BVerwG Urteil v. - 6 C 12/22

Instanzenzug: Az: 21 K 797/22 Urteil

Tatbestand

1Die Klägerin wendet sich gegen eine postrechtliche Entgeltgenehmigung, die die Bundesnetzagentur der Beigeladenen erteilt hat.

2Die Klägerin ist der größte Träger der deutschen Rentenversicherung und eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Die Beigeladene ist ein börsennotiertes Logistik- und Postunternehmen, das aus der früheren Behörde Deutsche Bundespost hervorging. Sie erbringt auf dem deutschen Markt Briefdienstleistungen mit einem Umsatzanteil von mehr als 80 % und stellt die Versorgung mit bestimmten grundlegenden Postdienstleistungen im gesamten Bundesgebiet sicher (Universaldienst).

3Durch Beschluss vom genehmigte die Bundesnetzagentur der Beigeladenen für den Zeitraum vom bis zum antragsgemäß die Erhöhung des Entgelts für die Beförderung verschiedener Briefsendungen. Die Bundesnetzagentur gab die Entgeltgenehmigung der Beigeladenen sowie den weiteren am Regulierungsverfahren Beteiligten bekannt, nicht aber der Klägerin. Ferner veröffentlichte sie am eine - um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bereinigte - öffentliche Fassung der Entgeltgenehmigung in ihrem Amtsblatt. Die genehmigten Entgelte beruhten gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PostG auf Maßgrößen, die die Bundesnetzagentur zuvor aufgrund eines einheitlichen Verfahrens nach der Post-Entgeltregulierungsverordnung für die zu diesem Zweck zusammengefassten Briefdienstleistungen der Beigeladenen (Price-Cap-Verfahren) festgelegt hatte.

4Die Klägerin führte im Jahr 2017 die Sozialwahl durch. Im Vorfeld der Wahl hatte sie den Briefversand der Wahlunterlagen an alle Wahlberechtigten offen ausgeschrieben und der Beigeladenen den Zuschlag für das nicht preisregulierte Produkt erteilt. Der Rücklauf dieser Wahlbriefe erfolgte hingegen durch das preisregulierte Produkt der zusätzlichen Leistung "Werbeantwort Standardbrief" national. Hierzu schlossen die Klägerin und die Beigeladene am eine schriftliche "Vereinbarung über die Abrechnung von Wahlbriefen". Darin übernahm die Klägerin für die von den Rücksendern unfrei eingelieferten Wahlbriefe das gemäß Leistungen und Preise zum Auslieferungszeitpunkt festgelegte Grundentgelt. Insgesamt stellte die Beigeladene für die erbrachten Beförderungsleistungen 6 063 558,90 € in Rechnung, die die Klägerin bezahlte.

5Mit ihrer am erhobenen Klage greift die Klägerin die Entgeltgenehmigung hinsichtlich des Entgelts "Werbeantwort Standardbrief" (national) an. Sie meint, ihre Klage sei nicht verfristet. Ihr sei die Entgeltgenehmigung nicht zugestellt oder sonst bekannt gegeben worden. Eine öffentliche Bekanntgabe sehe das Gesetz nicht vor. Von einer Verwirkung des Klagerechts könne nicht ausgegangen werden, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Die Klägerin hat beantragt, die angegriffene Entgeltgenehmigung im Verhältnis zwischen den Beteiligten insoweit aufzuheben, als die Beklagte darin das Entgelt für die zusätzliche Leistung "Werbeantwort Standardbrief" (national) genehmigt hat.

6Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom als unzulässig abgewiesen. Zwar fehle es nicht an der Klagebefugnis, weil die Klägerin die Postdienstleistung in Anspruch genommen habe. Die Klage sei auch nicht nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO verfristet, weil der Klägerin gegenüber keine individuelle Bekanntgabe der Entgeltgenehmigung erfolgt sei. Auch eine öffentliche Bekanntgabe habe nicht stattgefunden, da das Gesetz eine solche nicht erlaube. Insbesondere enthalte § 22 Abs. 4 PostG keine derartige Anordnung. Von einer wirksamen Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG könne gleichfalls nicht ausgegangen werden, da es jedenfalls am Bekanntgabewillen der Bundesnetzagentur gegenüber der Allgemeinheit und der Klägerin gemangelt habe. Die Anwendung des § 8 VwZG scheitere ebenfalls an dem fehlenden Bekanntgabewillen. Jedoch habe die Klägerin ihr Klagerecht hinsichtlich der Entgeltgenehmigung vom verwirkt.

7Die Klägerin habe von ihrer Klagemöglichkeit spätestens seit Mitte 2017 - seit der Inanspruchnahme der entgeltregulierten Postdienstleistung - Kenntnis haben müssen. Zudem hätten zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Januar 2022 besondere Umstände vorgelegen, welche die verspätete Klageerhebung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließen. Der Klägerin sei eine vorherige Klageerhebung ohne Weiteres zumutbar gewesen. Sie sei der größte Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Für die Beigeladene sei zu berücksichtigen, dass diese nach viereinhalb Jahren nicht mehr mit einer Klageerhebung habe rechnen müssen. Zwar habe sie keine schutzwürdigen Dispositionen getroffen. Dennoch sei die Beigeladene schutzwürdig, da offensichtlich sei, dass es irgendeine zeitliche Begrenzung der Klagemöglichkeit geben müsse, um ihren wirtschaftlichen Fortbestand zu sichern. Hinzu trete, dass die Klägerin und die Beigeladene in einem dauerhaften Schuldverhältnis gestanden hätten, aus dem Treuepflichten resultierten, die eine zügige Erhebung der Klage gegen die Entgeltgenehmigung nahegelegt hätten. Die Klägerin habe im Zuge der Sozialwahl Verträge über die Beförderung der Wahlanschreiben im nicht regulierten Bereich in Millionenhöhe abgeschlossen. Zudem habe sie - ebenfalls in Millionenhöhe - regulierte Leistungen der Beigeladenen für die Rücksendung der Wahlbriefe in Anspruch genommen. Das Beförderungsvertragsverhältnis sei kein einmaliges, sondern ein (häufig) wiederkehrendes Verhältnis gewesen, wodurch in besonderem Umfang die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben geboten sei. Dies gelte selbst dann, wenn - wofür einiges spräche - die zusätzliche Leistung "Werbeantwort Standardbrief" als Universaldienstleistung anzusehen wäre. Dann geböte zusätzlich auch das öffentliche Interesse am Erhalt des Universaldienstes die Annahme der Verwirkung.

8Die Klägerin hat mit Zustimmung der Beklagten die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt. Das Urteil beruhe auf einer Verletzung von Bundesrecht, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verwirkung nicht vorlägen. Es fehle am Zeitmoment, da der verstrichene Zeitraum kein besonders langer sei. Sie, die Klägerin, habe keine Kenntnis vom Bestehen eines Klagerechts gehabt. Erkundigungspflichten bestünden nicht, ein Kennenmüssen reiche nicht aus. Das Umstandsmoment sei nicht erfüllt, weil sie sich nicht illoyal gegenüber der Beigeladenen verhalten habe. Auch am Vertrauensmoment mangele es; die Beigeladene habe weder auf das Ausbleiben von Klagen vertraut noch schutzwürdige Dispositionen getroffen. Der Fortbestand der Beigeladenen sei nicht gefährdet, wenn Klagen der Endkunden zeitlich unbefristet möglich wären.

