Verfahrensrecht | Schätzung mittels Unsicherheitszuschlags (FG)
Die Anleitungen zur Kassenbedienung und -programmierung sowie die Programmierungsprotokolle von elektronischen Registrierkassen sind als sonstige Organisationsunterlagen gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufbewahrungspflichtig; das Fehlen dieser Unterlagen stellt einen formellen Mangel der Buchführung dar. Kann die wegen der fehlenden Ordnungsmäßigkeit der Buchführung eines Kioskbetriebes gebotene Hinzuschätzung mangels aussagekräftiger Unterlagen wie Preislisten und detaillierter Warenumsatzberichte nicht im Wege eines inneren Betriebsvergleichs in Form einer Nachkalkulation erfolgen, ist die Wahl der Methode der Schätzung mittels Unsicherheitszuschlags (5 %) zu den erklärten Umsätzen – mit Ausnahme der durch Datenaustausch dokumentierten Provisionserlöse für den Verkauf von Lottoscheinen etc. und durchlaufenden Posten – nicht zu beanstanden (, 11 K 2317/19 E, 2321/19 G).
Hintergrund:
Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können. Nach dieser Vorschrift sind die Buchführung und Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Formelle Mängel berechtigen nur zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln.
Sachverhalt:
Streitig war, ob der Beklagte wegen nicht ordnungsmäßiger Buchführung des Klägers Erlöse bzw. Umsätze hinzuschätzen durfte.
Der Kläger betrieb eine Lotto-Toto-Annahmestelle mit angeschlossenem Kiosk (Tabakwaren, Zeitschriften, etc.) und erzielte hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb ( § 15 EStG). Seinen Gewinn ermittelte er durch Betriebsvermögensvergleich gem. §§ 4 Abs. 1, 5 EStG.
Er verfügte über eine elektronische Registrierkasse des Models U und fertigte hierzu handschriftliche Kassenberichte, in denen er, ausgehend vom Kassenbestand des Vortages, zunächst regelmäßig eine Kontoeinzahlung in gleicher Höhe abzog. Anschließend notierte er die Geschäftseinnahmen meist mit jeweils einer Summe für bestimmte Warengruppen (z.B. Tabak, Zeitschriften, Süßwaren,…etc.) teilweise jedoch auch nur mit einer Gesamtsumme, zog hiervon Ausgaben ab und notierte den Kassenbestand zum Geschäftsschluss. Wechselgeldbestände wurden in den Kassenberichten nicht erfasst.
Er verfügte über eine eigene Lottokasse, die mit der Fa. V. direkt verbunden war. Über diese Kasse erfolgten der Verkauf von Lottoscheinen, Telefonkarten etc. sowie die Auszahlung von Lottogewinnen. Für diese Kasse fertigte er keinerlei Aufzeichnungen, insbesondere keine täglichen Kassenberichte. Die Buchungen auf dem Kassenkonto erfolgten anhand der Abrechnungen der Fa. V. und der entsprechenden Geldeingänge und Geldabgänge auf dem gesondert geführten Bankkonto für die Lottoannahmestelle. Die Entnahme der Provisionen erfolgte ebenfalls über die Lottokasse.
Seit Oktober 2012 verkaufte er auch Nahverkehrstickets für die X. B. (X.B.). Er war über eine Leitung direkt mit dem Anbieter verbunden und rechnete auch direkt mit diesem ab. Hierzu druckte er einen Abschlag aus. Ein extra Kassenfach gab es nicht, die Vereinnahmung der bar gezahlten Tickets lief über die Kasse Kiosk.
Die nach dem Rechtsbehelfsverfahren eingereichte Klage hatte keinen Erfolg.
Hierzu führte das Finanzgericht weiter aus:
Der Beklagte war wegen vorhandener Mängel in der Buchführung des Klägers dem Grunde nach zur Schätzung befugt. Gegen die Höhe der im laufenden Klageverfahren aufgrund der Feststellungen der Gerichtsprüferin geänderten Hinzuschätzung bestehen keine Bedenken.
Die Buchführung des Klägers weist danach folgende gewichtige formelle Mängel auf:
Die Anleitungen zur Kassenbedienung und -programmierung sowie die Programmierungsprotokolle wurden nicht vorgelegt.
Es wurden keine lückenlosen Tagesendsummenbons für die Streitjahre vorgelegt.
Die Kassenbuchführung war nicht ordnungsgemäß, da mangels ordnungsmäßiger Kassenberichte die Kassensturzfähigkeit nicht gegeben war.
Die Buchführung erfüllt die Voraussetzungen des § 145 Abs. 1 Satz 1 AO nicht.
Die Buchführung des Klägers weist auch materielle Mängel bspw. zwischen den Abrechnungen (Datenaustausch) und der Erfassung der bar vereinnahmten Beträge auf.
Die Hinzuschätzungen sind der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Beklagte war aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen nicht zur Durchführung eines inneren Betriebsvergleichs in Form einer Nachkalkulation verpflichtet, Preislisten, detaillierte Warenumsatzberichte etc. lagen nicht vor.
Mangels einer "passenden" Gewerbeklasse war eine Schätzung im Wege eines äußeren Betriebsvergleichs mit Hilfe der Richtsatzsammlung nicht vorzugswürdig.
Eine Schätzung mittels Unsicherheitszuschlags zu den erklärten Umsätzen war im Streitfall die am besten geeignete Schätzungsmethode, um das wirtschaftlich wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen. Denn es ist grundsätzlich gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen im Wege einer griffweisen Schätzung einen Unsicherheitszuschlag bis zu 20 % der erklärten Umsätze vorzunehmen.
Quelle: , 11 K 2317/19 E, 2321/19 G; NWB Datenbank (Sti)
Fundstelle(n):
KAAAJ-75205