Instanzenzug: OLG Dresden Az: 22 U 186/23vorgehend LG Chemnitz Az: 2 O 1739/16
Gründe
I.
1Die Klägerin verlangt nach Kündigung eines Bauvertrags mit der Klage eine Vergütung für erbrachte Verglasungsarbeiten. Mit der Widerklage verlangt der Beklagte nach Rücktritt vom Vertrag Schadensersatz wegen Verzugs und Mängeln an den eingebauten Fenster- und Schiebetürenfronten.
2Die Parteien schlossen unter anderem einen Vertrag über die Lieferung sowie den Einbau von Fenstern. Nachdem der Beklagte den Rücktritt vom Bauvertrag erklärt und die Klägerin aufgefordert hatte, die eingebauten Elemente zu demontieren und zu entfernen, kündigte die Klägerin ihrerseits den Vertrag, nachdem sie zuvor den Beklagten vergeblich zur weiteren Mitwirkung aufgefordert hatte.
3Die Klägerin verlangt auf Grundlage der Schlussrechnung vom mit der Klage Vergütung für erbrachte Werkleistungen in Höhe von 99.670,39 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Der Beklagte begehrt mit der Widerklage die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung von zuletzt 120.540,83 € nebst Zinsen, unter anderem wegen im Einzelnen bezifferter Kosten für Privatgutachten, für eine Verlängerung der Gerüst- und Kranstandzeit sowie wegen entgangener Einnahmen aus der Vermietung einer Einliegerwohnung. Ferner begehrt er die Feststellung, dass die Klägerin verpflichtet ist, ihm über diesen Betrag hinaus sämtliche materiellen Schäden und/oder Kosten zu ersetzen, die ihm dadurch entstanden sind oder noch entstehen, dass die Klägerin im näher bezeichneten Objekt die vertraglich geschuldeten Fenster verspätetund mangelbehaftet geliefert und montiert und trotz Fristsetzung nicht fachgerecht ausgebaut und vom Grundstück entfernt hat.
4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage unter Abweisung im Übrigen teilweise stattgegeben. Im anschließenden Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht den Parteien in der letzten mündlichen Verhandlung eine Schriftsatzfrist bis zum eingeräumt. Mit Schriftsatz vom hat der Beklagte in Form von Anlagen "die Druckansicht des Kontos des Beklagten bei der Sparkasse Mittelsachsen, […] über die Mietzahlungseingänge der Zeugin I. M. F. für die Einliegerwohnung im Hause des Beklagten für den Zeitraum vom bis zum einschließlich der exemplarischen Druckansicht eines Umsatzdetails für die aktuelle letzte Mietzahlung vom " zur Akte gereicht. Hierzu hat der Beklagte mit Schriftsatz vom Stellung genommen. Mit Urteil vom hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat es unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das erstinstanzliche Urteil abgeändert und auf die Widerklage die Klägerin zur Zahlung von 46.144,88 € nebst Zinsen an den Beklagten verurteilt sowie die vom Beklagten begehrte Feststellung getroffen.
5Gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde, mit der sie nach Zulassung der Revision die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 99.670,39 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie die Abweisung der Widerklage erreichen möchte.
II.
6Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
71. Das Berufungsgericht hat - soweit es für den Erfolg der Beschwerde von Bedeutung ist - ausgeführt, die Klägerin habe sich ab dem in Verzug befunden. Der Beklagte könne Schadensersatz statt der Leistung für die Vermietung der Einliegerwohnung an seine Mutter, die Zeugin F. , im Zeitraum vom bis zum in Höhe entgangener Kaltmiete von 34.020 € (21 Monate x 1.620 €) beanspruchen.