9Die Beklagte und die Beigeladene verteidigen das verwaltungsgerichtliche Urteil.

Gründe

10Die zulässige Sprungrevision der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht zwar auf einer Verletzung revisiblen Rechts, soweit das Verwaltungsgericht das Klagerecht der Klägerin als verwirkt angesehen hat (1.). Die Entscheidung erweist sich aber aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil die Anfechtungsklage der Klägerin verfristet ist (2.). Das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, ohne insoweit nach § 137 Abs. 2 VwGO an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden zu sein (stRspr, vgl. 6 C 3.22 - ZUM 2024, 302 Rn. 28 m. w. N.). Diese Prüfung wird bei der Sprungrevision nicht durch § 134 Abs. 4 VwGO ausgeschlossen.

111. Unter Verstoß gegen revisibles Recht nimmt das Verwaltungsgericht im Streitfall die Voraussetzungen der Verwirkung an.

12a. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt für das Rechtsinstitut der Verwirkung ist der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Verwirkung ist eine besondere Ausprägung dieses Grundsatzes und der Hauptanwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ( 2 C 10.17 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 88 Rn. 18 sowie Beschlüsse vom - 4 BN 33.12 - BauR 2013, 1101 <1101> und vom - 6 B 18.19 - juris Rn. 7). Der Verwirkung können sowohl materielle wie auch prozessuale Rechte unterliegen (vgl. - BVerfGE 32, 305 <308>). Die Grundsätze der Verwirkung werden hier zur Ergänzung bundesrechtlicher Rechtssätze des Verwaltungsprozessrechts herangezogen und sind deshalb revisibel (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zudem gehört auch das materiell-rechtlich inmitten stehende Postrecht zum Bundesrecht.

13Der Verwirkungstatbestand ist dann erfüllt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts längere Zeit verstrichen (Zeitmoment) und der Berechtigte untätig geblieben ist, obschon man vernünftigerweise damit hätte rechnen können, dass er etwas zur Wahrung seiner Rechte unternimmt (Umstandsmoment). Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (Vertrauensmoment). Die verspätete Geltendmachung des Rechts ist dann als Verstoß gegen Treu und Glauben anzusehen, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dieser werde das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, das Recht werde nicht mehr ausgeübt (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Ob diese Anforderungen erfüllt sind, bemisst sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls (stRspr, vgl. - BVerfGE 32, 305 <308 f.>; 7 A 2.07 - Buchholz 451.171 § 9a AtG Nr. 2 Rn. 21, vom - 4 C 4.89 - NVwZ 1991, 1182 <1184 f.> sowie vom - 2 C 10.17 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 88 Rn. 21 f.; Beschlüsse vom - 3 B 24.18 - Buchholz 407.2 § 13 EKrG Nr. 4 Rn. 16 und vom - 6 B 18.19 - juris Rn. 9 m. w. N.).

14b. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Postsektor ist durch den millionenfachen Abschluss privater Beförderungsverträge gekennzeichnet. Die Beteiligten sprechen von 40 bis 50 Mio. Verträgen, die werktäglich zwischen der Beigeladenen und den Endkunden geschlossen werden. Zu einem großen Teil kommen diese Beförderungsverträge konkludent durch den Einwurf der Briefsendungen in den Postkasten oder die Abgabe an einem Postschalter zustande (vgl. Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 1 Abs. 3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen BRIEF NATIONAL der Beigeladenen). Sie betreffen in erheblichem Umfang entgeltregulierte Postdienstleistungen. Weder sind im Hinblick auf den postalischen Massenverkehr besondere vertrauensbegründende Umstände auszumachen (aa.) noch besteht zwischen der Klägerin und der Beigeladenen eine potentiell vertrauensbegründende Sonderverbindung (bb.) Den von der Beigeladenen befürworteten Modifizierungen der tatbestandlichen Anforderungen der Verwirkung kann nicht beigetreten werden (cc.). Lässt sich damit kein Umstands- und Vertrauensmoment begründen, bleibt es nur bei der langen Dauer der Untätigkeit der Klägerin. Der Zeitablauf allein führt allerdings noch nicht zur Verwirkung (stRspr, vgl. - BVerfGE 32, 305 <308 f.>; BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 116.98 - Buchholz 428 § 37 VermG Nr. 19 und vom - 6 B 18.19 - juris Rn. 14 m. w. N.).

15aa. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts liegen im Streitfall keine die Treuwidrigkeit der Klageerhebung begründenden besonderen Umstände vor.

16Zweifelhaft ist bereits, ob die Untätigkeit der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht in eine Situation eingebettet ist, in der vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt.

17Zwar hat der Senat bereits in seinem Urteil vom - 6 C 8.14 - (BVerwGE 152, 355) die Klagemöglichkeit der Endkunden bestätigt. An diesem Verfahren war die Beigeladene beteiligt. Über das Urteil ist - das haben die Beteiligten mit verschiedenen Presseberichten im Laufe des Verfahrens illustriert - in den Medien berichtet worden. Insofern muss die Beigeladene als Verpflichtete seitdem mit Anfechtungsklagen rechnen und davon ausgehen, dass Endkunden Kenntnis von den ihnen zustehenden Rechten erlangt haben (zum Ausschluss der Verwirkung bei eigener Unkenntnis des Verpflichteten: 7 A 2.07 - Buchholz 451.171 § 9a AtG Nr. 2 Rn. 25; zum Ausschluss der Verwirkung bei Kenntnis des Verpflichteten von der Unkenntnis des Berechtigten: - NJW 2000, 140 <142>). Die Endkunden konnten sich die vom Senat anerkannte Möglichkeit, gegen eine Entgeltgenehmigung vorzugehen, gleichfalls zumindest aus der Berichterstattung zu dem Urteil erschließen. Unerheblich ist, ob die Klagemöglichkeit jedem Postkunden bewusst ist. Der positiven Kenntnis steht es regelmäßig gleich, wenn der Berechtigte von der ihn belastenden Maßnahme zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm deren Vorliegen hätte aufdrängen müssen und es ihm möglich und auch zumutbar war, sich über die getroffene Maßnahme letzte Gewissheit zu verschaffen ( 4 A 11.99 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 158 S. 55).

18Allerdings sind solche Klagen gegen eine postrechtliche Entgeltgenehmigung nur in einer überschaubaren Anzahl erhoben worden. Es lässt sich in tatsächlicher Hinsicht kaum von Verhältnissen sprechen, in denen typischerweise etwas unternommen zu werden pflegt und es deswegen treuwidrig erscheint, wenn ein einzelner Kunde - wie hier die Klägerin - diese Möglichkeit über längere Zeit nicht nutzt.

19Jedenfalls ist weder zu erkennen, dass das Verhalten der Klägerin bei der Beigeladenen zu der Vorstellung führte, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht, noch dass sich die Beigeladene hierauf tatsächlich eingerichtet hat.

