Patentrecht: Angemessene Erfolgserwartung für Beschreiten eines Lösungswegs - Testosteronester
Leitsatz
Testosteronester
Die Anforderungen an eine angemessene Erfolgserwartung lassen sich nicht allgemeingültig formulieren. Sie sind jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des in Rede stehenden Fachgebiets, der Größe des Anreizes für den Fachmann, des erforderlichen Aufwands für das Beschreiten und Verfolgen eines bestimmten Ansatzes und der gegebenenfalls in Betracht kommenden Alternativen sowie ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile zu bestimmen (Bestätigung von , GRUR 2019, 1032 Rn. 31 - Fulvestrant; , GRUR 2020, 1178 Rn. 108 - Pemetrexed II und , GRUR 2021, 696 Rn. 51 - Phytase).
Gesetze: Art 56 S 1 EuPatÜbk, § 4 Abs 1 PatG, § 81 Abs 1 S 1 PatG, § 81 Abs 1 S 2 PatG, § 119 Abs 1 PatG, § 263 ZPO, § 265 Abs 2 S 2 ZPO, § 269 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Az: 3 Ni 21/21 (EP) Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 457 208 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme einer dänischen Priorität vom angemeldet wurde und das zuverlässige Erreichen eines günstigen Serumtestosteronspiegels betrifft.
2Patentanspruch 1, auf den zehn Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:
A composition formulated for intramuscular injection comprising a testosterone ester selected from the group of esters consisting of linear and branched nonanoates, decanoates, undecanoates, dodecanoates, tridecanoates, tetradecanoates and pentadecanoates; and a vehicle comprising castor oil in a concentration of 25-45 vol% and a co-solvent.
3Weitere Patentansprüche betreffen eine näher spezifizierte pharmazeutische Formulierung sowie die Verwendung dieser Erzeugnisse und bestimmter Testosteronester zur Behandlung von Männern mit Hypogonadismus und zur Empfängnisverhütung.
4Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der geltenden Fassung sowie in vier geänderten Fassungen verteidigt.
5Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent mit ihren erstinstanzlichen Anträgen und zwei neuen Hilfsanträgen verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
6Die Klage war ursprünglich gegen die damals als Patentinhaberin im Patentregister eingetragene Gesellschaft gerichtet.
7In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin stattdessen die nunmehr eingetragene Inhaberin in Anspruch genommen. Die bisherige und die neue Beklagte haben dem zugestimmt.
Gründe
8Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur Abweisung der Klage.
9I. Die Klage ist trotz Erlöschens des Streitpatents weiterhin zulässig.
10Die Klägerin muss mit einer Inanspruchnahme wegen Verletzung des Streitpatents rechnen, weil sie während der Laufzeit des Schutzrechts ein Produkt vermarktet hat, das nach ihrer Einschätzung von der Beklagten möglicherweise als patentverletzend angesehen wird, und die Beklagte nach Hinweis des Senats ausdrücklich erklärt hat, nicht auf Ansprüche aus dem Streitpatent zu verzichten.
11II. Der im allseitigen Einverständnis der Parteien vorgenommene Beklagtenwechsel ist wirksam.
121. Im Patentnichtigkeitsverfahren ist ein gewillkürter Beklagtenwechsel wie eine Klageänderung zu behandeln. Deren Zulässigkeit richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Zivilprozessrechts.
13Nach § 263 ZPO ist dafür die Einwilligung des neuen Beklagten oder eine Sachdienlichkeitserklärung des Gerichts erforderlich. Für das Ausscheiden des bisherigen Beklagten aus dem Rechtsstreit ist nach Beginn der mündlichen Verhandlung entsprechend § 269 Abs. 1 ZPO zudem dessen Zustimmung erforderlich ( Rn. 9).
14Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
152. Die Klage ist auch nach dem Parteiwechsel zulässig.
16a) Die jetzige Beklagte hat mit ihrer Eintragung im Patentregister die passive Prozessführungsbefugnis gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 PatG erlangt (vgl. Rn. 11).
17b) Die entsprechend § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO für eine Übernahme des Prozesses als Hauptpartei erforderliche Zustimmung des Gegners ist durch die Klageänderung erteilt.
18III. Das Streitpatent betrifft das zuverlässige Erreichen eines günstigen Serumtestosteronspiegels.
191. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, Testosteronpräparate seien im Stand der Technik verwendet worden, um einen Mangel der endogenen Testosteronproduktion (Hypogonadismus) bei Männern zu behandeln, die Symptome von Androgenmangel zu lindern und eine Empfängnisverhütung bei Männern zu erreichen (Abs. 2).
20Die im Stand der Technik übliche Behandlung erfordere die regelmäßige intramuskuläre Injektion von Testosteronestern im Abstand von etwa zwei bis drei Wochen. Dies sei wegen der Notwendigkeit häufiger Arztbesuche nachteilig. Zudem könne es zu kurzzeitigen Schwankungen des Serumtestosteronspiegels kommen (Abs. 6).
21In jüngerer Zeit sei deswegen die Verwendung von Testosteronestern mit längeren aliphatischen Ketten oder einer höheren Hydrophobie vorgeschlagen worden.
