schwere Fälle nach § 176a Abs. 4 StGB aF bejaht sowie bei den übrigen Missbrauchstaten mit Ausnahme der Fälle 1 und 2 besonders schwere Fälle nach § 176 Abs. 3 StGB aF verneint und zusätzlich Strafrahmenverschiebungen nach § 21 iVm § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen.
5Im Ausgangspunkt ist das Landgericht dabei den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, wonach der Angeklagte mit einem Gesamtintelligenzquotienten von 69 eine intellektuelle Minderbegabung, zudem eine pädophile Störung sowie – angesichts seines einzelgängerischen, wenig warmen und distanzierten Verhaltens – eine schizoide Persönlichkeitsstörung aufweise. Keine dieser Beeinträchtigungen erreiche aber für sich den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB. Die Frage, ob die Kombination der drei Störungsbilder hierfür genüge, markiere nach Einschätzung des Sachverständigen einen Grenzfall. Zwar hätten sich die Beeinträchtigungen gegenseitig verstärkt, jedoch fehle es an weiteren Informationen über deren inneres Korrelat beim Angeklagten. Auch wenn wegen des erhaltenen äußeren Funktionsniveaus mehr gegen eine schwere Störung spreche, könne er letzten Endes aber nicht ausschließen, dass das kombinierte Störungsbild den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Störung erreicht habe. Eine gewisse Verringerung der Steuerungsfähigkeit sei – bei Bejahung dieses Eingangsmerkmals – sicher anzunehmen, die Beantwortung der Frage, ob er eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit sicher ausschließen könne, falle ihm schwer, da es sich wiederum um einen Grenzfall handele.
6Das Vorliegen einer Beeinträchtigung mit dem Schweregrad einer schweren anderen seelischen Störung hat die Strafkammer ebenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen vermocht. Sie hat in der Folge angenommen, dass auch bei Bejahung des Eingangsmerkmals zwar die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten nicht tangiert gewesen sei, jedoch von einer erheblichen Beeinträchtigung der motivationalen Steuerungsfähigkeit auszugehen sei. Für die Fälle 1 und 2 hat die Strafkammer dagegen ausgeschlossen, dass das kombinierte Störungsbild des Angeklagten bereits Mitte der 90er-Jahre den Schweregrad eines Eingangsmerkmals erreicht hat, da in den nur gelegentlichen Übergriffen auf die Nebenklägerin N. R. keine Dranghaftigkeit wie bei den späteren Taten zum Ausdruck komme.
II.
7Die Revision der Staatsanwaltschaft erweist sich im Anfechtungsumfang nur teilweise als erfolgreich.
8Das Rechtsmittel ist auf den Strafausspruch beschränkt. Zwar hat die Beschwerdeführerin die Sachrüge ausdrücklich ohne Einschränkungen erhoben und beantragt, das Urteil insgesamt mit den Feststellungen aufzuheben. Hinsichtlich des Angriffsziels ist aber der Sinn der Revisionsbegründung maßgeblich, ausweislich derer die Staatsanwaltschaft ausschließlich im Rahmen der Strafzumessung vorgenommene Entscheidungen beanstandet. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV (vgl. hierzu nur ; vom – 5 StR 445/23) versteht der Senat das Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft weder den Schuldspruch in den Verurteilungsfällen noch den Freispruch hinsichtlich des Falls 3 der Anklage und ebenso wenig die unterbliebene Anordnung einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angreifen will.
9Der Strafausspruch weist lediglich in Teilen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf, die zur Aufhebung der Einzelstrafen in den im Tenor genannten Fällen sowie des Gesamtstrafenausspruchs führen. Bei vier Taten wurde die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit unzureichend belegt (nachfolgend Ziffer 1). Bei den übrigen betroffenen Taten hat das Landgericht seine Strafrahmenwahl mit Blick auf den in § 176 Abs. 3 StGB aF geregelten besonders schweren Fall nicht im gebotenen Umfang begründet (nachfolgend Ziffer 2).
101. Soweit das Landgericht in den Fällen 3 bis 278 eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB angenommen hat, ist dies nur bei den reinen Pornographietaten (Fälle 275 bis 278) revisionsrechtlich zu beanstanden.
