Gründe
1Die Jugendrichter der Amtsgerichte Eschwege und Erfurt streiten um die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung in einer Jugendstrafsache.
I.
2Die Staatsanwaltschaft Kassel hat am beim Amtsgericht Eschwege – Jugendrichter – Anklage gegen den damals in Weißenborn (Hessen) wohnhaften Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis erhoben. Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.
3Da der Angeklagte nicht mehr in Weißenborn, sondern in Erfurt gemeldet war, gab das Amtsgericht das Verfahren mit Beschluss vom an das Amtsgericht Erfurt ab, weil der Angeklagte seinen Wohnsitz nunmehr im dortigen Bezirk habe. Das Amtsgericht Erfurt lehnte die Übernahme am mit Verweis darauf ab, dass der Angeklagte bereits Heranwachsender und laut Anklage Zeugen zu laden seien, die ihren Wohnsitz nicht im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Erfurt hätten. Zudem seien das Amtsgericht Erfurt und die örtliche Jugendgerichtshilfe nicht mit dem Angeklagten vertraut. Das Amtsgericht Eschwege stellte sodann das Verfahren wegen unbekannten Aufenthalts des Angeklagten vorläufig ein. Nach Wiederaufnahme hat es das Verfahren erneut mit Beschluss vom , in der Begründung ergänzt durch Verfügung vom , an das Amtsgericht Erfurt abgegeben und im Wesentlichen auf den Wohnsitz des Angeklagten und darauf verwiesen, dass die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit der Jugendgerichte auch für Heranwachsende gelten würden, beim Amtsgericht Erfurt weitere Verfahren anhängig seien und es sich lediglich um eine Zeugin handele, die aus dem Bezirk des Amtsgerichts Eschwege zu laden sei.
4Nachdem das Amtsgericht Erfurt die Übernahme des Verfahrens abgelehnt hat, hat das Amtsgericht Eschwege die Sache mit Beschluss vom gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2, § 108 Abs. 1 JGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
II.
51. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des Amtsgerichts Eschwege (Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main) und des Amtsgerichts Erfurt (Bezirk des Oberlandesgerichts Jena) für die Entscheidung gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2, § 108 Abs. 1 JGG zuständig.
62. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Eschwege vom ist aufzuheben. Für die Verhandlung und Entscheidung ist weiterhin der Jugendrichter des Amtsgerichts Eschwege zuständig.
7a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom zutreffend ausgeführt, dass die förmlichen Voraussetzungen einer Abgabe nach § 42 Abs. 3 Satz 1, § 108 Abs. 1 JGG vorliegen.
8b) Der Senat teilt jedoch auch die Auffassung des Generalbundesanwalts, dass die Abgabe der Sache an das Amtsgericht Erfurt nicht zweckmäßig ist. Der Grundsatz, dass sich Jugendliche beziehungsweise Heranwachsende vor dem für ihren Aufenthaltsort zuständigen Gericht verantworten sollen, das regelmäßig über die größte Sachnähe verfügt, kann zur Vermeidung erheblicher Verfahrenserschwernisse durchbrochen werden (, Rn. 6 mwN).
9Das Amtsgericht Eschwege hat bereits über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und ist damit in die Sache eingearbeitet, während sich das Amtsgericht Erfurt zunächst noch einarbeiten müsste, was zu einer weiteren, nicht hinnehmbaren Verzögerung des Verfahrens führen würde. Eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Eschwege hätte nur für den volljährigen Angeklagten selbst einen erhöhten Reiseaufwand zur Folge, der ihm ohne Weiteres zugemutet werden kann, zumal auch seine Mutter weiterhin im Bezirk des Amtsgerichts Eschwege wohnhaft ist. Bei dieser Sachlage tritt der erzieherisch relevante Gesichtspunkt der Entscheidungsnähe des für den Wohnsitz zuständigen Gerichts zurück (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 ARs 58/20, Rn. 3, und vom – 2 ARs 268/23, Rn. 7, jeweils mwN).
Menges Zeng Grube
Schmidt Zimmermann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:170724B2ARS78.24.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-75875