22Eine Veröffentlichung von Behre et al. (Intramuscular injection of testosterone undecanoate for the treatment of male hypogonadism: phase I studies, European J. Endocrinology, 1999, 140, S. 414-419, NiK2) berichte über Zusammensetzungen aus Testosteronundecanoat und Teesamen- oder Rizinusöl (Abs. 9).
23Eine Veröffentlichung von Eckardstein/Nieschlag (Treatment of male hypogonadism with testosterone undecanoate injected at extended intervals of 12 weeks, J. Andrology, 2002, 23, S. 419-425, NiK3) berichte ebenfalls über die Behandlung mit Testosteronundecanoat, und zwar mit vier Injektionen im Abstand von jeweils sechs Wochen und mit nachfolgenden Injektionen in größeren Abständen (Abs. 14).
24Dennoch sei das längerfristige Erreichen zuverlässiger Serumtestosteronspiegel im physiologisch günstigen Bereich ohne die Notwendigkeit gelegentlicher Kontrolle für eine breite Population weiterhin verbesserungswürdig (Abs. 15).
252. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, zuverlässige Serumtestosteronspiegel über einen ausgedehnten Zeitraum zu erreichen.
263. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Erzeugnis vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
284. Einige Merkmale bedürfen der näheren Erläuterung.
29a) Die in Merkmal b vorgegebene Gruppe von Estern weist Kohlenstoffketten mit neun bis fünfzehn Kohlenstoffatomen auf.
30b) Das in Merkmal c vorgesehene Vehikel dient der Sicherheit und Leichtigkeit der Handhabung. Hierzu sollte es den Testosteronester auflösen und zugleich den erforderlichen Depot-Effekt herbeiführen (Abs. 24).
31Das in Merkmal d als zwingender Bestandteil des Vehikels vorgegebene Rizinusöl ist für diese Zwecke geeignet, weist aber eine hohe Viskosität auf, was die Verabreichung im Wege der Injektion erschwert.
32Das in Merkmal e vorgesehene Hilfslösungsmittel hat die Funktion, die Löslichkeit des Esters im Vehikel zu erhöhen und die Viskosität zu verringern. Es kann allerdings auch zu einer erhöhten Diffusionsrate des Esters und damit zu einem verringerten Depot-Effekt führen (Abs. 25).
33c) Der in Merkmal d vorgegebene Anteil des Rizinusöls von 25 bis 45 Volumenprozent führt dazu, dass das Vehikel zu 55 bis 75 Volumenprozent - also zu mehr als der Hälfte - aus dem Hilfslösungsmittel und eventuellen weiteren Stoffen besteht.
34aa) Trotz dieses hohen Anteils wird mit der geschützten Zusammensetzung ein starker Depot-Effekt bewirkt.
35Als möglich und besonders bevorzugt bezeichnet die Beschreibung eine Behandlung, in der zwei Injektionen im Abstand von vier bis zehn Wochen (Abs. 59) und nachfolgende Injektionen im Abstand von zehn bis sechzehn Wochen (Abs. 62) erfolgen.
36Die Patentansprüche 15 und 16 sehen in Einklang damit eine Dosierung von 500 bis 2000 mg bzw. 750 bis 1500 mg im Abstand von sechs bis sechzehn Wochen vor.
37Patentanspruch 1 enthält insoweit keine zwingenden Vorgaben.
38bb) Als weiteren Vorteil der geschützten Zusammensetzung führt die Beschreibung an, dass nach dem Injizieren innerhalb eines kurzen Zeitraums physiologisch normale Testosteronspiegel im Serum erreicht werden (Abs. 16, 21) und sich der Spiegel auch über längere Zeiträume hinweg in einem physiologisch akzeptablen Bereich bewegt (Abs. 86).
39Auch insoweit enthält Patentanspruch 1 keine zwingenden Vorgaben.
40cc) Die Beschreibung sieht einen Anteil des Hilfslösungsmittels von bis zu 85 Volumenprozent vor (Abs. 39). Durch Merkmal d ist die Höchstgrenze hingegen auf 75 Volumenprozent festgelegt.
41Bei dem in Patentanspruch 7 vorgesehenen Verhältnis von 1:1,7 beträgt der Anteil des Hilfslösungsmittels (Benzylbenzoat) rund 63 Volumenprozent.
42d) Die Beschreibung des Streitpatents hebt Benzylbenzoat als besonders gut geeignetes Hilfslösungsmittel hervor (Abs. 37).
43Patentanspruch 1 enthält insoweit keine zwingenden Vorgaben.
44e) Die in der Beschreibung beschriebenen Zusammensetzungen, die für das intramuskuläre Einspritzen nach Merkmal a formuliert sind, werden in einem letzten Herstellungsschritt sterilisiert und gegebenenfalls gefiltert (Abs. 53, 77, 79).