11a) Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, muss in der Regel – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 497/14; vom – 1 StR 221/16) – in einem ersten Schritt die Frage beantwortet werden, ob und gegebenenfalls welche relevante Störung beim Angeklagten vorlag. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob diese tatsächlich festgestellte Störung rechtlich unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Auf dieser Grundlage ist in einem dritten Schritt zu klären, ob sich eine von § 20 StGB erfasste Störung auf die Einsichts- oder auf die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung in einem relevanten Ausmaß ausgewirkt hat (vgl. nur , NJW 2022, 1966).
12Für die Tatsachenbewertung ist das Gericht auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ-RR 2024, 54 mwN).
13b) Diesen Anforderungen ist das Landgericht für die ab 2011 begangenen Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs (Fälle 3 bis 274) gerecht geworden.
14aa) Seine Entscheidung, wonach beim Angeklagten für diese Taten im entsprechenden Zeitraum aufgrund der kombinierten Wirkung seiner intellektuellen Minderbegabung, seiner pädophilen Störung sowie seiner schizoiden Persönlichkeitsstörung eine schwere andere seelische Störung als Eingangsmerkmal des § 20 nicht ausschließbar sei, konnte es auf tragfähige und ausreichend beweiswürdigend unterlegte Feststellungen stützen. Dabei gilt hier wie auch sonst, dass tatsächliche Schlüsse nicht zwingend sein müssen, sondern es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (st. Rspr.; vgl. nur , NJW 2020, 2741).
15So durfte die Strafkammer aus dem Tatbild und den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten auf eine massive Ausprägung der vom Sachverständigen diagnostizierten pädophilen Störung schließen. Sie konnte sich dabei auf die Häufigkeit und die Bandbreite der sexuellen Handlungen des Angeklagten, auf sein von den Nebenklägern berichtetes wiederholendes Drängeln sowie auf den von ihm trotz beengter finanzieller Möglichkeiten für die Besuche der Kinder betriebenen Aufwand beziehen. Sie hat all das als Ausdruck einer starken gedanklichen Einengung bewertet und hat deshalb nachvollziehbar für möglich erachtet, dass die entstandene eingeschliffene Verhaltensschablone für ihn mit abnehmender Befriedigung verbunden war. Auf dieser Basis konnte sie zugleich das Filmen und Filmenlassen der Taten durch die Kinder sowie deren Anleitung zu unterschiedlichen sexuellen Handlungen untereinander als Anhaltspunkte für einen Ausbau des Raffinements deuten (vgl. zu den Kriterien für die Entscheidung darüber, ob eine pädophile Störung eine für das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung genügende Ausprägung besitzt z.B. , NStZ 2023, 408).
16Die weitere Annahme, dass die ohnehin starke pädophile Störung durch die beiden weiteren Beeinträchtigungen des Angeklagten in einer Weise verstärkt worden sein kann, die das Ausmaß der typischerweise mit einer krankhaften seelischen Störung verbundenen Belastung erreicht, beruht auf möglichen Schlussfolgerungen aus den durch den psychiatrischen Sachverständigen vermittelten Erkenntnissen. Schon dieser hat ausgeführt, dass der Angeklagte seinem hohen sexuellen Drang aufgrund seiner intellektuellen Minderbegabung nicht viel entgegenzusetzen hatte, worin die Strafkammer ihm gefolgt ist. Dieser Schwäche entspricht zugleich die Bedeutung, die der Kontakt zu Kindern auch unabhängig von sexuellen Interessen für den im zwischenmenschlichen Umgang mit Erwachsenen unreif wirkenden Angeklagten besaß. Auch die Annahme der Strafkammer, wonach die mit der schizoiden Persönlichkeitsstörung verbundene starke Einschränkung der sozialen Anpassungsfähigkeit es dem Angeklagten verwehrt hat, seine trotz der Pädophilie durchaus vorhandene sexuelle Neigung zu erwachsenen Frauen in Form einer Partnerschaft auszuleben, geht auf die Einschätzung des Sachverständigen zurück. Denn dieser hat wegen des mit jener Störung verbundenen einzelgängerischen, im Kontakt kühlen und distanzierten Verhaltens des Angeklagten, der in seinem Leben noch nie eine Partnerschaft geführt hat, auch dessen Angaben zu vereinzelten früheren intimen Kontakten zu Frauen in Zweifel gezogen. Hieraus konnte geschlossen werden, dass auch die schizoide Prägung des Angeklagten seine Zuwendung zu Kindern begünstigt hat, um dort seine zu einem erheblichen Teil ohnehin auch auf Kinder gerichteten sexuellen Bedürfnisse auszuleben.
