Instanzenzug: Az: AnwZ (Brfg) 16/21 Beschlussvorgehend Az: AnwZ (Brfg) 16/21 Beschlussvorgehend Az: AnwZ (Brfg) 16/21 Beschlussvorgehend Anwaltsgerichtshof Frankfurt Az: 1 AGH 5/20
Gründe
I.
1Der Kläger war seit 2016 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom gab die Beklagte dem Kläger gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3, § 15 BRAO auf, bis zum ein ärztliches Gutachten über seinen Gesundheitszustand vorzulegen. Dagegen hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben, die der Anwaltsgerichtshof mit Urteil vom abgewiesen hat. Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs hat der Senat mit Beschluss vom abgelehnt. Der Beschluss ist der Beklagten am , dem Kläger am zugestellt worden.
2Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3, § 15 BRAO widerrufen. Die dagegen erhobene Anfechtungsklage hat der Anwaltsgerichtshof mit am verkündetem Urteil abgewiesen. Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom abgelehnt (AnwZ (Brfg) 26/21). Der Beschluss ist der Beklagten am , dem Kläger am zugestellt worden.
3Mit Schriftsatz vom und weiterem Schriftsatz vom hat der Kläger Anhörungsrügen erhoben und die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Mit Schriftsatz vom hat er außerdem in beiden Verfahren beantragt, die Vollziehung des Anordnungsbescheids vom und des Widerrufsbescheids vom im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur abschließenden Entscheidung in der Hauptsache in beiden Verfahren auszusetzen und der Beklagten aufzugeben, ihre Mitteilung vom an die Rechtsanwaltskammer B. zurückzunehmen und damit die Aktivierung des beA-Postfachs des Klägers und seine Wiederaufnahme in das bundesweite Anwaltsverzeichnis zu veranlassen.
II.
4Die Anhörungsrügen des Klägers gegen den Beschluss vom sind (jedenfalls) nicht begründet. Der Senat hat das als übergangen gerügte Vorbringen bei seinen Entscheidungen berücksichtigt und nicht für durchgreifend erachtet; eine Verkürzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
51. Die vom Senat vorzunehmende Prüfung war auf die vom Kläger in seinem Antrag geltend gemachten Zulassungsgründe und dargelegten Zulassungsvoraussetzungen beschränkt. Entscheidend sind nur die fristgerecht geltend gemachten Zulassungsgründe und die zu ihrer Begründung genannten Gesichtspunkte; andere Zulassungsgründe bleiben außer Betracht (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 16/20,NJW-RR 2020, 1514 Rn. 10 und vom - AnwZ (Brfg) 13/22, juris Rn. 9; jeweils mwN; siehe auch Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 112e BRAO Rn. 73).
6a) Soweit der Kläger geltend macht, der Bescheid vom sei wegen tatsächlicher Undurchführbarkeit und/oder örtlicher Unzuständigkeit der Beklagten infolge seines Wohnsitzes in B. bzw. seiner Aufnahme in die dortige Rechtsanwaltskammer von vornherein nichtig, hat er sich - entgegen seiner Darstellung - in der Begründung seines Zulassungsantrags vom nicht konkret hierauf gestützt. Seine Antragsbegründung (dort Seite 29) richtete sich vielmehr ausdrücklich nur gegen die Anordnung "aufgrund fehlenden hinreichenden Anlasses sowie fehlender Art und Umfang der durchzuführenden ärztlichen Untersuchung". Gegenteiliges zeigt der Kläger auch mit der Anhörungsrüge nicht auf.
7b) Soweit der Kläger sich mit seiner Anhörungsrüge im Übrigen der Sache nach gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Senats vom wendet, macht er damit keinen Gehörsverstoß im Sinne von § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 152a VwGO geltend. Die Anhörungsrüge ist, ebenso wie etwaige Gegenvorstellungen, kein Instrument, mit dem die Rechtskraft überspielt und eine neue inhaltliche Überprüfung in der Sache erreicht werden kann. Vielmehr ist allein die Berufung auf den durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör eröffnet. Auch dieser vermittelt indes keinen Anspruch darauf, dass das zur Entscheidung berufene Gericht den Kläger "erhört" und der von ihm vertretenen Rechtsansicht folgt (vgl. nur , juris Rn. 3; Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 28/20, juris Rn. 3; BeckOK VwGO/Kaufmann, § 152a Rn. 10 mwN [Stand: ]).
