BVerwG Beschluss v. - 3 BN 2/24

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein Az: 3 KN 1/20 Urteil

Gründe

I

1Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Untersagung von Reisen aus touristischem Anlass oder zu Freizeitzwecken nach Schleswig-Holstein im Frühjahr 2020 durch Rechtsverordnung des Antragsgegners.

2§ 2 Abs. 1 der Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein vom (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung - SARS-CoV-2-BekämpfVO, GVOBl. Schl.-H. Nr. 6 S. 175) hatte folgenden Wortlaut:

§ 2

Reisen nach Schleswig-Holstein; öffentliche und private Veranstaltungen; Kontaktverbote

(1) Reisen aus touristischem Anlass nach Schleswig-Holstein sind untersagt. Dies gilt auch für Reisen, die zu Freizeitzwecken, zu Fortbildungszwecken oder zur Entgegennahme von vermeidbaren oder aufschiebbaren Maßnahmen der medizinischen Versorgung, Vorsorge oder Rehabilitation unternommen werden.

3Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO trat die Verordnung am Tag nach ihrer Verkündung () in Kraft und sollte nach ihrem § 13 Abs. 2 am außer Kraft treten. Am hat der Antragsteller einen Normenkontrollantrag gegen § 2 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO gestellt. Am ist eine neue Fassung der SARS-CoV-2-BekämpfVO in Kraft getreten. Gleichzeitig ist die hier streitgegenständliche SARS-CoV-2-BekämpfVO außer Kraft getreten (vgl. § 13 Abs. 1 der SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung vom ).

4Der Antragsteller hatte in dieser Zeit seinen Wohnsitz in Hamburg. Er verfügte über einen Fischereischein für die Fischerei in Schleswig-Holstein.

5Das Oberverwaltungsgericht hat den nach Außerkrafttreten der Verordnung auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellten Antrag, soweit ihn der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung nicht zurückgenommen hatte, abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Antrag sei zulässig. Der Antragsteller habe ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Unwirksamkeit von § 2 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO. Er mache Beeinträchtigungen seiner Rechte geltend, die ein Gewicht hätten, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelungen rechtfertige. Dem Antragsteller sei neben der Möglichkeit der Freizeitgestaltung durch Angeln grundsätzlich die Möglichkeit genommen worden, aus touristischem Anlass oder zu Freizeitzwecken nach Schleswig-Holstein zu reisen, was einen erheblichen Eingriff in die Gestaltung des Alltags- und Privatlebens darstelle. Der Antrag sei jedoch nicht begründet. Der Verordnungsgeber habe mit § 2 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO das Ziel verfolgt, die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen. Die Untersagung von Reisen aus touristischem Anlass und zu Freizeitzwecken sei zur Erreichung ihres Zwecks geeignet und erforderlich gewesen. Der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung hätten auch nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs gestanden. Die Untersagung von Reisen aus touristischem Anlass und zu Freizeitzwecken sei zwar ein gewichtiger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des Antragstellers gewesen. Mit dem Eingriff habe der Verordnungsgeber aber Gemeinwohlziele von überragender Bedeutung, nämlich den Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung verfolgt. Dass die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ein hohes verfassungsrechtliches Gut sei, ergebe sich auch aus Art. 11 Abs. 2 GG, wonach in das Grundrecht auf Freizügigkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen, wie unter anderem zur Bekämpfung von Seuchengefahr, eingegriffen werden könne. Ob die Maßnahme auch in dieses Grundrecht eingegriffen habe, könne dahinstehen. Eine Seuchengefahr habe bestanden; Einreise- und Aufenthaltsverbote seien zu ihrer Bekämpfung erforderlich gewesen. Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

II

6Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von ihr aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

7Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Dies ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzulegen und setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint und im Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. 3 B 4.22 - juris Rn. 7 m. w. N.).

