BGH Beschluss v. - 2 StR 465/23

Instanzenzug: Az: 24 Ks 20/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Daneben hat es den Angeklagten verurteilt, an den Nebenkläger 15.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem zu zahlen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

21. Die Verfahrensrüge bleibt aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.

32. Die auf die Sachbeschwerde veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat lediglich hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers Erfolg.

4a) Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

5aa) Am gegen 2.30 Uhr kam es in einer Diskothek zwischen mehreren Personen zu verbalen Auseinandersetzungen, weil sich zwei junge Frauen auf der Tanzfläche belästigt fühlten. In der Folge dieser Auseinandersetzungen schlug der Nebenkläger dem Freund des Angeklagten mit der Faust ins Gesicht. Der Angeklagte, der den Schlag beobachtet hatte, wollte seinem Freund zu Hilfe eilen, was indes der jüngere Bruder des Nebenklägers bemerkte. Um das erwartete Eingreifen des Angeklagten zu unterbinden, sprang dieser ihm auf den Rücken, so dass beide zu Boden gingen, ohne dass sich die Auseinandersetzung am Boden fortsetzte. Beide „rappelten“ sich nach dem Sturz wieder auf. Der Angeklagte zog nun ein von ihm mitgeführtes Messer hervor, stach dem unbewaffneten Bruder des Nebenklägers unvermittelt in dessen linken Oberbauch und zog das Messer wieder heraus.

6Der Angeklagte erhielt nun von dem hinzugekommenen Nebenkläger einen kräftigen Faustschlag ins Gesicht. Mit bedingtem Tötungsvorsatz stach daraufhin der Angeklagte in den linken Oberbauch des Nebenklägers und zog danach das Messer aus dem Körper heraus. Der Nebenkläger, der zunächst die Stichverletzung nicht bemerkte, bewegte sich noch einige Momente über die Tanzfläche, „um zu realisieren, was passiert“ sei. Er begab sich sodann an den Rand der Tanzfläche und setzte sich dort hin. Ein Türsteher zog den Bruder des Nebenklägers, der ebenfalls noch auf der Tanzfläche stand, in Richtung Ausgang. Auch der Angeklagte entschloss sich nun, die Tanzfläche zu verlassen. Der Nebenkläger, der nunmehr bemerkte, dass er verletzt war, wurde mit seinem Bruder in ein Krankenhaus verbracht, wo jener nicht mehr reanimiert werden konnte und verstarb.

7bb) Das Landgericht hat den ersten Messerstich des Angeklagten als Totschlag in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei und die weitere Tat als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei bewertet. Die Handlungen des Angeklagten seien nicht durch Notwehr gerechtfertigt, weil er „die Grenzen der zulässigen Notwehrhandlung überschritten“ habe. Gegenüber dem Nebenkläger liege ein beendeter Versuch des Totschlags vor, von dem der Angeklagte nicht strafbefreiend zurückgetreten sei. Angesichts der abstrakten Gefährlichkeit der Tathandlung musste der Angeklagte davon ausgehen, alles für die Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan zu haben.

8b) Während der Schuldspruch wegen Totschlags in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei und die dafür verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zehn Jahren keinen Bedenken begegnet (unter aa)), hält der Schuldspruch im Übrigen rechtlicher Nachprüfung nicht stand (unter bb)).

9aa) Der Schuldspruch wegen Beteiligung an einer Schlägerei in Tateinheit mit Totschlag zum Nachteil des jüngeren Bruders des Nebenklägers weist – auch mit Blick auf die Gegenerklärung des Revisionsführers zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts – keinen Rechtsfehler auf. Die Beweiswürdigung ist weder widersprüchlich noch verstößt sie gegen die Denkgesetze; der Revisionsführer unternimmt letztlich den Versuch, die Beweiswürdigung des Landgerichts durch eine eigene zu ersetzen. Damit kann er nicht gehört werden. Soweit er überdies rügt, das Landgericht habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, sich „mit der subjektiven Einschätzung der jeweiligen ‚Kampflage‘ durch den Angeklagten auseinanderzusetzen“, lässt er außer Acht, dass sich der Angeklagte durch Schweigen verteidigt hat; weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst ist es geboten, zugunsten des Angeklagten Sachverhaltsvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen kein konkreter Anhaltspunkt besteht (vgl. nur , Rn. 7 mwN). Das Landgericht hat alle relevanten Umstände in seine Würdigung einbezogen. Die jeweils im Einzelnen wie auch in der Gesamtbetrachtung gezogenen Schlussfolgerungen sind möglich. Zwingend müssen sie nicht sein.