8c) Soweit der Kläger geltend macht, die Begründung, mit der der Senat die Voraussetzungen einer Anordnung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BRAO bejaht habe, stelle eine verbotene Überraschungsentscheidung dar, weil sie in Widerspruch zu Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs im erstinstanzlichen Urteil stehe und er auch nach seinem Vorbringen im Zulassungsverfahren nicht mit einer davon abweichenden Beurteilung habe rechnen müssen, trifft das nicht zu.
9Soweit der Kläger sich konkret gegen die Ausführungen im Senatsbeschluss (dort Rn. 6) wendet und meint, diese Ausführungen stünden in Widerspruch zu Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs im Urteil vom (dort Seiten 10 f.), übergeht er, dass der Anwaltsgerichtshof im Urteil vom im Anschluss an die Ausführungen bereits im nächsten Absatz festgestellt hat, dass sich auch schon in der dortigen Klagebegründung gegen Ende des Schriftsatzes ein anderer Zug in den Vordergrund schiebe, den der Antragsteller in einer strukturellen Verfolgung seiner Person durch die h. Justiz aufgrund rassistischer Voreingenommenheit sehe, und zudem abschließend festgestellt hat, dass die Schreiben des Antragstellers allesamt davon geprägt seien, dass Organe der Rechtspflege ohne nachvollziehbare Gründe massiv persönlich angegriffen und Rassismusvorwürfe erhoben werden und es dem Kläger selten gelinge, bei dem Gegenstand des Verfahrens oder dem zugrunde liegenden Sachverhalt zu bleiben. Gestützt darauf hat der Anwaltsgerichtshof schließlich auch die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BRAO bejaht. Danach musste der Kläger auch damit rechnen, dass der Senat zu einem entsprechenden Befund gelangen könnte.
10Soweit er dagegen geltend macht, dieser Befund sei nicht gerechtfertigt, weil sein Zulassungsantrag ebenso wie bereits seine Klage und sämtliche von ihm eingereichte Schriftsätze klar strukturiert und gut verständlich gewesen seien, wendet er sich wiederum gegen die sachliche Bewertung und inhaltliche Entscheidung durch den Senat, die als solche aber nicht Gegenstand einer Anhörungsrüge sein kann (s.o.).
11d) Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich auch keine verbotene Überraschungsentscheidung daraus, dass im Beschluss des Senats vom (dort Rn. 5) ausgeführt ist, der Anwaltsgerichtshof habe zu Recht aus sechs in seinem Urteil auszugsweise wiedergegebenen vom Kläger verfassten Schriftstücken geschlossen, dass dieser die tiefe und grundsätzliche Überzeugung aufweise, in der Bundesrepublik Deutschland erfolge aus rassistischen Gründen eine "Unterdrückung und systematische Diskriminierung aus ideologischen Gründen", die sich speziell in H. gegen ihn richte; ein Sachbezug der diesbezüglichen Ausführungen zu rechtlichen Argumenten sei, auch wenn der Kläger einen solchen mit umfangreichem rechtlichen Vorbringen herzuleiten versuche, nicht erkennbar.
12Der Kläger führt dagegen an, dass eine Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erfolgen müsste, die in seinem Fall ergebe, dass seine Meinungsäußerungen von Art. 9 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 EMRK, Art. 10 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1 GrCh gedeckt seien. Dies habe er bereits mit seinem Zulassungsantrag geltend gemacht und damit einen Zulassungsgrund schlüssig vorgetragen. Damit wendet der Kläger sich wiederum allein dagegen, dass der Senat seiner Argumentation nicht gefolgt ist, sondern sich der rechtlichen und tatsächlichen Bewertung des Anwaltsgerichtshofs angeschlossen und dessen Entscheidung bestätigt hat. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Senat dabei im Beschluss vom nicht jedes Argument des Klägers im Einzelnen beschieden hat. Es ist vielmehr ausreichend, wenn das Gericht diejenigen Gründe angibt, die für seine richterliche Überzeugung leitend gewesen sind; insbesondere bei - wie hier - umfangreichem Vorbringen kann aus der Nichterwähnung einzelner Vortragselemente nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe sich mit den darin enthaltenen Argumenten nicht auseinandergesetzt (vgl. BeckOK VwGO/Kaufmann, § 152a Rn. 10 mwN [Stand: ] zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).