17Entgegen der Revision hat sich die Strafkammer mit der Bejahung des Eingangsmerkmals auch sonst nicht in Widerspruch zur fachlichen Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen gesetzt. Denn dieser hat bekräftigt, dass sich die drei Störungsbilder gegenseitig verstärken, und hat positive Anhaltspunkte hierfür aufgezeigt. Er hat diese zwar für einen sicheren Schluss auf ein ausreichendes Ausmaß der Beeinträchtigung nicht für ausreichend erachtet, eine solche Intensität aber explizit auch nicht auszuschließen vermocht. Damit war aber genau diejenige Tatsachenbasis geschaffen, aufgrund derer die Strafkammer nach Ausschöpfung ihrer Erkenntnismöglichkeiten anhand des Zweifelssatzes entschieden hat. Rechtsfehler weist dieses Vorgehen nicht auf, zumal die Urteilsgründe eine erschöpfende Auseinandersetzung mit den Darlegungen des Sachverständigen enthalten und damit sogar den in Fällen einer Abweichung von einem Gutachten bestehenden Anforderungen (vgl. hierzu nur ) gerecht geworden sind.
18Zugleich hat das Landgericht dabei dem in Fällen des Zusammentreffens mehrerer Störungsbilder bestehenden Erfordernis einer umfassenden Gesamtbetrachtung der zusammenwirkenden Faktoren (vgl. nur , NStZ-RR 2024, 54) ebenso Rechnung getragen wie den in der Rechtsprechung entwickelten materiellen Voraussetzungen für die Bejahung einer schweren anderen seelischen Störung infolge einer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung (vgl. hierzu ), soweit sich diese auf die hier gegebene Situation übertragen lassen: Durch die Feststellungen wird hinreichend belegt, dass der Angeklagte auch außerhalb der angeklagten Delikte konkreten Einschränkungen jedenfalls seines sozialen Handlungsvermögens unterlag. Aus den Urteilsgründen wird zudem deutlich, dass das Landgericht als Folge des Zusammenwirkens der drei Störungsbilder des Angeklagten ein Maß an Unfreiheit im Handeln vor Augen hatte, das demjenigen eines „mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwangs“ gleichwertig war.
19bb) Das Landgericht hat sich mit seiner Entscheidung zudem entgegen der Revision nicht in Widerspruch zu seinen anderweitigen Erwägungen gesetzt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Ausführungen, mit denen es die Anordnung einer Sicherungsverwahrung abgelehnt hat: Da es zugunsten des Angeklagten lediglich nicht auszuschließen vermocht hat, dass bei ihm ein erheblicher Drang zu Missbrauchshandlungen als tatsächliche Grundlage des bejahten Eingangsmerkmals des § 20 StGB vorhanden ist, steht die Verneinung eines – dort als sicher festzustellenden – Hanges zu erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 StGB hierzu in keinem Spannungsverhältnis.
20cc) Die vom Landgericht vorgenommene Bewertung der Auswirkungen des bejahten Eingangsmerkmals, nämlich eine Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit ebenso auszuschließen wie eine völlige Aufhebung des Hemmungsvermögens, jedoch von einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit auszugehen, deckt sich mit der Einschätzung des Sachverständigen. Dabei wurde zutreffend berücksichtigt, dass die stets Symptome von beträchtlichem Gewicht voraussetzende Bejahung einer schweren anderen seelischen Störung es regelmäßig nahelegt, dass diese Störung zur Verminderung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB führt (st. Rspr.; siehe z.B. ). Über die Rechtsfrage der Erheblichkeit der festgestellten Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hat das Landgericht zudem, wie es seiner Aufgabe entspricht (vgl. BGH aaO; Urteil vom – 1 StR 15/12, NStZ 2013, 53), eine eigene Entscheidung getroffen.