45IV. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
46Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruhe ausgehend von NiK3 in Verbindung mit allgemeinem Fachwissen nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
47NiK3 beschreibe die Behandlung von Männern mit Hypogonadismus mit einer Zusammensetzung aus Testosteron-Undecanoat (TU) und Rizinusöl. Die erfolgreichen Ergebnisse der Studie motivierten den Fachmann, ein Team aus einem Galeniker, einem medizinischen Chemiker und einem Urologen mit Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und dem Einsatz von pharmazeutischen Steroidformulierungen, weitere Bestandteile der Zusammensetzung zu ermitteln.
48Dazu werde der Fachmann zunächst versuchen, die in NiK3 angegebene Menge von 1000 mg Testosteron-Undecanoat in 4 ml reinem Rizinusöl zu lösen. Eine vollständige Lösung, auf die die in NiK3 verwendete Formulierung "dissolved" hindeute, könne damit nicht erreicht werden. Ferner liege die Viskosität von reinem Rizinusöl bei 1000 mPa·s und damit deutlich über dem für Injektionen üblichen Viskositätsbereich von maximal 200 mPa·s.
49Um Löslichkeit und Viskosität zu optimieren, ziehe der Fachmann ein zusätzliches Lösungsmittel in Betracht, zumal alle am Prioritätstag zugelassenen Injektionszubereitungen von Steroidhormonen ein solches Mittel enthalten hätten. Dafür habe auch das allgemeine Fachwissen gesprochen, wie es zum Beispiel in dem Aufsatz von Riffkin et al. (Castor Oil as a Vehicle for Parenteral Administration of Steroid Hormons, in J. Pharmaceutical Sciences, 1965, 53, S. 891 ff., NiK4) dokumentiert sei. Danach enthielten Vehikel mit Rizinusöl üblicherweise ein zusätzliches Lösungsmittel, zum Beispiel Benzylbenzoat.
50Auch wenn das Verhältnis zwischen Rizinusöl und Benzylbenzoat bei zugelassenen Formulierungen (B16, B18) bei 60 zu 40 Volumenprozent gelegen habe, hätte der Fachmann eine Verdünnungsreihe mit steigendem Anteil an Benzylbenzoat in Rizinusöl untersucht, wie es die Klägerin in NiK5 nachgestellt habe. Dabei hätte er festgestellt, dass bei Vehikeln mit einem überwiegenden Volumenanteil an Benzylbenzoat die Viskosität bei gleichbleibender Löslichkeit nochmals erheblich abgesenkt werden könne. Dies motiviere den Fachmann, auch solche Zusammensetzungen für die Freisetzungsversuche zur Untersuchung des Depoteffekts zu berücksichtigen.
51Eine angemessene Erfolgserwartung ergebe sich daraus, dass es zum Prioritätstag bereits marktgängige Vehikel mit 40 Volumenprozent Rizinusöl und 60 Volumenprozent Benzylbenzoat gegeben habe, etwa bei dem Produkt Proluton Depot, das den mit Testosteronestern strukturverwandten Steroidester Hydroxyprogesteroncaproat enthalte, was etwa aus dem Aufsatz von Pushpalatha et al. (Effect of prenatal exposure to hydroxyprogesterone on steroidogenic enzymes in male rats, in Naturwissenschaften, 2003, 90, S. 40, NiK6) ersichtlich sei. Es sei davon auszugehen, dass diese Vehikel unbedenklich seien und für strukturverwandte Wirkstoffe geeignet sein könnten, zumal sie interessante Löslichkeits- und Viskositätswerte aufwiesen. Die abweichende Indikation und die kürzere Depotwirkung von Proluton Depot führten nicht von der Berücksichtigung des darin eingesetzten Vehikels weg. Jede Verbindung weise hinsichtlich der Wirkstofffreisetzung aus dem muskulären Depot eine eigene Charakteristik auf. Zum anderen sei auch die Depotwirkung der bekannten Zubereitung mit Testosteron-Enantat (NiK8, B16) eher kurz. Im Übrigen sei das Problem der durch hohe Viskosität verursachten Schmerzen bei intramuskulärer Verabreichung dem Fachmann etwa aus den Fachbüchern von Senior/Radomsky (Sustained-Release Injectable Products, 2000, B7) und Bauer/Frömming/Führer (Lehrbuch der Pharmazeutischen Technologie, 6. Aufl. 1999, B14) wohlbekannt, weshalb er versuche, die Viskosität möglichst gering zu halten.
52V. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
53Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht ausgehend von NiK3 auf erfinderischer Tätigkeit.
541. NiK3 berichtet über die Ergebnisse einer klinischen Studie der Phase II zur Effizienz und Sicherheit einer injizierbaren Zusammensetzung mit Testosteron-Undecanoat, das in Rizinusöl aufgelöst (dissolved) ist. Diese Zusammensetzung wurde sieben Männern mit Hypogonadismus über einen Zeitraum von 3,2 Jahren hinweg verabreicht (Abstract li. Sp.).