13e) Gleiches gilt, soweit der Kläger schließlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG darin sieht, dass der Senat im Beschluss vom in der Behandlung der erstinstanzlichen Ablehnungsgesuche des Klägers durch den Anwaltsgerichtshof keine Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) gesehen hat. Der Senat hat das diesbezügliche Vorbringen des Klägers im Zulassungsantrag ausweislich seiner Ausführungen in den Randnummern 18 bis 29 ausführlich gewürdigt, aber für nicht durchgreifend erachtet und einen darin liegenden zulassungsrelevanten Verfahrensmangel verneint. Dass er der Ansicht des Klägers nicht gefolgt ist, begründet keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (s.o.).
142. Unabhängig davon rechtfertigt das neue Vorbringen des Klägers zur angeblichen tatsächlichen Undurchführbarkeit und/oder örtlichen Unzuständigkeit der Beklagten keine Zulassung der Berufung gemäß § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO. Insbesondere liegt entgegen der Ansicht des Klägers kein Fall einer offensichtlichen Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung vor, in dem die nähere Darlegung eines Zulassungsgrunds gemäß § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO entsprechend der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 und 5 VwGO (vgl. dazu Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl., § 124a Rn. 83 mwN) entbehrlich sein könnte.
15Da der Wechsel des Klägers in die Rechtsanwaltskammer B. nach seinen eigenen Angaben erst zum erfolgt ist, ist nicht ersichtlich, inwiefern die Beklagte bei Erlass der Anordnung am , mithin ein Jahr zuvor, außerhalb ihrer Zuständigkeit gehandelt haben und ihre Anordnung deswegen gemäß § 32 Abs. 1 BRAO, § 44 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 HVwVfG nichtig gewesen sein sollte. Örtlich zuständig für alle anwaltlichen Verwaltungsverfahren ist gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BRAO die Kammer, deren Mitglied der Rechtsanwalt ist. Das war bei Erlass der Anordnung vom die Beklagte, deren Zuständigkeit gemäß § 27 Abs. 3 Satz 3 BRAO erst mit der Aufnahme des Klägers in die Rechtsanwaltskammer B. erlosch (vgl. , juris Rn. 18 ff.; Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 72/12, juris Rn. 3).
16Auch eine tatsächliche Undurchführbarkeit der Anordnung innerhalb der ihm dafür gesetzten Frist ist mit dem Vorbringen des Klägers nicht dargetan. Sein pauschaler Verweis auf damals geltende pandemiebedingte Reise- und Kontaktbeschränkungen, aufgrund derer ihm eine Anreise von seinem damaligen Wohnsitz in B. zu einer Begutachtung nach F. nicht möglich gewesen sei, reicht dafür nicht aus.
17Da auch der Widerruf der Zulassung des Klägers durch die Beklagte mit Bescheid vom noch vor seinem Wechsel in die Rechtsanwaltskammer B. erfolgt ist, kann der Kläger auch nicht geltend machen, die Anordnung des Gutachtens durch die Beklagte sei hinfällig geworden, weil die Beklagte für einen darauf gestützten Widerruf nicht mehr zuständig gewesen sei.
18Hiergegen macht der Kläger ohne Erfolg unter Verweis auf die Rechtsprechung zur örtlichen Zuständigkeit bei Änderung der die Zuständigkeit begründenden Umstände während eines laufenden Verwaltungsverfahrens (§ 32 Satz 1 BRAO, § 3 Abs. 3 VwVfG) geltend, dass er jedenfalls noch vor Bestandskraft der Anordnungsverfügung in die Rechtsanwaltskammer B. aufgenommen worden sei, womit die Zuständigkeit der Beklagten entfallen, die Anordnung der Untersuchung durch einen nicht an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort und/oder seinem Kanzleisitz ansässigen Arzt fehlerhaft und die gesamte Anordnung damit gegenstandslos geworden sei. Wird in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Aufhebung einer belastenden Maßnahme begehrt, ist das Verwaltungsverfahren mit Erlass der Verwaltungsentscheidung (ggf. im Vorverfahren) abgeschlossen. Das gilt auch dann, wenn auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist. Ein Wechsel der Zuständigkeit nach Verfahrensschluss ist daher auch in diesem Fall unbeachtlich (vgl. OVG Greifswald, NVwZ-RR 2010, 751; Schuler-Harms in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Vorbemerkung § 3 VwVfg Rn. 30 [Stand: August 2022]; Henkel in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl., § 3 Rn. 80).
III.
