BVerwG Urteil v. - 2 WD 6/24

Dienstgradherabsetzung wegen Verstoßes gegen die nachwirkende Verfassungstreuepflicht durch reichsbürgertypisches Verhalten

Leitsatz

Für die disziplinarische Verfolgung eines unwürdigen Verhaltens im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG kommt es darauf an, ob der frühere Unteroffizier oder Offizier zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch wiederverwendungsfähig ist.

Gesetze: § 23 Abs 2 Nr 2 Alt 2 SG, § 23 Abs 2 Nr 2 Alt 1 SG, § 10 Abs 1 SG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 6 Abs 1 S 1 MRK, § 58 Abs 5 WDO 2002, § 62 Abs 1 S 1 WDO 2002

Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: S 8 VL 41/22

Tatbestand

1Das Verfahren betrifft Verstöße gegen die nachwirkende Verfassungstreuepflicht durch reichsbürgertypisches Verhalten.

21. Der ... geborene frühere Soldat trat nach einer Elektromechanikerlehre 1973 als Eignungsübender in die Bundeswehr ein, wurde 1974 Zeit- und 1980 Berufssoldat. Nach bestandener Meisterprüfung im Radio- und Fernsehtechnikhandwerk wurde er überwiegend als Luftverkehrsavionik- und Luftfahrzeugselektronikprüfungsfeldwebel eingesetzt. Zuletzt wurde er 1995 zum Stabsfeldwebel befördert. 2007 wurde er in den Ruhestand versetzt.

3Der frühere Soldat erhielt während seiner Dienstzeit das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold, das Leistungsabzeichen "Leistungen im Truppendienst" in Gold, die Tätigkeitsabzeichen "Schützenschnur in Gold" und "Technisches Personal", eine förmliche Anerkennung und eine Geldprämie.

4In seiner planmäßigen Beurteilung aus dem Jahr 2000 erzielte er auf der Notenskala von 1 bis 7 dreimal die Bewertung "6" (Leistungen übertreffen sehr deutlich die Anforderungen) und in den übrigen dreizehn Einzelmerkmalen die Bewertung "5" (Leistungen übertreffen erheblich die Anforderungen). Er sei besonnen, sehr verantwortungsvoll, habe gepflegte Umgangsformen und eine überaus hohe Fachkenntnis. In seiner letzten Beurteilung vom in der "Neufassung der Beurteilung - Aufrechterhaltungsvermerk" vom erzielte er in den Einzelmerkmalen ebenfalls überwiegend die Bewertung "5" und teils die Bewertung "6"; eine Förderung wurde mit besonderem Nachdruck empfohlen.

5Der frühere Soldat ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Sein Ruhegehalt beläuft sich abzüglich einer verfügten Einbehaltung von 15 % auf knapp 2 300 € netto. Er erhält zudem eine monatliche Aufwandsentschädigung von etwa 288 € für eine ehrenamtliche Lehrtätigkeit in einem Berufsförderungszentrum und eine monatliche Altersrente von ca. 70 €. Seine Ehefrau bezieht eine monatliche Rente von rund 900 €. Der frühere Soldat wohnt in einem Eigenheim und hat monatliche Kosten von etwa 300 € für eine Solaranlage und von ca. 250 € für Kredite. Bis 2016 war er im Gemeindevorstand der Neuapostolischen Kirche in ... tätig, in der er sich weiterhin engagiert.

62. Der frühere Soldat ist strafrechtlich und disziplinarisch nicht vorbelastet. Von der Einleitung eines zum Anschuldigungspunkt 5 sachgleichen Ermittlungsverfahrens wegen Volksverhetzung sah die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom gemäß § 152 Abs. 2 StPO ab. Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse wurde mit Verfügung vom gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

73. In dem am eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der frühere Soldat am wie folgt angeschuldigt:

"1. Der frühere Soldat stellte am beim Landratsamt ..., ..., ..., den 'Antrag F' auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis) des Bundesverwaltungsamtes und gab im Rahmen des Antrags an, dass er am ... im Königreich Bayern geboren worden sei, wodurch er die rechtliche Existenz der im Jahre 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland leugnet, was er wusste oder zumindest hätte erkennen können und müssen.

2. Der frühere Soldat fügte dem Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit unter Ziffer 1 die 'Anlage V - Vorfahren' bei und gab im Rahmen dieser Anlage an, dass sein Vater ... am ... im Königreich Bayern geboren worden sei, womit er die endgültige Beendigung des Königreichs Bayern im Jahr 1918 und dadurch die Existenz des Bundeslandes Bayern als verfassungsmäßiger Teil der Bundesrepublik Deutschland leugnet, was er wusste oder zumindest hätte erkennen können und müssen.

3. Der frühere Soldat schickte am um 17:52 Uhr per Fax unter dem Absender 'Religionsgemeinschaft heilsamer Weg e.V.i.G.' ein eigenhändig unterzeichnetes Schreiben an den damaligen Landrat des Landkreises ..., Herrn E., in dem er diesen in Kenntnis setzte, dass er '[ ... ] fristgerecht innerhalb von zehn Jahren, der im Jahr 2007 von der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebrachten völkergewohnheitsrechtlichen Übung, nämlich die Gebietskörperschaften der Städte und Gemeinden Deutschlands in Firmen umzuwandeln, hiermit ex tunc [widerspricht] [ ... ]', womit er ausdrückte, was er wusste oder zumindest hätte erkennen können und müssen, dass den Städten und Gemeinden von der Bundesrepublik Deutschland als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung die durch Artikel 28 des Grundgesetzes verfassungsmäßig gewährte Garantie auf kommunale Selbstverwaltung genommen werden sollte.

4. In dem unter Ziffer 3 genannten Schreiben forderte der frühere Soldat die Bundesrepublik Deutschland außerdem auf, 'unsere Gebietskörperschaften treuhändisch analog der HLKO so lange weiter zu verwalten bis unser Heimatstaat seine volle Souveränität zurückerhalten hat', wobei er mit Heimatstaat das Königreich Bayern meinte, und womit er ausdrückt, dass das verfassungsgemäß zur Bundesrepublik Deutschland gehörende Bundesland Bayern gegenüber der Bundesrepublik Deutschland souverän ist, was er wusste oder hätte erkennen können und müssen.