20Im Hinblick auf die schiere Masse an werktäglichen Beförderungsverträgen erscheint es ausgeschlossen, dass die Beigeladene in Bezug auf einen der unzähligen Postkunden konkrete Vorstellungen dazu entwickelt hat, dieser werde seine Rechte nicht mehr geltend machen. Die Beigeladene hat vielmehr nachvollziehbar vorgetragen, sie kenne in den allermeisten Fällen ihre Kunden nicht und könne zu den konkludenten Vertragsschlüssen insbesondere durch Einwurf in den Briefkasten nichts sagen, da sie insoweit keine Vertragsdokumentation führe. Dies gelte auch in Bezug auf die Klägerin, die die Postdienstleistungen in erhöhtem Umfang in Anspruch nehme. Eine Vertrauensgrundlage lässt sich infolgedessen nicht feststellen.

21Zudem fehlen Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beigeladene auf das Ausbleiben der Klage der Klägerin in irgendeiner Weise tatsächlich eingestellt hat. Es ist aber Voraussetzung für das Entstehen eines Vertrauenstatbestands, dass die verzögerte Geltendmachung für bestimmte Dispositionen des Verpflichteten ursächlich ist. Die verzögerte Rechtsausübung verdient die Qualifizierung als treuwidrig lediglich dann, wenn die zunächst gezeigte Untätigkeit den anderen Teil zu bestimmten Reaktionen veranlasst hat (vgl. 5 C 18.76 - BVerwGE 52, 16 <25> und vom - 4 C 4.89 - NVwZ 1991, 1182 <1184 f.>). Soweit die Beigeladene darauf verweist, ihre Dispositionen lägen in der Fortführung ihrer wirtschaftlichen Betätigung u. a. mit der Klägerin in dem Vertrauen darauf, die Entgelte behalten zu dürfen, steht dies im Widerspruch zu ihrem eigenen Vortrag, die zahlreichen Postkunden - unter ihnen die Klägerin - nicht zu kennen. Vielmehr werden die Dispositionen der Beigeladenen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Betätigung auf dem Postmarkt von einer Vielzahl anderer Faktoren bestimmt. Lassen sich ihre unternehmerischen Entscheidungen jedoch nicht auf ausgebliebene Klagen eines bestimmten Kunden wie der Klägerin zurückführen, kann die verspätete Durchsetzung auch nicht zu einem unzumutbaren Nachteil führen.

22Die Bejahung eines Vertrauenstatbestands begegnet darüber hinaus noch aus einem weiteren Grund erheblichen Bedenken. Die Beigeladene hat die durch das Urteil des Senats vom (6 C 8.14 - BVerwGE 152, 355) festgestellte Möglichkeit der Klage sämtlicher Endkunden stets im Blick behalten, wie Verlautbarungen der Deutsche Post DHL Group, zu der die Beigeladene gehört, in den Halbjahresberichten vom und vom nahelegen. Darin hat sie darauf hingewiesen, dass negative Auswirkungen des genannten Urteils auf bestehende Entgeltgenehmigungen oder künftige Regulierungsverfahren nicht ausgeschlossen werden könnten und nach aktueller Bewertung (weiterhin) ein Risiko mittlerer Bedeutung darstellten. In dem Bericht von 2021 ist ausdrücklich von Urteilen und laufenden Klageverfahren die Rede. Auch deshalb kann keine Rede davon sein, dass sich die Beigeladene in ihrem Vertrauen auf das Ausbleiben von Klagen von Kunden eingerichtet hat.

23bb. Nicht nachzuvollziehen ist weiter, worauf die Annahme des Verwaltungsgerichts gründet, die Klägerin habe in einem "dauerhaften Schuldverhältnis" zur Beigeladenen gestanden, aus dem sich Treuepflichten zu einer umgehenden Klageerhebung ableiten ließen und die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben in besonderem Umfang geboten sei (UA S. 19). Soweit das Verwaltungsgericht hierfür auf die Verträge abstellt, die die Klägerin nach der Ausschreibung und Erteilung des Zuschlags an die Beigeladene mit dieser über die Beförderung der Wahlunterlagen an alle Wahlberechtigten geschlossen hat, geht es um die Inanspruchnahme nicht preisregulierter Postdienstleistungen. Die Frage der Anfechtung einer Entgeltgenehmigung stellt sich insoweit von vornherein nicht.

24Auch aus den einzelnen Beförderungsverträgen für die Rücksendung der Wahlunterlagen an die Klägerin lässt sich nichts herleiten. Mit der einmaligen Inanspruchnahme der Postdienstleistungen zur Rücksendung der vorbereiteten Antwortbriefe für die Sozialwahl 2017 an die Klägerin ("Porto zahlt Empfänger") haben vielmehr die jeweiligen wahlberechtigten Rücksender mit der Beigeladenen konkludent einen Beförderungsvertrag geschlossen. Treuepflichten der Klägerin können aus diesen Verträgen nicht begründet werden. Im Übrigen ergäbe sich nicht einmal aus der wiederkehrenden Inanspruchnahme entgeltregulierter Postdienstleistungen ein Dauerschuldverhältnis. Vielmehr handelt es sich um eine Vielzahl einzelner Beförderungsverträge, die im Geschäftsablauf der Beigeladenen weitgehend entpersonalisiert durch Einwurf in den Briefkasten oder Abgabe am Postschalter zustande kommen. Zudem lässt sich aus einem solchen Beförderungsvertrag als Massengeschäft des täglichen Lebens auch keine besondere Treuepflicht ableiten, eine zeitnahe gerichtliche Klärung der dafür geschuldeten Entgelte herbeizuführen.

25Nichts Anderes ergibt sich aus der von der Klägerin und der Beigeladenen geschlossenen "Vereinbarung über die Abrechnung von Wahlbriefen" vom , die als Vertrag über die Modalitäten des Standardprodukts "Werbeantwort Standardbrief" ebenfalls dem postalischen Massenverkehr zuzurechnen ist. Obschon sich die Rücksendung der vorbereiteten Antworten über einige Wochen erstreckt hat, spricht nichts für die Annahme eines dauerhaften Schuldverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beigeladenen. Jedenfalls folgen aus der Inanspruchnahme dieses Produkts der Beigeladenen für die Klägerin keine besonderen Treuepflichten, die Rechtmäßigkeit des für die unfrei zugesandten Sendungen anfallenden und übernommenen Entgelts zeitnah gerichtlich klären zu lassen.

