BGH Urteil v. - VIa ZR 116/22

Instanzenzug: Az: 16a U 121/19vorgehend Az: 3 O 426/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte zu 1 wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im März 2015 bei dem früheren Beklagten zu 2 einen von der Beklagten zu 1 hergestellten gebrauchten BMW 520d Touring, der mit einem Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert.

3Der Kläger, dessen Klage in beiden Instanzen erfolglos geblieben ist, hat die Beklagten zuletzt als Gesamtschuldner auf Zahlung in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts gezogener Nutzungen nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz in Bezug auf die Beklagte zu 1 weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Der Kläger habe einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1 aus § 826 BGB nicht schlüssig dargetan. Der klägerische Vortrag, der in dem Fahrzeug verbaute Motor weise eine unzulässige Abschalteinrichtung auf, sei unbeachtlich, soweit er nicht die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung betreffe. Es fehlten tatsächliche Anhaltspunkte für die Behauptung des Klägers, in dem Motortyp sei eine unzulässige Abschalteinrichtung, insbesondere in Form einer parameterbasierten Prüfstandserkennung, implementiert. Bezüglich des Thermofensters sei kein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten zu 1 zu erkennen. Es fehlten tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Typgenehmigungsbehörde und über die Typgenehmigung vermittelt auch der Kläger über das Vorhandensein dieser Funktionalität getäuscht worden seien. Auch im Übrigen trage der Kläger keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu 1 vor.

7Ein Anspruch gegen die Beklagte zu 1 ergebe sich nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Diesbezüglich scheide eine Haftung bereits deshalb aus, weil es sich bei den genannten Normen nicht um Gesetze zum Schutz des Vermögensinteresses von Fahrzeugerwerbern handele.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten zu 1 aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur , juris Rn. 12 f.; Urteil vom - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11) hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers verneint, weil der Klägervortrag zur Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung neben dem Thermofenster prozessual unbeachtlich sei und in Bezug auf die Verwendung des Thermofensters nicht die Annahme rechtfertige, dass die Typgenehmigungsbehörde getäuscht worden sei. Die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten zu 1 nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten zu 1 wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13die erforderlichen

C. Fischer                     Krüger                   Götz

                  Wille                   Vogt-Beheim

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:200824UVIAZR116.22.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-75945