Festsetzung einer Sicherheitsleistung gemäß dem Verpackungsgesetz
Leitsatz
1. Die Festsetzung einer Sicherheitsleistung gemäß § 18 Abs. 4 VerpackG ist kein Dauerverwaltungsakt.
2. § 18 Abs. 4 VerpackG verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 20 Abs. 3 GG. Die Angemessenheit einer Sicherheitsleistung nach § 18 Abs. 4 VerpackG muss nicht den erhöhten Bestimmtheitsanforderungen für abgabenrechtliche Regelungen genügen.
Instanzenzug: Az: 14 K 1018/20 Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung einer Sicherheitsleistung durch Bürgschaft oder Hinterlegung. Sie betreibt für das Gebiet des Landes Baden-Württemberg ein System im Sinne des Verpackungsgesetzes.
2Mit Feststellungsbescheid vom erteilte ihr der Beklagte auf Grundlage der damaligen Verpackungsverordnung die für die Tätigkeit als Systembetreiber erforderliche Systemfeststellung und ordnete unter Nr. 26 des Bescheids an, nachzuweisen, dass Bilanzrückstellungen erfolgt oder Banksicherheiten geleistet worden seien, um für den Fall, dass der Betrieb des Systems eingestellt werde, die Verwertung der zu diesem Zeitpunkt im System befindlichen Materialien zu gewährleisten. Mit Bescheid vom setzte der Beklagte die Sicherheitsleistung auf 3 546 400 € fest und ordnete an, dass die bisher getätigten Sicherheitsleistungen entsprechend anzupassen bzw. auszutauschen seien. Mit Bescheid vom änderte der Beklagte die Nebenbestimmung Nr. 26 des Feststellungsbescheids vom unter konkreter Beschreibung der zu erbringenden Sicherheit ab. Danach wurde die Höhe der zu erbringenden Sicherheitsleistung auf 5 317 900 € und mit weiterem Bescheid vom auf 4 144 416,40 € festgesetzt.
3Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Bescheid vom in der Fassung des Änderungsbescheids vom abgewiesen. Die Bescheide seien Dauerverwaltungsakte und anhand der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu prüfen. § 18 Abs. 4 Satz 1 VerpackG sei die Rechtsgrundlage dafür, eine angemessene Sicherheitsleistung zu verlangen. Die Sicherheitsleistung diene wirtschaftlich einer zweckbestimmten Rücklage des verpflichteten Systems. Sie solle den finanziellen Risiken begegnen, die der öffentlichen Hand drohten, wenn und soweit das System den ihm obliegenden Pflichten nicht nachkomme. § 18 Abs. 4 VerpackG verstoße nicht gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot. Die Norm sei keine abgabeähnliche Bestimmung, bedürfe allerdings einer engen Auslegung. Die verfahrensgegenständlichen Bescheide seien rechtmäßig. Der Beklagte habe sein Ermessen zur Festsetzung und Höhe einer Sicherheitsleistung in rechtlich nicht zu beanstandender Weise betätigt. Es könne offenbleiben, ob das Entschließungsermessen am Maßstab der alten Kannvorschrift (§ 18 Abs. 4 Satz 1 VerpackG a. F.) oder der aktuellen Sollvorschrift (§ 18 Abs. 4 Satz 1 VerpackG n. F.) auszurichten sei. Denn der Beklagte habe sein Entschließungsermessen gemäß der alten Kannvorschrift ausgeübt. Der Beklagte habe in nicht zu beanstandender Weise die Annahme eines kompletten Ausfalls der Erfassung und Entsorgung von Leichtverpackungen (LVP) zugrunde gelegt. Die Prognoseentscheidung zur Berechnung der Sicherheitsleistung und die Zuweisung der Beträge zu den jeweiligen Systemen nach Marktanteil sei fehlerfrei. Das gelte auch für die Berechnung der Erfassungskosten und den Ansatz der durchschnittlichen Verbrennungskosten. Der Beklagte habe in die Berechnung der Sicherheitsleistung zutreffend Beträge zur Absicherung von Neben- und Mitbenutzungsentgelten eingestellt. Die Sicherheitsleistung beeinträchtige die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Klägerin nicht erheblich.
4Die Klägerin begründet die hiergegen erhobene und vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision wie folgt: § 18 VerpackG verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot. Es sei eine analoge Anwendung der Maßstäbe für abgabenrechtliche Fälle geboten. Hierzu seien die Erwägungen im - 7 C 17.12 -) zur Unwirksamkeit von § 6 Abs. 4 Satz 5 der Verpackungsverordnung 2008 übertragbar. § 18 Abs. 4 VerpackG lege nicht fest, unter welchen Voraussetzungen von einer Angemessenheit der Sicherheitsleistung auszugehen sei. Der Beklagte habe sein Entschließungsermessen nicht gemäß dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt. Dieser Mangel werde nicht dadurch geheilt, dass mit einer Bezugnahme auf den Feststellungsbescheid vom die früheren Erwägungen zum Entschließungsermessen in nicht zu beanstandender Weise in die Gegenwart fortgeschrieben würden. Im Rahmen der Ermessensausübung sei eine Risikobeschreibung und -bewertung erforderlich. Das vom Verwaltungsgericht beschriebene Worst-Case-Szenario halte einer objektiven Nachprüfung nicht stand. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein derartiges Szenario eintrete, sei nicht gegeben. Schließlich finde die im Bescheid angenommene eigene Verbrennung der LVP-Fraktion als Entsorgungsweg weder im Verpackungsgesetz noch im Kreislaufwirtschaftsgesetz eine Stütze.
5Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom zu ändern und den Bescheid vom in der Fassung des Änderungsbescheids vom aufzuheben.
6Der Beklagte beantragt,
die Sprungrevision zurückzuweisen.
7Er verteidigt das angegriffene Urteil.
8Die Vertreterin des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und unterstützt die Rechtsauffassung des Beklagten.
Gründe
9Die zulässige Sprungrevision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat § 18 Abs. 4 VerpackG zutreffend als Rechtsgrundlage für die festgesetzten Sicherheitsleistungen angesehen.
101. Maßgebliche Rechtsgrundlage für den Bescheid vom ist das Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen (Verpackungsgesetz - VerpackG) vom (BGBl. I S. 2234) und für den Änderungsbescheid vom das Verpackungsgesetz in der Fassung vom (BGBl. I S. 1699).
11Bei Anfechtungsklagen ist im Allgemeinen auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gilt (vgl. 6 C 15.04 - BVerwGE 124, 110 <113> und vom - 1 C 15.17 - BVerwGE 162, 153 Rn. 14). Demgegenüber gebieten die Grundsätze über den Dauerverwaltungsakt eine Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts. Für die Beurteilung einer Anfechtungsklage gegen belastende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung ist vorbehaltlich einer anderweitigen materiellen Regelung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Entscheidung maßgeblich, weil der Dauerverwaltungsakt seine Regelungswirkung ständig neu entfaltet und das zugrundeliegende Verwaltungsrechtsverhältnis ständig neu konkretisiert wird (vgl. 3 C 37.09 - BVerwGE 138, 21 Rn. 21, vom - 3 C 15.12 - BVerwGE 148, 28 Rn. 9 und vom - 7 C 18.18 - Buchholz 451.224 § 36 KrWG Nr. 2 Rn. 15). Demnach genügt es für die Annahme eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung nicht, dass er sich dauerhaft auswirkt. Notwendig ist, dass die Regelung andauert, sich also immer wieder aktualisiert (U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 35 Rn. 224 m. w. N.).
12Der Senat folgt der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht, es handele sich bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung um einen Dauerverwaltungsakt. Das Verwaltungsgericht knüpft an die Festsetzung einer Sicherheitsleistung an, die eine Nebenbestimmung zu dem gemäß § 6 Abs. 3 der Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen (VerpackV) erlassenen Feststellungsbescheid des Beklagten vom sei, der nach § 38 Abs. 1 VerpackG als Systemgenehmigung im Sinne des § 18 Abs. 1 VerpackG fortgelte und damit unbefristet auf Dauer angelegt sei. Die Festsetzung der Sicherheitsleistung sei als deren Bestandteil für die Genehmigungsdauer gültig und somit ihrerseits auf die Begründung eines Dauerrechtsverhältnisses zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer gerichtet. Diese Argumentation kann das Vorliegen eines Dauerverwaltungsakts nicht begründen.
13Die Festsetzung einer Sicherheitsleistung nach dem Verpackungsgesetz ist eine einmalige Gebotsverfügung und begründet kein Rechtsverhältnis auf Dauer. Der Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden bestimmt, dass die Sicherheitsleistung gemäß den dort festgesetzten Maßgaben zu einem festen Zeitpunkt zu erbringen sei. Die Sicherheitsleistung erfolgt durch eine einmalige Handlung der Klägerin. Hierdurch wird die der Klägerin aufgegebene Verpflichtung abschließend erfüllt (vgl. 11 S 70.21 - juris Rn. 14; a. A., aber ohne Begründung VGH München - 12 CS 20.1750 - juris Rn. 69). Deshalb spricht auch die durch das Verpackungsgesetz vorgegebene normative Grundlage der Marktanteilsermittlung, welcher bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung besondere Bedeutung zukommt, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht für einen Dauerverwaltungsakt. Zwar obliegt es dem Beklagten, auf erhebliche Marktanteilsschwankungen kurzfristig zu reagieren. Er hat folgerichtig unter I. des Bescheids vom bestimmt, dass die Sicherheitsleistung im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung jederzeit an geänderte tatsächliche und/oder rechtliche Verhältnisse angepasst werden kann. Gleichwohl bleibt die Regelung auch unter Berücksichtigung dieser Beobachtungspflicht eine einmalige Gebotsverfügung und dauert nicht an.
14Der Bundesrechtsverstoß des Verwaltungsgerichts wirkt sich im Ergebnis indessen nicht aus. Es hat im Hinblick auf die Ausübung des Entschließungsermessens den angegriffenen Bescheid vom am Maßstab der alten Fassung des Verpackungsgesetzes und den Änderungsbescheid vom am Maßstab des aktualisierten Verpackungsgesetzes überprüft.
152. Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht verfassungsrechtlich durchgreifende Bedenken gegen § 18 Abs. 4 VerpackG verneint.
16a) § 18 Abs. 4 VerpackG verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 20 Abs. 3 GG.