26Die im angefochtenen Urteil (UA S. 19 f.) hilfsweise herangezogene öffentlich-rechtliche Überlagerung der verschiedenen Vertragsbeziehungen durch die Regelungen der Universaldienstleistungs- sowie Postdienstleistungsverordnung der Bundesregierung - PUDLV sowie PDLV - bietet ebenfalls keinen Anknüpfungspunkt für das Bestehen entsprechender Treuepflichten, selbst wenn es sich - was das Verwaltungsgericht offengelassen hat und auch im Revisionsverfahren keiner Klärung bedarf - bei der zusätzlichen Leistung "Werbeantwort Standardbrief" um eine Universaldienstleistung handelt. Die Regelungen zielen lediglich auf die nähere Bestimmung der dem Universaldienst im Einzelnen unterfallenden Dienstleistungen, der Ausgestaltung des Universaldienstes sowie der Rechte und Pflichten der Anbieter von Postdienstleistungen sowie der Endkunden ab. Sie deuten an keiner Stelle auf das Bestehen eines Treueverhältnisses zwischen der Beigeladenen und den die Beförderungsleistungen in Anspruch nehmenden Rücksendern der Antwortbriefe bzw. dem das Entgelt für die Beförderung der Rücksendungen zahlenden Empfänger - der Klägerin - hin, welches zu einer zeitnahen Überprüfung des geschuldeten Entgelts veranlassen müsste.

27cc. Eine den Besonderheiten des Massenverkehrs Rechnung tragende Modifizierung der Anforderungen an das Umstands- und Vertrauensmoment, wie von der Beigeladenen gefordert, kommt nicht in Betracht. Bei der Verwirkung handelt es sich um ein durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeformtes Rechtsinstitut. Dessen tatbestandliche Voraussetzungen lassen sich im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht beliebig variieren. Überdies überzeugt es auch inhaltlich nicht, wenn die Beigeladene die notwendigen Anpassungen vornehmen will, indem sie das Vorliegen besonderer Umstände verlangt, um als Verpflichtete (ausnahmsweise) kein Vertrauen in den Bestand der Beförderungsverträge entwickeln zu können. Der Sache nach wird damit ein aktives Tätigwerden der Endkunden gefordert, um ein (unterstelltes) Vertrauen der Beigeladenen zu erschüttern. Dies widerspricht jedoch der systematischen Verortung der Verwirkung im Grundsatz von Treu und Glauben, weil es an der notwendigen Kausalverknüpfung zwischen der Untätigkeit und einem dadurch ausgelösten Vertrauen mangelt, das die Treuwidrigkeit erst begründet (vgl. in diesem Zusammenhang 4 C 4.89 - NVwZ 1991, 1182 <1184 f.>).

282. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich allerdings im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), da die Klage aus anderen Gründen unzulässig ist. Sie ist verfristet, weil sie die Klagefrist nicht wahrt. Einschlägig ist hierbei nicht die Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des Bescheides, die § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO für Anfechtungsklagen vorsieht, wenn - wie im vorliegenden Fall gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO i. V. m. § 44 Satz 2 PostG, § 80 Abs. 1 TKG 1996 - ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich ist (a.). Vielmehr haben Postkunden, die eine postrechtliche Entgeltgenehmigung hinsichtlich einzelner Entgelte angreifen, die Anfechtungsklage in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 9 PDLV innerhalb eines Jahres ab Veröffentlichung der genehmigten Entgelte im Amtsblatt der Bundesnetzagentur zu erheben (b.). Die Entgelte der angegriffenen Entgeltgenehmigung sind am veröffentlicht worden. Die erst am erhobene Klage wahrt die Jahresfrist nicht.

29a. Die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO kommt nicht zum Tragen. Es fehlt an der von dieser Norm geforderten Bekanntgabe der postrechtlichen Entgeltgenehmigung an die Klägerin. Der Klägerin ist die Entgeltgenehmigung nicht individuell gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG bekannt gegeben worden. Auch eine öffentliche Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 VwVfG hat nicht wirksam stattfinden können. Denn die öffentliche Bekanntgabe der postrechtlichen Entgeltgenehmigung ist weder gemäß § 41 Abs. 3 Satz 1 VwVfG durch Rechtsvorschrift zugelassen (aa.) noch handelt es sich bei einer solchen Genehmigung um eine Allgemeinverfügung im Sinne des § 41 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 35 Satz 2 VwVfG (bb.).

30aa. Gemäß § 41 Abs. 3 Satz 1 VwVfG ist die öffentliche Bekanntgabe nur ausnahmsweise zulässig, wenn dies durch Rechtsvorschrift ausdrücklich zugelassen ist. Im Falle einer zulässigen und vorschriftsgemäß bewirkten öffentlichen Bekanntgabe gilt der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben (§ 41 Abs. 4 Satz 3 VwVfG). Demgemäß wird er zu diesem Zeitpunkt gegenüber allen Betroffenen wirksam und nach einem Monat unanfechtbar, wenn ihm eine richtige und vollständige Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt ist (§ 74 Abs. 1 VwGO). Diese Wirkung der Bekanntgabe für und gegen jedermann tritt unabhängig davon ein, ob der Einzelne sich Kenntnis von dem Verwaltungsakt verschaffen konnte. Damit bietet eine öffentliche Bekanntgabe keine Gewähr, dass die Betroffenen tatsächlich Kenntnis erlangen. Deshalb kommt der individuellen Bekanntgabe eines Verwaltungsakts an jeden in seiner Rechtsstellung Betroffenen aus Gründen des rechtlichen Gehörs und des wirkungsvollen Rechtsschutzes Vorrang zu (vgl. 6 C 26.19 - BVerwGE 171, 156 Rn. 35). Die besonderen Rechtfertigungsgründe für eine gesetzgeberische Anordnung der öffentlichen Bekanntgabe liegen zwar insbesondere in Massenverfahren vor, etwa wenn die Einzelbekanntgabe mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden wäre (Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 41 Rn. 45). Hiervon hat der Gesetzgeber verschiedentlich auch Gebrauch gemacht (vgl. §§ 69 Abs. 2 Satz 3, 74 Abs. 5 VwVfG). Für den Postsektor fehlt es aber bislang an einer ausdrücklichen Anordnung. Insbesondere sieht § 22 Abs. 4 PostG i. V. m. § 9 der Post-Entgeltregulierungsverordnung der Bundesregierung - PEntgV - keine öffentliche Bekanntgabe der Entgeltgenehmigung vor.

31Nach § 22 Abs. 4 PostG sind genehmigte Entgelte im Amtsblatt der Regulierungsbehörde zu veröffentlichen. § 9 PEntgV konkretisiert diese Verpflichtung dahingehend, dass neben den genehmigten Entgelten die dazugehörigen Leistungsbeschreibungen und die Bestimmung über die Leistungsentgelte von der Regulierungsbehörde zu veröffentlichen sind. Dieser Wortlaut von § 22 Abs. 4 PostG i. V. m. § 9 PEntgV lässt deutlich werden, dass es nicht um eine "Bekanntgabe", sondern um eine "Veröffentlichung" geht, die überdies die bereits "genehmigten" Entgelte sowie - nach § 9 PEntgV - weitere Unterlagen aus dem Antragsverfahren betrifft, nicht aber die "Genehmigung" selbst. Eine Veröffentlichung unterscheidet sich dem Wortsinn nach von einer Bekanntgabe. Sprachlich verbindet sich mit einer Veröffentlichung die Herstellung von Transparenz, das heißt, eine Information derjenigen, die der veröffentlichte Inhalt etwas angeht, nicht aber ein die Wirksamkeit der zugrunde liegenden Regelung konstituierender Akt wie eine öffentliche Bekanntgabe. Vor dem Hintergrund der weitreichenden Folgen, die die öffentliche Bekanntgabe eines Verwaltungsakts für alle Betroffenen hat, kann die zwischen Veröffentlichung und Bekanntgabe differenzierende Terminologie des Gesetzgebers nicht außer Acht gelassen werden.