55NiK3 legt dar, aus einer früheren Studie sei bekannt, dass sechswöchentliche Injektionen von 1000 mg Testosteron-Undecanoat in 4 ml Rizinusöl ohne nennenswerte Nebenwirkungen die androgen-abhängigen Funktionen aufrechterhalten. Da nach vier Injektionen ein gradueller Anstieg des Testosteronspiegels beobachtet worden sei, würden nunmehr intramuskuläre Injektionen in Intervallen von bis zu zwölf Wochen untersucht. Die hierbei eingesetzte Zubereitung aus 1000 mg Testosteron-Undecanoat in 4 ml Rizinusöl sei von der J. GmbH & Co. KG zur Verfügung gestellt worden (S. 419 re. Sp. erster Absatz; S. 420 li. Sp. erster Absatz).
56Vor der ersten Behandlung sei in der Vorstudie eine Initialphase durchgeführt worden, in der vier Injektionen in sechswöchentlichen Intervallen verabreicht worden seien. Anschließend seien die Intervalle zwischen der fünften und der zehnten Injektion graduell um ein bis zwei Wochen verlängert worden, falls vor der nächsten Injektion ein Serumtestosteronlevel von mehr als 12 nmol/l und subjektives Wohlbefinden festgestellt worden sei. Sodann seien die Injektionen alle zwölf Wochen verabreicht worden (S. 420 li. Sp. letzter Absatz). Nach der dreizehnten Applikation sei eine kontinuierliche Freisetzung (steady state kinetics) über zwölf Wochen erreicht worden (S. 420 Übergang li./re. Sp.).
57Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 stellt den Verlauf des Testosteronspiegels dar.
58In der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 wird der Verlauf des Testosteronspiegels nach der einmaligen Gabe von 1000 mg Testosteron-Undecanoat, wie er in NiK2 offenbart ist (untere Linie), mit dem Verlauf nach der dreizehnten Injektion der in NiK3 geschilderten Untersuchung (obere Linie) verglichen.
59NiK3 kommt zu dem Schluss, der Versuch bestätige, dass der Anwendungszeitraum auf bis zu zwölf Wochen ausgedehnt werden könne, sobald ein normaler Testosteronspiegel erreicht sei. Allerdings sei es schwierig, über die Testosteronprofile zu spekulieren, die sich eingestellt hätten, wenn die Behandlung von Anfang an in zwölfwöchigen Abständen erfolgt wäre, da alle Probanden bereits an der früheren sechswöchigen Studie teilgenommen hatten. Ein Therapieabbruch sei mit starken Befindlichkeitsstörungen verbunden und daher nicht vorgesehen gewesen (S. 423 re. Sp. letzter Absatz).
60Die Steady-State-Pharmakokinetik habe sich erheblich von derjenigen nach einer einmaligen Injektion unterschieden. Die längere Halbwertszeit der Substanz sei wahrscheinlich auf die strukturellen Unterschiede zwischen Testosteron-Enanthat (TE) und Testosteron-Undecanoat zurückzuführen. Das Undecanoat weise eine längere aliphatische und damit stärker hydrophobe Seitenkette auf (S. 424 li. Sp. Abs. 2).
61Zusammenfassend zeigten die Ergebnisse der Studie, dass Testosteron-Undecanoat in injizierbarer Form eine hochinteressante Alternative zu den derzeit am häufigsten verwendeten injizierbaren Präparaten darstelle (S. 425 li. Sp.).
622. Damit ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht vollständig offenbart.
63a) Wie auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, offenbart NiK3 allerdings die Merkmale a bis c.
64b) Ob Merkmal e offenbart ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Selbst wenn dies mit dem Patentgericht zu bejahen wäre, fehlt es - wie auch das Patentgericht nicht verkannt hat - jedenfalls an einer Offenbarung des in Merkmal d vorgesehenen Rizinusöl-Anteils von 25 bis 45 Volumenprozent.
653. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts lag es ausgehend von NiK3 nicht nahe, ein Vehikel einzusetzen, das Rizinusöl mit der in Merkmal d vorgesehenen Konzentration enthält.
66a) Zutreffend hat das Patentgericht allerdings angenommen, dass NiK3 für die Suche nach Möglichkeiten, zuverlässige Serumtestosteronspiegel über einen ausgedehnten Zeitraum zu erreichen, einen geeigneten Ausgangspunkt bildete.
67aa) NiK3 befasst sich mit der genannten Zielsetzung und lässt erkennen, dass die untersuchte Behandlungsmethode eine Ausdehnung des Behandlungszeitraums ermöglicht und nach einiger Zeit zu einer kontinuierlichen Freisetzung führt.
68Dies stützt die in NiK3 abschließend zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, dass es sich bei der eingesetzten Zubereitung um eine interessante und vielversprechende Alternative handelte.
69All dies gab Anlass, sich mit dem in NiK3 offenbarten Ansatz näher zu befassen.
70bb) Der Umstand, dass für Testosteron-Buciclat von bereits weiter fortgeschrittenen klinischen Prüfungen berichtet wurde, die auf ein mögliches Dosierungsintervall von bis zu sechzehn Wochen schließen ließen (Nieschlag/Behre, in Nieschlag et al., Testosterone, 1998, Kapitel 10, S. 298, Tabelle 10.1 [B1]; Nieschlag/Behre (Hrsg.), Testosterone, 2. Aufl. 1998, Kapitel 11, S. 345 Abs. 1 und S. 346 [B32]), führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
71Auch wenn es damit eine vergleichbar aussichtsreiche Alternative gab, blieb der in NiK3 offenbarte Ansatz von Interesse, weil er ebenfalls bereits ein fortgeschrittenes Untersuchungsstadium erreicht hatte.