8Anders als das Landgericht sehe das Berufungsgericht, dass der mit der Mutter des Beklagten geschlossene Mietvertrag vom über die Anmietung der Einliegerwohnung zu einem Mietzins von 1.620 € monatlich in der Folgezeit entsprechend den getroffenen Vereinbarungen umgesetzt worden sei. Die Mutter bewohne die Wohnung seit November 2020 und zahle, wie von ihr in der mündlichen Verhandlung vom vor dem Landgericht ausgeführt und mit den vorgelegten Überweisungsbelegen belegt, seit November 2021 auch die vertraglich vereinbarte Miete an ihren Sohn. Die Höhe der Miete sei in einer Wohnung gehobener Ausstattung und altersgerechter Herrichtung für die Mutter bei 116 qm Wohnfläche und 50 qm Terrassenfläche nicht ortsunüblich und es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Zeugin diese Miete nicht leisten könnte. Allein der Umstand, dass es sich bei der Mieterin um die Mutter des Beklagten handele, mache den Mietvertrag nicht zum Scheingeschäft. Gleiches gelte für den Umstand, dass die Zeugin - worauf das Landgericht insoweit abgestellt habe - an die mit ihrem Sohn abgeschlossenen Verträge selbst keinerlei konkrete Erinnerung habe. Es sei für das Berufungsgericht durchaus nachzuvollziehen, dass die zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Vernehmung 85 Jahre alte Zeugin dem Abschluss der Verträge, aber auch der Höhe der Mietzinszahlungen kein großes Gewicht beigemessen habe, da sie sich, wie sie gesagt habe, in finanziellen Fragen vollständig auf die Ratschläge und Weisungen ihres Sohnes verlassen habe. Diese Aussage sei allenfalls Beleg für das zwischen Sohn und Mutter bestehende besondere Vertrauensverhältnis, stelle jedoch die Ernsthaftigkeit ihrer Absicht, in die für sie hergerichtete Einliegerwohnung nach Fertigstellung gegen Zahlung des Mietentgelts einziehen zu wollen, nicht in Frage.
9Soweit die Klägerin darauf verweise, dass der Nachweis zu einer Zahlung der Miete von der Mutter an den Sohn mit der als Anlage zum Schriftsatz vom vorgelegten Umsätze-Druckansicht der Sparkasse Mittelsachsen nicht erbracht sei, sei dieser Bewertung nicht zu folgen. Die Umsatzliste belege Wertstellungen zu von dem Gegenkonto der Mutter unter dem Verwendungszweck "Miete" veranlassten monatlichen Überweisungen in Höhe des vereinbarten Gesamtmietzinses von 1.870 € für den Zeitraum Dezember 2021 bis September 2023. Auch wenn es der Beklagte selbst an anderer Stelle mit seinem Vortrag nicht so genau genommen habe, müsse ihm kein kriminelles Handeln dahingehend unterstellt werden, dass er zur Vortäuschung von Zahlungsflüssen Unterlagen manipuliere. Auch sei nicht auszuschließen, dass der schriftliche Mietvertrag tatsächlich so frühzeitig abgeschlossen worden sei, um eine entsprechende schuldrechtliche Vereinbarung im Bestreitensfalle auch im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren dokumentieren zu können. Dies ändere aber nichts daran, dass die Vereinbarung mit einem beabsichtigten Mietbeginn zum tatsächlich von den Beteiligten gewollt gewesen sei und bei mangelfreier Leistung der Klägerin auch so umgesetzt worden wäre.
102. Mit dieser Begründung hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
11a) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 ZPO von einer erneuten Zeugenvernehmung abgesehen hat, obwohl es die Aussage der Zeugin im Ergebnis anders gewürdigt hat als das Landgericht.
12aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Bestehen allerdings Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil, ist in aller Regel eine erneute Beweisaufnahme geboten. Das gilt insbesondere für die erneute Vernehmung von Zeugen, die zwar grundsätzlich gemäß § 398 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts steht. Allerdings muss das Berufungsgericht einen im ersten Rechtszug vernommenen Zeugen erneut vernehmen, wenn es dessen protokollierte Aussage anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will. Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen (d.h. seine Glaubwürdigkeit) noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit (d.h. die Glaubhaftigkeit) seiner Aussage betreffen ( Rn. 12 m.w.N., juris).
13bb) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil das Berufungsgericht die Zeugin F. nicht erneut vernommen hat, obwohl es ihre protokollierte Aussage anders als die Vorinstanz gewürdigt hat.
14Das Landgericht hat sich nicht die Überzeugung zu verschaffen vermocht, dem Beklagten sei tatsächlich als Folge einer Pflichtverletzung der Klägerin ein Vermögensschaden in Form möglicher und ihm entgangener Mietzinszahlungen seiner Mutter entstanden. Hierbei hat es sich maßgeblich auf die Aussage der Zeugin F. gestützt. Nach Würdigung des gesamten Inhalts der Aussage könne es nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Unterzeichnung des Mietvertrags von einem Rechtsbindungswillen in Bezug auf die Verpflichtung zur Zahlung der angegebenen Miete getragen war. Das Landgericht hat unter anderem darauf abgestellt, dass die Zeugin nur noch ein geringes Erinnerungsvermögen an die Einzelheiten zu den damaligen Hintergründen, Vorgängen und Abläufen gezeigt habe. Sie habe keine Angaben dazu machen können, auf welcher Grundlage der schriftlich festgelegte Kaltmietzins in Höhe von 1.620 € berechnet oder ermittelt worden oder wie dessen vertragliche Festlegung letztlich erfolgt sei. Das gelte auch für den langen Zeitraum von nahezu 16 Monaten zwischen dem Datum des Mietvertrags () und dem dort festgehaltenen Mietbeginn zum .