32Dieser Wortlautbefund wird zusätzlich durch systematische Erwägungen gestützt. Der Vergleich mit zahlreichen anderen Vorschriften außerhalb des Postgesetzes, in denen eine öffentliche Bekanntgabe von Verwaltungsakten normiert worden ist, zeigt, dass der Gesetzgeber dort jeweils an die Begrifflichkeit des § 41 Abs. 3 Satz 1 VwVfG anknüpft und von einer (öffentlichen) Bekanntgabe spricht (vgl. § 10 Abs. 8 Satz 1 BImSchG, § 50 Abs. 1 BauGB, § 73 Abs. 1a EnWG). Die Regelung in § 27a Abs. 1 Satz 1 VwVfG in der bis zum geltenden Fassung verdeutlicht, dass der Gesetzgeber auch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht zwischen der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts und seiner Veröffentlichung differenziert. Die Systematik im Postgesetz selbst spricht ebenfalls gegen die Annahme, dass § 22 Abs. 4 PostG eine öffentliche Bekanntgabe zulässt. Denn § 44 Satz 2 PostG nimmt Bezug auf die telekommunikationsrechtliche Vorschrift des § 79 TKG 1996, die eine individuelle Bekanntgabe der Entgeltgenehmigung vorsieht. Hätte der Gesetzgeber daneben eine öffentliche Bekanntgabe anordnen wollen, hätte er dies klar zum Ausdruck bringen müssen. Die Gesetzgebungsmaterialien lassen einen solchen Willen des Gesetzgebers ebenfalls nicht erkennen (BT-Drs. 13/7774 S. 26).

33Bestätigt wird dieses Ergebnis ferner durch den Entwurf der Bundesregierung zu dem Gesetz zur Modernisierung des Postrechts (Postrechtsmodernisierungsgesetz). In § 102 Abs. 2 PostG-E ist neben der Zustellung an die Beteiligten des Regulierungsverfahrens ausdrücklich eine öffentliche Bekanntmachung der Entgeltgenehmigungen sowohl für das Einzelgenehmigungsverfahren (§ 43 PostG-E) als auch für das Price-Cap-Verfahren (§ 46 PostG-E) vorgesehen (BT-Drs. 20/10283 S. 7 ff.). Das spricht dafür, dass die gegenwärtige Rechtslage keine Anordnung der öffentlichen Bekanntgabe enthält.

34bb. Die Anwendung der für Allgemeinverfügungen in § 41 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 35 Satz 2 VwVfG vorgesehenen Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe kommt nicht in Betracht. Bei der postrechtlichen Entgeltgenehmigung handelt es sich um einen Individualverwaltungsakt nach § 35 Satz 1 VwVfG, der auf den schriftlichen Antrag des regulierten Unternehmens ergeht (a. A. Neumann, jurisPR-BVerwG 6/2014, Anm. 6 in Bezug auf eine telekommunikationsrechtliche Entgeltgenehmigung). Ihre privatrechtsgestaltende Wirkung erstreckt sich auf alle Verträge, mit denen sich das Unternehmen verpflichtet, eine bestimmte standardisierte Postdienstleistung zu erbringen. Die Genehmigung legt zwar das hierfür zu entrichtende Entgelt für die Dauer ihrer Geltung rechtsverbindlich fest. Die Folge, dass von den Endkunden allein das genehmigte Entgelt verlangt werden darf, resultiert jedoch nicht aus dem Regelungsgehalt der Entgeltgenehmigung, sondern gilt unmittelbar kraft Gesetzes (§ 23 Abs. 1 und 2 Satz 1 PostG). Die Geltungsvermittlung gegenüber sämtlichen Kunden wird mithin (erst) durch die gesetzliche Regelung ausgelöst, nach der weder das Unternehmen ein Entgelt in einer Höhe verlangen kann, die es auf dem Markt durchsetzen könnte, noch abweichende Vereinbarungen mit Kunden über die Entgelthöhe möglich sind ( 6 C 10.11 - BVerwGE 146, 325 Rn. 21, vom - 6 C 8.14 - BVerwGE 152, 355 Rn. 20, 22 und vom - 6 C 1.19 - BVerwGE 168, 178 Rn. 19). Im Übrigen handelt es sich bei den Endkunden auch nicht um einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis, wie es § 35 Satz 2 Alt. 1 VwVfG fordert. Die weiteren Varianten der Vorschrift erfassen die hier vorliegende Fallkonstellation ebenfalls nicht.

35b. Für die Anfechtungsklagen von Postkunden, mit denen eine postrechtliche Entgeltgenehmigung hinsichtlich einzelner Entgelte angegriffen wird, gilt in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 9 PDLV eine Klagefrist von einem Jahr. Sie beginnt mit der Veröffentlichung der genehmigten Entgelte im Amtsblatt der Bundesnetzagentur. Denn der Postsektor ist durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: Für die mit einer Portoerhöhung konfrontierten Endkunden ist es einerseits klar ersichtlich, dass ihnen gegenüber keine amtliche Bekanntmachung der Entgeltgenehmigung erfolgt und sie sich somit erkundigen müssen, wenn sie sich über die Rechtmäßigkeit der Entgelterhöhung letzte Gewissheit verschaffen wollen. Hinzu kommt andererseits, dass die Bundesnetzagentur die genehmigten Entgelte und auch die vollständige Entgeltgenehmigung in einer öffentlichen Fassung veröffentlicht, so dass eine Kenntniserlangung für jeden Kunden unschwer möglich und damit zumutbar ist (aa.). Wer sich als Endkunde der Beigeladenen dieser naheliegenden und zumutbaren Erkundigungsobliegenheit verschließt, darf sich nicht auf eine fehlende Bekanntgabe berufen. Vielmehr muss er sich dann nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als hätte er Kenntnis genommen. Die Annahme einer solchen Obliegenheit rechtfertigt sich aus dem besonderen öffentlichen Interesse am Eintritt der Wirkungen der Bekanntgabe, die deshalb zu fingieren ist. Auch der hierfür erforderliche Bekanntgabewille der Bundesnetzagentur liegt vor (bb.). Dies führt zu einer Heranziehung der Jahresfrist in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 9 PDLV (cc.). Der Rechtsschutz der Postkunden wird dadurch nicht in einer mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbarenden Weise erschwert. Unionsrechtliche Bedenken bestehen ebenfalls nicht (dd.).

36aa. Es ist eine offenkundige Tatsache, dass ungeachtet der in den vergangenen Jahrzehnten erfolgten Privatisierung der ehemaligen Behörde Deutsche Bundespost das Porto der Beigeladenen in großen Teilen nicht verhandelbar ist und auf amtlicher Festsetzung beruht. Die Vorgaben, denen die Beigeladene im Rahmen der ex ante-Entgeltregulierung durch die Bundesnetzagentur unterliegt, mögen nicht im Detail bekannt sein, sind aber frei zugänglich und überdies immer wieder auch Gegenstand medialer Berichterstattung.