81. Soweit der Beschwerdeführer die Frage aufwirft,

"ob und bejahendenfalls unter welchen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen Grenzschließungen einzelner Bundesländer innerhalb des Bundesgebiets allgemein und gerade auch einseitig zu Lasten der nicht dem Bundesland angehörigen Bundesbürger zulässig sind",

erfüllt die Beschwerde nicht die Begründungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss aus dem Streitstoff eine konkrete Rechtsfrage herausgearbeitet werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 3 B 18.08 - juris Rn. 7 und vom - 6 B 2.18 - NVwZ 2019, 1771 <1772>). Dem genügt der Vortrag in der Beschwerde nicht. Die gleichsam als Einleitung formulierte Frage umschreibt in knapper Form den gesamten Gegenstand des Normenkontrollverfahrens. Sie bezeichnet einen komplexen rechtlichen Sachverhalt, der - wie die im Anschluss als "insbesondere" rechtsgrundsätzlich bezeichneten fünf Fragen verdeutlichen - der Zerlegung in einzelne konkrete Rechtsfragen zugänglich und bedürftig ist.

92. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

"ob sich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer generellen Grenzschließung eines Bundeslandes nach dem Recht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Absatz 1 GG, der Bewegungsfreiheit aus Art. 2 Absatz 2 Satz 2 GG oder nach der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Absatz 1 GG beurteilt,"

würde sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Nach der für den Senat gemäß § 137 Abs. 1, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO verbindlichen Auslegung des irrevisiblen Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht hat es sich - entgegen der Annahme in der Beschwerdebegründung (S. 4, 7) - bei der Regelung des § 2 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO nicht um eine "generelle Grenzschließung" gehandelt, sondern um eine Untersagung von Reisen nach Schleswig-Holstein aus touristischem Anlass und zu Freizeitzwecken (UA S. 11, 29). Hiernach war also nicht jede Einreise im Sinne einer von der Beschwerde unterstellten Grenzschließung untersagt, sondern nur eine solche, die aus einem bestimmten Anlass unternommen wurde oder einem bestimmten Zweck diente.

10Das Oberverwaltungsgericht hat zudem offengelassen, ob die Untersagung von Reisen aus touristischem Anlass und zu Freizeitzwecken nach Schleswig-Holstein nicht nur in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), sondern auch in das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) eingegriffen hat; ein etwaiger Eingriff sei hier jedenfalls im Sinne von Art. 11 Abs. 2 GG zur Bekämpfung einer Seuchengefahr erforderlich gewesen (UA S. 24, 31 f.). Dazu verhält sich der Antragsteller in der Beschwerdebegründung nicht.

11Hinsichtlich des vom Berufungsgericht nicht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO herangezogenen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG legt die Beschwerde nicht dar, inwiefern die Untersagung von Reisen aus touristischem Anlass und zur Freizeitgestaltung in das Grundrecht eingegriffen haben könnte. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als "unverletzlich". Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen, also vor Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. - BVerfGE 149, 293 Rn. 65, - BVerfGE 105, 239 <247>, jeweils m. w. N.). Um solche Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs handelt es sich bei der Untersagung der Einreise in ein Bundesland aus bestimmten Anlässen und zu bestimmten Zwecken nicht.

12Die vom Antragsteller herangezogene Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald und die zitierte Literatur verhalten sich zu den hier aufgeworfenen Fragen nicht.

133. Die Fragen,

"ob, insbesondere, wenn Art. 11 Absatz 1 GG einschlägig ist, eine Grenzschließung überhaupt gerechtfertigt sein kann,"

"ob im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung einer solchen generellen Grenzschließung - wenn diese überhaupt zulässig sein kann - eines Bundeslandes gesteigerte Anforderungen an die Rechtfertigung der Maßnahme zu stellen sind," und

