BGH Urteil v. - VIa ZR 455/23

Instanzenzug: Az: VIa ZR 455/23 Beschlussvorgehend Az: I-17 U 170/20vorgehend Az: 12 O 282/19

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im November 2013 ein von der Beklagten hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW 118d Cabrio, das mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

2Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Antrag in mit Rücksicht auf die gefahrene Strecke reduzierter Höhe weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat nur insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Berufungsantrag im tenorierten Umfang weiter.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Unabhängig von der Rechtsfrage nach dem Bestehen eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte komme mit Rücksicht auf die geschätzte Laufleistung seit dem Erwerb des Fahrzeugs ein 22.271,25 € übersteigender Schadensersatz nicht in Betracht.

6Im Übrigen stehe der Klägerin ein Schadensersatz unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Voraussetzungen einer vorsätzlich sittenwidrigen Täuschung lägen nicht vor. Die Verwendung eines Thermofensters könne mangels Prüfstandsbezugs die Sittenwidrigkeit nicht begründen. Der Vortrag zu anderen prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtungen könne mit Rücksicht auf § 531 Abs. 1 ZPO keine Berücksichtigung finden. Auch habe die Klägerin insofern greifbare Anhaltspunkte nicht dargetan. Ebenso habe die Klägerin eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts „ins Blaue hinein“ behauptet. Ungeachtet dessen lasse sich auch mit Rücksicht auf das Vorbringen der Klägerin ein vorsätzlich sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht feststellen. Dazu fehle jede konkrete Grundlage.

7Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil es sich bei den genannten Bestimmungen der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91.    Es begegnet allerdings entgegen den Einwänden der Revision keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die seitens der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

102.    Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Möhring                          Götz                         Rensen

                  Wille                     Vogt-Beheim

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:161024UVIAZR455.23.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-77767