Instanzenzug: Az: 10 KLs 593 Js 59740/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen freigesprochen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge und eine Verfahrensbeanstandung gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
21. Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten mit ihrer unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vier Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt, welche er im Zeitraum vom 10. April bis zum begangen haben soll. Dabei soll er stets ein Krypto-Mobiltelefon der Marke EncroChat mit der Kennung „m. “ benutzt haben. Im Einzelnen soll der Angeklagte vor dem bei einer unbekannten Person insgesamt 50 Kilogramm Marihuana, nämlich 30 Kilogramm der Sorte „Haze“ und 20 Kilogramm der Sorte „Standard“, sowie vor dem bei einer weiteren unbekannten Person 16 Kilogramm Marihuana der Sorte „Amnesia“ bestellt haben. Ferner soll er am mit dem EncroChat-Nutzer „f. “ den Ankauf von mindestens 12 Kilogramm Marihuana der genannten Sorte sowie am mit dem gesondert Verfolgten G. den Ankauf weiterer 7,4 Kilogramm Marihuana vereinbart haben, wobei ihm letztere am übergeben worden sein sollen.
32. Das Landgericht hat nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen vermocht, dass es der Angeklagte war, welcher die vier Betäubungsmittelstraftaten begangen hat. Dieser habe angegeben, zu keinem Zeitpunkt die EncroChat-Kennung „m. “ genutzt zu haben. Für seine Täterschaft sprächen zwar mehrere Indizien. Diese seien jedoch „jeweils für sich betrachtet“ nicht besonders schwerwiegend und erlaubten auch in der Gesamtschau keine Verurteilung des Angeklagten. Die Urteilsgründe erörtern hierzu diverse Übereinstimmungen zwischen den Lebensverhältnissen des Angeklagten und des EncroChat-Nutzers „m. “, etwa Bezüge zur Stadt K. , die Beherrschung sowohl der deutschen als auch der albanischen Sprache, einen für „m. “ verwendeten, aber auch zur roten Haar- und Bartfarbe des Angeklagten passenden albanischen „Nickname“, die beiderseitige Nutzung eines Pkw der gleichen Marke und Baureihe sowie die bei beiden Personen gegebenen Beziehungen einerseits zu einem durch Straßennamen und Hausnummer potentiell identifizierbaren Wohnhaus in K. – wo der Angeklagte sich mit einer Person traf, mit der auch „m. “ kommunizierte – sowie andererseits zu Akteuren des Rauschgifthandels.
II.
4Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensbeanstandung nicht mehr ankommt. Die Staatsanwaltschaft macht zu Recht geltend, dass die Beweiswürdigung (§ 261 StPO) des Landgerichts sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
5Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht Zweifel an dem Vorliegen eines den Angeklagten belastenden Sachverhalts nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. mwN; vom – 5 StR 309/22; vom – 5 StR 406/23).
6Die dem Freispruch zugrundeliegende Beweiswürdigung weist jedoch in mehrfacher Hinsicht Rechtsfehler auf.
71. Die Urteilsgründe entsprechen bereits nicht den Anforderungen, die nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
8Danach sind regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen festzustellen, bevor in der Beweiswürdigung darzulegen ist, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Denn es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen (st. Rspr.; vgl. ; vom – 5 StR 170/22 Rn 18 f.).
9Diesen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Denn es hat in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt, welche Feststellungen insgesamt zu den – hier für die Frage seiner Täterschaft unmittelbar relevanten – Lebensumständen des Angeklagten getroffen werden konnten. Es hat schon versäumt, seine persönlichen Verhältnisse darzustellen. Das ist jedoch auch bei freisprechenden Urteilen erforderlich, wenn diese Verhältnisse für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind, weil Feststellungen zum Tatgeschehen ansonsten nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lückenhaft sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 16. Janu-ar 2023 – 5 StR 269/22 Rn. 27 ff.; vom – 5 StR 457/22; vom – 3 StR 183/20). Im vorliegenden Fall besaßen insbesondere die albanische Muttersprache sowie die Wohnverhältnisse des Angeklagten erhebliche indizielle Bedeutung für seine etwaige Identifizierung mit dem EncroChat-Nutzer „m. “. Darüber hinaus hätten auch andere, angesichts der im Urteil erwähnten längerfristigen Observation naheliegenderweise vorhandene Erkenntnisse zu den Lebens- und Einkommensverhältnissen des Angeklagten Hinweise auf eine etwaige Verstrickung in ein dem Drogenhandel nahestehendes Milieu ergeben können (vgl. ).
102. Auch die Würdigung der für eine Zuordnung der EncroChat-Kennung „m. “ zum Angeklagten sprechenden Indizien ist rechtsfehlerhaft. Denn das Landgericht hat sich jedes Indiz lediglich einzeln vor Augen geführt und durch eine isolierte Abhandlung vorschnell entwertet (vgl. mwN). Bedeutung erlangen Indizien aber gerade erst durch die Zusammenschau mit anderen Indizien, nicht bei bloß gesonderter Betrachtung (vgl. ; vom – 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83).
11So hat es die Übereinstimmungen in den örtlichen Bezügen zur Stadt K. , in den beherrschten Sprachen, hinsichtlich der Nutzung eines Pkw bestimmten Typs und der Beziehung zu einem bestimmten K. er Wohnhaus jeweils separat durch den Hinweis entkräftet, dass sie auf eine Vielzahl von Personen zuträfen. Die Strafkammer hätte diese Indizien jedoch mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die erforderliche Gesamtwürdigung einstellen und in diesem Rahmen in ihrem Beweiswert würdigen müssen. Erst wenn die gebotene Gesamtschau kein eindeutiges Beweisergebnis erbracht hätte, wäre Raum für die Anwendung des – hier der Sache nach isoliert bemühten – Zweifelssatzes gewesen, der keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel ist (st. Rspr.; vgl. nur mwN). Das Landgericht ist dem nicht nachgekommen, denn es hat die nötige Gesamtwürdigung lediglich in einem abschließenden Satz erwähnt, sie inhaltlich jedoch nicht erkennbar durchgeführt.
123. Daher kommt es schon nicht mehr darauf an, dass die Beweiswürdi-gung auch bei der Auseinandersetzung mit den einzelnen Indizien zum Teil Lücken aufweist. Insbesondere hätte die Strafkammer, soweit sie einen Umstand auch bei dem einschlägig verurteilten D. und einen anderen bei dem Neffen des Angeklagten als erfüllt gewertet und deshalb in ihnen mögliche Alternativtäter gesehen hat, zunächst prüfen müssen, inwieweit auch die anderen Kennzeichen des EncroChat-Nutzers „m. “ bei diesen Personen vorliegen. So wird aus den Urteilsgründen hinsichtlich des D. jenseits seiner früheren Tätigkeit im K. er Betäubungsmittelhandel, seiner roten Haarfarbe und seiner Bekanntschaft mit einer in den Anklagefall 4 involvierten Person kein Umstand erkennbar, der auf eine Beteiligung an den verfahrensgegenständlichen Taten hindeuten könnte.
13Insgesamt wäre damit – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – die Frage in den Blick zu nehmen gewesen, wie wahrscheinlich es ist, dass noch weitere Menschen existieren, die so wie der Angeklagte sämtliche dieser Bezüge in ihrer Person vereinen.
144. Der Freispruch beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Soweit vorhanden hebt der Senat auch die Feststellungen insgesamt auf.
Cirener Gericke Mosbacher
Resch Werner
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250924U5STR60.24.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-77178