17aa) Nach dem allgemeinen, im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gründenden Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze ist der Gesetzgeber gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können. Die Entscheidung über die Grenzen der Freiheit des Bürgers darf nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung oder gar Privater gestellt sein. Dabei sind die Anforderungen an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm rechtfertigen soll. Für die näheren Anforderungen kann, nicht zuletzt in der Frage, inwieweit Maßgaben, die sich aus dem Grundgesetz ableiten lassen, ausdrücklicher und konkretisierender Festlegung im einfachen Gesetz bedürfen, auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung sein (vgl. - BVerfGE 128, 282 <317 f.>).
18Grundsätzlich fehlt es an der notwendigen Bestimmtheit nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig ist. Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht aus. Gegen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bestehen keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt. Die Rechtsprechung ist zudem gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (vgl. u. a. - BVerfGE 149, 293 Rn. 77 f.).
19bb) Diesen Voraussetzungen genügt § 18 Abs. 4 Satz 1 VerpackG im Hinblick auf die sicherbaren finanziellen Nachteile mit den Tatbestandsmerkmalen der nicht, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß erfolgten Erfüllung der dort bezeichneten Pflichten und der dadurch entstehenden "zusätzliche[n] Kosten oder finanzielle[n] Verluste". Diese Merkmale sind inhaltlich ohne Weiteres im Wege der Auslegung bestimmbar. Damit ist das behördliche Handeln für den Bescheidadressaten hinreichend voraussehbar und berechenbar.
20Soweit das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, Beschluss vom - 10 S 3427/20 - (juris Rn. 30 ff.) im Hinblick auf diese Merkmale eine dem Bestimmtheitsgrundsatz genügende enge Auslegung der Norm fordert, weil anderenfalls alle durch eine Pflichtverletzung verursachten finanziellen Nachteile der öffentlichen Hand erfasst seien, besteht hierfür keine Veranlassung. § 18 Abs. 4 VerpackG gibt an, welche eigenen Pflichtverletzungen der Systeme abzusichern sind. Dies sind die Pflichten aus dem Verpackungsgesetz, aus der Abstimmungsvereinbarung nach § 22 Abs. 1 VerpackG oder aus Rahmenvorgaben nach § 22 Abs. 2 VerpackG. Das bedeutet, dass es um die Absicherung der Erfassung und Entsorgung des Verpackungsabfalls sowie um die Mitbenutzungs- und Nebenentgelte geht.
21Zudem heißt es im Gesetzentwurf zum neuen Verpackungsgesetz vom , dass die Rückgriffsmöglichkeiten auf die Sicherheitsleistung der Systeme gegenüber der früheren Fassung deutlich erweitert worden seien. Es könne nicht mehr nur ein Verstoß eines Systems gegen Pflichten nach diesem Gesetz, sondern auch ein Verstoß gegen Pflichten aus der Abstimmungsvereinbarung nach § 22 Abs. 1 VerpackG oder gegen Pflichten aus einseitigen Vorgaben nach § 22 Abs. 2 VerpackG einen Rückgriff auf die Sicherheitsleistung ermöglichen. Zusatzkosten wie zusätzliche Ermittlungs- und Verwaltungskosten oder Kosten für andere Vollstreckungsmaßnahmen seien über die Sicherheitsleistung ersetzbar, sofern sie kausal auf dem Pflichtverstoß beruhten. Auch könnten durch den Pflichtverstoß hervorgerufene finanzielle Verluste, insbesondere bei Nichtleistung von in der Abstimmungsvereinbarung festgelegten Entgelten, durch einen Rückgriff auf die Sicherheitsleistung ausgeglichen werden (BT-Drs. 18/11274 S. 103 f.). Daraus lässt sich nicht ableiten, dass ein Pflichtverstoß ohne weitere Voraussetzungen zu einem umfassenden finanziellen Ausgleich führt. Auf die Sicherheit darf nur zur Befriedigung der Hauptforderung zurückgegriffen werden. Der Zugriff der öffentlichen Hand auf die Sicherheitsleistung setzt neben einer Pflichtverletzung des betreffenden Systems auch einen Anspruch voraus, der zugunsten einer Stelle der öffentlichen Hand auf eine vollständige oder teilweise Kompensation der durch die Pflichtverletzung verursachten Kosten oder finanziellen Verluste gerichtet ist. Das Recht zur Befriedigung aus der Sicherheitsleistung ist akzessorisch zu einer zu sichernden Forderung. Der Begriff der Sicherheit ist seit langem durch § 232 BGB vorgegeben und bestimmt (vgl. 7 C 50.07 - BVerwGE 131, 251 Rn. 16). Im Zivilrecht werden Sicherheitsleistungen in Bezug auf einen hierdurch zu sichernden Anspruch erbracht. Hiervon abzugrenzen ist eine Vereinbarung, die den Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen zum Ausgleich bestimmter finanzieller Nachteile des Gläubigers verpflichtet (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom - 10 S 3427/20 - juris Rn. 32). Davon kann hier aber keine Rede sein. § 18 Abs. 4 VerpackG umfasst keine Kosten, für die keine Rechtsgrundlage besteht. Vielmehr wird der Umfang der Sicherheitsleistung durch die gesetzlich aufgeführten Pflichten eingegrenzt. Die Sicherheitsleistung beschränkt sich zudem auf eigene Pflichtverstöße des Systems oder dessen Beauftragten. Des Weiteren sieht § 18 Abs. 4 Satz 2 und 3 VerpackG eine zeitliche Begrenzung auf regelmäßig drei Monate vor.