5. Der frühere Soldat zeigte am gegen 18:45 Uhr im Rahmen der Kundgebung 'Wir für die Freiheit - gegen Coronamaßnahmen' am ... in ..., bewusst ein Holzschild mit der Aufschrift: 'Wir haben nur Befehle befolgt. 1945 - KZ Aufseher, 1990 - Mauerschützen, 2021 - Polizisten', wodurch er das Unrecht von Aufsehern von Konzentrationslagern im NS-Regime und den sogenannten Mauerschützen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik mit der rechtmäßigen Durchsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie durch die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland gleichstellt."

84. Das Truppendienstgericht hat dem früheren Soldaten mit Urteil vom das Ruhegehalt aberkannt. Alle Anschuldigungen seien erwiesen.

9Die Angaben im Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit zur Geburt und zum Wohnsitz im Königreich Bayern gemäß den Anschuldigungspunkten 1 und 2 seien reichsbürgertypisch. Der frühere Soldat habe keinen plausiblen Grund aufzeigen können, weshalb er den Staatsangehörigkeitsausweis beantragt und benötigt habe. Seiner behaupteten Verunsicherung infolge von Angaben des bayerischen Innenministeriums im Internet hätte er durch Recherchen begegnen können. Auch stehe nach Verlesung einer in einer Sitzungspause vom Sachgebietsleiter für Personenstands- und Ausländerwesen im Landratsamt ..., Herrn D., eingeholten Stellungnahme in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung fest, dass dieser den früheren Soldaten nicht - wie behauptet - bei der Antragstellung unterstützt habe.

10Das in den Anschuldigungspunkten 3 und 4 genannte, unter dem Briefkopf der "Religionsgemeinschaft heilsamer Weg" verfasste und vom früheren Soldaten angeblich im Internet als Muster gefundene Schreiben, das er an den Landrat des Landkreises ... gefaxt habe, laute:

"wir Männer und Weiber setzen Sie in Kenntnis, daß wir, indigene Deutsche mit festgestellter Staatsangehörigkeit unserer Personen nach Abstammung (siehe Register EStA - Entscheidungen in Staatsangehörigkeitsangelegenheiten), fristgerecht innerhalb von zehn Jahren, der im Jahr 2007 von der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebrachten, völkergewohnheitsrechtlichen Übung, nämlich die Gebietskörperschaften der Städte und Gemeinden Deutschlands in Firmen umzuwandeln, hiermit ex tunc widersprechen. Die Unterzeichnerin in ihrer Rolle als aktiv legitimierte Grundrechtsträger untersagen den grundrechtsverpflichteten Organen und Behörden der Bundesrepublik Deutschland die Privatisierung unseres Bodens, der geschützt ist, durch Artikel 25 GG i.V.m. der HLKO und fordern die Bundesrepublik Deutschland auf unsere Gebietskörperschaften treuhändisch analog der HLKO so lange weiter zu verwalten bis unser Heimatstaat seine volle Souveränität zurück erhalten hat.

Des Weiteren ersuchen wir indigene Deutsche die Vereinigten Staaten von Amerika, die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Französische Republik und die Volksrepublik China sowie alle Staaten, die mit Deutschland (Deutsches Reich) im Krieg stehen, einen Friedensvertrag zu schließen und somit den Weltkrieg mit dem ehrbaren Ziel zu beenden, den Frieden in der Welt wieder herzustellen.

..., den

Hochachtungsvoll

..., ... EStA-Nr.: ..."

11Die "Religionsgemeinschaft heilsamer Weg" stehe exemplarisch für diverse Gruppen der Reichsbürgerszene. Zwar sei zu Gunsten des früheren Soldaten davon auszugehen, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, ein Schreiben einer Gruppierung der Reichsbürgerszene zu teilen, und dass er einzelne Formulierungen darin nicht habe nachvollziehen können. Es liege aber fern, dass er nur habe ausdrücken wollen, gegen die Privatisierung zu sein. Dem Schreiben sei deutlich erkennbar ein fehlendes Vertrauen in den Staat bis hin zu dessen Delegitimierung zu entnehmen. Da der frühere Soldat keinen triftigen Grund habe nennen können, weshalb er das Schreiben verschickt und sich damit den Inhalt zu eigen gemacht habe, könne nur geschlussfolgert werden, dass es ihm um diese Delegitimierung gegangen sei und er den gesetzten Anschein zumindest gebilligt habe.

12Der frühere Soldat habe sich von seinem Antrag und seinem Fax gegenüber den betroffenen Behörden nicht distanziert. Seine Distanzierung von Reichsbürgern in einer Versammlungsanmeldung aus dem Jahr 2020 stehe unter dem Verdacht, taktischer Natur zu sein.

13Zum Anschuldigungspunkt 5 habe der frühere Soldat zwar ausgeführt, er habe Polizisten lediglich warnen wollen, Befehle blind zu befolgen. Dies habe die Kammer ihm aber nicht abgenommen. Sie sehe eine gezielte Diffamierung und eine nicht hinnehmbare Gleichsetzung von legalem Exekutivhandeln im Rahmen der Bekämpfung einer Viruspandemie mit dem Unrecht einer Diktatur. Zudem habe der frühere Soldat mit der Gleichsetzung von KZ-Aufsehern im Jahr 1945 und Polizisten im Jahr 2021 das Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten relativiert. Es bestehe kein Zweifel, dass er gewusst und gewollt habe, was er getan habe.

14Wegen der Summe der Vorwürfe und mangels eines nachvollziehbaren Grundes für sein Tun sei davon auszugehen, dass es Ausdruck einer illoyalen Einstellung zu den Grundprinzipien des Grundgesetzes gewesen sei.