72b) Ebenfalls zutreffend ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass ausgehend von NiK3 Anlass bestand, zusätzlich zu Rizinusöl ein weiteres Lösungsmittel - und damit ein Hilfslösungsmittel im Sinne von Merkmal e - einzusetzen.
73Dabei kann dahingestellt bleiben, ob NiK3 diese Erkenntnis schon im Wege des Mitlesens zu entnehmen war. Sie ergab sich, wie auch die Gerichte in England und Wales und in den Niederlanden entschieden haben (High Court of Justice of England and Wales, Urteil vom , [2023] EWHC 1836 (Pat), B43 Rn. 300 (Meade J); Rechtbank Den Haag, Urteil vom , C/09/653142 / KG ZA 23-730, B49 Rn. 4.49), jedenfalls bei einer ergänzenden Heranziehung des auch vom Patentgericht in diesem Zusammenhang festgestellten allgemeinen Fachwissens.
74aa) Wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, ist NiK3 nicht zu entnehmen, ob die injizierte Zusammensetzung neben Testosteron-Undecanoat und Rizinusöl weitere Bestandteile enthält.
75Dies gab Anlass, anhand des Fachwissens zu beurteilen, ob die Zugabe weiterer Stoffe geboten ist oder zumindest Vorteile verspricht.
76bb) Wie das Patentgericht ebenfalls zu Recht angenommen hat, sprach für den Einsatz eines Hilfslösungsmittels die hohe Viskosität von Rizinusöl.
77(1) Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts liegt diese Viskosität weit über dem Wert, der für intramuskuläre Injektionen üblicherweise als angemessen erachtet wird.
78Dies gab grundsätzlich Anlass, nach Möglichkeiten zu suchen, um die Viskosität zu verringern. Hierzu bot sich der Einsatz eines Hilfslösungsmittels an.
79(2) Die in NiK3 enthaltenen Hinweise, die einzelnen Injektionen seien langsam verabreicht worden, um Schmerzen zu verhindern (S. 419 re. Sp. erster Absatz; S. 420 li. Sp. erster Absatz), und ein Proband habe zur Vermeidung von Unwohlsein sehr langsame Injektionen verlangt (S. 421 li. Sp. letzter Absatz), führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
80Diese Ausführungen mögen auf eine hohe Viskosität des in NiK3 eingesetzten Präparats hindeuten. Angesichts des großen Abstands zwischen den üblicherweise als angemessen angesehenen Viskositätswerten und dem Viskositätswert von Rizinusöl ergibt sich indes auch aus ihnen nicht die Schlussfolgerung, dass auf Mittel zur Verringerung der Viskosität gänzlich verzichtet worden ist.
81cc) Für den Einsatz eines Hilfslösungsmittels bei der Nacharbeitung von NiK3 sprach zudem der Umstand, dass bei der in NiK2 offenbarten Studie, auf deren Erkenntnisse NiK3 aufbaut (S. 419 re. Sp., letzter Absatz; Table 2; Fig. 2), ein Vehikel mit 15 % Benzylbenzoat eingesetzt worden ist.
82NiK2 berichtet über Untersuchungen zur Pharmakokinetik von Testosteron-Undecanoat nach einer einzelnen Injektion. Hierzu wurde der Stoff alternativ in Teesamenöl oder in Rizinusöl aufgelöst.
83Das Präparat mit Teesamenöl stammte von der Z. Corp. (NiK2, S. 414, letzter Absatz) und enthält 15 % Benzylbenzoat. Letzteres ergibt sich etwa aus der Veröffentlichung von Partsch et al. (Injectable testosterone undecanoate has more favourable pharmacokinetics and pharmacodynamics than testosterone enanthate, in European J. of Endocrinology, 1995, 132, S. 514-519 [B4], S. 515, Ii. Sp., Abs. 3), auf die NiK2 ausdrücklich Bezug nimmt (S. 414 re. Sp. Abs. 1 und 3; Fn. 8).
84Für das Präparat mit Rizinusöl fehlt es in NiK2 zwar an vergleichbaren Hinweisen. Weder aus NiK2 noch aus sonstigen Umständen ergeben sich aber Hinweise darauf, dass Teesamenöl eine noch höhere Viskosität aufweist als Rizinusöl. Vor diesem Hintergrund bestand Anlass, den Einsatz eines Hilfslösungsmittels wie Benzylbenzoat auch für diese Variante vorzusehen.
85dd) Für den Einsatz eines Hilfslösungsmittels wie Benzylbenzoat sprach darüber hinaus der Umstand, dass am Prioritätstag zugelassene Zubereitungen für die intramuskuläre Injektion von Testosteron-Enantat (Testosterone Enantate Ampullen, SmPC, August 2001 [NiK8]; Produktinformation zur Zulassungsnummer PL 16853/0116 [B16] Abschn. 6.1; TestovironDepot-250 [B40b, B9]; Testoviron Depot 100mg [B18] Abschn. 1.1) diesen Stoff ebenfalls enthalten.
