BGH Urteil v. - 5 StR 120/24

Instanzenzug: LG Chemnitz Az: 1 KLs 930 Js 12736/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Bedrohung sowie einer weiteren Sachbeschädigung wegen aufgehobener Schuldfähigkeit freigesprochen. Die Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen die Nichtanordnung der Maßregel. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Angeklagte leidet seit Jahrzehnten an einer paranoiden Schizophrenie und an einer Polytoxikomanie. Ferner besteht der Verdacht einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstruktur mit impulsiven Zügen. Er wurde wiederholt wegen Diebstahlstaten zu Jugend- und Freiheitsstrafen verurteilt. Im Anschluss an einen im Jahr 2008 erfolgreich beendeten Maßregelvollzug nach § 64 StGB befand er sich in den Jahren von 2010 bis 2022 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen. Ab September 2021 lebte der Angeklagte in einer sozialtherapeutischen Einrichtung, in der sich das folgende Geschehen ereignete:

4Am erkundigte sich der Angeklagte bei dem später Geschädigten, ob dieser im Maßregelvollzug gewesen sei, weil er Kinder misshandelt habe, was die anwesende Pflegerin C.       verneinte. Am gleichen Tag wurde der Angeklagte stationär in ein Fachkrankenhaus eingewiesen, aus dem er sich am selbst entließ. Noch am gleichen Abend wollte er zum Geschädigten, man verweigerte ihm jedoch wegen der fortgeschrittenen Zeit den Einlass in das Gebäude.

5Am suchte der Angeklagte gegen 6.15 Uhr das Zimmer des Geschädigten auf und nahm dessen Mobiltelefon an sich, um nach kinderpornografischem Material zu suchen oder suchen zu lassen. Als der Geschädigte sich zur Wehr setzte, schlug der Angeklagte mehrfach bewusst und gewollt den Kopf des Geschädigten gegen ein Fernsehgerät, welches erheblich beschädigt und unbrauchbar wurde. Anschließend hielt er dem zwei bis drei Meter entfernten Geschädigten ein Taschenmesser vor das Gesicht; dieser fühlte sich – wie vom Angeklagten beabsichtigt – dadurch bedroht. Der Geschädigte erlitt eine Platzwunde an der Lippe, einen Kratzer über einem Auge sowie einen Fingerbruch.

6Nach Verlassen des Zimmers traf der Angeklagte auf die Pflegerin We.        . Als diese seine Forderung ablehnte, das Mobiltelefon durchzusehen, warf er es auf den Boden. Dadurch wurde es dauerhaft zerstört, was der Angeklagte beabsichtigte.

72. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) in Tateinheit mit Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) und Bedrohung (§ 241 Abs. 1 StGB) sowie als eine weitere in Tatmehrheit stehende Sachbeschädigung gewertet. Die Voraussetzungen einer Strafbarkeit wegen eines schweren räuberischen Diebstahls hat es mangels Zueignungsabsicht des Angeklagten als nicht erfüllt angesehen.

83. Der psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht die paranoide Schizophrenie und die Polytoxikomanie jeweils als Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB eingeordnet. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte aufgrund seiner Wahnvorstellung, der Geschädigte sei ein pädophiler Sexualstraftäter, im Rahmen seiner paranoiden Schizophrenie nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, mithin seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei. Infolge der wahnhaften Symptome und der Intoxikation mit Crystal sei seine Steuerungsfähigkeit sicher erheblich vermindert gewesen. Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil zu seinen Gunsten davon auszugehen sei, dass er ohne Schuld handelte.

9Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat es nicht angeordnet, weil keine dem Angeklagten nachteilige Gefährlichkeitsprognose gestellt werden könne.

II.

10Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt.

111. Der Senat kann offenlassen, ob die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel nach dem Inhalt der Revisionsbegründung auf die Nichtanordnung der Maßregel beschränkt hat. Denn eine solche Beschränkung wäre hier unwirksam. Die Feststellungen bilden keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der Schuldfähigkeit. Der Senat kann deshalb nicht isoliert das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus prüfen (vgl. ).

122. Der Freispruch hat keinen Bestand. Das Landgericht hat seine Annahme, der Angeklagte habe die Anlasstat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen, nicht tragfähig begründet.

13Die Strafkammer hat im Feststellungsteil der Urteilsgründe ausgeführt, der Angeklagte sei bei der Tat infolge des Konsums von Crystal in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen; es sei zudem nicht auszuschließen, dass seine Einsichtsfähigkeit aufgrund einer wahnhaften Vorstellung aufgehoben sei. In der rechtlichen Würdigung heißt es hiervon abweichend jedoch, die Steuerungsfähigkeit sei sicher aufgrund wahnhafter Symptome und der Crystalintoxikation erheblich vermindert gewesen.

14Damit sind die Auswirkungen der angenommenen Störungsbilder auf die Schuldfähigkeit nicht widerspruchsfrei und nachvollziehbar dargelegt. So soll allein die akute paranoide Schizophrenie den nicht ausschließbaren Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) hervorgerufen haben. Dieses Ergebnis lässt sich aber schon nicht ohne weitere Erörterung mit der Ansicht in Einklang bringen, demgegenüber sei eine sicher erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) nur aufgrund der Kombination von Wahnvorstellung und Intoxikation anzunehmen. Dieses Spannungsverhältnis hätte das Landgericht auflösen und seine Annahme näher begründen müssen. Auch die widersprüchliche Begründung der verminderten Steuerungsfähigkeit – zunächst wird diese allein auf die Intoxikation gestützt, sodann aber nur im Zusammenspiel mit den krankheitsbedingten wahnhaften Symptomen angenommen – belegt, dass es die Beeinträchtigungen und ihre Folgen für die Schuldfähigkeit bei der Tat nicht konkret gewürdigt hat. Es hätte vielmehr einer umfassenden Gesamtbetrachtung zu den Auswirkungen des psychiatrischen Krankheitsbildes der schizophrenen Erkrankung und zum Einfluss des Drogenkonsums bedurft (vgl. , NStZ-RR 2022, 7, 8 mwN). Dabei wäre auch die nur mit einem pauschalen Hinweis auf eine in einem Beschluss des Amtsgerichts Döbeln vom Tattag angeführte Crystalintoxikation näher beweiswürdigend zu belegen gewesen.

153. Da damit das sichere Vorliegen des § 21 StGB aufgrund einer dauerhaften Störung als Voraussetzung einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht belegt ist, bedarf es keines Eingehens auf die vom Generalbundesanwalt zutreffend aufgezeigten Erörterungsdefizite.

164. Der Rechtsfehler hat die Aufhebung des Urteils insgesamt zur Folge, weil sowohl dem Freispruch als auch der Entscheidung über die Nichtanordnung der Maßregel die Grundlage entzogen ist. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Aufhebung der Feststellungen bedarf es auch deshalb, weil der freigesprochene und nicht mit einer Maßregel belegte Angeklagte diese bislang nicht angreifen konnte.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180624U5STR120.24.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-78796