Instanzenzug: LG Essen Az: 52 KLs 19/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in drei Fällen sowie wegen Besitzes von jugendpornographischen Inhalten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die gegen seine Verurteilung gerichtete und auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrüge bleibt aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen erfolglos.
32. Der Schuldspruch hält insgesamt sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil er von den Feststellungen nicht getragen wird.
4a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht gemäß § 145a Satz 1 StGB kann in allen drei Fällen schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil sich aus den Urteilsfeststellungen nicht ergibt, dass der Zweck der Maßregel durch die Weisungsverstöße gefährdet war.
5aa) § 145a Satz 1 StGB setzt voraus, dass durch den Weisungsverstoß eine Gefährdung des Maßregelzwecks eingetreten ist. Das ist dann der Fall, wenn sich dadurch die Gefahr weiterer Straftaten erhöht oder die Aussicht ihrer Abwendung verschlechtert hat (vgl. Rn. 3; Urteil vom – 1 StR 415/12, BGHSt 58, 72, 75). Hierbei handelt es sich um ein echtes Tatbestandsmerkmal, denn anderenfalls würde die Vorschrift zum Selbstzweck und zum bloßen Mittel allgemeiner Disziplinierung (vgl. LK-StGB/Krehl, 13. Aufl., § 145a Rn. 17; MüKo-StGB/Groß/Anstötz, 4. Aufl., § 145a Rn. 15). Zu seiner Annahme bedarf es eines am Einzelfall orientierten Wahrscheinlichkeitsurteils, das neben dem sonstigen Verhalten des Angeklagten auch die konkrete spezialpräventive Zielsetzung der verletzten Weisung in den Blick nimmt (vgl. Rn. 3 mwN).
6bb) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
7(1) Das Landgericht hat festgestellt, dass der wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern letztmalig im Jahr 2004 bestrafte Angeklagte zu den Tatzeiten in vorliegender Sache unter Führungsaufsicht stand, nachdem er eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten am voll verbüßt hatte, die gegen ihn wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Besitzes kinderpornographischer Schriften verhängt worden war. Im Rahmen der Führungsaufsicht war dem Angeklagten mit Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom auferlegt worden, zu Personen unter 14 Jahren in Abwesenheit ihrer Erziehungsberechtigten aus eigenem Antrieb und aktiv keinen Kontakt aufzunehmen bzw. sich nicht im Umkreis von 20 Metern an Orten aufzuhalten, an denen sich üblicherweise Kinder und Jugendliche aufhalten. Gleichwohl sprach der Angeklagte am zwei zwölf und acht Jahre alte Schwestern aus dem gegenüberliegenden Wohnhaus an, die gerade Bretter für den Sperrmüll vor ihrer Haustür abstellten, ob er sich ein paar davon mitnehmen dürfte. Nach Hinzutreten des Stiefvaters der Kinder wiederholte er sein Anliegen. Der Stiefvater stimmte zu. Ein zum Dank vom Angeklagten angebotenes Bier lehnte er hingegen ab. Anschließend lud der Angeklagte – nach Hinzutreten der 13-jährigen Schwester L. – die drei Geschwister auf ein Getränk zu sich nach Hause ein, was die Eltern ablehnten („Tat 1“). Am besuchte der Angeklagte eine Kirmes und verweilte dort an Fahrgeschäften, an denen sich Kinder sowie jugendliche und erwachsene Personen aufhielten, die er mit seinem Handy fotografierte („Tat 3“). Am sprach der Angeklagte erneut die 13-jährige L. in Kenntnis ihres Alters an einem Imbiss unweit seiner Wohnanschrift an. Er fragte das Mädchen nach seiner Telefonnummer und ob es ihn zu Hause besuchen wolle, wobei es das Wohnhaus von hinten betreten solle. Zudem machte er Bemerkungen zur Haarfrisur des Mädchens. Mitarbeiterinnen des Ladens, die das Gespräch verfolgt hatten, unterbrachen die Unterhaltung und brachten das Kind nach Hause („Tat 2“).
8(2) Danach beschränkt sich das Urteil auf die Feststellung der Weisungsverstöße. Es teilt nicht mit, ob und inwieweit diese Verstöße gegen das Annäherungs- und Kontaktverbot die Gefahr weiterer Straftaten erhöht oder die Aussicht ihrer Abwendung verschlechtert haben könnten. Eine Gefährdung des Maßregelzwecks liegt bei den „Taten 1 und 3“ (Ziffer II. 2 und II. 7 der Urteilsgründe) auch nicht auf der Hand, weil nach den festgestellten Umständen die Verschaffung von Gelegenheiten des sexuellen Missbrauchs von Kindern eher fern lag. Hingegen liegt bei der „Tat 2“ (Ziffer II. 4 der Urteilsgründe) die Annahme der Gefährdung des Maßregelzwecks zwar nahe, soweit die Kontaktaufnahme durch den Angeklagten auf die Anbahnung einer weiteren Begegnung (allein) mit dem Mädchen in seiner Wohnung abzielte und in dieser – vom Angeklagten konstellierten – Situation die Möglichkeit eines sexuellen Übergriffs bestanden hätte. Gleichwohl war auch in diesem Fall die grundsätzlich gebotene Einzelfallbetrachtung nicht ausnahmsweise entbehrlich. Denn es wäre in den Blick zu nehmen gewesen, dass der Angeklagte – wie die Strafkammer im Rahmen der Prüfung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung selbst festgestellt hat – seit 20 Jahren nicht mehr „körperlich übergriffig“ zum Nachteil von Kindern geworden ist.
9b) Der Schuldspruch wegen Besitzes jugendpornographischer Inhalte (§ 184c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB) durch Speicherung eines „Posing-Bildes“ auf seinem Mobiltelefon, das ein höchstens 16 Jahre altes, nur mit Unterwäsche bekleidetes und auf dem Bett liegendes Mädchen abbildet, scheitert aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts.
103. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die von den Rechtsfehlern nicht betroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich. Dabei wird das neue Tatgericht bei der Prüfung einer Strafbarkeit nach § 145a StGB genauer als bislang festzustellen und zu belegen haben, wie dem Angeklagten die in Rede stehenden Weisungen und ihre Strafbewehrtheit bekannt gemacht worden sind.
Quentin Maatsch Marks
Tschakert Gödicke
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240924B4STR278.24.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-78978