"ob es im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung einer solchen Grenzschließung in Krisensituationen - wie etwa einer Pandemie - geboten ist, die besonderen Umstände der anderen Bundesländer im Zusammenhang mit der Krisensituation und die damit einhergehende Situationsgebundenheit der Einwohner der anderen Bundesländer, insbesondere in den Stadtstaaten, gesondert zu berücksichtigen. Mit anderen Worten: Ob es ein Recht auf 'Flucht' vor der Krise über die Grenzen der Bundesländer hinweg gibt, welches dazu führt, dass die Rechtfertigungsanforderungen an eine solche innerstaatliche Grenzschließung gesteigert sind. Dies insbesondere deshalb, weil die Einwohner von Stadtstaaten von Krisensituationen (Pandemie, Krieg, etc.) regelmäßig besonders schwerwiegend gefährdet und betroffen sind."

können nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantwortet werden. Ob und unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen eine auf das Infektionsschutzgesetz gestützte Untersagung von Reisen in ein bestimmtes Bundesland verhältnismäßig ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der infektiologischen Situation ab. Warum eine Untersagung von Reisen in ein anderes Bundesland von vornherein, also unabhängig von der infektiologischen Situation unzulässig sein sollte, ist weder dargelegt noch ersichtlich.

14Auch der Vortrag, das Oberverwaltungsgericht habe nicht in die Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt, dass ein generelles, aus der Situationsgebundenheit der Einwohner eines Stadtstaates folgendes Bedürfnis bestehe, in einer Krisensituation - wie einer Pandemie - auf das Land zu "flüchten", und dass die Einwohner eines Stadtstaates wie Hamburg in einer Pandemiesituation - wie auch in anderen Krisensituationen - besonders schwerwiegend gefährdet und betroffen seien (Beschwerdebegründung S. 8), führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Oberverwaltungsgericht hat das Bedürfnis der Menschen nach Kontakt zur Natur in der Pandemie-Situation bei seiner Beurteilung der Untersagung von Einreisen aus touristischem Anlass und zu Freizeitzwecken berücksichtigt (UA S. 29, vgl. auch S. 11), allerdings nicht mit dem vom Antragsteller gewünschten Gewicht. Dass Kontakt zur Natur während der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnung nur in Schleswig-Holstein und nicht auch in einem Stadtstaat wie der Freien und Hansestadt Hamburg zu finden war, hat es nicht festgestellt. Darauf bezogene Verfahrensrügen hat der Antragsteller nicht erhoben (§ 137 Abs. 2 VwGO).

154. Die Frage,

"ob es im Rahmen des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 Absatz 1 GG zulässig ist, die Grenzen eines Bundeslandes für Einreisen durch nicht lande[s]zugehörige Bundesbürger zu schließen, um eine Gefährdung der eigenen Bevölkerung durch die nicht landeszugehörigen Bundesbürger zu verhüten, während Grenzübertritte durch die landeszugehörigen Einwohner in beide Richtungen voraussetzungslos und uneingeschränkt zulässig sind, obwohl etwa ein Ausreiseverbot ebenso möglich gewesen wäre. Dies insbesondere in Pandemiesituationen, in denen die Grenzschließung dazu dienen soll, grenzüberschreitende Reisevorgänge generell möglichst zu verhüten."

ist nicht klärungsbedürftig. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wurde zum damaligen Zeitpunkt angenommen, dass der Erreger vor allem durch Reisende aus anderen Bundesländern nach Schleswig-Holstein eingetragen worden sei, nicht durch Reisen von Einwohnerinnen und Einwohnern Schleswig-Holsteins innerhalb des Bundeslandes oder in andere Bundesländer (UA S. 32). Gegen diese Feststellungen hat der Antragsteller keine Verfahrensrügen erhoben. Warum dieser Umstand nicht rechtfertigen können sollte, nur Reisen nach Schleswig-Holstein und nicht Reisen aus Schleswig-Holstein zu untersagen, und welche grundsätzlichen Fragen zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 GG sich insoweit stellen sollten, ist nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich.

16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:161024B3BN2.24.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-79034