19Der Antrag des Klägers vom auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen zwar nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 153 Abs. 1 VwGO in entsprechender Anwendung der §§ 578 ff. ZPO grundsätzlich statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (B) 74/07, juris Rn. 3). Er ist jedoch unzulässig, weil das Vorbringen des Klägers zu den Wiederaufnahmegründen unschlüssig ist.
201. Es kann dahinstehen, ob die Postulationsfähigkeit des Klägers für den Antrag auf Wiederaufnahme zu unterstellen ist. Der Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist mit der Übergabe der Ausfertigungen des Senatsbeschlusses vom im Verfahren AnwZ (Brfg) 26/21 durch die Geschäftsstelle an die Poststelle zur Zustellung bereits im September 2022 bestandskräftig geworden (vgl. BVerwGE 95, 64, 67; BeckOK VwGO/Roth, § 124a Rn. 86.1 [Stand: ]; Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl., § 124a Rn. 96, Eyermann/Kraft, VwGO, 16. Aufl., § 116 Rn. 26 mwN). Damit ist sein Recht zur Selbstvertretung gemäß § 112e Satz 1 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 67 Abs. 4 Sätze 3 und 8 VwGO entfallen.
212. Der Wiederaufnahmeantrag ist unstatthaft und daher als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger den allein geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung (§ 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) nur darauf stützt, dass der Senat seine Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV verletzt habe und die Mitglieder des Anwaltsgerichtshofs und die anwaltliche Beisitzerin des Senats Rechtsanwältin S. nicht unabhängig seien. Das erfüllt nicht die Voraussetzungen eines Nichtigkeitsgrundes nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
22a) Die Nichtigkeitsklage ist nicht statthaft, wenn mit ihr lediglich eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union geltend gemacht wird (BFH, NJW 2023, 3534 Rn. 16). Denn dies stellt keinen, eine Nichtigkeitsklage rechtfertigenden Besetzungsmangel dar (BFH, aaO). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs an.
23aa) § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO betrifft die Frage, ob das erkennende Gericht vorschriftsmäßig besetzt war. Die Nichtigkeitsklage ist auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BAG, NJW 2022, 3459 Rn. 21 mwN). Die Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV zählt nicht dazu (BFH, NJW 2023, 3534 Rn. 16; vgl. auch BAG, NJW 2022, 3459 Rn. 17 ff.).
24Zwar kann eine willkürliche Nichtbeachtung der Vorlagepflicht den Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzen. Dabei stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht überprüft nur, ob die Anwendung und Auslegung des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfG, NVwZ 2017, 615 Rn. 7; NJW 2018, 606 Rn. 6 mwN; BFH, NJW 2018, 1710 Rn. 22). Dies betrifft jedoch nicht die vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Ein angeblicher Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen einer Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV ist deshalb (unmittelbar) mit der Verfassungsbeschwerde gegen die letztinstanzliche Entscheidung geltend zu machen (BFH, NJW 2023, 3534 Rn. 17).
25bb) Unabhängig davon liegt keine - schon gar nicht eine willkürliche - Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV vor.
26(1) Der Kläger hat mit seinem Zulassungsantrag geltend gemacht, das vorliegende Verfahren habe grundsätzliche Bedeutung, weil § 15 Abs. 1 BRAO den nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geltenden unionsrechtlichen Anforderungen an eine Ermächtigungsgrundlage für den mit der Anforderung eines ärztlichen Gutachtens verbundenen intensiven Eingriff in das in Art. 8 EMRK, Art. 7 und Art. 8 GrCh verankerte Grundrecht auf Achtung des Privatlebens nicht genüge. Die Vorschrift sei zu unbestimmt, biete keine hinreichenden Verfahrensgarantien in medizinischer Hinsicht und der Eingriff sei im vorliegenden Fall in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig (Art. 8 Abs. 2 EMRK). Er - der Kläger - sei entschlossen, ggf. den "EGMR" anzurufen und § 15 BRAO müsse dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Beurteilung, ob die Regelung hinreichende Verfahrensgarantien biete, vorgelegt werden.
27(2) Hierzu hat der Senat im Beschluss vom ausgeführt, dass der Kläger keine grundsätzlich klärungsbedürftige abstrakte Rechtsfrage aufwerfe und der Senat die verfassungs- und unionsrechtlichen Bedenken des Klägers hinsichtlich der Vorschrift des § 15 BRAO, die er in ständiger Rechtsprechung anwende, nicht teile. Die Vorschrift diene dem Schutz des Rechtsverkehrs vor Anwälten, die ihrer Aufgabe aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer nicht gewachsen seien. Dabei hat der Senat auf mehrere Beschlüsse verwiesen, in denen er seine Auffassung näher dargelegt und begründet hat.
