Online-Nachricht - Dienstag, 15.10.2024

Einkommensteuer | Erste Tätigkeitsstätte eines an einer Ausbildungsstätte eingesetzten Beamten (FG)

Bei einem Beamten, der im Wege einer mehrfach verlängerten Versetzung über mehrere Jahre an einer Ausbildungsstätte eingesetzt wird, stellt die Ausbildungsstätte keine erste Tätigkeitsstätte dar (; Revision zugelassen).

Sachverhalt: Die zusammenveranlagten Kläger sind als Beamte im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen tätig. Beide wurden im Jahr 2012 bzw. 2013 von ihrem jeweiligen Dienstort auf eine Stelle als Lehrperson in der Aus- und Fortbildung an eine Ausbildungsstätte versetzt. Die jeweilige Stelle war ausweislich der Stellenbeschreibung für die Dauer von vier Jahren zu besetzen mit der Möglichkeit zu einer einmaligen Verlängerung um maximal zwei Jahre. Vor Ablauf der vier Jahre verlängerte der Dienstherr den Verwendungszeitraum um weitere zwei Jahre und sodann vor Ablauf dieser zwei Jahre mehrmals um weitere zwei Jahre. Im Anschluss an die Verwendung in der Ausbildungsstätte sollte eine Versetzung aus dienstlichen Gründen an eine zu nennende „Wunschbehörde“ erfolgen.

In ihrer Einkommensteuererklärung 2020 machten die Kläger die Fahrten zur Ausbildungsstätte als Reisekosten geltend. Der Beklagte berücksichtigte demgegenüber nur die Entfernungspauschale, da die Kläger jeweils einer ersten Tätigkeitsstätte – der Ausbildungsstätte – zugeordnet seien.

Das FG Münster gab der hiergegen gerichteten Klage statt:

  • Die angefallenen Fahrten sind nach Reisekostengrundsätzen mit den tatsächlich gefahrenen Kilometern und den von den Klägern erklärten Kosten zu berücksichtigen, da es sich nicht um Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte gehandelt hat.

  • Nach der gesetzlichen Konzeption wird die erste Tätigkeitsstätte (§ 9 Abs. 4 EStG) vorrangig anhand der arbeits(vertrag)- oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien. Die Zuordnung kann dabei insbesondere im Arbeitsvertrag oder durch Ausübung des Direktionsrechts (bspw. im Beamtenverhältnis durch dienstliche Anordnung) vorgenommen werden.

  • Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aus der ex-ante-Sicht nach den arbeits- oder dienstrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten tätig werden soll.

  • Im Streitfall sind die Kläger der Ausbildungsstätte nicht dauerhaft zugeordnet gewesen. Eine entsprechende dauerhafte dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung hat nicht vorgelegen.

  • Die Kläger sind zwar im Wege der Versetzung der Ausbildungsstätte zugeordnet worden.

  • Im Zeitpunkt der Versetzung hat jedoch noch das LBG NRW in der Fassung vom gegolten, das – anders als § 25 Abs. 1 LBG NRW in der im Streitjahr 2020 gültigen Fassung – für die Versetzung keine zeitliche Komponente enthalten hat.

  • Nach der beamtenrechtlichen Konzeption soll der Einzelne zwar grundsätzlich entweder im Rahmen einer kurzfristigen, vorübergehenden Abordnung eingesetzt werden oder durch eine dauerhafte Versetzung Rechtssicherheit für den Beamten geschaffen werden. Diese Trennung zwischen den beamtenrechtlichen Rechtsinstituten wird in der Praxis jedoch nicht immer eingehalten, sodass es – wie im Streitfall – auch zu zeitlich befristeten Versetzungen kommt.

  • Sofern der Bedienstete – entgegen der ursprünglichen Konzeption – von vornherein nur zeitlich begrenzt versetzt wird, schlägt die beamtenrechtliche Konzeption nicht auf die steuerrechtliche Beurteilung durch.

  • Demnach hat keine dienstrechtliche Festlegung oder Weisung vorgelegen, wonach die Kläger dauerhaft ihren Dienst in der Ausbildungsstätte verrichten sollten.

  • Auch sind die Voraussetzungen der gesetzlichen Regelvermutung nach § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG nicht erfüllt.

  • Nach den Festlegungen des Dienstherrn haben die Kläger zunächst nur vorübergehend für einen Zeitraum von 4 Jahren und damit für einen Zeitraum von nicht mehr als 48 Monaten ihren Dienst in der Ausbildungsstätte verrichten sollen. Die nachfolgende mehrfache Verlängerung der Verwendungszeiträume um jeweils zwei Jahre führt zu keiner Änderung.

  • Die Ausbildungsstätte ist auch nicht nach § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG anhand quantitativer Erwägungen als erste Tätigkeitsstätte anzusehen. Zwar sind die Kläger seit mehr als acht bzw. mehr als neun Jahren typsicherweise mehrmals in der Woche dort tätig gewesen.

  • Nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG müssen diese Voraussetzungen jedoch dauerhaft vorliegen. Diese Beurteilung ist – wie auch bei § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG – aus ex-ante-Perspektive und nicht aus ex-post-Sicht vorzunehmen.

  • Aus ex-ante-Sicht haben die Kläger weder zu Beginn der von vornherein zeitlich befristeten Versetzung noch im Zeitpunkt der jeweiligen Verlängerungsentscheidung für jeweils mehr als 48 Monate in der Ausbildungsstätte tätig werden sollen. Dem Dienstherrn ist es nach dem konkreten Konzept gerade auf den flexiblen und zeitlich befristeten Einsatz der Kläger an der Bildungseinrichtung angekommen.

Hinweis:

Das Gericht hat die Revision zum BFH zugelassen.

Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW veröffentlicht.

Quelle: FG Münster, Newsletter Oktober 2024 (il)

Fundstelle(n):
EAAAJ-76873