BGH Urteil v. - VIa ZR 619/21

Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 12 U 61/21vorgehend LG Magdeburg Az: 10 O 967/20

Tatbestand

1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2 Er erwarb von der Beklagten einen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten Thermofensters temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR). Der Kläger hat zuletzt Zahlung in Höhe von 28.923,24 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen an seine Rechtsschutzversicherung (Berufungsantrag zu 3) begehrt sowie hinsichtlich des ursprünglich weitergehenden Zahlungsantrags den Rechtsstreit teilweise einseitig für erledigt erklärt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge betreffend eine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs weiter.

Gründe

3Die Revision des Klägers hat Erfolg.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstelle, das in seinem Fahrzeug verbaute sogenannte Thermofenster sowie die KSR seien als unzulässige Abschalteinrichtungen einzuordnen, reiche dies - ebenso wie bezüglich der weiteren behaupteten Abschalteinrichtung in Gestalt eines Timers - nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Eine Prüfstandsbezogenheit der vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtungen sei nicht dargetan. Vielmehr räume der Kläger letztlich selbst ein, dass hinsichtlich Thermofenster und KSR der Prüfstand nicht erkannt werde und die Einrichtungen - bei Vorliegen entsprechender Bedingungen - auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise funktionierten, während es für eine Prüfstandsbezogenheit des Timers an hinreichendem Vortrag fehle. Sonstige auf eine Sittenwidrigkeit hindeutende Umstände habe der Kläger gleichfalls nicht dargelegt. Die Beklagte hafte auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, weil die Bestimmungen der EG-FGV keine Schutzgesetze darstellten.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insofern auch keine konkreten Einwände.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

10Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11die erforderlichen

                              

                       

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:161024UVIAZR619.21.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-77816