15Mit dem zu den Anschuldigungspunkten 1 bis 4 festgestellten Verhalten habe der frühere Soldat, der damals das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe, ein vorsätzliches Dienstvergehen nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 und 2 SG begangen, mit seinem Verhalten gemäß Anschuldigungspunkt 5, der nach Vollendung des 65. Lebensjahres stattgefunden habe, ein vorsätzliches Dienstvergehen nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG.

16Erkenne ein früherer Unteroffizier die verfassungsmäßige Ordnung nicht mehr an und betätige er sich vorsätzlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, sei Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme, hier die Aberkennung des Ruhegehalts. Davon sei bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände nicht abzuweichen.

175. Mit seiner unbeschränkten Berufung begehrt der frühere Soldat einen Freispruch, hilfsweise eine Ruhegehaltskürzung. Sein Antrag und das Fax beruhten darauf, dass er wegen gesundheitlicher und familiärer Belastungen zum "Abschalten" im Internet gesurft und infolge von Angaben des bayerischen Innenministeriums im Internet gezweifelt habe, ein echter Deutscher zu sein. Er habe sich in dem Antrag nicht auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz berufen. Ein "sentimental-heimatkundliches" Berufen auf ein Königreich Bayern habe in Bayern "Volkssportcharakter". Das könne ihm nicht vorgeworfen werden, weil eine bayerische Staatsangehörigkeit in der bayerischen Landesverfassung geregelt sei. Die Forderung nach einer Einführung einer Monarchie in Bayern sei mit Art. 28 GG vereinbar. Das Fax befasse sich mit dem rechtlichen Status von Gebietskörperschaften und enthalte keine reichsbürgertypischen Inhalte. Er habe auch keine verfassungsfeindliche Gesinnung. Er habe sich in Versammlungsanmeldungen im Jahr 2020 von der Reichsbürgerbewegung distanziert. Seine Taten seien analog des Grundsatzes "nulla poena sine lege" keine Dienstpflichtverletzungen, weil sie zeitlich vor der Beobachtung der Reichsbürgerszene durch den Verfassungsschutz lägen. Er habe einem Verbotsirrtum unterlegen. Zudem sei ihm keine Gelegenheit gegeben worden, über sein Verhalten nachzudenken. Obwohl das Landratsamt seine Antragstellung 2016 gemeldet habe, seien erst 2021 disziplinare Ermittlungen gegen ihn aufgenommen worden. Die Beschriftung des Holzschildes sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Unter Berücksichtigung der Art der vorgeworfenen Handlungen, seiner beruflichen Verdienste, seines ehrenamtlichen Engagements und des langen Zurückliegens der Taten sei die Höchstmaßnahme unverhältnismäßig.

186. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft hält die Aberkennung des Ruhegehalts für angemessen.

197. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten, zur Anschuldigung und Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Für die Zeugenaussagen und die in das Verfahren eingeführten Unterlagen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.

Gründe

20Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Da sie in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung aufgrund eigener Tat- und Schuldfeststellungen über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Danach ist eine Herabsetzung des früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Hauptfeldwebels a.D. angemessen.

211. Einer Sachentscheidung steht § 121 Abs. 2 WDO nicht entgegen.

22a) Zwar hat das Truppendienstgericht Verfahrensfehler begangen. Denn die Verlesung der in einer Sitzungspause eingeholten E-Mail des Sachgebietsleiters für Personenstands- und Ausländerwesen im Landratsamt ..., Herrn D., in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung verstieß mangels eines vorherigen Beschlusses der Truppendienstkammer gegen § 106 Abs. 2 Satz 5 WDO i. V. m. § 251 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO (vgl. - juris Rn. 7). Zudem lagen die Voraussetzungen des eine vernehmungsersetzende Verlesung ausnahmsweise gestattenden § 106 Abs. 2 Satz 5 WDO i. V. m. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO nicht vor. Denn weder der frühere Soldat noch sein Verteidiger noch die Wehrdisziplinaranwaltschaft hatten zuvor ihr Einverständnis mit der Verlesung der E-Mail ausdrücklich erteilt. Auch eine stillschweigende Zustimmung lag nicht vor. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Verfahrensgestaltung davon ausgegangen werden darf, dass sich alle Verfahrensbeteiligten der Tragweite ihres Schweigens bewusst waren ( - NJW 2019, 3736 Rn. 8). Daran fehlt es. Denn zu keinem Zeitpunkt war eine auf § 106 Abs. 2 Satz 5 WDO i. V. m. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO gestützte oder durch Einverständnis legitimierte Verlesung der E-Mail thematisiert worden. Auch liegt die Annahme nahe, dass die Aufklärungspflicht des Gerichts nach § 106 Abs. 1 WDO die Vernehmung des Herrn D. als Sachzeugen geboten hätte (vgl. - juris R. 8).

23b) Bei Aufklärungsmängeln übt der Senat jedoch das ihm durch § 121 Abs. 2 WDO eingeräumte Ermessen nur dann im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung aus, wenn die Sachaufklärung erstinstanzlich gar nicht erst begonnen wurde oder weitgehend unzulänglich war ( 2 WD 14.17 - juris Rn. 18). Ein solcher Fall liegt nicht vor. Denn das Truppendienstgericht hat sich um die Aufklärung der Umstände der Antragstellung bemüht, indem es die Hauptverhandlung unterbrochen, die E-Mail des Herrn D. eingeholt und in der Hauptverhandlung verlesen hat. Die dabei begangenen Verfahrensfehler sind nicht schwer im Sinne des § 121 Abs. 2 WDO. Es handelt sich nicht um Fehler, die in einem Strafverfahren einen absoluten Revisionsgrund darstellen würden (vgl. § 338 StPO). Sie gebieten auch unter Berücksichtigung dessen, dass in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung kein Beteiligter eine Vernehmung des Herrn D. als Zeugen beantragt hatte, aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung keine Zurückverweisung.

