Steuerlicher Billigkeitserlass zur Aufrechterhaltung der Verfassungsmäßigkeit bei Definitivverlusten
Gesetze: EStG 2002 § 22 Satz 1 Nr. 3, EStG 2002 § 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3, EStG 2002 § 23 Abs. 3 Satz 8, FGO § 115 Abs. 2, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 19 Abs. 4, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 20 Abs. 3, GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2, GG Art. 103 Abs. 1
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) führten in den Streitjahren 2006 und 2007 Optionsgeschäfte durch. Sie verpflichteten sich jeweils gegen Zahlung einer Optionsprämie, dem Erwerber bei Ausübung der Option eine bestimmte Anzahl von Aktien zu einem fest vereinbarten Preis zu liefern. Bei Eingehung der Option verfügten die Kläger noch nicht über die versprochenen Aktien. In den strittigen Fällen übten die Erwerber die Option aus. Die Kläger erwarben danach in Erfüllung ihrer Verpflichtung aus der Option die Basiswerte zum aktuellen Börsenpreis und veräußerten sie an den Erwerber zu dem unter den Anschaffungskosten liegenden vereinbarten Preis. Die Kläger begehren die Verrechnung der Überschüsse aus den Stillhaltergeschäften mit den Verlusten aus den Veräußerungsgeschäften mit Aktien.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt) unterwarf die Überschüsse aus den Stillhaltergeschäften der Besteuerung gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und die Verluste aus den Veräußerungsgeschäften mit Aktien der Besteuerung gemäß § 23 Abs. 1 EStG a. F. Wegen § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG a. F. konnten die Verluste aus den Veräußerungsgeschäften nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des beschließenden Senats abgewiesen. § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG sei nicht verfassungswidrig. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Gefahr, dass die Verluste der Kläger endgültig nicht ausgeglichen werden könnten (Definitivverluste). Der Gesetzgeber habe dies in Kauf genommen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie meinen, das Eröffnungsgeschäft und das Basisgeschäft bildeten eine rechtliche und wirtschaftliche Einheit. Mit Eingehung der Optionsverpflichtung hätten sie die nach Ausübung der Option zu liefernden Aktien bereits ”veräußert”. § 22 Nr. 3 EStG sei nicht anwendbar, weil der einheitlich zu betrachtende Vorgang ausschließlich § 23 EStG unterfalle. Aber selbst wenn es bei der Trennung von Eröffnungs- und Basisgeschäft verbleibe, müsse § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG a. F. verfassungskonform dahin eingeschränkt werden, dass die Verlustausgleichsbeschränkung nicht eingreife, wenn der Steuerpflichtige keine Möglichkeit habe, den Zeitpunkt der Veräußerung zu beeinflussen, um steuerbare Vorgänge zu vermeiden. Das sei bei den von ihnen eingegangenen Optionsgeschäften der Fall. Im Übrigen sei § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG a. F. entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch verfassungswidrig. Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liege vor im Vergleich zu privaten Stillhaltern mit Glattstellung, gewerblichen Stillhaltern und Optionsinhabern bei Optionsverfall oder Weiterveräußerung der erhaltenen Basiswerte. Verfassungswidrig sei die Norm auch im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Fällen mit und ohne Definitiveffekt. Deshalb sei die Revision zuzulassen wegen grundsätzlicher Bedeutung, zur Rechtsfortbildung und wegen eines Verfahrensmangels.
Gründe
II.
Die Beschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegen nicht vor.
1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
a) Die Frage, ob und ggf. unter welchen Umständen das Eröffnungsgeschäft mit dem Basis- oder dem Gegengeschäft eine Einheit bildet mit der Folge, dass die Einräumung der Option dem Veräußerungstatbestand zugerechnet werden könnte, ist nicht klärungsbedürftig, denn sie ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Bei der Anwendung von § 22 Nr. 3 EStG und § 23 EStG in der für die Streitjahre jeweils maßgeblichen Fassung hat der BFH in ständiger Rechtsprechung zwischen dem Eröffnungs-, dem Basis- und dem Gegengeschäft getrennt und stets ohne Ausnahme erkannt, dass die Stillhalterprämie (isoliert) der Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG unterliegt (zuletzt , BFH/NV 2016, 1691). Die Beschwerde bietet weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Veranlassung, diese Rechtsprechung einer erneuten Revision zu unterziehen.
