Leitsatz
1. Ein innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB erfolgter Ausgleich des Mietrückstands beziehungsweise eine entsprechende Verpflichtung einer öffentlichen Stelle hat lediglich Folgen für die auf § 543 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 BGB gestützte fristlose, nicht jedoch für eine aufgrund desselben Mietrückstands hilfsweise auf § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB gestützte ordentliche Kündigung (Bestätigung der , NZM 2022, 49 Rn. 29 ff. und vom - VIII ZR 307/21, NZM 2023, 28 Rn. 13 ff.; jeweils mwN).
2. Diese (beschränkte) Wirkung des Nachholrechts des Mieters entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, so dass der an Gesetz und Recht gebundene Richter (Art. 20 Abs. 3 GG) diese Entscheidung nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen darf, die so im Gesetzgebungsverfahren (bisher) nicht erreichbar war (im Anschluss an , BVerfGE 69, 315, 372 und Beschluss vom - 1 BvR 1186/89, 82, 6, 12 f.; Bestätigung der , NZM 2022, 49 Rn. 87 und vom - VIII ZR 307/21, NZM 2023, 28 Rn. 16 ff.).
Gesetze: Art 20 Abs 3 GG, § 543 Abs 1 BGB, § 543 Abs 2 S 1 Nr 3 BGB, § 569 Abs 3 Nr 2 S 1 BGB, § 573 Abs 1 BGB, § 573 Abs 2 Nr 1 BGB
Instanzenzug: Az: 66 S 302/22vorgehend AG Berlin-Kreuzberg Az: 13 C 261/22
Tatbestand
1Die Beklagte ist seit August 2006 Mieterin einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Nachdem die Beklagte die Mieten für die Monate Januar und Februar 2022 nicht gezahlt hatte, erklärte die Klägerin mit Schreiben vom die fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs. Am glich die Beklagte den vorgenannten Mietrückstand vollständig aus.
2Das Amtsgericht hat der Räumungsklage aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses vom stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Vorbringen der Klägerin zu einer weiteren - in ihrer Berufungserwiderung erklärten - Kündigung des Mietverhältnisses hat das Berufungsgericht zurückgewiesen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2, § 533 ZPO).
3Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin - allein gestützt auf die ordentliche Kündigung vom - die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Gründe
4Die Revision hat im Umfang der Einlegung Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
6Es sei aus Rechtsgründen daran festzuhalten, dass eine rechtzeitige Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB neben der außerordentlichen auch eine hilfsweise fristgemäß erklärte Kündigung heile, sofern diese auf denselben (ausgeglichenen) Zahlungsrückstand gestützt werde. Das Amtsgericht habe deshalb zu Unrecht angenommen, dass trotz der unstreitig erfolgten Schonfristzahlung ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe gegen die Beklagte begründet sei.
7Zur Begründung werde auf das Urteil vom (66 S 200/21) verwiesen, in dem alle Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen für die Gesetzgebung herausgearbeitet worden seien. Dort sei auch kritisch erwogen worden, ob die Anwendung von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf die hilfsweise ordentliche Kündigung Grenzen verletze, die den Gerichten von Verfassungs wegen auferlegt seien. Dies sei aber nicht der Fall; insbesondere gebe es keine bindende Gesetzgebung, die der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsanwendung entgegenstünde. Anderslautende "Mahnungen" des Bundesgerichtshofs in dessen Urteilen vom (VIII ZR 91/20) und vom (VIII ZR 307/21) hätten das Berufungsgericht nicht überzeugt, wie es in seinem Urteil vom (66 S 149/22) eingehend begründet habe.
8Die Wirkungen einer Schonfristzahlung seien demnach unverändert in der Anwendung der geltenden Gesetze durch anerkannte Methoden der Auslegung zu bestimmen. Auch insoweit nehme das Berufungsgericht auf die Herleitung seiner Auslegungsergebnisse zu § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB in dem bereits erwähnten Urteil vom Bezug.
II.
9Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
10Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein auf die im Schreiben vom hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung gestützter Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Räumung und Herausgabe der von dieser angemieteten Wohnung nach § 546 Abs. 1, § 985 BGB nicht verneint werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist diese (ebenfalls) auf die ausgebliebenen Mietzahlungen der Beklagten gestützte Kündigung nicht infolge der Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam geworden. Eine solche Zahlung hat (lediglich) Folgen für die fristlose Kündigung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB); eine auf den zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietrückstand zugleich gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB - deren Voraussetzungen im Übrigen (vgl. hierzu Senatsurteil vom - VIII ZR 107/12, BGHZ 195, 64 Rn. 18 ff.) zugunsten der Klägerin im Revisionsverfahren mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts zu unterstellen sind - bleibt von der Schonfristzahlung unberührt. Die entsprechende Regelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB ist hierauf weder unmittelbar noch analog anwendbar.
111. Die seitens des Berufungsgerichts zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht herangezogenen Gesichtspunkte sind im Wesentlichen deckungsgleich mit denjenigen in dessen Urteilen vom (66 S 293/19, WuM 2020, 281) und vom (66 S 98/20; unveröffentlicht). Diese hat der Senat mit den Urteilen vom (VIII ZR 91/20, NZM 2022, 49 Rn. 29 ff. mwN) und vom (VIII ZR 307/21, NZM 2023, 28 Rn. 13 ff.) aufgehoben, so dass im vorliegenden Fall zur näheren Begründung auf die dortigen Ausführungen umfassend Bezug genommen wird.
122. Das Berufungsgericht hat zudem in seiner von ihm zitierten Entscheidung vom (66 S 200/21, NZM 2022, 617) weiterhin an seiner gegenteiligen Ansicht zur Wirkung einer Schonfristzahlung festgehalten. Die darin enthaltenen Ausführungen geben dem Senat keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung, wie er bereits in seinem Urteil vom ausführlich dargelegt hat (VIII ZR 307/21, aaO Rn. 15 ff.), so dass auch insoweit vollumfänglich auf diese Entscheidung verwiesen werden kann.
133. Darüber hinausgehende neue Gesichtspunkte, die den Senat zu einer Änderung seiner bisherigen Auffassung veranlassen könnten, enthält auch das im Streitfall angefochtene Urteil des Berufungsgerichts nicht.
14Soweit das Berufungsgericht in seinem in Bezug genommenen Urteil vom nach wie vor der Auffassung ist, der Senat habe bei seinen Ausführungen zur historischen Auslegung zu Unrecht auf ein bloßes Nichthandeln beziehungsweise ein bloßes "Verhalten des Gesetzgebers" abgestellt (, NZM 2023, 288 Rn. 22 ff.), trifft dies nicht zu (siehe hierzu im Einzelnen Senatsurteil vom - VIII ZR 307/21, aaO Rn. 17 ff.). Daher geht auch der Einwand des Berufungsgerichts fehl, der methodische Ansatz des Senats habe "äußerst bedenkliche Konsequenzen für die Rechtsklarheit" und könne zu "untragbaren Verwerfungen in der parlamentarischen Arbeit" führen (, aaO Rn. 37 ff.). Denn mit der vom Senat vorgenommenen Beurteilung wird - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - weder jeder parlamentarischen Äußerung ohne weiteres für die historische Auslegung einer Norm eine Relevanz beigemessen noch davon ausgegangen, dass der Ablehnung von Gesetzgebungsvorhaben generell Bedeutung im Rahmen der Gesetzesauslegung zukäme.
III.
15Nach alledem kann das Berufungsurteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die nicht entscheidungsreife Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
Dr. Bünger Dr. Liebert Dr. Matussek
Dr. Reichelt Messing
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:231024UVIIIZR177.23.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-79630