242. In tatsächlicher Hinsicht sind alle Anschuldigungen erwiesen.

25a) Dies gilt zunächst für die Anschuldigungspunkte 1 und 2. Der in der Berufungshauptverhandlung im Original eingesehene, vom früheren Soldaten am unterzeichnete "Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis)" nebst Anlage V enthält die ihm vorgeworfenen Einträge zur eigenen Geburt im "Königreich Bayern" am sowie zur Geburt seines Vaters im "Königreich Bayern" am . Der frühere Soldat hat bestätigt, die Eintragungen wissentlich und willentlich selbst vorgenommen und den Antrag persönlich im Landratsamt ... abgegeben zu haben, wo er laut Eingangsvermerk am einging.

26Die Behauptung des früheren Soldaten, der Sachgebietsleiter D. habe ihm beim Ausfüllen des Antrags geholfen, hat sich als unzutreffend herausgestellt. Denn der Zeuge D. hat in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft erklärt, sich an den früheren Soldaten nicht zu erinnern und ihn lediglich bei der Ausgabe des Ausweises vermutlich kurz gesehen zu haben; der frühere Soldat habe den Antrag wohl bei seinem Mitarbeiter Herrn B. abgegeben. Seine Rücksprache mit diesem habe ergeben, dass dieser sich ebenfalls nicht an den früheren Soldaten erinnere. Auf Vorhalt des Verteidigers, dass der frühere Soldat angegeben habe, im Landratsamt zur Antragstellung beraten worden zu sein, hat der Zeuge D. erläutert, dass das nicht zutreffe und dies definitiv auch nicht der Mitarbeiter B. gewesen sein könne, da dieser die Anträge nur entgegennehme und nicht prüfe.

27b) Die Anschuldigungspunkte 3 und 4 stehen in tatsächlicher Hinsicht ebenfalls fest. Das Fax, das ausweislich der Empfangszeile am um 17:52 Uhr vom privaten Telefaxgerät des früheren Soldaten gesandt wurde und an den Landrat E. des Landkreises ... adressiert war, enthält die dem früheren Soldaten vorgeworfenen Formulierungen als Bestandteile des vom Truppendienstgericht festgestellten, oben zitierten Gesamttextes.

28Des Weiteren steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem Fax ein Musterschreiben zugrunde liegt, welches der frühere Soldat der in der Berufungshauptverhandlung in Augenschein genommenen Website http://www.holger-ditzel.de/rg-heilsamer-weg.html entnahm, entsprechend der Anleitung auf der Website vervollständigte und nach den dortigen Vorgaben versandte. Zwar hat der frühere Soldat in der Berufungshauptverhandlung zunächst erklärt, diese Website nicht zu kennen. Auf Vorhalt des Senats und Anzeige des Musterschreibens auf der Website hat er dann aber eingeräumt, entsprechend der Anleitung auf der Website den Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit gestellt, nach Erhalt des Staatsangehörigkeitsausweises vom Bundesverwaltungsamt die EStA-Nummer erbeten, diese mit seinem Namen in das Musterschreiben eingetragen und schließlich an den Landrat des Landkreises ... gefaxt zu haben.

29c) Anschuldigungspunkt 5 ist in tatsächlicher Hinsicht aufgrund des durch Inaugenscheinnahme zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemachten Fotos, welches das Geschehen wiedergibt, ebenfalls erwiesen.

303. Das zu den Anschuldigungspunkten 1 bis 4 festgestellte Verhalten des früheren Soldaten kann zwar entgegen der Annahme des Truppendienstgerichts nicht als Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG verfolgt werden. Es gilt aber gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG als Dienstvergehen. Demgegenüber ist das Verhalten gemäß Anschuldigungspunkt 5 disziplinarisch nicht relevant.

31a) Die Durchführung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen den früheren Soldaten wegen einer Verletzung der Pflicht zu nachdienstlichem achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG ist unzulässig.

32Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat zwar mit Recht darauf hingewiesen, dass der frühere Soldat zum Zeitpunkt der angeschuldigten Pflichtverletzung noch unter 65 Jahre alt und damit wiederverwendungsfähig war. Der Wortlaut des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG ließe es auch zu, allein auf die Pflichten zum Zeitpunkt des angeschuldigten Geschehens abzustellen und die Frage auszublenden, ob der Betroffene zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch wiederverwendungsfähig ist. Dies widerspräche jedoch der rein präventiven Zielsetzung des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG. Sinn und Zweck eines disziplinargerichtlichen Verfahrens gegen einen aus dem Wehrdienst ausgeschiedenen Offizier oder Unteroffizier wegen eines unwürdigen Verhaltens ist es, seine mögliche Wiederverwendung im bisherigen Vorgesetztendienstgrad zu verhindern, um die moralische Integrität des Reserveoffiziers- und Reserveunteroffizierkorps zu gewährleisten ( 2 WD 72.80 - BVerwGE 73, 148 <150> und Beschluss vom - 2 WDB 4.95 - BVerwGE 103, 237 <238>). Dadurch soll eine eignungsgerechte personelle Besetzung von Offizier- und Unteroffizierstellen auch bei Wehrübungen und nicht zuletzt im Verteidigungsfall gewährleistet und damit zugleich die Erfüllung des Verteidigungsauftrags der Bundeswehr gesichert werden (vgl. 2 WDB 8.02 - NZWehrr 2003, 81 <82> m. w. N.). Daher verbietet sich eine disziplinarrechtliche Ahndung in all den Fällen, in denen eine Wiederverwendung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung definitiv für die Zukunft dauernd ausgeschlossen ist (vgl. 2 WD 72.80 - BVerwGE 73, 148 <150>; Beschluss vom - 2 WDB 8.02 - NZWehrr 2003, 81 <82>).

33Bei dem zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 16) über 65 Jahre alten früheren Soldaten scheidet wegen seines Alters selbst eine theoretische Wiederverwendungsmöglichkeit aus (vgl. 2 WDB 1.18 - NVwZ-RR 2019, 604 Rn. 8), so dass eine disziplinargerichtliche Verurteilung nicht mehr zu bewirken vermag, was sie nach dem erläuterten Sinn und Zweck des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG verhindern soll (vgl. 2 WDB 4.95 - BVerwGE 103, 237 <238 f.>).