37Portoerhöhungen werden nicht nur seit jeher von Amts wegen veröffentlicht, sondern über sie wird auch in den Medien berichtet. Vor allem stellen die Briefbeförderungen der Beigeladenen Massengeschäfte des alltäglichen Lebens dar, sodass Kunden typischerweise zeitnah mit dem erhöhten Porto konfrontiert werden. Diese Umstände entfalten eine hinreichende Anstoßwirkung, die es rechtfertigt, für jeden Postkunden eine Erkundigungsobliegenheit anzunehmen, wenn er sich Gewissheit über die Rechtmäßigkeit einer solchen Portoerhöhung verschaffen will. Denn wer eine Klärung anstrebt, weil er das neue Porto für überhöht hält, kann sich angesichts der millionenfachen Betroffenheit potentieller Postkunden nicht darauf verlassen, dass er hierzu von der Regulierungsbehörde angeschrieben wird oder etwas von dort mitgeteilt bekommt - er muss im eigenen Interesse selbst aktiv werden. Es handelt sich um eine Regelungsmaterie, die für die Kunden - entgegen der Ansicht der Klägerin - erkennbar mit Erkundigungsobliegenheiten verbunden ist.

38Schon einfache Erkundigungen führen auf die amtlichen Veröffentlichungen der Bundesnetzagentur in ihrem Amtsblatt, das auf der Homepage dieser Behörde abrufbar ist. Auch ältere Ausgaben sind über ein Archiv zugänglich. Darüber hinaus liegt das Amtsblatt in den Räumen der Bibliothek der Bundesnetzagentur zur Einsichtnahme bereit und es besteht die Möglichkeit, gegen einen Unkostenbeitrag ein gedrucktes Exemplar eines Amtsblatts in Papierform zu bestellen. Die Bundesnetzagentur veröffentlicht in ihrem Amtsblatt in ständiger Praxis den Tenor der Entgeltgenehmigung, einen kurzen Verfahrensgang sowie eine Übersicht der genehmigten Entgelte und verweist für die vollständige Entgeltgenehmigung auf eine öffentliche Fassung auf ihrer Homepage. Diese Veröffentlichungen der Bundesnetzagentur als genehmigender Behörde vermitteln nicht nur eine gesicherte Kenntnis von der Existenz der Entgeltgenehmigungen und der Authentizität des veröffentlichten Inhalts, sondern ermöglichen eine niedrigschwellige und kostenlose anderweitige Kenntnisnahme durch jeden Interessierten.

39bb. Wer sich als Postkunde dieser naheliegenden und zumutbaren Erkundigungsobliegenheit verschließt, darf sich nicht darauf berufen, die Entgeltgenehmigung sei ihm nicht bekanntgegeben worden. Vielmehr muss er sich nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als hätte er Kenntnis genommen ((1)). Das besondere öffentliche Interesse an den Wirkungen der Bekanntgabe der Entgeltgenehmigung gegenüber den Endkunden rechtfertigt die Annahme einer solchen Obliegenheit und die Fiktion der Bekanntgabe ((2)). Auch der erforderliche Bekanntgabewille der Bundesnetzagentur ist gegeben ((3)).

40(1) Der Grundsatz von Treu und Glauben gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts ( 4 C 4.99 - BVerwGE 111, 162 <172> sowie Beschluss vom - 4 B 3.98 - Buchholz 406.421 Garagen- und Stellplatzrecht Nr. 8). Er bedarf der Konkretisierung, die anhand von Fallgruppen bzw. Ausprägungen vorgenommen wird. Zu diesen gehört der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, nach dem die Ausübung eines Rechts unzulässig sein kann, wenn dem Berechtigten eine Verletzung eigener Pflichten bzw. Obliegenheiten zur Last fällt und die Ausübung des Rechts aufgrund dessen treuwidrig erscheint (vgl. 4 C 14.13 - juris Rn. 29, 31). Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist nach ständiger Rechtsprechung auch im Prozessrecht zu beachten (vgl. 6 B 14.08 - Buchholz 442.066 § 131 TKG Nr. 1 Rn. 6 m. w. N.) und kann - ebenso wie die Verwirkung - zum Ausschluss von (Verfahrens-)Rechten führen.

41Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass der Berufung auf eine fehlende amtliche Bekanntgabe der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen kann, wenn gleichwohl sichere Kenntnis von dem Verwaltungsakt besteht oder hätte bestehen müssen (stRspr, vgl. zum Baunachbarrecht: 4 C 2.72 - BVerwGE 44, 294 LS 2 und Beschluss vom - 4 N 3.86 - BVerwGE 78, 85 <88>; zum Planungsrecht: 9 A 8.19 - BVerwGE 169, 78 Rn. 48 ff.; zum Telekommunikationsrecht: 6 B 14.08 - Buchholz 442.066 § 131 TKG Nr. 1 Rn. 6 f.). Dies übersieht der Einwand der Klägerin in der Revisionsverhandlung, demzufolge sich die Frage, ob eine Bekanntgabe erfolgt sei, nur bejahen oder verneinen lasse und dogmatisch keinen Anknüpfungspunkt für Erwägungen zu Treu und Glauben biete. Die Anforderungen, die an diese Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu stellen sind, ergeben sich aus dem jeweiligen Fachrecht. Bei dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung handelt es sich um eine von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung ( 4 C 14.13 - juris Rn. 34, vgl. auch Mansel, in: Jauernig, BGB, 19. Aufl. 2023, § 242 Rn. 36 m. w. N.).

42(2) Normativer Anknüpfungspunkt der Erkundigungsobliegenheit der Endkunden ist das aus dem Fachrecht folgende besondere öffentliche Interesse am Eintritt der Bestandskraft. Es speist sich aus verfassungsrechtlichen Wertungen, für die der Grundsatz von Treu und Glauben in der Ausprägung der unzulässigen Rechtsausübung als Einfallstor fungiert (vgl. 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 31). Dieses besondere öffentliche Interesse rechtfertigt es, die Bekanntgabe gegenüber den Endkunden abweichend vom Regelfall zu fingieren. Denn eine tatsächliche Bekanntgabe hat - wie gezeigt - nicht stattgefunden. Ohne Bekanntgabe werden Rechtsbehelfsfristen jedoch nicht in Gang gesetzt und kann eine Bestandskraft nicht eintreten. Mithin könnte jeder Postkunde die Entgeltgenehmigung zeitlich unbegrenzt angreifen. Die Beigeladene selbst kann ihrerseits keinen Einfluss darauf nehmen, dass die Entgeltgenehmigung allen Kunden amtlich bekanntgegeben wird und auch ihnen gegenüber bestandskräftig werden kann.

