BGH Beschluss v. - 6 StR 221/24

Instanzenzug: Az: 24 KLs 9/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, wegen schweren Menschenhandels, wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz eines Springmessers, wegen Körperverletzung sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die auf die Sachrüge gebotene materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Zwar ist der Verweis der Strafkammer auf die „weiteren Einzelheiten“ des „WhatsApp-Nachrichtenverlaufs“ im Zusammenhang mit Fall B.I der Urteilsgründe unzulässig, denn § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO erlaubt ausschließlich Bezugnahmen auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, nicht aber auf Urkunden, Aktenbestandteile und sonstige Erkenntnisse (vgl. , NStZ-RR 2009, 116, 117; Beschluss vom – 3 StR 58/00, NStZ-RR 2000, 304; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 9. Aufl., § 267 Rn. 8). Hier kann der Senat indes schon den Urteilsgründen den wesentlichen Inhalt der Nachrichten entnehmen, so dass es auf die Bezugnahme nicht ankommt (vgl. , NStZ-RR 2000, 304).

32. Auf die Rüge der Verletzung des Beschleunigungsgebots stellt der Senat fest, dass das Strafverfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist (vgl. zur Erforderlichkeit einer Verfahrensrüge , Rn. 6 mwN; ; MüKo-StGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 512 ff. mwN).

4a) Das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten ist am eingeleitet worden; seit dem befindet er sich in Untersuchungshaft. Nach der Verkündung des angefochtenen Urteils am sind die schriftlichen Urteilsgründe am abgesetzt und deren Zustellung an die Verteidigung erst am bewirkt worden.

5b) Der Zeitraum von beinahe einem halben Jahr zwischen Absetzung und Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe verstößt gegen das Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK, das aufgrund der Inhaftierung des Angeklagten besonderes Gewicht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – StB 2/24, Rn. 23; vom – AK 31/20, Rn. 8 mwN).

6c) Der Umstand, dass sich ausweislich der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden vom die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls infolge „mehrfacher, aufeinander folgender Erkrankungen“ und damit verbundener „hoher dienstlicher Belastungen“ der Protokollkräfte verzögert hatte und erst am erfolgte, führt zu keiner anderen Bewertung.

7Ist ein Urkundsbeamter aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauerhaft oder voraussichtlich mindestens für eine längere Zeitspanne gehindert, ein Protokoll zu unterzeichnen, kann seine Unterschrift entsprechend § 271 Abs. 2 StPO ersetzt werden (vgl. , NStZ-RR 2021, 57, 58; KK-StPO/Greger, 9. Aufl., § 271 Rn. 10 f.; LR/Stuckenberg, 27. Aufl., § 271 Rn. 25 f.; MüKo-StPO/Valerius, 2. Aufl., § 271 Rn. 25 f.; SSW-StPO/Güntge, 5. Aufl., § 271 Rn. 10).

8Wann im Einzelfall von einer Verhinderung auszugehen ist, regelt das Gesetz nicht. Angesichts der vergleichbaren Interessenlage gelten insoweit aber dieselben Grundsätze wie für die Unterzeichnung eines Urteils und den Verhinderungsvermerk nach § 271 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zwar steht dem Vorsitzenden bei der Entscheidung, ob ein Urkundsbeamter aus tatsächlichen Gründen gehindert ist, ein Protokoll zu unterschreiben, ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. zur Unterzeichnung eines Urteils BGH, Beschluss vom – 4 StR 634/97, NStZ-RR 1999, 46). Jedoch darf dabei nicht aus dem Blick geraten, dass die Unterzeichnung des Urteils und dessen Zustellung dringliche Dienstgeschäfte darstellen (vgl. mwN). Nichts anderes gilt für die Unterzeichnung des Protokolls, weil nach § 271 Abs. 4 StPO erst danach das Urteil zugestellt werden darf.

9Dieser Beurteilungsspielraum ist hier ersichtlich überschritten worden. Hinzu kommt, dass es sich um eine Haftsache handelt, in der das Beschleunigungsgebot besonders bedeutsam ist (vgl. BVerfG, NJW 2006, 677, 680).

10d) Eingedenk des in die Abwägung einzustellenden Gesamtzeitraums des Strafverfahrens genügt hier zur Kompensation – auch unter Berücksichtigung der verhängten Untersuchungshaft – die Feststellung des Konventionsverstoßes (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 88/24; vom – 3 StR 402/23).

Feilcke                              Tiemann                              von Schmettau

                  Arnoldi                                Gödicke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:200824B6STR221.24.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-74942