34b) Das Verhalten des früheren Soldaten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 bis 4 gilt aber nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG als Dienstvergehen.

35aa) Dass er im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung das 65. Lebensjahr bereits vollendet hat und deshalb nicht mehr als Vorgesetzter wiederverwendet werden kann, ist entscheidungsunerheblich, weil sich dieses Tatbestandserfordernis auf § 23 Abs. 2 Nr. 2 in der Alternative 2 SG beschränkt (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 16 m. w. N.).

36bb) § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG statuiert eine nachwirkende Verfassungstreuepflicht. Danach ist es einem Offizier oder Unteroffizier auch nach dem Ausscheiden aus dem Wehrdienst untersagt, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu betätigen. Der Gesetzgeber hat dadurch aus dem für aktive Soldaten geltenden Pflichtenkreis des § 8 SG einen Teilbereich auch für die Zeit nach dem Dienstzeitende mit einer Sanktionsdrohung versehen und verdeutlicht, dass er der Erfüllung dieser Pflicht auch über das Dienstzeitende hinaus hohe Bedeutung beimisst. Er trägt damit dem schützenswerten Interesse Rechnung, dass auch Reservisten für die Bundeswehr untragbar werden können, wenn sie elementare Pflichten verletzen und so die Grundlage des Vertrauens in ihre Integrität und Zuverlässigkeit als Grundlage ihrer Wiederverwendung schwer beeinträchtigen oder gar zerstören (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 17 m. w. N.).

37Diese Verpflichtung richtet sich nur gegen den nach § 10 Abs. 1 SG besonders verpflichteten Personenkreis - Offiziere und Unteroffiziere - und betrifft nur Handlungen, die in besonders intensiver Weise gegen die Verfassungstreuepflicht verstoßen. Denn während der aktive Soldat die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht nur anerkennen (§ 8 Alt. 1 SG), sondern auch für deren Erhaltung eintreten muss (§ 8 Alt. 2 SG), verlangt § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG von früheren Offizieren und Unteroffizieren lediglich, sich gegen sie jedenfalls nicht zu betätigen. Dieser restriktiven, auf reduzierte Anforderungen an die Verfassungstreuepflicht gerichteten Zielsetzung ist bei der Auslegung des Begriffs des Betätigens Rechnung zu tragen. Zum einen dergestalt, dass aktive Handlungen erforderlich sind, zum anderen dergestalt, dass die Verletzung der Verfassungstreuepflicht besonders schwerwiegend sein muss ( 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 18 m. w. N.).

38Dies setzt bei früheren Soldaten - wie bei Ruhestandsbeamten (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BBG, § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BeamtStG) - Aktivitäten feindseliger Art voraus. Dazu zählen Agitationen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung herabsetzen, verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und Institutionen diffamieren und zum Bruch geltender Gesetze auffordern, mithin nicht den Staat und seine Staatsorgane lediglich kritisieren, sondern deren Legitimität in Frage stellen (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 19 m. w. N.).

39Dabei liegt eine Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG nicht nur dann vor, wenn abstrakt eine Abschaffung zentraler Grundprinzipien gefordert wird, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind ( 2 WD 3.18 - BVerwGE 163, 16 Rn. 74 und vom - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 28, 37). Vielmehr bezieht sich das Dienst- und Treueverhältnis von Soldaten, Beamten und anderen Hoheitsträgern nach Art. 33 Abs. 4 GG auch auf den konkreten Verfassungsstaat, seine gegenwärtigen Institutionen und seine demokratisch legitimierten Repräsentanten (vgl. - BVerfGE 39, 334 <348>).

40Ob sich ein früherer Soldat gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG betätigt, ist objektiv zu bestimmen. Maßgeblich ist das äußere Geschehen. Ob die Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung subjektiv betrachtet feindselig motiviert, vorsätzlich oder nur fahrlässig erfolgt ist, ist eine Frage des auch bei fiktiven Dienstvergehen erforderlichen Verschuldens (§ 23 Abs. 1 SG) und für die disziplinarrechtliche Maßnahmebemessung bedeutsam (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 23).

41cc) Nach Maßgabe dessen hat sich der frühere Soldat mit seinem zu den Anschuldigungspunkten 1 bis 4 festgestellten Verhalten objektiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt.

42(1) Bei der disziplinarrechtlichen Würdigung von Bekundungen ist von dem objektiven Erklärungsgehalt auszugehen, wie ihn ein unbefangener Dritter verstehen muss. Dabei sind alle Begleitumstände einschließlich des Kontextes und der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene, auf der sich die Bekundung bewegt, zu berücksichtigen. Maßgeblich ist nicht die subjektive Absicht des früheren Soldaten, sondern der Sinn, den die Bekundung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Dritten hat (vgl. - NJW 2022, 769 Rn. 17 m. w. N.; 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 25). Bei mehrdeutigen Bekundungen müssen andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden, bevor ihnen eine zu einer Sanktionierung führende Bedeutung zugrunde gelegt wird (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 25 m. w. N.).

43(2) Mit seinen Angaben im Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und den Formulierungen in dem von ihm versandten Fax hat der frühere Soldat - objektiv - die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren verfassungsmäßige Ordnung negiert und den Eindruck einer hohen Identifikation mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung erweckt.

44Denn ein ... geborener Soldat, der 2016 einen Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit stellt und darin "Königreich Bayern" als seinen Geburtsstaat und Wohnsitzstaat einträgt und entsprechende Angaben zum Geburtsstaat seines ... geborenen Vaters macht, bringt damit bei objektiver Auslegung zum Ausdruck, dass er vom Fortbestand des Königreichs Bayern ausgeht und die Bundesrepublik Deutschland rechtlich nicht existiert (vgl. 2 A 7.21 - BVerwGE 174, 219 Rn. 30 m. w. N. und vom - 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 24).

