Leitsatz
Legt der anwaltliche Betreuer des Schuldners im Insolvenzverfahren sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss über die Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalters ein, ergibt die gebotene Auslegung im Regelfall, dass das Rechtsmittel im Namen des Schuldners eingelegt ist.
Gesetze: § 64 Abs 3 InsO, § 567 Abs 1 Nr 1 ZPO
Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 16 T 594/23vorgehend AG Delmenhorst Az: 12 IK 236/21
Gründe
I.
1Mit Beschluss vom eröffnete das Insolvenzgericht das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom setzte das Insolvenzgericht die Vergütung des weiteren Beteiligten einschließlich Auslagen und Umsatzsteuer antragsgemäß auf 9.114,73 € fest.
2Gegen diesen Beschluss hat der Betreuer des Schuldners sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat den Beschluss des Insolvenzgerichts abgeändert und die Vergütung einschließlich Auslagen und Umsatzsteuer auf 1.924,33 € festgesetzt. Mit der von dem Einzelrichter zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der weitere Beteiligte die Festsetzung der Vergütung in der von ihm beantragten Höhe und die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde erreichen.
II.
3Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
41. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1, § 64 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft. Das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde unbeschränkt zugelassen, so dass § 99 Abs. 1 ZPO nicht entgegensteht. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht deshalb unwirksam, weil entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums der Einzelrichter entschieden hat.
5Der angefochtene Beschluss unterliegt indes bereits deshalb der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist. Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. Bejaht er mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was von dem Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (vgl. , WM 2019, 1461 Rn. 4 f; vom - IX ZB 6/20, ZIP 2021, 642 Rn. 4 mwN zur st. Rspr.).
62. Für das weitere Verfahren vor dem Beschwerdegericht weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin:
7a) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, liegt eine zulässige sofortige Beschwerde des Schuldners vor, weil die vom Betreuer des Schuldners eingelegte Beschwerde als eine solche des Schuldners auszulegen ist. Soweit das Landgericht im Rubrum seines Beschlusses den Betreuer als Beschwerdeführer bezeichnet, ist dies unzutreffend.
8aa) Prozesserklärungen sind auslegungsfähig. Im Zweifel ist dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht, wobei nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn der Wortwahl einer Partei festzuhalten ist (vgl. , NJW 2010, 3779 Rn. 4 mwN; Stein/Jonas/Kern, ZPO, 23. Aufl., vor § 128 Rn. 277 ff). Das Vorbringen des Betreuers vor dem Insolvenz- wie vor dem Beschwerdegericht macht deutlich, dass es ihm ausschließlich um die Interessen des Schuldners geht. Ein eigenes Rechtsmittel steht ihm auch nicht zu.
9bb) Allein aus der Verwendung der "Ich-Form" durch den Rechtsanwalt in einem Rechtsmittelschriftsatz - wie im Streitfall durch den anwaltlichen Betreuer des Schuldners - können grundsätzlich keine Zweifel daran aufkommen, dass der Rechtsanwalt gerade in seiner Eigenschaft als Prozessbevollmächtigter seiner Partei für diese das Rechtsmittel einlegen will (vgl. , NJW 2010, 3779, Rn. 5 f). Für den Fall, dass der Rechtsanwalt zum Betreuer des Schuldners bestellt ist, gilt Entsprechendes.
10b) Das Beschwerdegericht wird im erneuten Beschwerdeverfahren den Einwendungen des Beteiligten zur Ermittlung der Berechnungsgrundlage nachzugehen haben. Die bisherigen Überlegungen des Beschwerdegerichts zur Berechnungsgrundlage sind rechtsfehlerhaft.
11aa) Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Berechnungsgrundlage betrage 1.715,60 €. Die Zuflüsse aus zwei Pfändungen des Insolvenzverwalters über 9.769,25 € und 3.819,03 € erhöhten die Berechnungsgrundlage hingegen nicht. Es handele sich um Erstattungsleistungen der privaten Krankenversicherung. Diese unterlägen gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht dem Insolvenzbeschlag. Die Voraussetzungen des § 850b Abs. 2 ZPO lägen nicht vor.
12bb) Zwar geht das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass Ansprüche auf Erstattungsleistungen eines Krankenversicherers gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO unpfändbar sind (vgl. , WM 2007, 2017 Rn. 11 ff; Urteil vom - IV ZR 163/13, ZIP 2014, 688 Rn. 15 f; Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, 23. Aufl., § 850b Rn. 18; Zöller/Seibel, ZPO, 35. Aufl., § 850b Rn. 9). Auch wenn § 850b ZPO in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist die Vorschrift - wie das Beschwerdegericht zutreffend annimmt - trotzdem im Insolvenzverfahren insgesamt entsprechend anzuwenden (, WM 2010, 271 Rn. 10 ff).