22§ 18 Abs. 4 VerpackG entspricht Rechtsgrundlagen für Sicherheitsleistungen in anderen Fachgesetzen mit vergleichbarer und teilweise geringerer Regelungsdichte (vgl. etwa § 56 Abs. 2 BBergG, § 36 Abs. 3 KrWG sowie § 12 Abs. 1 Satz 2 und § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG). Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hat bislang keine verfassungsrechtlich durchgreifenden Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Bestimmungen über Sicherheitsleistungen geäußert (vgl. 7 C 44.07 - BVerwGE 131, 11 Rn. 18 ff. zur immissionsschutzrechtlichen Sicherheitsleistung gemäß § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG sowie nachgehend - NVwZ 2009, 1484 <1485>; vgl. auch 7 B 44.15 - NVwZ 2016, 616 Rn. 7 ff.; 7 C 50.07 - BVerwGE 131, 251 Rn. 11 ff. zur abfallrechtlichen Sicherheitsleistung gemäß § 32 Abs. 3 KrW-/AbfG in der Fassung vom = § 36 Abs. 3 KrWG und vom - 4 C 5.11 - BVerwGE 144, 341 Rn. 16 ff. zur Sicherheitsleistung für Rückbaukosten gemäß § 35 Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Satz 3 BauGB). Nach den obigen Ausführungen bestehen solche Bedenken auch hier nicht.
23cc) Das auf der Rechtsfolgenseite verwendete Merkmal der Angemessenheit wird durch den gesetzlich festgelegten Sicherungszweck ebenfalls hinreichend bestimmt. Zu folgen ist dem Verwaltungsgericht, dass Bestimmtheitsanforderungen, die sich auf abgabebegründende Tatbestände richten, hier nicht zum Tragen kommen.
24(1) Die Klägerin beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach die erhöhten Bestimmtheitsanforderungen an abgabenrechtliche Regelungen auch auf die "Angemessenheit" einer Sicherheitsleistung nach § 18 Abs. 4 VerpackG anzuwenden seien (VGH München, Beschlüsse vom - 12 CS 20.1750 - juris Rn. 59 ff. und vom - 12 CS 20.1645 - <unveröffentlicht> Rn. 19 ff.). Der Umstand, dass das abgabeähnliche Entgelt regelmäßig verloren sei, die Sicherheitsleistung aber unangetastet bleibe, wenn der Sicherungsfall nicht eintrete, bilde im Lichte des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Wesentlichkeitstheorie (Art. 20 Abs. 3 GG) kein rechtserhebliches Unterscheidungskriterium. Dem Schuldner entstünden für die Bereitstellung der Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft Kosten in Form von Avalzinsen und gleichzeitig reduziere sich sein Kreditvolumen. Die Kosten für die Finanzierung der erhöhten Sicherheitsleistung seien für das System endgültig verloren. Deshalb sei die Interessenlage bei Abgaben und abgabeähnlichen Entgelten einerseits und der Sicherheitsleistung andererseits vergleichbar.
25Dem ist das Verwaltungsgericht mit Recht nicht gefolgt. Abgaben haben Entgeltcharakter und dienen der Finanzierung staatlicher Aufgaben. Das abgabeähnliche Entgelt nach der VerpackV 2008 bzw. nach § 22 Abs. 4 Satz 4 VerpackG dient der Finanzierung der Sammelstruktur des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, die die Systeme mitbenutzen. Die Sicherheitsleistung ist dagegen wirtschaftlich mit einer zweckbestimmten, garantieartigen Rücklage des Systems, das die Sicherheit zu leisten hat, vergleichbar. Sie soll den finanziellen Risiken begegnen, die der öffentlichen Hand drohen, wenn das System den ihm nach dem Verpackungsgesetz obliegenden Pflichten nicht nachkommt und die öffentliche Hand, insbesondere die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, zur Gewährleistung der Entsorgungssicherheit diese Pflichten erfüllen müssen und ihnen dafür Kosten oder sonstige finanzielle Nachteile und Verluste entstehen. Ein abgabeähnlicher Sachverhalt liegt hier auch nicht deshalb vor, weil mit Sicherheitsleistungen Kosten verbunden sind, die sich nachteilig auf die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und die Ertragssituation der Systeme auswirken. Kosten sind auch mit den übrigen Anforderungen an den Betrieb der Systeme verbunden. Diese Kosten werden nicht durch die zuständige Behörde bestimmt und erst recht nicht von dieser erhoben (vgl. auch - juris Rn. 25; VGH Mannheim, Beschluss vom - 10 S 3427/20 - juris Rn. 35; 11 S 70.21 - juris Rn. 16).