15Demgegenüber geht das Berufungsgericht von einem wirksamen Vertragsschluss aus und nimmt in einer vom Landgericht abweichenden Würdigung desselben Aussageinhalts an, dass die Ernsthaftigkeit der Absicht der Zeugin, in die für sie hergerichtete Einliegerwohnung nach Fertigstellung gegen Zahlung des Mietentgelts einziehen zu wollen, nicht dadurch in Frage gestellt werde, dass sie an die abgeschlossenen Verträge keinerlei konkrete Erinnerung mehr habe. Die Aussage, dass sie sich in finanziellen Fragen vollständig auf die Ratschläge und Weisungen ihres Sohnes verlassen habe, sei allenfalls Beleg für das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den beiden. Es sei nicht auszuschließen, dass der schriftliche Mietvertrag tatsächlich so frühzeitig abgeschlossen worden sei, um eine entsprechende schuldrechtliche Vereinbarung im Bestreitensfalle auch im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren dokumentieren zu können. Dies ändere aber nichts daran, dass die Vereinbarung mit einem beabsichtigten Mietbeginn zum tatsächlich von den Beteiligten gewollt gewesen sei und bei mangelfreier Leistung der Klägerin auch so umgesetzt worden wäre.
16cc) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Auf dem vorgenannten Verfahrensverstoß beruht die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts, soweit es zum Nachteil der Klägerin dem Beklagten einen Zahlungsanspruch in Höhe von 34.020 € zuerkannt hat. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht insoweit bei erneuter Vernehmung der Zeugin zu einem für die Klägerin günstigeren Beweisergebnis kommt.
b) Das Berufungsgericht hat weiter das rechtliche Gehör der Klägerin dadurch verletzt, dass es sich ohne Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Erhebung des von der Klägerin angebotenen Gegenbeweises auf die als Anlage zum Schriftsatz vom vorgelegte Umsätze-Druckansicht gestützt hat.
17aa) Räumt das Gericht ein Schriftsatzrecht ein und wird in einem daraufhin eingegangenen Schriftsatz neuer entscheidungserheblicher Prozessstoff eingeführt, so muss das Gericht die mündliche Verhandlung wiedereröffnen oder in das schriftliche Verfahren übergehen, um dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Rn. 5, juris). Zudem verstößt die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Rn. 7, BauR 2019, 1011; Beschluss vom - VI ZR 328/18 Rn. 6, NJW 2019, 3236).
18bb) Hiervon ausgehend hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt. Es hat sich bei seiner Entscheidung auf die erst mit Schriftsatz vom vorgelegte Umsätze-Druckansicht gestützt, ohne die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen und das Beweisangebot der Klägerin aus ihrem Schriftsatz vom zu berücksichtigen. Hierin hatte die Klägerin beantragt, dem Beklagten aufzuerlegen, das vollständige Konto, aus dem auch etwaige Rückzahlungen ersichtlich wären, vorzulegen. Das Übergehen jenes erheblichen Beweisangebots findet im Prozessrecht keine Stütze, insbesondere nicht in § 296a ZPO, da die mündliche Verhandlung nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bei beabsichtigter Verwertung des erst innerhalb der Schriftsatzfrist beigebrachten Hauptbeweises - wie hier geschehen - wiederzueröffnen gewesen wäre. Der dem Beweisantritt zugrundeliegende Vortrag erfolgte auch nicht ersichtlich "ins Blaue hinein".
19cc) Auch diese Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts beruht hierauf, soweit es zum Nachteil der Klägerin dem Beklagten einen Zahlungsanspruch in Höhe von 34.020 € zuerkannt hat. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, hätte es die mündliche Verhandlung wiedereröffnet und wäre es dem Beweisangebot der Klägerin nachgegangen, zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
203. Im Übrigen ist die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil unbegründet. Insoweit wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
Pamp Jurgeleit Sacher
Brenneisen Hannamann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240724BVIIZR229.23.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-75505