Instanzenzug: Az: 1 BGs 559/24vorgehend Az: 1 BGs 338/24
Gründe
I.
1Der Generalbundesanwalt führt gegen den in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit gemäß § 99 StGB. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat dem Beschuldigten mit Beschluss vom (1 BGs 338/24) Rechtsanwalt J. aus H. als Pflichtverteidiger bestellt. Mit Schreiben vom hat Rechtsanwalt M. aus F. unter Vorlage einer Vollmacht mitgeteilt, vom Beschuldigten als Wahlverteidiger gewählt worden und als solcher für diesen tätig zu sein. Der Ermittlungsrichter hat daraufhin mit Beschluss vom (1 BGs 559/24) gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO die Beiordnung von Rechtsanwalt J. als Pflichtverteidiger aufgehoben. Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit der in seinem Namen vom Wahlverteidiger erhobenen sofortigen Beschwerde vom . Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
21. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 5 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO). Der Wahlverteidiger hat das Rechtsmittel ausdrücklich für den allein rechtsmittelberechtigten Beschuldigten eingelegt. Dieser ist beschwerdebefugt, denn er wäre durch eine rechtsfehlerhafte Aufhebung der Bestellung seines Pflichtverteidigers im Rechtssinne beschwert, weil er hierdurch zumindest in seinem Recht auf Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2, Art. 6 Abs. 1 EMRK) betroffen sein könnte (vgl. für die Konstellation der Ablehnung eines zweiten Pflichtverteidigers BGH, Beschlüsse vom - StB 17/24, juris Rn. 7; vom - StB 5/22, juris Rn. 9; vom - StB 23/20, NJW 2020, 3736 Rn. 7, 9).
32. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.
4a) Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ist für die angefochtene Entscheidung zuständig gewesen. Dies folgt aus § 142 Abs. 3 Nr. 1 StPO i.V.m. § 169 Satz 1 und 2 StPO. Da es sich hierbei um eine allgemeine Regelung über die Zuständigkeit handelt, gilt sie auch für Entscheidungen über die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung (vgl. , NStZ 2021, 60 Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 142 Rn. 14, 18; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 142 Rn. 6).
5b) Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat die Pflichtverteidigerbestellung zu Recht aufgehoben. Denn gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO ist dies - grundsätzlich zwingend - geboten, wenn der Beschuldigte - wie hier geschehen - einen anderen Verteidiger gewählt und dieser zudem die Wahl angenommen hat (vgl. , juris Rn. 4; SSW-StPO/Beulke/Salat, 5. Aufl., § 143a Rn. 2; MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl., § 143a Rn. 4; BT-Drucks. 19/13829, S. 46). Mit dieser Regelung wird dem grundsätzlichen Vorrang der Wahl- vor der Pflichtverteidigung entsprochen, der Gefahr inkohärenter Verteidigungsaktivitäten begegnet und Kosteninteressen des Staates Rechnung getragen.
6c) Das Gesetz sieht in § 143a Abs. 1 Satz 2 StPO indes zwei - abschließende (vgl. LR/Jahn, StPO, 27. Aufl., § 143a Rn. 8) - Ausnahmen von der Rechtspflicht zur Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nach erfolgter Beauftragung eines Wahlverteidigers vor:
7aa) Zum einen ist die Pflichtverteidigerbestellung aufrechtzuerhalten, wenn zu besorgen steht, dass der neue Verteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird. Damit soll insbesondere - aber nicht ausschließlich - verhindert werden, dass ein neuer Verteidiger ein Mandat als Wahlverteidiger in der (unlauteren) Absicht annimmt, so die Entbindung des bisherigen Pflichtverteidigers zu bewirken und dann an dessen Stelle als neuer Pflichtverteidiger bestellt zu werden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom - 1 Ws 419/10, NStZ-RR 2010, 381, 382; , NJW 2010, 1766, 1767; LR/Jahn, StPO, 27. Aufl., § 143a Rn. 9; MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl., § 143a Rn. 7; BeckOK StPO/Krawczyk, Ed. 52, § 143a Rn. 5 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 143a Rn. 4; BT-Drucks. 19/13829, S. 46). Eine Besorgnis der alsbaldigen Niederlegung des Wahlverteidigermandats unter Beantragung der Pflichtverteidigerbeiordnung ist regelmäßig vor allem dann anzunehmen, wenn der Beschuldigte nicht in der Lage ist, die Kosten für einen Wahlverteidiger zu tragen (vgl. , NStZ 2004, 632 Rn. 2; OLG Celle, Beschluss vom - 1 Ws 419/10, NStZ-RR 2010, 381, 382; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 143a Rn. 4; a.A. SSW-StPO/Beulke/Salat, 5. Aufl., § 143a Rn. 4; LR/Jahn, StPO, 27. Aufl., § 143a Rn. 11).