26Etwas anderes folgt auch nicht aus dem 7 C 17.12 - (BVerwGE 152, 1) zum angemessenen Mitbenutzungsentgelt nach § 6 Abs. 4 Satz 5 VerpackV 2008. § 6 Abs. 4 Satz 5 VerpackV 2008 war ein Anspruch des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers gegen den Systembetreiber zu entnehmen, der auf die Mitbenutzung bestimmter Einrichtungen gegen Entrichtung eines angemessenen Entgelts gerichtet war (BVerwG a. a. O. Rn. 27). Wegen dieses Regelungsgehalts entfaltete § 6 Abs. 4 Satz 5 VerpackV 2008 ähnliche Rechtswirkungen wie eine Abgabe. Diese musste sich daher an den Bestimmtheitsanforderungen messen lassen, die für abgabebegründende Tatbestände - etwa im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts - gelten (BVerwG a. a. O. Rn. 28). Diesen Anforderungen genügte der Begriff des "angemessenen Entgelts" in § 6 Abs. 4 Satz 5 VerpackV 2008 nicht. Mit dem Erlass des Verpackungsgesetzes hat der Gesetzgeber den Mangel ausgeräumt. Nach § 22 Abs. 4 Satz 4 VerpackG haben sich die Parteien der Abstimmungsvereinbarung zur Bestimmung eines angemessenen Entgelts für die Mitbenutzung der Sammelstruktur des anderen an den in § 9 des Bundesgebührengesetzes (BGebG) festgelegten Gebührenbemessungsgrundsätzen zu orientieren. Die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts befasste sich demnach nicht mit Anforderungen an die Rechtsgrundlage für die Festsetzung einer Sicherheitsleistung, sondern für die Erhebung einer unmittelbar dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zufließenden Geldleistung.
27(2) Danach genügt § 18 Abs. 4 VerpackG sowohl in der Fassung als "Kann-Bestimmung" als auch in der seit dem geltenden Fassung als "Soll-Bestimmung" dem Gebot hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit (so auch Vetter, NVwZ 2022, 438 <442>). Dass § 18 Abs. 4 VerpackG mit der Formulierung der "angemessenen Sicherheit" an einen unbestimmten Rechtsbegriff anknüpft, widerspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht. Die Angemessenheit der Höhe der Sicherheit lässt sich auf der Grundlage der in dieser Norm genannten Sicherungstatbestände im Einzelfall hinreichend bestimmen. Der Gesetzgeber hat in § 18 Abs. 4 VerpackG geregelt, für welche möglichen Kosten oder finanziellen Verluste eine Sicherheitsleistung verlangt werden kann bzw. soll. Zudem wird der Umfang der möglichen Sicherheitsleistung in § 18 Abs. 4 Satz 2 und 3 VerpackG n. F. zeitlich eingegrenzt. Danach ist eine Sicherheitsleistung in der Regel angemessen, wenn der abzusichernde Zeitraum drei Monate nicht überschreitet (Satz 2). Ein Überschreiten des Regelzeitraumes bedarf einer gesonderten Begründung (Satz 3).
28(3) Für das betroffene duale System ist danach hinreichend erkennbar, welches Kosten- und Verlustrisiko durch die Sicherheitsleistung abgedeckt werden soll. Die Höhe der dabei zu veranschlagenden Kosten unterscheidet sich je nach Marktanteil des betreffenden dualen Systems am Gesamtmarkt der systembeteiligungspflichtigen Verpackungen. Die Marktanteile werden gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 16 VerpackG regelmäßig durch die "Zentrale Stelle Verpackungsregister" berechnet und veröffentlicht. Sie können gemäß § 18 Abs. 4 VerpackG im Rahmen des behördlichen Ermessens in Bezug auf die Höhe der Sicherheit im Einzelfall berücksichtigt werden.
29b) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht § 18 Abs. 4 VerpackG als im Einklang mit dem grundgesetzlichen Vorbehalt des Gesetzes stehend gewürdigt. Die Norm bestimmt die Inhalte, Spielräume und Grenzen des behördlichen Handelns hinreichend genau. Dies stellt die Klägerin mit ihrem Vorbringen auch nicht durchgreifend in Frage.
303. Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide im Einklang mit Bundesrecht für formell und materiell rechtmäßig erachtet. Insbesondere hat es die Ermessensentscheidung in den angefochtenen Bescheiden zutreffend unbeanstandet gelassen.
31a) Das Verwaltungsgericht hat mit Recht den Ausfall des Entschließungsermessens verneint. Zwar hat es nicht geprüft, ob der Festsetzungsbescheid aus dem Jahr 1992 hinsichtlich der Ausübung des Ermessens fortwirkt. Hierfür könnte sprechen, dass beide streitgegenständlichen Bescheide als Änderungsbescheide gefasst sind. Auf diese Frage kommt es aber nicht an. Unabhängig von einer Fortgeltung des Festsetzungsbescheids genügen die streitgegenständlichen Bescheide den Anforderungen, die an die Ausübung des Entschließungsermessens gestellt werden. Auch die unzutreffende Auffassung des Verwaltungsgerichts, der verfahrensgegenständliche Bescheid vom in der Fassung des Änderungsbescheids vom sei ein Dauerverwaltungsakt, wirkt sich nicht aus. Denn der Beklagte hat nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sein Entschließungsermessen in Ziffer I des Bescheids vom , die durch den Änderungsbescheid vom nicht berührt werde, nach den Maßgaben des damals geltenden Rechts ausgeübt (UA S. 31) und war sich ausweislich der Begründung des Bescheids vom seines Entscheidungsspielraums bewusst. In dem Bescheid heißt es, dass die Anordnung einer Sicherheitsleistung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde steht (S. 4). Die Begründung zur Höhe der Sicherheitsleistung und zur Verhältnismäßigkeit setzt sich hinreichend mit dem Einzelfall auseinander.