45Zwar hat der frühere Soldat in dem Antragsformular an anderer Stelle als Staat, in dem er als Soldat Dienst geleistet hat, "Deutschland" eingetragen und erklärt, neben einer Staatsangehörigkeit zum Königreich Bayern eine "deutsche Staatsangehörigkeit" zu besitzen. Damit ist aber bei objektiver Betrachtung keine Zugehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland gemeint, sondern zum Deutschen Reich, weil der Fortbestand des Königreichs Bayern einen Fortbestand des Deutschen Reichs impliziert. Dieser Eindruck wird dadurch bestärkt, dass der frühere Soldat die Rubrik zum Besitz deutscher Ausweise nicht ausgefüllt hat.

46Daran ändert nichts, dass der frühere Soldat im Antragsformular angekreuzt hat, dass er und sein Vater "neben" der deutschen Staatsangehörigkeit eine weitere Staatsangehörigkeit "Königreich Bayern" besitzen. Damit hat er bei objektivem Verständnis nicht etwa beansprucht, dass er und sein Vater neben einer aus dem Recht der Bundesrepublik Deutschland abgeleiteten deutschen Staatsangehörigkeit eine weitere "Staatsangehörigkeit" zum Königreich Bayern besitzen. Vielmehr hat er damit angesichts seiner weiteren Angaben objektiv allenfalls zum Ausdruck gebracht, von einer aus der "Staatsangehörigkeit" zum Königreich Bayern abgeleiteten deutschen Staatsangehörigkeit auszugehen (vgl. 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 25).

47Auch der Inhalt des Faxes lässt bei objektiver Betrachtung darauf schließen, dass der frühere Soldat als Unterzeichner vom Fortbestand des Deutschen Reiches ausgeht. Zwar wird in dem Fax mehrfach die "Bundesrepublik Deutschland" erwähnt: Die Bundesrepublik Deutschland habe 2007 eine völkerrechtliche Übung auf den Weg gebracht, den grundrechtsverpflichteten Organen und Behörden der Bundesrepublik Deutschland werde die Privatisierung des Bodens untersagt und die Bundesrepublik Deutschland werde aufgefordert, die Gebietskörperschaften treuhänderisch zu verwalten. Dies lässt aber nicht auf eine Anerkennung der Legitimität der Bundesrepublik Deutschland durch den Unterzeichner schließen. Vielmehr wird in dem Fax "Deutschland" explizit als "Deutsches Reich" definiert und ist zweimal von (gegenwärtig) "indigenen Deutschen" die Rede. Diese Formulierung ist im Kontext der Definition "Deutschland ist gemäß Art. 3 RV das Indigenat aller 26 Bundesstaaten des ewigen Bundes von 1871" auf der Website, von der die Faxvorlage stammt, zu sehen, die einen Fortbestand des Deutschen Reiches suggeriert.

48Dieser Eindruck wird insbesondere durch die Erläuterungen auf der genannten Website bestärkt, in denen vom Fortbestand des Deutschen Reiches, der Erhaltung der Reichszugehörigkeit durch Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises (Personalstand 1) und der BRD-Verwaltung die Rede ist, deren an sich völkerrechtlich unwirksame Gebietsverzichte und Verwaltungsmaßnahmen nur durch die Grundsätze des Gewohnheitsrechts (30-jährige Übung und Überzeugung der Rechtmäßigkeit) rechtswirksam werden könnten. Daher müssten die Reichsangehörigen durch Protestschreiben dem Entstehen einer allgemeinen Rechtsüberzeugung entgegenwirken. Darin bestehe der Zweck des vorformulierten Musterschreibens.

49Der frühere Soldat hat mit seinen Angaben im Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und mit den im Kontext der Erläuterungen auf der genannten Website zu sehenden Formulierungen in dem von ihm versandten Fax den Eindruck einer hohen Identifikation mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung erweckt. Unter den Begriff "Reichsbürger" fallen Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - u. a. Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren. Ihr verbindendes Element ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden Rechtsordnung (vgl. Verfassungsschutzbericht 2020 des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, S. 112 und 115). Personen aus diesem Bereich beantragen typischerweise einen Staatsangehörigkeitsausweis, weil sie dem Personalausweis und Reisepass der Bundesrepublik Deutschland die Gültigkeit absprechen (vgl. 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 26).

50Daran ändert auch der Grundsatz "nulla poena sine lege" nichts, der grundsätzlich im Disziplinarrecht Anwendung findet (vgl. - BVerfGK 13, 472 Rn. 40). Mit § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG bestand im Hinblick auf die vorgeworfenen Handlungen zur Tatzeit eine ausreichende Rechtsgrundlage. Dem steht nicht entgegen, dass das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die gesamte sog. Reichsbürgerszene erst rund acht Monate nach dem Eingang des Antrags des früheren Soldaten auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und nur knapp zwei Monate vor dem vom früheren Soldaten versandten Fax mit Wirkung zum zum Sammelbeobachtungsobjekt erklärt hat (vgl. LT-Drs. 17/21106 S. 2) und das Bundesamt für Verfassungsschutz erst am das Sammelbeobachtungsobjekt "Reichsbürger und Selbstverwalter" einrichtete (vgl. BT-Drs. 19/539 S. 2). Denn der disziplinare Vorwurf besteht nicht in einem Verhalten, das typisch für eine durch den Verfassungsschutz beobachteten Gruppierung ist, sondern in einem Verhalten, das ein objektiver Dritter als Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstehen durfte.

51(3) Das zu den Anschuldigungspunkten 1 bis 4 festgestellte Verhalten des früheren Soldaten stellt auch eine Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG dar. Denn der frühere Soldat hat damit zweimal mit Nachdruck gegenüber einer Behörde und einem Amtsträger aktiv gehandelt. Seine Bekundungen verstoßen auch in besonders intensiver Weise gegen die Verfassungstreuepflicht, weil er damit seinem "Heimatstaat" – worunter bei objektiver Auslegung im genannten Kontext nicht das Königreich Bayern, sondern die Bundesrepublik Deutschland zu verstehen ist - die Legitimität abspricht.