43Verfassungsrechtliche Wertungen fordern, dass die Entgeltgenehmigung gegenüber den Endkunden der Beigeladenen nach dem fruchtlosen Ablauf einer Klagefrist in Bestandskraft erwächst. Denn Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG verlangt, unter Berücksichtigung des Gewährleistungsauftrags nach Art. 87f Abs. 1 GG im Postsektor faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen (zur Begrenzung des Wettbewerbsprinzips durch Art. 87f Abs. 1 GG: - BVerfGE 108, 370 <393>). Es dient der Förderung eines solchen Wettbewerbs, der Beigeladenen als Gesamtrechtsnachfolgerin der ehemaligen Behörde Deutsche Bundespost die unter Marktbedingungen erzielbaren Entgelte für Postdienstleistungen rechtsverbindlich vorzugeben, soweit sie eine marktbeherrschende Stellung innehat ( 6 C 1.19 - BVerwGE 168, 178 Rn. 31). Dies ist für die hier inmitten stehende Briefdienstleistung unverändert der Fall. Wird aber die Beigeladene als marktbeherrschendes Unternehmen zugunsten des freien Wettbewerbs der ex ante-Entgeltregulierung unterworfen und in ihrer unternehmerischen Entfaltung begrenzt, muss sichergestellt werden, dass sie auf eine Bestandskraft der in dem Regulierungsverfahren genehmigten Entgelte vertrauen kann. Darüber hinaus fordert die Sicherstellung eines chancengleichen Wettbewerbs und die Förderung nachhaltig wettbewerbsorientierter Märkte, dass den Marktteilnehmern eine hinreichend verlässliche Kalkulations- und Planungsgrundlage zur Verfügung gestellt wird ( 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87 Rn. 58 und Beschluss vom - 6 B 136.18 - juris Rn. 20). Da die Wettbewerber der marktmächtigen Beigeladenen (sogenannte Konsolidierer) ihren Geschäftsbetrieb mit eigenen Produkten und Dienstleistungen an den von der Bundesnetzagentur genehmigten Entgelten ausrichten, kann ein chancengleicher Wettbewerb nur sichergestellt werden, wenn in Bezug auf die genehmigten Entgelte für einen mittelfristig überschaubaren Zeitraum ökonomische Planungssicherheit besteht. Während der Geltungsdauer einer befristeten Entgeltgenehmigung müssen mithin sowohl das regulierte Unternehmen als auch die Wettbewerber auf deren Bestand vertrauen können. Eine zeitlich unbegrenzte Anfechtbarkeit der Entgeltgenehmigung durch Endkunden stünde dazu in Widerspruch. Der chancengleiche Wettbewerb kommt den Endkunden mittelbar zugute.

44(3) Der erforderliche Bekanntgabewille der Bundesnetzagentur liegt entgegen der Rechtsauffassung des angegriffenen Urteils vor. Jede Form der Bekanntgabe setzt voraus, dass der Verwaltungsakt mit Wissen und Wollen in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen, aus dem internen Bereich der Behörde herausgegeben worden ist. Stets muss der behördliche Wille erkennbar sein, dass der Verwaltungsakt gegenüber jedem, den er angeht, wirksam werden soll. Nicht notwendig ist hingegen, dass auch die nachträgliche Kenntniserlangung vom Willen erfasst wird (vgl. 8 C 43.95 - BVerwGE 104, 301 <314> und vom - 6 C 26.19 - BVerwGE 171, 156 Rn. 45 f. sowie Beschluss vom - 6 B 65.05 - Buchholz 340 § 5 VwZG Nr. 21 Rn. 7; vgl. auch - BFH/NV 1991, 215 <216>). Für die Fiktion einer Bekanntgabe kann nichts Abweichendes gelten.

45Im Streitfall wird der Bekanntgabewille dadurch dokumentiert, dass die Bundesnetzagentur die Entgeltgenehmigung vom an die am Regulierungsverfahren Beteiligten bekanntgegeben hat. Sie hat hiermit zu erkennen gegeben, dass sie die antragstellende Beigeladene sowie die weiteren Beteiligten bewusst über die getroffene Regelung unterrichten wollte. Die Entgeltgenehmigung ist somit in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen, aus dem internen behördlichen Bereich herausgegeben worden. Ergänzend hierzu hat die Bundesnetzagentur im Januar 2016 die Veröffentlichungen nach § 22 Abs. 4 PostG i. V. m. § 9 PEntgV in ihrem Amtsblatt vorgenommen. Insgesamt hat die Regulierungsbehörde dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Entgeltgenehmigung mit den genehmigten Entgelten gegenüber jedem, den sie angehen, wirksam werden sollte. Dies schließt die Postkunden als Drittbetroffene ein.

46cc. Anknüpfend an die Veröffentlichung der genehmigten Entgelte im Amtsblatt läuft für sämtliche Postkunden einheitlich eine Jahresfrist in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 9 PDLV. Ab diesem Zeitpunkt besteht für die Kunden die Möglichkeit, sich über die Rechtmäßigkeit der Entgeltgenehmigung Gewissheit zu verschaffen. Auf die konkrete Abfassung der von der Bundesnetzagentur der veröffentlichten Entgeltgenehmigung beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung kommt es dabei nicht an.

47In Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO wird das verwaltungsprozessuale Fristenregime beim Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung aufgegriffen und berücksichtigt, dass die Bekanntgabe der Entgeltgenehmigung an die Beigeladene und die zum Regulierungsverfahren hinzugezogenen Dritten nicht zugleich die Rechtsbehelfsfristen auch für jeden nichtbeteiligten Drittbetroffenen in Lauf setzt (vgl. zum Baunachbarrecht: 4 C 2.72 - BVerwGE 44, 294 <296>; vgl. auch 4 C 82.66 - juris Rn. 21). Mit Rücksicht auf die bloß fingierte Bekanntgabe muss den Kunden ein angemessener Zeitraum zur Verfügung stehen, ihre Einwendungen geltend zu machen.

48Zudem orientiert sich die Jahresfrist an der für die zivilrechtlich in Rede stehenden Beförderungsverträge geltenden Verjährungsvorschrift des § 9 PDLV, die mit § 439 Abs. 1 HGB übereinstimmt und ebenfalls ein Jahr beträgt. Zur Ausfüllung des Treuwidrigkeitstatbestandes ist auch auf die Wertungen allgemeiner Verjährungsvorschriften zurückzugreifen ( 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 33). Im Hinblick auf diese spezielle Verjährungsvorschrift überzeugt es - entgegen der Annahme der Klägerin - nicht, sich an der für die Verjährung kartellrechtlicher Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltenden Regelung in § 33h GWB auszurichten.

49dd. Der Rechtsschutz der Postkunden wird hierdurch weder mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ((1)) noch auf unionsrechtliche Vorgaben ((2)) unzulässig erschwert.

50(1) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährt keinen zeitlich unbeschränkten Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz. Die verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert. Sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne gerichtliche Prüfung zu tragen hat (stRspr, vgl. - NVwZ 2018, 579 Rn. 23 f.). Dazu gehören u. a. Bestimmungen zu Fristen, innerhalb derer Rechtsschutz zu suchen ist, um sowohl den schutzwürdigen Belangen der Dritten als auch dem öffentlichen Interesse an der Wahrung des Rechtsfriedens hinreichend Rechnung zu tragen. Selbst ein an sich unbefristeter Rechtsbehelf darf deshalb nicht nach Belieben hinausgezögert oder verspätet gestellt werden, ohne unzulässig zu werden (vgl. - BVerfGE 4, 31 <37> sowie Beschlüsse vom - 2 BvR 1660/02 - NJW 2003, 1514 <1515> und vom - 2 BvR 1451/04 - NJW 2005, 1855 <1856>). Bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen ist jedoch dafür Sorge zu tragen, dass der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer Weise erschwert wird (BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 255/67 - BVerfGE 32, 305 <309> sowie vom - 1 BvR 877/13 - NVwZ 2018, 579 Rn. 24 m. w. N.).