32Zutreffend geht das Verwaltungsgericht auch davon aus, dass der Änderungsbescheid vom Ziffer I des Bescheids vom unberührt lässt. Geändert wird ausweislich des Tenors die Höhe der Sicherheitsleistung und nicht die Entscheidung über das "Ob" ihrer Festsetzung ("Ziff. II des Bescheids vom [...] wird wie folgt neu gefasst: Die Höhe der Sicherheitsleistung wird auf 4 144 416,40 € [...] festgesetzt"). Der Grund für die Änderung der Höhe der Sicherheitsleistung war ein neuer Marktanteil und die Mitbenutzungsentgeltsteigerung. Die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom bemisst sich zudem an § 18 Abs. 4 VerpackG n. F. als Soll-Vorschrift, die im Zeitpunkt des Ergehens des Änderungsbescheids galt. Verwendet der Gesetzgeber auf der Rechtsfolgenseite der Norm den Begriff "sollen", so bringt er damit zum Ausdruck, dass die Behörde im Regelfall an die im Gesetz bestimmte Rechtsfolge gebunden ist, aber in atypischen Fällen einen Ermessensspielraum hat (vgl. nur 1 C 31.89 - BVerwGE 90, 88 <93>; Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand , § 40 Rn. 39). Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, aufgrund der zwischenzeitlichen Novellierung des Verpackungsgesetzes sei eine erneute Ermessensbetätigung nicht erforderlich, ist daher zutreffend. Seine Feststellung, mangels erkennbarer atypischer Umstände im Sinne von § 18 Abs. 4 Satz 1 VerpackG n. F. habe kein Raum für eine erneute Betätigung des Entschließungsermessens bestanden, ist für den Senat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO).
33b) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Beklagte habe sein Auswahlermessen ermessensfehlerfrei ausgeübt, steht im Einklang mit Bundesrecht (vgl. § 114 VwGO). Die Auferlegung der Sicherheitsleistung begegnet im konkreten Fall keinen bundesrechtlichen Bedenken. Die Höhe der geforderten Sicherheit ist insbesondere nicht unverhältnismäßig. Bundesrecht erlaubt eine Pauschalierung der Kosten. Maßgeblich ist, ob die Kostenschätzung auf einer geeigneten Grundlage beruht und die daran anknüpfende Pauschalierung sachlich nachvollziehbar ist ( 4 C 5.11 - BVerwGE 144, 341 Rn. 33 f.).
34Davon geht auch das Verwaltungsgericht bei Anwendung des § 18 Abs. 4 VerpackG aus. Nach seinen Feststellungen hat der Beklagte die Sicherheitsleistung aus mehreren Komponenten zusammengesetzt. Einbezogen wurden das finanzielle Risiko der öffentlichen Hand hinsichtlich eines Ausfalls der Klägerin bei der Erfassung und Entsorgung von Leichtverpackungsabfällen, die gesetzlichen Ansprüche der Entsorgungsträger auf die Zahlung von Nebenentgelten gemäß § 22 Abs. 9 VerpackG sowie die Pflichten zur Zahlung von Entgelten für die Mitbenutzung öffentlicher Entsorgungsstrukturen aus Abstimmungsvereinbarungen nach § 22 Abs. 1 VerpackG und Rahmenvorgaben nach § 22 Abs. 2 VerpackG. Zur Sicherung gegen den Ausfall der Systeme bei der Erfassung und Entsorgung von Leichtverpackungen (LVP) hat der Beklagte die prognostischen Gesamtkosten der Erfassung und Entsorgung von LVP-Abfällen für den Zeitraum eines Monats zugrunde gelegt und dieses Systemrisiko der Klägerin sowie den anderen Systemen entsprechend ihres jeweiligen Marktanteils zugewiesen. Zugrunde gelegt werden mithin aussagekräftige Erkenntnismittel zu den voraussichtlichen Kosten eines Systemausfalls.
35aa) Die Anknüpfung an ein Worst-Case-Szenario bei der Berechnung der Sicherheitsleistung ist verhältnismäßig. Als Worst-Case-Szenario versteht das Verwaltungsgericht den kompletten Ausfall der Sammlung der Verpackungsabfälle in einem oder mehreren Sammelgebieten, die deshalb von der betroffenen Kommune übernommen werden muss. Die Sicherheitsleistung gemäß § 18 Abs. 4 VerpackG soll daher verhindern, dass die Kommune insbesondere im Fall der Insolvenz des Systems die entstehenden Entsorgungskosten und sonstigen Verluste zu tragen hat. Die Rechtsgrundlage zielt ausdrücklich darauf, in angemessener Weise auch den vollständigen Ausfall der Erfüllung von Verpflichtungen eines Systems oder beauftragter Dritter abzudecken. Insofern erlaubt sie eine tatsachengestützte und realitätsgerechte Berechnung der Sicherheitsleistung, die sich auf der "sicheren Seite" der abzusichernden Risiken bewegt (vgl. auch - juris Rn. 15). Vor diesem Hintergrund ist die Annahme eines Worst-Case-Szenarios bei der Berechnung der Höhe der Sicherheitsleistung grundsätzlich zulässig, um die Kommunen wirkungsvoll vor den möglichen Kosten eines Ausfalls der Verpackungsabfallsammlung durch die dualen Systeme zu schützen.
