Instanzenzug: Az: 33 KLs 11/22
Gründe
1Mit der unverändert zugelassenen Anklage legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last, am mindestens 29 Kilogramm und am die doppelte Menge Marihuana (Wirkstoffgehalt neun bis 15,8 Prozent THC) von Spanien nach Deutschland eingeführt und hier gewinnbringend veräußert zu haben. Das Landgericht hat den Angeklagten von diesen Vorwürfen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
21. Nach den Feststellungen transportierte der wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorbestrafte Angeklagte als Fahrer einer Spedition wöchentlich Waren des Unternehmens B. von Spanien nach Deutschland. Er verschaffte sich eine zusätzliche Einnahmequelle, indem er vom Frachtauftrag nicht umfasste Ware (sogenannte Beiladung) mitnahm, die ebenfalls in Kartons dieses Unternehmens verpackt war. Am lud er nach Rückkehr aus Spanien auf dem Gelände einer Tankstelle in B. mindestens einen beigeladenen Karton in einen vom gesondert verfolgten P. angemieteten und gefahrenen Transporter um (Ziffer 1 der Anklageschrift). Am traf sich der Angeklagte nach Rückkehr aus Spanien wiederum mit P. auf dem Tankstellengelände und übergab ihm mindestens zwei beigeladene Kartons. Der gesondert verfolgte K. begleitete den Transporter in einem eigenen Fahrzeug (Ziffer 2 der Anklageschrift). Am kontrollierte der französische Zoll die Ladung des vom Angeklagten geführten Lkw und entdeckte in vier beigeladenen Kartons insgesamt 116,86 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens neun Prozent THC. Auf Anweisung von P. hatte K. für deren Abholung bereits einen Transporter gemietet. Der Angeklagte wurde wegen dieser Tat zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
3Die Strafkammer hat nicht festzustellen vermocht, was sich in den am 30. August und als Beiladung transportierten Kartons befand. Es sei „annähernd gleich wahrscheinlich“, dass es sich um Marihuana oder – wie vom Angeklagten behauptet – um Hehlerware, namentlich Werkzeuge, gehandelt habe. An einer wahlfeststellenden Verurteilung hat es sich wegen der fehlenden rechtsethischen Vergleichbarkeit der in Betracht kommenden Tatbestände gehindert gesehen.
42. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Beweiswürdigung hält auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. , NStZ-RR 2022, 252; Beschluss vom – 3 StR 441/20, NJW 2021, 2896, 2897) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5a) Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass die Strafkammer an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat.
6aa) Dies gilt zum einen, soweit sie ausgeführt hat, dass sie eine Reihe von Indizien feststellen konnte, „die sowohl der Einlassung des Angeklagten entsprechend auf einen Transport von inkriminierten Werkzeugen als auch dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft entsprechend auf die Einfuhr von Marihuana hindeuten, im Ergebnis eine zweifelsfreie Zuordnung jedoch nicht ermöglichen“ würden.
7Das ist rechtsfehlerhaft. Denn die Überzeugung des Tatgerichts von einem bestimmten Sachverhalt erfordert keine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Es genügt vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. etwa ; vom – 2 StR 326/19; LR/Sander, StPO, 27. Aufl., § 261 Rn. 8). Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein (vgl. ; vom – 4 StR 234/22, NJW 2023, 2291, 2292; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 Rn. 12 mwN).
8bb) Zudem ist zu besorgen, dass das Landgericht den Beweiswert einzelner Indizien mit rechtsfehlerhaften Erwägungen entkräftet hat.
9Es hat ausgeführt, dass die Angaben einer Vertrauensperson zu Drogentransporten des Angeklagten „für sich alleine betrachtet keinen ausreichenden Rückschluss auf die Einfuhr von Marihuana aus dem Ausland zu den angeklagten Tatzeiten“ zuließen. Aus Gesprächen des Angeklagten über die unzureichende Verpackung der Betäubungsmittel am vermochte das Landgericht ebenfalls keine „hinreichend sicheren Anhaltspunkte“ für zeitlich frühere Betäubungsmitteleinfuhren zu ziehen, obwohl es Hinweise auf einen mehrmaligen Transport von Betäubungsmitteln gab.
10Danach kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafkammer das Wesen des Indiziennachweises nicht genügend beachtet und auch insoweit überspannte Anforderungen an ihre Überzeugungsbildung gestellt hat. Denn hierdurch wird nicht eine unmittelbar entscheidungserhebliche Tatsache bewiesen, sondern von einer mittelbar bedeutsamen Tatsache auf eine solche geschlossen (vgl. , Rn. 26; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 261 Rn. 25). Es ist das Wesensmerkmal von Indizien, dass diese keine zwingenden Schlüsse zulassen (vgl. ; vom – 1 StR 823/82, NStZ 1983, 277, 278).
11b) Das Urteil lässt überdies die mit Blick auf die Vielzahl einzelner Erkenntnisse erforderliche Gesamtwürdigung des Beweisstoffs vermissen. Erst diese entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreicht, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtschau dem Tatgericht die entsprechende Überzeugung vermitteln (vgl. ). Dabei müssen die Indizien zueinander in Bezug gesetzt und gegeneinander abgewogen werden (vgl. , NStZ-RR 2022, 213, 214; vom – 5 StR 377/20; vom – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 Rn. 79).
12Daran fehlt es. Das Landgericht begnügt sich mit der floskelhaften Formulierung, dass sich der Inhalt der am 30. August sowie am transportierten Beiladung „weder aufgrund einzelner Indizien noch in einer Gesamtschau aller Indizien mit der für die Verurteilung hinreichenden Sicherheit“ feststellen lasse. Damit ist schon nicht nachvollziehbar, welche Indiztatsachen das Landgericht in seine abschließende Würdigung einbezogen hat. Es ist zu besorgen, dass es solche außer Acht gelassen hat, die nicht „zwingend“ für den Transport von Marihuana gesprochen haben. Abgesehen davon durfte sich das Landgericht mit Blick darauf, dass sich Hinweise auf den Transport von Hehlerware nur aus der Einlassung des Angeklagten sowie der Aussage von K. ergeben haben, angesichts des hohen Beweiswerts der für eine Einfuhr von Marihuana sprechenden Indizien – namentlich des bei allen drei Fahrten identischen „modus operandi“, des Ergebnisses der Auswertung von Telefongesprächen und der Verstrickung aller Beteiligten in Betäubungsmittelgeschäfte – nicht auf den bloßen Verweis am Ende der Beweiswürdigung beschränken, es habe eine „Gesamtschau aller Indizien“ vorgenommen.
133. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung die Überzeugung gewonnen hätte, dass der Angeklagte als Beiladung stets Marihuana transportierte. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen können schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil der Angeklagte sie mangels Beschwer nicht mit einem Rechtsmittel angreifen konnte.
Feilcke Tiemann von Schmettau
Arnoldi Gödicke
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:210824U6STR72.24.0
Fundstelle(n):
HAAAJ-77656