28Damit hat der Senat weder die Vorlagepflicht nach § 267 Abs. 3 AEUV grundsätzlich verkannt, noch ist er bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ohne Vorlagebereitschaft abgewichen. Er hat die vom Kläger aufgeworfenen Fragen der Rechtmäßigkeit der Vorschrift des § 15 Abs. 1 BRAO vielmehr auch in unionsrechtlicher Hinsicht als geklärt angesehen, mithin einen "acte clair" angenommen, bei dem es keiner Vorlage an den Gerichtshof bedarf. Der Senat hat bereits mit seiner Feststellung, dass der Kläger keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen habe, die Notwendigkeit einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verneint, da eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung anzunehmen gewesen wäre, wenn sich eine entscheidungserhebliche Frage gestellt hätte, die der einheitlichen Auslegung von EU-Recht bedürfte und das Ersuchen um eine Vorabentscheidung sehr wahrscheinlich machte. Diese Ausführungen enthalten - nicht zuletzt im Zusammenhang mit den zitierten früheren Entscheidungen und den dortigen Nachweisen - eine hinreichende Begründung für das Absehen von einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV.
29b) Soweit der Kläger eine Entziehung des gesetzlichen Richters unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG außerdem damit begründet, dass die anwaltlichen Mitglieder des Anwaltsgerichtshofs und die anwaltliche Beisitzerin des Senats Rechtsanwältin S. als Mitglieder der beklagten Rechtsanwaltskammer nicht unabhängig im Sinne von Art. 47 Abs. 1 GrCh, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gewesen seien, ist damit bereits deshalb kein Nichtigkeitsgrund für den Senatsbeschluss vom dargelegt, weil Rechtsanwältin S. an diesem Beschluss überhaupt nicht beteiligt war. Überdies würde, wie sich aus § 579 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ergibt, nur eine erfolgreiche Ablehnung eines an der Entscheidung mitwirkenden Richters oder Rechtsanwalts einen Nichtigkeitsgrund darstellen, die hier (erst Recht) nicht gegeben ist. Soweit der Kläger schließlich die Befangenheit der anwaltlichen Mitglieder des Anwaltsgerichtshofs geltend macht, vermag dies die Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss des Senats überdies gemäß § 579 Abs. 2 ZPO nicht zu begründen, weil dieser Einwand mittels eines Rechtsmittels, nämlich dem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs, geltend gemacht werden konnte und vom Kläger mit seinem Zulassungsantrag auch geltend gemacht worden ist, vom Senat aber für nicht durchgreifend befunden wurde.
303. Der Senat kann über den Wiederaufnahmeantrag gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 153 Abs. 1 VwGO durch Beschluss entscheiden. Die Verweisung in § 585 ZPO auf die "allgemeinen Vorschriften" des Zivilprozessrechts bezieht sich im Anwendungsbereich des § 153 VwGO nicht auf die Form der Entscheidung, die sich vielmehr allein aus der Verwaltungsgerichtsordnung ergibt (BVerwG, NVwZ-RR 2018, 787 Rn. 4). Entscheidend ist, welche Form der Gerichtsentscheidung mittels des außerordentlichen Rechtsbehelfs der Wiederaufnahme ersetzt werden soll. Über ein Wiederaufnahmebegehren zu einem Beschluss ist daher in Beschlussform zu entscheiden (vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 2003, 535 mwN; BeckOK VwGO/Peters, § 153 VwGO Rn. 47[Stand: ]; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 153 VwGO Rn. 39 [Stand: März 2023]).