36Soweit das Verwaltungsgericht die Möglichkeit eines kompletten Ausfalls bejaht, liegt eine prognostische Einschätzung tatsächlicher Verhältnisse vor. Diese bildet einen Teil der bindenden tatsächlichen Feststellungen (vgl. 2 C 12.14 - BVerwGE 151, 333 Rn. 30, vom - 2 C 46.13 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 29 Rn. 19, vom - 7 C 19.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 23 Rn. 27, vom - 1 C 4.20 - BVerwGE 171, 300 Rn. 16, vom - 7 C 4.20 - BVerwGE 172, 383 Rn. 21 und vom - 7 C 4.21 - BVerwGE 176, 313 Rn. 51 f.). Der Beklagte ist nach eigener Darstellung bei der Festlegung der Höhe der Sicherungsleistung hinter diesem Szenario zurückgeblieben. Er hat die Absicherung der Erfassungskosten für die Leichtverpackungssammlung lediglich für einen Monat einbezogen und die Fraktion Glas nicht berücksichtigt. Auch der vom Beklagten angesetzte Sicherheitszuschlag von 10 % auf die prognostischen Erfassungs- und Entsorgungskosten ist mit der Begründung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. Der Sicherheitszuschlag trägt dem Umstand Rechnung, dass die öffentliche Hand bei einem kurzfristigen Selbsteintritt in die Entsorgung möglicherweise nicht zu den gleichen Preisen am Markt einkaufen kann wie ein etablierter privater Entsorger (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom - 10 S 3427/20 - juris Rn. 46). Insoweit handelt es sich wiederum um eine prognostische Einschätzung, deren tatsächliche Grundlagen im Revisionsverfahren mangels wirksamer Verfahrensrügen einer Prüfung entzogen sind.
37bb) Durchgreifende Bedenken gegen die Angemessenheit der Sicherheitsleistung bestehen nicht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts beeinträchtigt die festgesetzte Sicherheitsleistung in ihrer Gesamthöhe die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Klägerin nicht erheblich oder gar existenzgefährdend. Die Finanzierung einer Bankbürgschaft lässt zwar Kosten entstehen. Nach Mitteilung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beträgt die jährliche Avalprovision 74 650 € bei einer Sicherheitsleistung von 4 144 416,40 €, also 1,8 % der Bankbürgschaft. Die Festsetzung der Sicherheitsleistung erhöht gegenüber allen Systemen gleichermaßen die Kosten. Durch die Festsetzung ist eine Marktbeeinflussung nicht zu erwarten. Die Höhe der Sicherheitsleistung und die Größenordnung der dadurch bewirkten Kostensteigerung deuten nach den Feststellungen des Tatsachengerichts nicht auf eine wirtschaftliche Überforderung der Klägerin hin.
38cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt die Erwägung des Verwaltungsgerichts, unter Umständen stehe für erfasste Abfälle nur eine Verbrennung als Entsorgungsweg offen, deren Kosten der Beklagte folglich für die Berechnung der Sicherheitsleistung ansetzen dürfe, nicht gegen § 6 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG). Diese Vorschrift dient der Umsetzung der fünfstufigen Abfallhierarchie des Art. 4 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (AbfRRL), der den Mitgliedstaaten vorschreibt, ihre Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Bereich der Abfallvermeidung und der Abfallbewirtschaftung auf der Grundlage einer bestimmten Prioritätenfolge aufzubauen (vgl. Beckmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand März 2024, § 6 KrWG Rn. 2). Konkrete Verpflichtungen ergeben sich für Abfallbesitzer und Abfallerzeuger nicht. Nach § 6 Abs. 2 KrWG soll ausgehend von der Rangfolge nach § 6 Abs. 1 KrWG nach Maßgabe der §§ 7 und 8 KrWG diejenige Maßnahme Vorrang haben, die den Schutz von Mensch und Umwelt bei der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen unter Berücksichtigung des Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzips am besten gewährleistet. Es handelt sich bei § 6 KrWG also um eine Grundsatznorm, die erst über die Grundpflichtenregelung des § 7 KrWG und das Hochwertigkeitsgebot des § 8 KrWG für die Pflichtenadressaten aktualisiert wird. § 7 KrWG regelt die Pflicht zur Beachtung des Vorrangs der Verwertung vor der Beseitigung und Anforderungen an die Verwertung. § 8 KrWG sieht vor, dass eine der Art und Beschaffenheit des Abfalls entsprechende, den Schutz von Mensch und Umwelt am besten gewährleistende, hochwertige Verwertungsmaßnahme im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 KrWG anzustreben ist (vgl. Beckmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand März 2024, § 6 KrWG Rn. 49). Die Vorbereitung zur Wiederverwendung und das Recycling ist gegenüber der sonstigen Verwertung von Abfällen, insbesondere der energetischen Verwertung und Verfüllung, für Maßnahmen der Abfallbewirtschaftung zwar vorrangig (§ 6 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 KrWG). § 6 Abs. 1 KrWG normiert damit aber eine Zielhierarchie, die ein Abwägungsprogramm für Einzelfallentscheidungen bei der Erfüllung der Verwertungspflicht nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 KrWG vorgibt (vgl. Beckmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand März 2024, § 6 KrWG Rn. 43 f.). Deshalb sind für einen konkreten Systemausfall aus § 6 KrWG keine feststehenden Maßstäbe zu gewinnen, wie anfallende Leichtverpackungen zu entsorgen sind. Eine Verbrennung ist danach nicht gänzlich ausgeschlossen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden, dass die gefahrenabwehrrechtliche Handlungspflicht von der öffentlichen Hand verlangt, die gesammelten Leichtverpackungen zeitnah einer Verwertung zuführen zu können. Vor diesem Hintergrund konnte der Beklagte ermessensfehlerfrei die Kosten einer Verbrennung der kurzfristig anfallenden Leichtverpackungen berücksichtigen. Davon unabhängig wäre im Fall der Verwirklichung des Ausfallrisikos zu prüfen, ob dieser Entsorgungsweg den Vorgaben der §§ 6 ff. KrWG entspräche.