52dd) Demgegenüber hat sich der frühere Soldat mit dem erwiesenen Anschuldigungspunkt 5 nicht objektiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt.

53Die Aufschrift auf dem betreffenden Holzschild ist aus Sicht eines objektiven Dritten in dem Kontext, dass der frühere Soldat es am im Rahmen einer Kundgebung zum Thema "Wir für die Freiheit - gegen Coronamaßnahmen" mit sich führte, so zu verstehen, dass damit Kritik an der Umsetzung der in der Bundesrepublik Deutschland ergriffenen staatlichen Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie sowie ein Unbehagen über einen insoweit "blinden Gehorsam" ausgedrückt wurde. Mit der Auflistung "1945 - KZ-Aufseher, 1990 - Mauerschützen, 2021 - Polizisten" unter der gemeinsamen Überschrift "Wir haben nur Befehle befolgt", wurde objektiv der Vorwurf erhoben, sich wieder Zeiten anzunähern, in der es zur Umsetzung inakzeptabler staatlicher Maßnahmen gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen kam.

54Nicht hingegen ist das Holzschild deshalb als Verharmlosung des Holocausts und der Mauerschützen in der Deutschen Demokratischen Republik auszulegen, weil darin Zwangsmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes sowie des SED-Regimes der Deutschen Demokratischen Republik auf annähernd dieselbe Stufe herabgesetzt werden wie die staatlichen Schutzmaßnahmen gegen COVID-19 in der Bundesrepublik Deutschland. Denn die Kernaussage des Schildes ist ersichtlich die Kritik an den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Auflistung "1945 - KZ-Aufseher, 1990 - Mauerschützen, 2021 - Polizisten" wird lediglich provokativ eingesetzt, um dieser Kritik besonderes Gewicht zu verleihen. Die Zwangsmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes und des Regimes der Deutschen Demokratischen Republik werden mit dem Text auf dem Schild nicht verherrlicht; vielmehr warnt das Schild davor, sich solchen Zeiten anzunähern (vgl. auch 2 WDB 10.23 - NVwZ-RR 2024, 553 Rn. 36 f.).

55Ausgehend von diesem Aussagegehalt werden mit dem Schild die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Staatsorgane und die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind, nicht in Zweifel gezogen. Mit dem Schild wird auch nicht zum Bruch geltender Gesetze aufgefordert (vgl. auch 2 WDB 10.23 - NVwZ-RR 2024, 553 Rn. 36 ff.).

56Die Äußerung auf dem Schild fällt in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Denn dieses schützt jedwede durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnete Äußerung unabhängig davon, ob sie sich als wahr oder unwahr erweist, begründet oder grundlos, emotional oder rational, wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos ist ( - NJW 2018, 2861 Rn. 13 f. sowie 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 36). Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts, sofern sie - wie hier - noch nicht den Grad einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik erreicht ( 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 36 m. w. N.).

57ee) Der Senat ist allerdings nicht davon überzeugt, dass die objektiv verfassungswidrigen Bekundungen des früheren Soldaten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 bis 4 auch dessen innere Überzeugung widerspiegeln und er sich der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland innerlich nicht verpflichtet fühlte. Vielmehr ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Soldat den Antrag aus Provokationslust stellte.

58(1) Nach § 123 Satz 3 WDO, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 261 StPO hat das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Die für den Nachweis eines Umstandes erforderliche Überzeugungsgewissheit erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen, wobei der Beweis mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein muss. Allein damit wird die Unschuldsvermutung widerlegt ( 2 WD 8.15 - juris Rn. 19 f.).

59(2) Nach Maßgabe dessen ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Taten Ausdruck einer tatsächlich verfassungswidrigen Gesinnung des früheren Soldaten sind.

60Der frühere Soldat hat eine verfassungsfeindliche Gesinnung durchweg bestritten und nach den aus dem Jahr 2016 datierenden Taten keine weiteren Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die eine solche Gesinnung nahelegen. Auf Befragen hat er glaubhaft erklärt, auch niemanden zu kennen, der wie er einen Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit gestellt und ein entsprechendes Fax versandt habe. Der frühere Soldat ist des Weiteren bei keiner politischen Organisation tätig. Er hat auch keine nachgewiesenen Kontakte zu Angehörigen der Reichsbürgerszene. Aus den Berichten des Bundesamtes für den militärischen Abschirmdienst vom und der Kriminalpolizeiinspektion ... vom ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse, die für eine tatsächlich verfassungswidrige Gesinnung streiten könnten. Der frühere Soldat hat sich vielmehr in mehreren Anmeldungen von Versammlungen im Jahr 2020 und somit lange vor der Aufnahme der disziplinarischen Vorermittlungen gegen ihn aktenkundig jeweils ausdrücklich von Rechten, Verschwörungstheoretikern und Reichsbürgern distanziert und betont, mit diesen nicht "in einen Topf geworfen werden zu wollen".

61ff) Da der frühere Soldat aber aufgrund seines Alters und Bildungsstandes die Brisanz der in dem Antrag und in dem Fax liegenden Erklärungen erkannt haben muss, hat der Senat das Verhalten des früheren Soldaten, der keinen plausiblen Grund für sein Verhalten aufgezeigt hat, als bewusste Provokation der Behörde bewertet, so dass sein Verhalten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 bis 4 als vorsätzliches, wenngleich nicht von einer verfassungswidrigen Gesinnung getragenes Dienstvergehen im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG gilt.

62gg) Der frühere Soldat unterlag auch keinem unvermeidbaren Verbotsirrtum entsprechend § 17 Satz 1 StGB. Es kann dahinstehen, ob ihm - wie er geltend macht - bei den Taten die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun. Denn einen etwaigen Irrtum über die Pflichtwidrigkeit seines Handelns hätte er angesichts seiner Amtsstellung, seiner Vorbildung und seines dienstlichen Werdegangs unter Berücksichtigung ihm zugänglicher Informationsmöglichkeiten jedenfalls vermeiden können.

634. Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde. Es führt dazu, dass der Soldat gemäß § 58 Abs. 5, § 62 Abs. 1 Satz 1 WDO in den Dienstgrad eines Hauptfeldwebels a.D. herabzusetzen ist.

64a) Auf der ersten Stufe bestimmt der Senat zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

65Bei Soldaten, die in einem aktiven Dienstverhältnis stehen, ist bei objektiv verfassungsfeindlichen Verhaltensweisen und Kundgabeformen, die Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung sind, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme (vgl. 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 44). Demgegenüber bildet bei Verhaltensweisen, die nicht von einer verfassungsfeindlichen Gesinnung getragen wurden, aber den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit verfassungsfeindlichem Gedankengut vermitteln, die Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen (vgl. 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 46 und vom - 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 35). Dies gilt auch für Verhaltensweisen, die den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung vermitteln, weil deren verbindendes Element - wie aufgezeigt - die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden Rechtsordnung ist ( 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 44). Diese Maßstäbe sind entsprechend auf die disziplinarische Ahndung von Verhaltensweisen früherer Soldaten übertragbar, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigen (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 47 m. w. N.).

66Da der frühere Soldat den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit verfassungsfeindlichem Gedankengut erweckt hat, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung,

67b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung der auf der ersten Stufe angesetzten Regelmaßnahme gebieten. Liegt angesichts der be- und entlastenden Umstände ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlichen Bemessungskriterien zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht - wie bei einer Dienstgradherabsetzung - hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet. Danach ist hier eine einstufige Degradierung angemessen.

68Gegen den früheren Soldaten spricht, dass er sich mit den Angaben im Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und mit dem Versenden des Faxes gleich zweimal gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt hat. Nicht hingegen ist sein Dienstgrad als Unteroffizier erschwerend zu berücksichtigen. Denn § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG setzt bereits tatbestandlich den Dienstgrad voraus.

69Zu seinen Gunsten ist einzustellen, dass die Tathandlungen viele Jahre zurückliegen, ohne dass der frühere Soldat erneut auffällig wurde. Auch hat er sich insbesondere im Schlusswort in der Berufungshauptverhandlung reuig und einsichtig gezeigt. Für ihn sprechen ferner seine guten dienstlichen Leistungen während seiner Dienstzeit (vgl. 2 WD 35.09 - juris Rn. 37) sowie sein langjähriges ehrenamtliches Engagement.

70Nicht mildernd zu berücksichtigen ist hingegen die von ihm für den Tatzeitraum geltend gemachte Belastung durch eigene Krankheiten und solcher von Bekannten und Verwandten. Denn es ist kein Kausalzusammenhang zu den Taten erkennbar und die aufgezeigten Umstände begründeten auch keine so außergewöhnliche Belastungssituation, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher nicht vorausgesetzt werden konnte (dazu 2 WD 4.20 - NZWehrr 2022, 74 <79> m. w. N.).

71Bei einer Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ist eine einstufige Dienstgradherabsetzung angemessen.

72dd) Eine weitere Milderung der Disziplinarmaßnahme wegen einer ungerechtfertigten Verfahrensüberlänge ist nicht angezeigt.

73Zwar ist in Fällen, in denen - wie hier - eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme geboten ist, eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende, unangemessene Verfahrensdauer bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd zu berücksichtigen (vgl. 2 WD 18.19 - juris Rn. 75 m. w. N.).

74Auch weist das bei der Verfahrensdauer zu berücksichtigende disziplinarische Vorermittlungsverfahren (vgl. 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 41) eine ungerechtfertigte Überlänge von etwa dreieinhalb Monaten auf. Denn bei zureichenden Anhaltspunkten für den Anfangsverdacht eines schwerwiegenden Dienstvergehens sollte das gerichtliche Disziplinarverfahren bei einer dem Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) entsprechenden zügigen Durchführung der erforderlichen Anhörungen der Vertrauensperson und des Soldaten jedenfalls innerhalb eines angemessenen Bearbeitungszeitraums von drei Monaten eingeleitet werden (vgl. 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 44). Hier wurde das gerichtliche Disziplinarverfahren erst am rund sechseinhalb Monate nach Aufnahme der disziplinaren Vorermittlungen vom eingeleitet.

75Demgegenüber kann sich der frühere Soldat nicht darauf berufen, dass der Zeitraum zwischen der Zustellung der Einleitungsverfügung an ihn und dem Eingang der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht unangemessen lang war. Denn er hat in diesem Verfahrensstadium keinen Antrag beim Truppendienstgericht nach § 101 Abs. 1 Satz 1 WDO gestellt, um auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken (vgl. EGMR, Urteil vom - 8453/04, Bayer/Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 51; 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 42). Ebenso wenig weist das erstinstanzliche Verfahren eine ungerechtfertigte Überlänge auf. Denn dessen gut zwölfmonatige Dauer war mit Blick auf die durchschnittliche Schwierigkeit des Verfahrens und die erhebliche Bedeutung für den Soldaten wegen der im Raum stehenden Höchstmaßnahme angemessen.

76Jedoch wird die Überlänge des Vorermittlungsverfahrens durch das kurze Berufungsverfahren kompensiert. Denn Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist die Gesamtverfahrensdauer. Dies hat zur Folge, dass Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Vielmehr ist im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu prüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (vgl. 2 WD 2.22 - NVwZ-RR 2023, 288 Rn. 83). Dies ist der Fall. Denn das Berufungsverfahren, das aus den genannten Gründen binnen zwölf Monaten hätte erledigt werden sollen, hat nur knapp sieben Monate gedauert.

775. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens auf § 139 Abs. 3, § 140 Abs. 5 Satz 1 WDO und hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 138 Abs. 1 Halbs. 1 WDO. Gründe, die es gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 WDO unbillig erscheinen lassen, dem verurteilten früheren Soldaten auch die ihm im erstinstanzlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen, bestehen nicht.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:150824U2WD6.24.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-78204