21c) Hinsichtlich der Fälle 275 bis 278, in denen sich der Angeklagte allein des Umgangs mit kinderpornographischen Inhalten schuldig gemacht hat, vermögen die Erwägungen des Landgerichts die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit dagegen nicht zu tragen. Zu Recht bemängelt die Revision, dass das Landgericht seine Erwägungen zur Steuerungsfähigkeit allein auf die Missbrauchstaten bezogen hat, ohne das abweichende Tatbild der reinen Pornographietaten in den Blick zu nehmen. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, da sich nicht von selbst versteht, dass der Angeklagte aufgrund seiner Störung hinsichtlich der hier missachteten Strafnormen genauso stark in seinem Hemmungsvermögen beeinträchtigt war wie hinsichtlich der §§ 176 f. StGB aF. Das gilt schon für den Besitz kinderpornographischer Inhalte (Fall 278), da sich den Feststellungen nicht entnehmen lässt, welche Bedeutung der Angeklagte der Verfügbarkeit solcher Darstellungen – mag sie ihm auch die Überbrückung der Zeit zwischen den Besuchen der Kinder erleichtert haben – konkret beimaß und wie schwer ihm ein Verzicht gefallen wäre. Erst recht betrifft dies die Fälle des Verbreitens kinderpornographischer Inhalte (Fälle 275 bis 277), da nicht erkennbar ist, inwiefern sich der Angeklagte einem inneren Zwang ausgesetzt gesehen haben könnte, entsprechende Bilddateien im Internet hochzuladen.
222. Der Strafausspruch hinsichtlich der Missbrauchstaten hält aber der rechtlichen Überprüfung aus anderen Gründen nur teilweise stand.
23Allerdings ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (st. Rspr.; vgl. ; vom – 5 StR 313/21).
24a) Daran gemessen weist die Strafrahmenwahl für die nach § 176 Abs. 1 StGB aF abgeurteilten Fälle Rechtsfehler auf.
25Das Landgericht hat in den Fällen 1 bis 80, 178 bis 217, 250 bis 254, 256, 258 bis 260, 264 bis 269 die Einzelstrafe dem Grundtatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB (Fassungen vom und vom ) entnommen. Besonders schwere Fälle nach § 176 Abs. 3 StGB aF hat es für alle Taten verneint. Für die Fälle 1 und 2 hat es dies damit begründet, dass sie kein überdurchschnittlich hohes Gewicht aufgewiesen hätten und bereits lange zurücklägen. Für die übrigen Fälle hat es lediglich angeführt, dass dort die nicht ausschließbar erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten „zum Tragen“ komme.
26Mit diesen knappen Erwägungen ist die Strafkammer hinter den insoweit bestehenden Anforderungen zurückgeblieben. Zwar enthält § 267 Abs. 3 StPO keine Vorgabe derart, dass sich die Urteilsgründe stets dazu verhalten müssten, warum ein durch das Gesetz eröffneter unbenannter besonders schwerer Fall nicht angenommen wird. Erachtet das Tatgericht dies jedoch – wie hier – selbst für erörterungsbedürftig (wofür jedenfalls in einzelnen Fällen Taten zu Lasten mehrerer Kinder oder besonders gravierende Tatbilder sprachen, vgl. , NStZ 2010, 697), muss es eine Gesamtwürdigung vornehmen.
27Geboten ist dann eine Betrachtung aller für die Strafzumessung wesentlichen tatbezogenen und täterbezogenen Umstände. Es kommt darauf an, ob das gesamte Tatbild nach einer Gesamtwertung aller objektiven, subjektiven und die Persönlichkeit des Täters betreffenden Umstände, die der Tat selbst innewohnen oder die sonst im Zusammenhang mit ihr stehen, vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des höheren Strafrahmens geboten erscheint (vgl. , BGHSt 28, 318; vom – 1 StR 373/87; vom – 6 StR 542/21). Eine derartige Gesamtwürdigung hat das Landgericht nicht erkennbar durchgeführt.
28Es kommt danach nicht mehr entscheidend darauf an, dass die Strafkammer für alle genannten Taten mit Ausnahme der Fälle 1 und 2 zusätzlich eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 21 iVm § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hat, obwohl schon die Verneinung besonders schwerer Fälle auf den vertypten Strafmilderungsgrund der erheblich verminderten Schuldfähigkeit gestützt wurde, was in einem Spannungsverhältnis zu dem Grundgedanken des § 50 StGB steht (vgl. ; Urteil vom – 1 StR 310/90).
