Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 4 KLs 7/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen.
2Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem in der Beschlussformel bezeichneten Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
31. Während der Schuld- und Strafausspruch ebenso wie die Einziehungsentscheidung revisionsgerichtlicher Überprüfung standhalten, begegnet das Absehen von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4Nach den Feststellungen des Landgerichts neigt der Angeklagte seit Jahren zu einem übermäßigen Alkoholkonsum und nimmt Betäubungsmittel in Form von Kokain, Crack und Heroin zu sich. Im Zeitpunkt der Urteilsverkündung war er aufgrund des Erkenntnisses des Landgerichts Darmstadt vom im Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB untergebracht und durchlief dort eine Entwöhnungstherapie. Zu den hier der Beurteilung unterliegenden Tatzeitpunkten am (Fall 1 der Urteilsgründe), (Fall 2 der Urteilsgründe) sowie (Fall 3 der Urteilsgründe) war der Angeklagte jeweils nicht unerheblich alkoholisiert.
5Das Landgericht hat – sachverständig beraten – die Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt, weil bei diesem „wohl kein Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB bestehe“. Es sei zwar eine Alkoholgewöhnung festzustellen, jedoch keine Alkoholabhängigkeit. Mit dieser Begründung kann das Vorliegen einer Substanzkonsumstörung nicht tragfähig verneint werden. Im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen zum langjährig bestehenden Alkoholkonsum des Angeklagten und der bereits erfolgten Maßregelanordnung erscheint die Annahme eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht fernliegend.
6Die weitere Begründung des Landgerichts, mit der die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt maßgeblich auf den derzeitigen Vollzug derselben Maßregel in anderer Sache gestützt wird, lässt zudem besorgen, die Strafkammer habe verkannt, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei Vorliegen der Voraussetzungen grundsätzlich auch dann angeordnet werden soll, wenn die Maßregel schon in einem früheren Verfahren angeordnet worden ist, die in dem späteren Verfahren abgeurteilten Taten aber – wie hier – nach der früheren Verurteilung begangen worden sind (, Rn. 9 mwN).
72. Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss aus diesem Grund – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dabei wird die Strafkammer auch in den Blick zu nehmen haben, ob die Anlasstaten überwiegend auf einen (möglichen) Hang des Angeklagten zurückgehen, also der Hang für das festgestellte Tatgeschehen „mehr als andere Umstände ausschlaggebend“ (vgl. BR-Drucks. 687/22, S. 79) war. Dass der Angeklagte nicht gefährlich im Sinne des § 64 StGB ist oder keine tatsachenbasierte konkrete Aussicht besteht, ihn durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren, hat das Landgericht nicht festgestellt.
8Der Nachholung einer Unterbringungsanordnung steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat. Die Nichtanordnung des § 64 StGB hat der Angeklagte nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Menges Zeng Meyberg
Zimmermann Herold
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:280824B2STR169.24.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-78514