Leitsatz
Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt nicht vor, wenn ein verfahrensbevollmächtigter Rechtsanwalt in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Anhörungstermin zwar kurzfristig, aber noch so rechtzeitig unterrichtet wird, dass er das Gericht über seine geplante Teilnahme informieren könnte, er dies aber unterlässt und die Anhörung dann ohne ihn erfolgt.
Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG
Instanzenzug: Az: 329 T 40/19vorgehend Az: 219g XIV 206/18
Gründe
1I. Der Betroffene, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste am in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan: Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom den Asylantrag des Betroffenen als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz blieb ohne Erfolg. Die Abschiebungsanordnung ist seit dem vollziehbar.
2Die beteiligte Behörde nahm den Betroffenen am Vormittag des in Gewahrsam und stellte einen Haftantrag an das Amtsgericht. Dieses setzte ausweislich der vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Ladung einen Anhörungstermin auf 13.45 Uhr (und nicht, wie in der Beschwerdeentscheidung ausgeführt, auf 13.30 Uhr) desselben Tages fest. Davon erlangte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen durch einen Anruf seiner - per Telefax vom Amtsgericht um 12.17 Uhr benachrichtigten - Kanzlei gegen 13.00 Uhr Kenntnis. Er teilte dem Amtsgericht jedoch weder mit, dass er an dem Anhörungstermin teilnehmen wolle, noch stellte er einen Antrag auf Terminsverlegung. Das Amtsgericht führte sodann ausweislich des durch den Vermerk der zuständigen Richterin vom 25. Juni 2019 ergänzten Protokolls die Anhörung des Betroffenen zum angesetzten Zeitpunkt durch. Im Anschluss hat es gegen den Betroffenen antragsgemäß Haft zur Sicherung der Überstellung bis längstens angeordnet. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen erschien erst kurz nach der Verkündung dieses Beschlusses beim Amtsgericht. Die nach am erfolgter Entlassung des Betroffenen noch auf Feststellung gerichtete Beschwerde gegen den Haftanordnungsbeschluss hat das zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Feststellungsbegehren weiter.
3II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
41. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Überstellungshaft sei zu Recht angeordnet worden. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig und nach Maßgabe der Dublin-III-Verordnung nach Italien zu überstellen. Das Bundesamt habe mitgeteilt, dass die Überstellung am erfolgen solle und die Überstellungen in vergleichbaren Fällen nicht am Verhalten der italienischen Behörden gescheitert seien. Das Amtsgericht habe zu Recht Fluchtgefahr angenommen. Es liege auch kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, weil der anwaltliche Bevollmächtigte des Betroffenen nicht am Anhörungstermin teilgenommen habe. Der Rechtsanwalt sei rechtzeitig vom Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt worden, habe aber dem Gericht nicht mitgeteilt, dass er an der Anhörung teilnehmen wolle, und auch keinen Antrag auf Verlegung des Anhörungstermins gestellt.
52. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
6a) Entgegen der Rechtsbeschwerde lag der Haftanordnung ein zulässiger Haftantrag zugrunde.
7aa) Ein zulässiger Haftantrag ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 116/19, Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; Rn. 7 mwN; vom - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7).
8bb) Diesen Maßgaben wird der Haftantrag gerecht, insbesondere enthält er hinreichende Angaben zur erforderlichen Dauer der Haft. Hierfür genügt die Angabe, dass für den eine bestätigte Flugbuchung für eine begleitete Rückführung vorlag. In Anbetracht des organisatorischen Aufwands für eine begleitete Überstellung bedurfte es für die beantragte Haftdauer von nur elf Tagen keiner weiteren Erläuterungen.
9cc) Entgegen der Rechtsbeschwerde muss in einem Antrag auf Anordnung der Überstellungshaft nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO nicht dargelegt werden, dass der Zielstaat nach der Dublin-III-Verordnung zur Aufnahme verpflichtet ist (vgl. , InfAuslR 2020, 283 Rn. 9). Es obliegt grundsätzlich den Verwaltungsgerichten zu überprüfen, ob eine Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverpflichtung des Zielstaates unter Einhaltung der dafür geltenden Regelungen besteht. Der Haftrichter hat grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Ausländerbehörde die Überstellung zu Recht betreibt. Mit der Prüfung dieser Frage würde er in unzulässiger Weise in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit übergreifen (BGH, InfAuslR 2020, 283 Rn. 12 mwN). Erforderlich ist allerdings wegen der unterschiedlichen Regelungen des Haftgrundes die Angabe, dass eine Inhaftnahme nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO und nicht nach § 62 AufenthG beantragt wird (BGH, InfAuslR 2020, 283 Rn. 13). Diese enthält der Haftantrag.
10b) Die Haftanordnung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil den Vorinstanzen - wie die Rechtsbeschwerde rügt - die Ausländerakte nur bis Blatt 303, dem Aktenübermittlungsschreiben vom im vorangegangenen Haftverfahren, vorgelegen hätte (vgl. zur Erforderlichkeit der Beiziehung der Ausländerakte , NVwZ-RR 2020, 801 Rn. 47 bis 54). Das trifft nicht zu, weil die (vollständige) Ausländerakte mit dem Haftantrag vom (erneut) als elektronisches Dokument an das Amtsgericht übermittelt wurde. Das Landgericht hat die Ausländerakte mit Verfügung vom angefordert, und diese lag ihm ausweislich des angegriffenen Beschlusses vom auch vor. Dass die seit dem hinzugekommenen Aktenbestandteile nicht mehr ausgedruckt wurden, berührt die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung nicht.
11c) Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens durch das Amtsgericht liegt nicht vor.
12aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. zuletzt BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 50/21, NVwZ-RR 2022, 885 Rn. 6; vom - XIII ZB 70/21, Asylmagazin 2023, 275 Rn. 9; vom - XIII ZB 49/20, juris Rn. 6; vom - XIII ZB 15/23, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 35/21, juris Rn. 13).
13bb) Vorliegend hat das Amtsgericht durch seine Verfahrensgestaltung die Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung nicht vereitelt. Zwar ist die Terminsnachricht hier erst sehr kurzfristig erfolgt. Ein Rechtsanwalt ist aber gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass er in geeigneter Weise von seiner Kanzlei über eilige Eingänge unterrichtet wird (, juris Rn. 7). Eine solche Unterrichtung ist hier so rechtzeitig erfolgt, dass auf Anweisung des Verfahrensbevollmächtigten dem Gericht hätte mitgeteilt werden können, dass er an der Anhörung teilnehmen werde und entweder auf ihn gewartet oder der Termin verlegt werden solle, falls er sich verspäte. Das Haftgericht ist grundsätzlich nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag zu einer Verlegung des Termins verpflichtet (BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 28/20, juris Rn. 18; vom - XIII ZB 12/19, juris Rn. 17; vom - XIII ZB 35/21, juris Rn. 14).
143. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:170924BXIIIZB67.20.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 45
RAAAJ-76565