86Mit diesen Präparaten kann der physiologische Spiegel von Testosteron zwar nur über etwa elf Tage hinweg erreicht werden (B16 Abschn. 5.2). Dies bildet aber keinen zureichenden Grund, vom Einsatz von Benzylbenzoat oder eines anderen Hilfslösungsmittels abzusehen. Eine Vergrößerung des Zeitraums zwischen zwei Verabreichungen wäre wenig attraktiv, wenn sie mit unangemessenen Schmerzen bei der Injektion verbunden wäre.
87c) Zu Recht hat das Patentgericht des Weiteren angenommen, dass ausgehend von NiK3 Anlass bestand, die Auswirkungen der Zugabe von Benzylbenzoat anhand einer Verdünnungsreihe mit steigendem Anteil an Hilfslösungsmittel zu untersuchen und hierbei die gesamte Bandbreite der in Betracht kommenden Möglichkeiten einzubeziehen.
88Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, sprach für eine solche Untersuchung insbesondere der Umstand, dass NiK3 keine Hinweise darauf enthält, welche Konzentration die einzelnen Bestandteile des Vehikels aufweisen und welche Zusammensetzung eine vollständige Lösung des eingesetzten Wirkstoffs gewährleistet. Zudem war eine solche Versuchsreihe mit überschaubarem Aufwand verbunden.
89d) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ergab sich ausgehend von NiK3 jedoch keine hinreichende Veranlassung, den Anteil von Rizinusöl im Vehikel innerhalb des in Merkmal d vorgegebenen Bereichs festzulegen.
90aa) Nach der Rechtsprechung des Senats lassen sich die Anforderungen an eine angemessene Erfolgserwartung, die Anlass gibt, einen in Betracht kommenden Lösungsweg trotz nicht sicherer Vorhersehbarkeit der Resultate zu beschreiten, nicht allgemeingültig formulieren. Sie hängen vielmehr von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.
91Maßgeblich sind insbesondere das in Rede stehende Fachgebiet, die Größe des Anreizes, der erforderliche Aufwand und die gegebenenfalls in Betracht kommenden Alternativen (, GRUR 2021, 696 Rn. 51 - Phytase; Urteil vom - X ZR 150/18, GRUR 2020, 1178 Rn. 108 - Pemetrexed II; Urteil vom - X ZR 59/17, GRUR 2019, 1032 Rn. 31 - Fulvestrant).
92bb) Im Streitfall sprach der Umstand, dass es bereits zugelassene Präparate mit Testosteronestern und Rizinusöl gab, grundsätzlich dafür, bezüglich der Konzentration eines Hilfslösungsmittels von den dort gewählten Parametern und damit von einem Volumenanteil von etwa 40 Prozent Benzylbenzoat am Vehikel auszugehen (TestovironDepot-250 [B40a Rn. 3], Testosterone Enantate Ampullen, Testoviron Depot 100mg [B18, Abschn. 1.1]).
93Dies schließt zwar nicht aus, ergänzende Überlegungen und Versuche anzustellen, zumal diese Präparate einen anderen Testosteronester enthalten als das in NiK3 eingesetzte Präparat. Anlass, insoweit von bereits zugelassenen Präparaten abzuweichen, bestand aber nur, wenn daraus mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Vorteile zu erwarten waren.
94cc) Solche Vorteile ließen sich nicht aus den in NiK5 dargestellten Untersuchungen der Klägerin mit steigenden Konzentrationen von Benzylbenzoat zu Löslichkeit von Testosteron-Undecanoat und über die Viskosität des so gewonnenen Präparats entnehmen.
95Ausweislich der Versuchsergebnisse, die in den nachfolgend wiedergegebenen Tabellen 2 und 3 dargestellt sind, wird eine hinreichende Löslichkeit bereits ab einem Anteil von Benzylbenzoat in Höhe von 40 Volumenprozent erreicht (Tabelle 2). Die Steigerung des Anteils von Benzylbenzoat auf 60 oder 80 Volumenprozent führt zu keinen wesentlichen Änderungen bezüglich der Löslichkeit, aber zu einer deutlichen Verringerung der Viskosität (Tabelle 3).
96Die deutlichen Vorteile im Hinblick auf die Viskosität mögen ein Argument dafür gebildet haben, das Mischungsverhältnis 40/60 in Betracht zu ziehen. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts reicht dieser Gesichtspunkt jedoch nicht aus, um eine hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen.
97Eine Verringerung der Viskosität auf Werte unter 60 mPa-s, wie sie in dem von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten von Prof. Dr. L. als ideal bezeichnet wird (NiK12 S. 7), erschien zwar auch ausgehend von NiK3 wünschenswert. Wie die Berufung zu Recht geltend macht, stand dieser Aspekt aber nicht im Vordergrund der in NiK3 dokumentierten Untersuchungen. Das vorrangige Ziel bestand vielmehr darin, eine Depotwirkung zu erzielen, die einen großen zeitlichen Abstand zwischen zwei notwendigen Injektionen ermöglicht.