39dd) Die Rüge fehlender Einstellung für Erlöse von LVP-Abfällen und Papier, Pappe und Karton (PPK) verfängt nicht. Bereits aufgrund des Ansatzes der durchschnittlichen Verbrennungskosten musste der Beklagte etwaige Erlöse aus der Verwertung der im Rahmen einer Ersatzvornahme erfassten LVP-Abfälle nicht in seine Kalkulation einstellen. Auch diese Auffassung des Verwaltungsgerichts begegnet keinen bundesrechtlichen Bedenken. Dies gilt auch für seine weitere Annahme, dass die Instabilität des Markts belastbare Prognosen zu erwartender Erlöse nicht zulässt. Im Zuge einer konkreten Ersatzvornahme erzielte Erlöse sind freilich zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen. Insoweit mindern sie jedoch lediglich die Inanspruchnahme der Sicherheit und beeinflussen nicht deren Berechnung.
40ee) Bundesrechtlichen Bedenken begegnet auch nicht, dass das Verwaltungsgericht die zur Berechnung der Sicherheitsleistung herangezogenen monatlichen Erfassungs- und Entsorgungskosten zu LVP und die Zuweisung der Beträge zu den jeweiligen Systemen nach Marktanteil nicht beanstandet hat. Insofern verweist es auf eine Prognoseentscheidung des Beklagten, die Raum für Pauschalierungen biete (vgl. auch - juris Rn. 15). Soweit in diesem Zusammenhang die Ermittlung der Marktanteile der Systeme in Rede steht, handelt es sich um Tatsachenfeststellungen, die mangels Verfahrensrügen einer Überprüfung durch den Senat entzogen sind (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).
41ff) Soweit der Beklagte in die Berechnung der Sicherheitsleistung Beträge zur Absicherung von Neben- und Mitbenutzungsentgelten eingestellt hat, beanstandet das Verwaltungsgericht dies mit Recht nicht. Diese Entgelte können für die Sicherheitsleistung berücksichtigt werden. Nach § 18 Abs. 4 VerpackG haben die Systeme Sicherheit für die Erfüllung von Pflichten auch aus einer Abstimmungsvereinbarung nach § 22 Abs. 1 VerpackG zu leisten, die die Vereinbarung von Entgelten einschließt. Die Mitbenutzungsentgelte werden gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 VerpackG für die Mitbenutzung der Sammelstrukturen des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers durch die Systeme entrichtet. Die Nebenentgelte sind ebenfalls nach § 18 Abs. 4 VerpackG abzusichern. Nach § 22 Abs. 9 Satz 1 VerpackG ist ein System verpflichtet, sich entsprechend seinem Marktanteil an den Kosten zu beteiligen, die den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern durch Abfallberatung sowie durch die Errichtung, Bereitstellung, Unterhaltung und Sauberhaltung von Flächen entstehen. Zur Berechnung der Kosten sind die in § 9 BGebG festgelegten Gebührenbemessungsgrundsätze anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat hierzu noch ausgeführt, dem Änderungsbescheid vom hätten für das Jahr 2021 kreisscharf erhobene Entgelte und hinsichtlich der zur Verteilung der Sicherheitsleistung maßgeblichen Marktanteile hinreichend aktuelle Daten zugrunde gelegen. Ausgehend von diesen Feststellungen begegnen die Erwägungen des Verwaltungsgerichts keinen bundesrechtlichen Bedenken. Dies gilt auch, soweit der Beklagte zur Absicherung der Neben- und Mitbenutzungsentgelte einen Dreimonatszeitraum angesetzt und das Verwaltungsgericht dies als verhältnismäßige Absicherung gewürdigt hat. Für die Angemessenheit des angesetzten Zeitraums spricht insbesondere, dass es nach den Angaben des Beklagten in Folge der Insolvenz des Duale-System-Anbieters E. im Jahr 2018 zu Forderungsausfällen bei Neben- und Mitbenutzungsentgelten für den Zeitraum von annähernd sechs Monaten gekommen ist (vgl. - juris Rn. 15).
42Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:230524U10C8.23.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-74735