13Teil der Insolvenzmasse sind solche Ansprüche daher nur dann, soweit sie nach Maßgabe des § 850b Abs. 2 ZPO pfändbar sind (, WM 2010, 271 Rn. 10). Die hierzu geltenden Maßstäbe hat das Beschwerdegericht nicht berücksichtigt. Danach sind Ansprüche gegen einen Krankenversicherer nur dann stets unpfändbar, soweit es sich um Ansprüche für künftige ärztliche Behandlungen handelt (vgl. , WM 2007, 2017 Rn. 11 ff; Urteil vom - IV ZR 163/13, ZIP 2014, 688 Rn. 19). Darum geht es im Streitfall nicht. Gegenstand der Erstattungsleistungen ist eine bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossene Krankenhausbehandlung. Soweit die Pfändbarkeit von Erstattungsansprüchen für bereits erbrachte ärztliche Behandlungen im Streit steht, ist es vielmehr Aufgabe des Insolvenzgerichts, nach Maßgabe des § 850b Abs. 2 ZPO über den Umfang der Pfändbarkeit zu entscheiden (vgl. aaO Rn. 10 und Rn. 14 zum Maßstab der Billigkeit). Die entsprechende Entscheidung des Insolvenzgerichts kann - anders als das Beschwerdegericht annimmt - nicht inzident im Rahmen der Vergütungsentscheidung getroffen werden. Vielmehr ist hierüber in einem gesonderten Verfahren durch das Insolvenzgericht zu entscheiden, das insbesondere den Schuldner anzuhören hat.
14cc) Unabhängig davon gibt die Zurückverweisung dem Beschwerdegericht Gelegenheit, sich mit dem Vortrag des Beteiligten zur Höhe der Erstattungsleistung und zum Inhalt der beiden Überweisungen über 9.769,25 € und 3.819,03 € zu befassen. Der Senat weist insoweit auf folgendes hin:
15(1) Das Beschwerdegericht übersieht, dass den Zahlungen keine Pfändung des Insolvenzverwalters zugrunde liegt. Vielmehr handelt es sich - worauf der Beteiligte bereits im Beschwerdeverfahren hingewiesen hat - um von der Bank aus dem Pfändungsschutzkonto des Schuldners an die Masse abgeführte Beträge. Maßgeblich für die Frage, ob der Zufluss aus diesen von der Bank vorgenommenen Überweisungen die Berechnungsgrundlage erhöht hat, ist daher allein, ob das auf dem Pfändungsschutzkonto vorhandene Guthaben in Höhe der jeweiligen Überweisungen gemäß § 899 ZPO pfändbar gewesen ist. Hierzu trifft das Beschwerdegericht keine Feststellungen.
16(2) Sofern der Krankenversicherer die Erstattungsleistungen auf das Pfändungsschutzkonto des Schuldners - wie vom Beteiligten geltend gemacht - überwiesen haben sollte, wären die entsprechenden Ansprüche des Schuldners gemäß § 362 BGB durch Erfüllung erloschen. Die etwaige Unpfändbarkeit der Erstattungsansprüche gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO erstreckt sich nicht auf den Auszahlungsanspruch gemäß § 667 BGB gegen die Bank des Schuldners nach Überweisung durch den Drittschuldner (vgl. , BGHZ 170, 236 Rn. 12; BVerfG, WM 2015, 1376 Rn. 18; BFH, NZI 2024, 423 Rn. 29 f).
17In diesem Fall ermöglichen zwar § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 906 Abs. 2 ZPO und vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung des Pfändungsschutzes (Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz - PKoFoG) vom (BGBl. I, S. 2466) § 850k Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO aF eine Erweiterung des Pfändungsschutzes der dem Schuldnerkonto gutgeschriebenen Beträge über den dem Schuldner zustehenden Grundfreibetrag gemäß § 899 ZPO und etwaige Erhöhungsbeträge gemäß § 902 ZPO hinaus. Allerdings erfordert dies eine ausdrückliche Anordnung des Insolvenzgerichts auf Antrag des Schuldners, gegebenenfalls in Verbindung mit einer einstweiligen Anordnung gemäß § 732 Abs. 2 ZPO (vgl. Richter in Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenz, 2. Aufl., § 906 ZPO Rn. 16, 27). Auch hierzu hat das Beschwerdegericht keine Feststellungen getroffen.
18c) Hinsichtlich der Kostenentscheidung weist der Senat darauf hin, dass im Beschwerdeverfahren nach allgemeiner Meinung auch im Insolvenzverfahren eine Kostenentscheidung gemäß § 4 Satz 1 InsO, §§ 91 ff, 97 ZPO geboten ist, wenn ein Beschwerdegegner vorhanden ist (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl., § 6 Rn. 83 mwN; HK-InsO/Sternal, 11. Aufl., § 6 Rn. 41). Dies ist im Streitfall der Fall. Der , WM 2010, 2122 Rn. 37) betrifft eine Vergütungsbeschwerde, an der nur der Insolvenzverwalter beteiligt war und es an einem Beschwerdegegner fehlte. In diesem Fall scheidet eine Kostenerstattung aus, weil sich Staat und Verwalter im Beschwerdeverfahren nicht kontradiktorisch als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen ( aaO; MünchKomm-InsO/Ganter/Bruns, aaO).
Schoppmeyer Röhl Selbmann
Harms Weinland
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:120924BIXZB9.24.1
Fundstelle(n):
XAAAJ-78384