BGH Urteil v. - VIa ZR 1488/22

Instanzenzug: Az: 5 U 3426/21vorgehend LG Amberg Az: 12 O 197/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im September 2014 von dritter Seite ein von der Beklagten hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz C 220 CDI, das mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist von dem Kläger im Juni 2021 zum Preis von 11.650 € weiterveräußert worden.

3Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren erheblich - in erster Instanz zunächst die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises in Höhe von 33.500 € nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 12.933,85 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen begehrt, den Zahlungsantrag im Laufe des Verfahrens vor dem Landgericht unter Klagerücknahme im Übrigen jedoch dahin angepasst, dass die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 19.047,83 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen sowie abzüglich des Verkaufserlöses in Höhe von 11.650 € begehrt werde. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er ausweislich des die Berufung zurückweisenden Beschlusses die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 12.933,85 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu II) begehrt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision hat der Kläger zunächst seine Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiterverfolgt, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt. Er hat die Antragstellung im Laufe des Revisionsverfahren aber dahin angepasst, dass der Berufungsantrag zu I mit dem Inhalt weiterverfolgt werde, dass die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 12.933,85 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen sowie abzüglich des Verkaufserlöses in Höhe von 11.650 € begehrt werde.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

5Der Kläger hat mit seiner Berufung - wie sich aus dem die Berufung zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts ergibt - insbesondere die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich des auf 12.933,85 € bezifferten Werts der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs begehrt.

6Die - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung zulässige - Revision des Klägers führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Insbesondere hinsichtlich des Thermofensters und der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die der Kläger beanstande, könne - unterstellt, diese Einrichtungen seien als unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren - eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht angenommen werden. Nach dem Vortrag des Klägers verhielten sich das Thermofenster und die KSR unter vergleichbaren Bedingungen im realen Fahrbetrieb nicht anders als in der Prüfungssituation. Das Vorbringen des Klägers zu weiteren Abschalteinrichtungen sei unbeachtlich. Er habe keine konkreten Anhaltspunkte für deren Vorhandensein aufgezeigt. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide aus, weil diese Vorschriften nicht den Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bezweckten.

II.

9Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

101.

112. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es tatsächliche Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

123. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

13Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

C.

14Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

Möhring                            Götz                            Rensen

                     Liepin                      Katzenstein

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:100924UVIAZR1488.22.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-75795