31Sollte der Hilfsantrag des Klägers im Schriftsatz vom , den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV hinsichtlich der Vereinbarkeit von § 15 BRAO mit Art. 7 GrCh i.V.m. Art. 8 EMRK im Hinblick auf die Verfahrensgarantien in medizinischer Hinsicht und auf die konkrete Anwendung im vorliegenden Fall anzurufen, auf eine entsprechende Vorlage (bereits) im Rahmen der vorliegenden Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag gerichtet sein, ist dem nicht zu folgen. Wie bereits dargelegt, besteht nach Auffassung des Senats kein Anlass zu vernünftigen Zweifeln daran, dass die Vorschrift des § 15 BRAO auch den unionsrechtlichen Anforderungen der Art. 8 EMRK, Art. 7 GrCh genügt (acte clair). Soweit der Kläger sich gegen die Rechtsanwendung in seinem Einzelfall wendet und meint, es bedürfe einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV, ob nach den Umständen des vorliegenden Falls die Maßnahme als notwendig anzusehen sei oder ob sie im vorliegenden Fall wegen ihres selektiven Charakters jedenfalls mit dem Gleichheitssatz aus Art. 20 GrCh i.V.m. Art. 15 f. GrCh (Berufs- und unternehmerische Freiheit) sowie dem Diskriminierungsverbot aus Art. 21 Abs. 1 GrCh, Art. 14 EMRK nicht vereinbar sei, handelt es sich um keine Frage der abstrakten Auslegung des Unionsrechts, sondern um eine - nicht vorlagefähige - Frage zur Anwendbarkeit des Unionsrechts im Einzelfall (vgl. BVerfG, NJW 2018, 606 Rn. 4 mwN).
IV.
32Der Antrag des Klägers vom auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend die Aussetzung der Vollziehung des Anordnungsbescheids vom und eine Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme ihrer Mitteilung vom an die Rechtsanwaltskammer B. gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 123 Abs. 1 Satz 1 und/oder Satz 2 VwGO hat danach ebenfalls keinen Erfolg.
33Ungeachtet der Frage der Statthaftigkeit und Zulässigkeit dieses Antrags nach § 123 Abs. 1, Abs. 5 VwGO ist der Antrag jedenfalls mangels eines Anordnungsanspruchs des Klägers gemäß § 123 Abs. 1 VwGO unbegründet. Mit der Zurückweisung des Antrags des Klägers auf Zulassung der Berufung durch den Beschluss des Senats vom ist das Urteil des Anwaltsgerichtshofs vom rechtskräftig (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO) und der Anordnungsbescheid der Beklagten damit bestandskräftig geworden. Der Beschluss des Senats ist bereits mit der Übergabe der zur Zustellung bestimmten Ausfertigungen der Entscheidung durch die Geschäftsstelle an die Poststelle im April 2022 wirksam geworden (vgl. BVerwGE 95, 64, 67; BeckOK VwGO/Roth, § 124a Rn. 86.1 [Stand: ];Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl., § 124a Rn. 96; Eyermann/Kraft, VwGO, 16. Aufl., § 116 Rn. 26 mwN) und wurde dem Kläger zudem am zugestellt. Die Rechtmäßigkeit der Anordnung steht damit bindend fest. Da aus den oben genannten Gründen auch die Anhörungsrügen des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom nicht durchgreifen und sein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ebenfalls keinen Erfolg hat, steht ihm auch aus der von ihm reklamierten Berufs- und Niederlassungsfreiheit aus Art. 12 GG i.V.m. Art. 43 EG/Art. 49 AEUV, Art. 15 GrCh, Art. 4 des Freizügigkeitsabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz vom (FZA) kein durch Aussetzung der Vollziehung der Anordnung zu sichernder Anspruch zu.
34Damit ist auch der Antrag, der Beklagten aufzugeben, ihre Mitteilung vom an die Rechtsanwaltskammer B. betreffend den Abschluss des Verfahrens betreffend den Widerruf der Zulassung des Klägers (AnwZ (Brfg) 26/21) durch den Beschluss des Senats vom zurückzunehmen und damit die Aktivierung des beA-Postfachs des Klägers und seine Wiederaufnahme in das bundesweite Anwaltsverzeichnis zu veranlassen, im vorliegenden Verfahren nicht begründet, da sich die Mitteilung der Beklagten jedenfalls nicht aus der vom Kläger hier geltend gemachten Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit der dem Widerruf zugrunde liegenden Anordnung vom ergibt.
35Über den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung des Widerrufsbescheids vom und seinen auf die Nichtigkeit/Unwirksamkeit des Widerrufsbescheids gestützten weiteren Eilantrag betreffend die Mitteilung der Beklagten vom ist im Verfahren AnwZ (Brfg) 26/21 zu befinden.
V.
36Die Kostenentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 2 GKG.
Schoppmeyer Grüneberg Ettl
Kau Merk
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:100724BANWZ.BRFG.16.21.1
Fundstelle(n):
ZAAAJ-78729