10Die für diesen Fall verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zehn Jahren weist ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

11bb) Hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers hält die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) auf der Grundlage der insoweit unzureichenden Feststellungen mit der hierfür gegebenen Begründung rechtlicher Prüfung nicht stand.

12(1) Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 24 StGB kommt es zunächst darauf an, ob ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorliegt. Maßgebend dafür ist die Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung („Rücktrittshorizont“). Hält er in diesem Zeitpunkt den Tod des Opfers schon auf Grund seines bisherigen Handelns für möglich oder macht er sich in diesem Zeitpunkt über die Folgen seines Tuns keine Gedanken, so ist der Versuch beendet (st. Rspr.; vgl. nur , Rn. 16 f. mwN); der Täter erlangt daher Straffreiheit nur durch erfolgreiches (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) oder freiwilliges und ernsthaftes Rettungsbemühen (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).

13(2) Das Landgericht hat einen beendeten Versuch deshalb bejaht, weil der Nebenkläger nach dem Stich „auf den Schmerz“ reagiert und „von weiteren Kampfhandlungen“ zu Lasten des Angeklagten abgelassen habe; der Angeklagte habe den Nebenkläger „zudem ‚wissend‘“ angesehen. „Offensichtlich“ sei der Nebenkläger „also“ durch den Stich erheblich beeinträchtigt gewesen, sodass der Angeklagte angesichts der abstrakten Gefährlichkeit der Tathandlung davon ausgehen „musste“, alles für die Tatbestandsverwirklichung Erforderliche bereits durch einen Stich getan zu haben. Eine derartige Vorstellung des Angeklagten ist indes nicht rechtsfehlerfrei belegt.

14(a) Die Sachverhaltsschilderung des Urteils ergibt dazu nichts; sie beschränkt sich – abgesehen von der einwandfreien Feststellung des Tötungsvorsatzes – im Wesentlichen auf die Darstellung des äußeren Geschehensablaufs, ohne konkrete Angaben über die für die Rücktrittsfrage entscheidenden Vorstellungen des Angeklagten zu machen. Da die Sachverhaltsschilderung keine konkretisierten Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten enthält, bleibt unklar, ob der Angeklagte glaubte, mit dem Messerstich alles zur Tötung des Nebenklägers Erforderliche getan zu haben. Die dafür vom Landgericht herangezogene abstrakte Gefährlichkeit der Verletzungen lässt das weitere Handeln des Geschädigten unberücksichtigt, der sich „noch einige Momente über die Tanzfläche bewegte“ und sich an den Rand der Tanzfläche hinsetzte.

15(b) Die beweiswürdigenden Erwägungen belegen ebenfalls nicht hinreichend ein entsprechendes Vorstellungsbild des Angeklagten. Soweit das Landgericht dabei berücksichtigt, der Nebenkläger, der zwar nach dem Stich nicht unmittelbar zusammengesackt sei, habe „dennoch […] auf den Schmerz“ reagiert, steht das nicht im Einklang mit der Feststellung, wonach dieser den Stich zunächst gar nicht bemerkt hatte.

16(c) Die weitere Erwägung des Landgerichts, wonach der Angeklagte den Nebenkläger „wissend“ angeschaut habe, ist ebenfalls nicht geeignet, ein entsprechendes Vorstellungsbild zu belegen. Vielmehr hat der Angeklagte die weitere Reaktion des Nebenklägers beobachten und deshalb (auch) wahrnehmen können, dass dieser sich noch über die Tanzfläche bewegte, was gegen die Annahme sprechen könnte, er habe den Tod des Opfers als Folge des einen Stichs für möglich gehalten. Dass sich der Angeklagte außerstande gesehen hat, das begonnene Tötungsverbrechen zu vollenden, ist nicht festgestellt.

17Um im Einzelnen zu beurteilen, ob es sich um einen beendeten oder unbeendeten oder möglicherweise um einen fehlgeschlagenen Versuch gehandelt hat, bedürfte es der Feststellung der hierfür wesentlichen näheren Umstände (örtliche Verhältnisse, Entfernungen usw.). Daran fehlt es.

183. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags entzieht der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung des Angeklagten wegen der tateinheitlich verwirklichten Taten sowie dem Einzel- und Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die nur im Hinblick auf den Rücktrittshorizont unvollständigen, im Übrigen aber zum äußeren und inneren Tatgeschehen, insbesondere zum bedingten Tötungsvorsatz rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und tragen die Adhäsionsentscheidung, die von der Aufhebung des Schuldspruchs unberührt bleibt (vgl. , NJW 2016, 513 Rn. 56; Beschlüsse vom – 4 StR 356/21, Rn. 14, und vom – 4 StR 408/21, Rn. 9).

Menges                       Appl                       Zeng

                 Grube                        Lutz

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110424B2STR465.23.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-78652