Die Rechtsprechung schließt Fälle ein, in denen das Basisgeschäft durchgeführt worden ist. Dabei handelt es sich gewissermaßen um den Grundfall des Optionsgeschäfts. Der Senat hat diesen selbstverständlich mitgedacht, auch wenn er, wie die Kläger meinen, noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des BFH war. So heißt es etwa in dem Senatsurteil in BFH/NV 2016, 1691 unter Rz 33 wörtlich: ”Das Stillhalten ist eine wirtschaftlich und rechtlich selbständige Leistung, die losgelöst von dem nachfolgenden Effektengeschäft und damit auch unabhängig davon zu beurteilen ist, ob es zu einer Abnahme oder Lieferung von Basiswerten oder von vornherein lediglich zu einem Ausgleich in Geld kommt …”
Die angeführte Kritik an der Senatsrechtsprechung ist nicht neu. Auch mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (BFH/NV 2011, 180) hat sich der Senat bereits auseinandergesetzt (BFH-Urteil in BFH/NV 2016, 1691, Rz 32).
Schließlich haben die Kläger auch nicht nachvollziehbar dargelegt, inwiefern bei Einräumung der Option der Tatbestand eines Veräußerungsgeschäfts bereits erfüllt sein sollte. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Einigung unter aufschiebender Bedingung den Veräußerungsbegriff i. S. des § 23 Abs. 1 EStG erfüllt (, BFHE 249, 149, BStBl II 2015, 487). Entsprechende Tatsachen hat das FG aber nicht festgestellt. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass die Einräumung der Option, wie die Beschwerde geltend macht, eine aufschiebend bedingte schuldrechtliche und dingliche Einigung über die Übertragung des Basiswerts einschloss. Davon könnte deshalb auch im Revisionsverfahren nicht ausgegangen werden. Das (BFHE 220, 249, BStBl II 2008, 475) ist zu § 17 EStG ergangen. Diese und andere Entscheidungen, die zu anderen Vorschriften ergangen sind, lassen sich nicht ohne Weiteres auf § 23 EStG übertragen.
b) Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Kläger nach ihrem Vorbringen aufgrund der vertraglichen Verpflichtung aus dem Eröffnungsgeschäft keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Veräußerung (Ausübung der Option durch den Inhaber) hatten und der Entstehung steuerpflichtiger Veräußerungsvorgänge somit nicht ausweichen konnten. Zwar hat der BFH die Verlustausgleichsbeschränkung in § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG a. F. vor allem mit der Erwägung gerechtfertigt, dass der Steuerpflichtige bei § 23 EStG grundsätzlich die Möglichkeit habe, durch die Wahl des Veräußerungszeitpunkts über die Verwirklichung des Besteuerungstatbestands zu entscheiden (, BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259). Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die fehlende Dispositionsmöglichkeit im Einzelfall die Anwendung der Vorschrift ausschließt oder zu ihrer verfassungskonformen Reduktion zwingt. Zwar konnten die Kläger den Zeitpunkt der Ausübung der Option nicht beeinflussen. Dies beruhte aber auf freiwillig begründeten Verpflichtungen.
Im Übrigen hat die Frage auch deshalb keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie nicht mehr geltendes Recht betrifft. Eine vergleichbare Nachfolgeregel gibt es nicht. Die steuerliche Erfassung von Veräußerungsgeschäften bei Wertpapieren in § 20 Abs. 2 EStG ist nicht von der Einhaltung einer Frist zwischen Anschaffung und Veräußerung abhängig. Die Verwirklichung des Besteuerungstatbestands unterliegt insofern auch nicht mehr der Disposition des Steuerpflichtigen.
c) Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht aus den von den Klägern im Einzelnen gerügten Ungleichbehandlungen, die ihrer Ansicht nach die Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG a. F. zur Folge haben. Der Senat ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG a. F. nicht verfassungswidrig ist (zuletzt Senatsurteil in BFH/NV 2016, 1691). Demgegenüber zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde keine Gesichtspunkte auf, die eine erneute Revision erfordern würden.
Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang behaupten, es habe bereits in den Streitjahren festgestanden, dass sie die eingetretenen Verluste nicht mehr würden ausgleichen können (Definitiveffekt), fehlt es schon an tatsächlichen Feststellungen. Sie ergeben sich nicht daraus, dass die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt haben, dass die Kläger in den Jahren 2008 bis 2013 nicht über die finanziellen Mittel verfügten, ohne Verwertung des Grundvermögens Veräußerungsgewinne durch Aktienverkäufe im Umfang der streitgegenständlichen Verluste zu erzielen und solche Aktienverkäufe auch nicht getätigt haben. Das FG hat diese Erklärung der Beteiligten zwar im Tatbestand des Urteils erwähnt, es hat ihren Tatsachengehalt damit aber weder festgestellt noch sich zu eigen gemacht. Im Übrigen ist weder dargetan noch ersichtlich, weshalb ein Definitiveffekt bereits angenommen werden sollte, soweit verwertbares Grundvermögen zur Verfügung steht. Auch ist verfassungsrechtlich noch nicht geklärt, ob und ggf. welche Relevanz Definitiveffekte im Zusammenhang mit steuerlichen Verlustausgleichs- und Abzugsbeschränkungen haben. Nicht zuletzt hat der Senat bei Zweifeln an der Angemessenheit des Besteuerungsergebnisses nach Anwendung von § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG a. F. stets ausdrücklich auf die Möglichkeit des Billigkeitserlasses hingewiesen (vgl. nur Senatsurteil in BFH/NV 2016, 1691, Rz 36). Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG a. F. auch in Bezug auf die Möglichkeit von Definitiveffekten verfassungsgemäß ist.
2. Die Revision ist auch nicht zur Rechtsfortbildung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO). Die Rechtsfortbildungsrevision ist ein Unterfall der Grundsatzrevision. Auch ihre Voraussetzungen liegen aus den dargestellten Gründen nicht vor.
3. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.
a) Die gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) liegt nicht vor. Die Darstellung des Sachverhalts im angefochtenen Urteil lässt nicht den Schluss zu, dass das FG das Vorbringen der Kläger nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hätte. Das ergibt sich auch nicht daraus, dass das FG eine rechtliche Einheit zwischen Eröffnungs- und Basisgeschäft mit der Erwägung verneint, der rechtliche Bestand des Eröffnungsgeschäfts sei nicht vom Zustandekommen oder der Wirksamkeit des Basisgeschäfts abhängig. Zwar haben die Kläger umgekehrt argumentiert, dass kein Basisgeschäft ohne das zugrunde liegende Eröffnungsgeschäft zustande käme. Darin kommt jedoch kein Missverständnis des klägerischen Rechtsvortrags, sondern eine abweichende rechtliche Würdigung zum Ausdruck.
Soweit die Kläger rügen, das FG sei auf einzelne von ihnen angeführte Entscheidungen nicht ausdrücklich eingegangen und habe deshalb ihren verfassungsrechtlichen Vortrag insgesamt nicht verstanden (, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562; , BVerfGE 99, 88, sowie , BFHE 246, 27, BStBl II 2014, 1016), liegt auch darin keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil das Gericht im Urteil nicht auf jede Einzelheit des klägerischen Vortrags eingehen muss. Daraus ist nicht zu schließen, dass es diesen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat.
b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das FG einen möglichen Definitiveffekt im Einzelfall ohne nähere Begründung verfassungsrechtlich als unbeachtlich erachtet. Darin liegt (bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des FG) mangels Entscheidungserheblichkeit weder eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) noch das Fehlen einer Begründung (§ 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO), sondern eine vom Klägervortrag abweichende rechtliche Würdigung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Fundstelle(n):
CAAAJ-79324