51Diese Anforderungen sind gewahrt. Für die zeitliche Beschränkung der Anfechtbarkeit der Entgeltgenehmigung durch Postkunden streitet das dargestellte erhebliche öffentliche Interesse an einer solchen Begrenzung. Keine Bedenken bestehen gegen die Heranziehung des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung, mit dem die Bekanntgabe fingiert wird. Seine Berücksichtigung ist - wie dargelegt - anerkannt, ebenso, dass hierauf ein Ausschluss prozessualer Rechte gestützt werden kann. Die in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 9 PDLV bestimmte Jahresfrist stellt sicher, dass die Kunden ausreichend Zeit haben, sich nach Veröffentlichung der genehmigten Entgelte über die Rechtslage zu informieren und ggf. eine gerichtliche Klärung anzustrengen. Die Jahresfrist erweist sich auch in vergleichbaren Konstellationen, in denen einem Berechtigten der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten wird, als sachgerechter Zeitraum (vgl. 4 C 2.72 - BVerwGE 44, 294 LS 2 und <300 f.> und vom - 9 A 8.19 - BVerwGE 169, 78 Rn. 50 sowie Beschluss vom - 4 N 3.86 - BVerwGE 78, 85 <88>).

52(2) Unionsrechtliche Bedenken bestehen gleichfalls nicht. Zwar verpflichtet Art. 22 Abs. 3 Satz 1 RL 97/67/EG die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass es auf nationaler Ebene wirksame Verfahren gibt, nach denen jeder Nutzer oder Postdiensteanbieter, der von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde betroffen ist, bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Beschwerdestelle einen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen kann. Selbst wenn es sich - was nicht entschieden zu werden braucht - bei der zusätzlichen Leistung "Werbeantwort Standardbrief" um eine dem Universaldienst zuzuordnende Postdienstleistung handeln sollte, wäre der Anwendungsbereich der Postrichtlinie allenfalls mittelbar eröffnet ((a)). Im Übrigen ist der unionsrechtliche Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz auch nicht verletzt ((b)).

53(a) Die Richtlinie 97/67/EG verfolgt ausweislich ihres Art. 3 Abs. 1 das Ziel, dass in den Mitgliedstaaten ständig flächendeckend ein Angebot von Postdienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer zur Verfügung steht. Zur Entgeltregulierung trifft die Richtlinie keine Regelungen. Damit greift das Beschwerderecht aus Art. 22 Abs. 3 RL 97/67/EG lediglich dann, wenn es um Maßnahmen der Regulierungsbehörde geht, die den Universaldienst betreffen.

54Demgegenüber bezieht sich die ex ante-Entgeltregulierung - vorbehaltlich der Ausnahme des § 19 Satz 2 PostG - auf Entgelte, die ein Lizenznehmer auf einem Markt für lizenzpflichtige Postdienstleistungen erhebt, sofern der Lizenznehmer auf dem betreffenden Markt marktbeherrschend ist. Sie zielt darauf ab, im Hinblick auf den Privatisierungsauftrag des Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG die Entwicklung der Postmärkte hin zu funktionierenden Wettbewerbsmärkten zu fördern (Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung für das Postgesetz, BT-Drs. 13/7774 S. 18, 24). Der Gesetzgeber des Postgesetzes von 1997 handelte bei der Schaffung des Regulierungsrechts in den §§ 19 ff. PostG zwar schon in Erwartung des unionsrechtlichen Sekundärrechts. Er wollte die aktuelle Diskussion auf europäischer Ebene zur Grundversorgung berücksichtigen, den die später folgende Richtlinie 97/67/EG vom als Universaldienst bezeichnete. Er hat sich jedoch völlig eigenständig für die ex ante-Entgeltregulierung entschieden, die unionsrechtlich nicht vorgegeben ist.

55Insofern wäre der Anwendungsbereich von Art. 22 Abs. 3 RL 97/67/EG allenfalls mittelbar eröffnet, sollte das inmitten stehende Entgelt für die zusätzliche Leistung + "Werbeantwort Standardbrief" für eine dem Universaldienst zuzuordnende Postdienstleistung erhoben werden. Deshalb überzeugt die von der Klägerin bemühte Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zum Rechtsschutz gegen unmittelbar im Primärrecht verankerte Ansprüche im Kartellrecht schon im Ausgangspunkt nicht (vgl. u. a. - juris Rn. 73 ff.).

56(b) Im Übrigen sind die Modalitäten der Verfahren zum Schutz der unionsrechtlichen Rechte Einzelner nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Die Modalitäten dürfen lediglich nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige, dem innerstaatlichen Recht unterliegende Sachverhalte regeln (Äquivalenzgrundsatz), sowie - nach dem Effektivitätsgrundsatz - nicht die Ausübung der unionsrechtlichen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (stRspr, vgl. - juris Rn. 22 m. w. N.). Eine Verletzung dieser Grundsätze ist nicht ansatzweise zu erkennen.

57Für die inmitten stehende Anfechtung eines Verwaltungsakts gelten die im nationalen Recht verankerten Sachurteilsvoraussetzungen. Die mit dem anerkannten Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begründete zeitliche Befristung der Klagemöglichkeit von Endkunden der Beigeladenen gegen eine postrechtliche Entgeltgenehmigung greift die im Verwaltungsprozessrecht vorgesehene Jahresfrist auf, die zugleich mit der speziellen zivilrechtlichen Verjährungsfrist übereinstimmt. Eine prozessuale Ungleichbehandlung im Vergleich zu rein nationalen Sachverhalten - und damit eine Verletzung des Äquivalenzgrundsatzes - liegt nicht vor.

58Ebenso wenig ist der Effektivitätsgrundsatz betroffen. Im Hinblick auf die Anfechtungsmöglichkeit binnen Jahresfrist kann entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin keine Rede davon sein, dass jede realistische Möglichkeit vereitelt werde, überhöhte Entgelte anzugreifen. Auch der Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH zur praktischen Unmöglichkeit bzw. übermäßigen Erschwerung der Geltendmachung von Erstattungs- oder Schadensersatzansprüchen im Hinblick auf kurze nationale Verjährungsvorschriften, deren Lauf absolut beginnt und nicht unterbrochen werden kann, trägt für den Streitfall nichts aus (zu dieser Rechtsprechung: u. a. - juris Rn. 73 ff. und vom - C-485/19 - juris Rn. 55 ff., 64). Denn um eine Verjährung von Ansprüchen geht es hier nicht.

593. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene einen Sachantrag gestellt hat und damit nach § 154 Abs. 3 VwGO ein Kostenrisiko eingegangen ist, entspricht es nach § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten der unterliegenden Klägerin aufzuerlegen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:120624U6C12.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-74737