98Als ausschlaggebend für diese Depotwirkung stellten sich vor dem Hintergrund von NiK3 der eingesetzte Ester und das als Lösungsmittel offenbarte Rizinusöl dar. Wie die Berufungserwiderung im Ausgangspunkt zu Recht geltend macht, ergab sich daraus zwar nicht zwingend, dass die in NiK3 dokumentierte Depotwirkung durch einen hohen Anteil an Benzylbenzoat beeinträchtigt wird. Wie auch die Berufungserwiderung nicht in Zweifel zieht, waren die Folgen eines solchen Schritts ohne klinische Untersuchungen aber nicht zuverlässig zu beurteilen.
99dd) Vor diesem Hintergrund sprach mehr dafür, den Anteil des Hilfslösungsmittels auf einen Wert zu beschränken, der zu einem akzeptablen Viskositätswert führt.
100Ausweislich der in NiK5 wiedergegebenen Versuchsergebnisse ist dieses Kriterium schon bei dem Mischungsverhältnis 60/40 erfüllt. Der damit erreichte Wert von 113 mPa-s liegt in demselben Bereich, den ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Privatgutachten von Prof. Dr. D. auch die am Prioritätstag zugelassenen Präparate mit Rizinusöl aufgewiesen haben (TestovironDepot-250: 121 mPa-s [B40a Rn. 12]; Proluton-Depot 250-Ampullen: 103 mPa-s [B42 Rn. 12]).
101ee) Entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung bestand bei dieser Ausgangslage kein hinreichender Anlass, parallele klinische Versuche mit mehreren Mischungsverhältnissen oder zumindest mit den Mischungsverhältnissen 60/40 und 40/60 durchzuführen.
102Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Aufwand für parallele Versuche mit einer einmaligen Injektion, wie sie in NiK2 beschrieben ist, angesichts der bestehenden Ungewissheiten noch als angemessen anzusehen wäre. Aus NiK3 war jedenfalls ersichtlich, dass solche Versuche keinen hinreichend sicheren Aufschluss darüber geben, ob die angestrebte Depotwirkung eintritt. Um hinreichend sichere Erkenntnisse zu erlangen, waren mithin Langzeitversuche erforderlich, wie sie in NiK3 beschrieben sind.
103Der dafür erforderliche Aufwand an Zeit und finanziellen Mitteln stand nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg.
104Wie bereits oben dargelegt wurde, ließ eine Erhöhung des Anteils von Benzylbenzoat von 40 auf 60 Volumenprozent als sicheren Vorteil nur eine deutliche Verringerung der Viskosität erwarten. Selbst wenn sich das damit verbundene Risiko einer deutlich verringerten Depotwirkung im Ergebnis nicht verwirklicht hätte, wiegt dieser Vorteil eher gering. Die Möglichkeit, dass sogar eine verbesserte Depotwirkung eintritt, war auch nach dem Vorbringen der Berufungserwiderung zwar nicht ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich.
105Vor diesem Hintergrund bestand kein Anlass, zusätzlich zu dem unter dem Gesichtspunkt der Depotwirkung mit mindestens gleicher Erfolgsaussicht verbundenen Weg parallel einen Weg einzuschlagen, der auch im Erfolgsfall nur einen verhältnismäßig geringen Vorteil bot.
106ff) Freisetzungsversuche mit dem Mischungsverhältnis 40/60 wären auch dann nicht veranlasst gewesen, wenn sich die in NiK3 dokumentierte Depotwirkung bei einem Mischungsverhältnis von 60/40 nicht eingestellt hätte.
107Auch in diesem Fall wären die Aussichten, dass eine Erhöhung des Anteils von Benzylbenzoat zu einer verbesserten Depotwirkung führen würde, gering gewesen. Zudem hätte sich die Frage gestellt, ob sich das in NiK3 dokumentierte Ziel allein mit Rizinusöl und Benzylbenzoat überhaupt erreichen lässt oder ob zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind, die in NiK3 nicht offengelegt wurden.
108gg) Vor diesem Hintergrund führt der Umstand, dass etwa mit den Proluton-Depot 250-Ampullen ein Präparat mit einem verwandten Steroid zugelassen war, dessen Vehikel zu knapp 40 Volumenprozent aus Rizinusöl und zu mehr als 60 Volumenprozent aus Benzylbenzoat besteht, nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
109Dieser Umstand mag aufzeigen, dass gegen einen höheren Anteil von Benzylbenzoat keine grundlegenden Bedenken bestanden. Daraus ergaben sich aber keine weitergehenden Hinweise darauf, welche Auswirkungen ein höherer Benzylbenzoat-Anteil bei Zusammensetzungen mit Testosteron-Undecanoat haben könnte.
110e) Die mit Patentanspruch 1 geschützte Formulierung war auch nicht deshalb nahegelegt, weil Anlass bestand, im Rahmen einer Verdünnungsreihe auch das Mischungsverhältnis 40/60 auf Löslichkeit und Viskosität zu untersuchen.
111Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein mit einem Patent beanspruchter Stoff allerdings schon dann nahegelegt, wenn Anlass bestand, ihn zum Zwecke einer Untersuchung herzustellen (, GRUR 2024, 374 Rn. 68 f. - Sorafenib-Tosylat).
112Im Streitfall kann der Senat jedoch nicht feststellen, dass eine im Rahmen einer Verdünnungsreihe hergestellte Mischung aus Testosteron-Undecanoat, Rizinusöl und Benzylbenzoat bereits alle erforderlichen Eigenschaften aufweist, die für eine Formulierung zur intramuskulären Injektion erforderlich sind. Aus dem Vorbringen der Klägerin zu dieser - in der mündlichen Verhandlung erörterten und von der Beklagten zum Anlass für zusätzliche Hilfsanträge genommenen - Frage ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltspunkte.
1134. Hinsichtlich der übrigen Patentansprüche ergibt sich keine abweichende Beurteilung.
114VI. Die angefochtene Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 119 Abs. 1 PatG).
115Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist durch den übrigen Stand der Technik weder vorweggenommen noch nahegelegt.
1161. Aus NiK2 ergaben sich keine weitergehenden Anregungen als aus NiK3.
117a) NiK2 berichtet über eine Studie der Phase I für Langzeit-Testosteronpräparate, die für die Substitutionstherapie hypogonadaler Männer geeignet sind, mit einer einmaligen intramuskulären Injektion.
118aa) NiK2 führt aus, die aus dem Stand der Technik bekannten Präparate seien aufgrund ihrer Kinetik, die zu supraphysiologischen oder schwankenden Testosteron-Serumspiegeln führe, auch aufgrund der Notwendigkeit einer häufigen Anwendung nicht ideal (S. 414 li. Sp. Abs. 1).
119In Tests unter der Schirmherrschaft der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeige Testosteron-Buciclat eine Halbwertszeit von 29,5 Tagen anstelle von 4,5 Tagen für herkömmliches Testosteron-Enanthat (S. 414 li. Sp. unten).
120Da Testosteron-Buciclat nicht weiterentwickelt worden sei, sei für die Studie Testosteron-Undecanoat verwendet worden, für das bei Affen ebenfalls eine lange Halbwertszeit nachgewiesen sei (S. 414 re. Sp. 1. Abs.).
121In Studie I seien 1.000 mg Testosteron-Undecanoat, gelöst in Teesamenöl (125 mg/ml), zu gleichen Teilen in die Glutealmuskeln von sieben hypogonadalen Männern injiziert worden. In Studie II sei ein von J. GmbH & Co. KG zur Verfügung gestelltes Präparat von 1.000 mg Testosteron-Undecanoat gelöst in Rizinusöl (250 mg/ml) in einen Glutealmuskel von 14 Patienten injiziert worden (S. 414 re. Sp. letzter Abs., S. 415 re. Sp.).
122bb) NiK2 kommt zu dem Schluss, nach wiederholten Injektionen von 1.000 mg könnten Injektionsintervalle von sechs bis zehn Wochen möglich sein. Zudem gebe es Grund zu der Annahme, dass die Behandlung mit Testosteron-Undecanoat auch über Jahre gut toleriert werden könne (S. 418 re. Sp. 2. Abs.).
123Der Grund für die längere Halbwertszeit von Testosteron-Undecanoat im Vergleich zu Testosteron-Enanthat sei die längere und daher stärker hydrophobe aliphatische Seitenkette, die elf statt sieben Kohlenstoffatome umfasse. Die längere Wirkdauer von Testosteron-Undecanoat in Rizinusöl im Vergleich zu demselben Stoff in Teesamenöl könne an den Eigenschaften der Öle, den unterschiedlichen Konzentrationen (125 vs. 250 mg/ml), Injektionsvolumen (4 vs. 8 ml) und Anwendungsarten (unilateral vs. bilateral) liegen (S. 418 re. Sp letzter Absatz).
124b) NiK2 offenbart damit die Merkmale a bis c.
125c) Nicht offenbart ist jedenfalls das Merkmal d.
126d) Aus NiK2 sind keine weitergehenden Anregungen zu entnehmen, die Konzentration von Rizinusöl innerhalb des in Merkmal d festgelegten Bereichs anzusetzen.
127Zwar weist NiK2 darauf hin, dass weitere Studien mit mehreren Injektionen bei Injektionsintervallen von sechs bis zehn Wochen empfehlenswert seien (S. 418 re. Sp. 2. Abs.). Daraus ergeben sich aber keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass eine Erhöhung der Konzentration des eingesetzten Hilfslösungsmittels zu entscheidenden Verbesserungen führen könnte.
1282. Aus sonstigen Entgegenhaltungen ergeben sich ebenfalls keine weitergehenden Anregungen.
129VII. Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 119 Abs. 1 Satz 2 PatG).
130Aus den oben dargestellten Erwägungen ergibt sich, dass die Klage unbegründet ist.
131VIII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:081024UXZR77.23.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-79006