8bb) Zum anderen hat die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung zu unterbleiben, wenn die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vorliegen, also ein zusätzlicher (Pflicht-)Verteidiger zur Verfahrenssicherung, insbesondere wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit des Verfahrens, erforderlich ist (vgl. , juris Rn. 19 ff.; BT-Drucks. 19/13829, S. 46).
9d) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
10aa) Es sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Wahlverteidiger das Mandat demnächst niederlegen könnte, zumal die Ermittlungen ergeben haben, dass der Beschuldigte über hinreichend großes Barvermögen verfügt, um diesen auch längerfristig zu bezahlen. Für eine rechtsmissbräuchliche Begründung des Wahlverteidigerverhältnisses, um mittels der Regelung des § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO den bisherigen Pflichtverteidiger aus seiner Position zu verdrängen und an dessen Stelle zum Pflichtverteidiger bestellt zu werden, ist nichts ersichtlich. Dies gilt auch deshalb, weil nach gefestigter Rechtsprechung einem solchen Agieren grundsätzlich dadurch zu begegnen ist, dass im Fall der Niederlegung des Wahlverteidigermandats nicht der bisherige Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger, sondern der zuvor abberufene frühere Pflichtverteidiger erneut bestellt wird (vgl. , NStZ-RR 2024, 59; , NStZ 2022, 383 Rn. 5, 9; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 143a Rn. 6).
11bb) Zudem ist die Wertung des Ermittlungsrichters, die Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO lägen nicht vor, nicht zu beanstanden.
12(1) Diese Voraussetzungen sind nur gegeben, wenn für einen zusätzlichen (Pflicht-)Verteidiger - etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache - ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Beschuldigten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten. Eine solche Notwendigkeit ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich eine Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstrecken wird und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 35/24, juris Rn. 20; vom - StB 17/24, NStZ 2024, 502 Rn. 13; vom - StB 12/22, juris Rn. 12; vom - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 16; vom - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.). Bei der Entscheidung über die Bestellung eines Sicherungsverteidigers kommt dem hierzu gemäß § 142 Abs. 3 StPO berufenen Richter ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Dessen Beurteilung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens einen zusätzlichen (Pflicht-)Verteidiger nicht erfordert, kann das Beschwerdegericht daher nur beanstanden, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren hält; anderenfalls hat es sie hinzunehmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 35/24, juris Rn. 21; vom - StB 17/24, NStZ 2024, 502 Rn. 10; vom - StB 12/22, juris Rn. 8, 13; vom - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 18; vom - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 17 f.).
13(2) Hieran gemessen ist die Annahme des Ermittlungsrichters, die Voraussetzungen für einen zusätzlichen Pflichtverteidiger nach § 144 Abs. 1 StPO seien nicht gegeben, ohne weiteres vertretbar; sie verbleibt im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums: Das vorliegende Verfahren hat - zumindest derzeit - einen überschaubaren Umfang, so dass mit keiner besonders langen Verfahrensdauer zu rechnen ist und die Bearbeitung durch einen gewählten Verteidiger für eine effektive Wahrnehmung der Belange des Beschuldigten ausreichend erscheint. Anhaltspunkte dafür, dass sich komplexe Rechtsfragen stellen könnten, deren Durchdringung durch einen Verteidiger allein nicht möglich ist, liegen nicht vor.
Schäfer Paul Kreicker
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:210824BSTB47.24.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-74946