29b) Für die verbleibenden Einzelstrafen zeigt die Beschwerdeführerin dagegen keine Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.
30Das gilt zunächst für die von der Revision als strafmildernd interpretierte Erwägung, wonach bis auf wenige Ausnahmen jedenfalls auf den Tatvideos „ein Unwille oder gar ein Leid der Kinder“ nicht ersichtlich geworden und aus einzelnen Videos zudem der Eindruck entstanden sei, dass die Kinder die sexuellen Handlungen „teils spielerisch aufgefasst“ hätten, dies etwa im Fall 248, in dem die betroffenen Kinder herumgealbert hätten.
31Unabhängig davon, dass die Bewertungsrichtung und das Gewicht der Strafzumessungstatsachen in erster Linie das Tatgericht zu bestimmen hat, dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet ist (, NStZ 2023, 340; Beschluss vom – 5 StR 346/24), ist den Urteilsgründen jedoch schon gar nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer die genannten Umstände strafmildernd berücksichtigt hätte. Vielmehr hat sie im unmittelbaren Zusammenhang Ausnahmefälle – also Videoaufnahmen mit erkennbarem Unwillen oder Leid der Kinder – erwähnt und für diese ausdrücklich klargestellt, dass dies dort strafschärfend berücksichtigt worden sei. Diese Ankündigung hat die Strafkammer bei ihren fallbezogenen Erwägungen zur Strafzumessung in den Fällen 251, 254, 256, 258 und 261 passend zu den dortigen Feststellungen auch eingelöst (vgl. zur straferhöhenden Berücksichtigung einer Zufügung von Schmerzen bei Missbrauchstaten Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1611; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 176 Rn. 74; zur Strafschärfung aufgrund der Missachtung eines entgegenstehenden Willens des Kindes LK/Hörnle, StGB, 13. Aufl., § 176 Rn. 40). Mit den angegriffenen Formulierungen wurde folglich nur klargestellt, dass in allen übrigen Fällen eine derartige Strafschärfung nicht veranlasst war.
32Ein Rechtsfehler liegt ferner auch nicht darin, dass das Landgericht bei allen Taten mildernd berücksichtigt hat, dass der Angeklagte „als Sexualstraftäter in besonderem Maße haftempfindlich“ sei. Zwar ist allein der Umstand, dass jemand als (mutmaßlicher oder verurteilter) Sexualstraftäter in Haft gerät, für sich genommen kein tragfähiger Strafmilderungsgrund, solange keine konkreten, sich aus der Haft ergebenden Belastungen festgestellt werden ( Rn. 39), was vorliegend nicht geschehen ist. Jedoch hat das Landgericht seine Annahme besonderer Haftempfindlichkeit nicht allein auf diesen Aspekt gestützt, sondern sich zugleich darauf bezogen, dass der Angeklagte an verschiedenen Krankheiten leide und angesichts seines Alters von 72 Jahren damit rechnen müsse, einen wesentlichen Teil seines restlichen Lebens in Haft zu verbringen. Durch diese weiteren, gewichtigen und im Urteil belegten Gesichtspunkte wird die Annahme einer besonderen Haftempfindlichkeit ausreichend getragen.
333. Die in den Fällen 1 bis 80, 178 bis 217, 250 bis 254, 256, 258 bis 260, 264 bis 269 (Missbrauchstaten) sowie 275 bis 278 (reine Pornographietaten) verhängten Einzelstrafen können demnach keinen Bestand haben. Damit wird auch dem Gesamtstrafausspruch die Grundlage entzogen. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich lediglich um Wertungsfehler handelt.
344. Über die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin N. R. sowie über die von ihr eingelegte Kostenbeschwerde wird der Senat durch Beschluss entscheiden. Soweit sich weitere Nebenkläger ebenfalls mit Beschwerden gegen die Kostenentscheidung des Landgerichts wenden, hat hierüber, da sie keine Revision eingelegt haben (vgl. § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO), das zuständige Oberlandesgericht zu befinden.
Cirener Mosbacher Resch
von Häfen Werner
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:061124U5STR276.24.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-79751