Berücksichtigung verlusterhöhender Besteuerungsgrundlagen im Falle einer Nullfestsetzung
Leitsatz
NV: Die Klage gegen einen auf 0 € lautenden Steuer- beziehungsweise Steuermessbescheid ist zulässig, wenn geltend gemacht wird, eine den verbleibenden Verlustvortrag beziehungsweise vortragsfähigen Gewerbeverlust erhöhende Besteuerungsgrundlage sei in ihm nicht (mehr) berücksichtigt (Beseitigung der negativen Bindungswirkung; Anschluss an , BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859).
Gesetze: EStG § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5; GewStG § 35b Abs. 2 Satz 2 und 3; FGO § 40 Abs. 2; AO § 351 Abs. 2; AO § 171 Abs. 10; AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1;
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Streitig ist die Zulässigkeit der Klage gegen Nullfestsetzungen.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH; Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist . Im Rahmen einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass die Klägerin im Jahr 2011 eine Rückstellung gebildet und diese unverändert auf die Jahre 2012 und 2013 vorgetragen hatte. Der Nachweis eines Rückstellungsbedarfes oder einer Verbindlichkeit sei nach Auffassung des Außenprüfers indes nicht erbracht worden; nach den Ausführungen im Prüfungsbericht sei die Rückstellung daher im Jahr 2012 gewinnerhöhend aufzulösen.
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) folgte der Auffassung des Außenprüfers und erließ am und geänderte Bescheide über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag und setzte die Körperschaftsteuer 2012 und den Gewerbesteuermessbetrag 2012 jeweils auf 0 € fest. Er erließ ferner Änderungsbescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum und zur Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den und stellte in beiden Bescheiden den verbleibenden beziehungsweise vortragsfähigen Verlustvortrag auf . € fest.
4 Die Klägerin legte gegen die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2011 bis 2014 Einspruch ein und machte unter anderem geltend, die Rückstellungen seien beizubehalten, da es sich um Zinsen bereits getilgter Darlehen handele, die bislang nicht ausgezahlt worden seien.
5 Den Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom , die sich nach dem Rubrum —soweit für das vorliegende Verfahren relevant— auf die Körperschaftsteuer 2012 und den Gewerbesteuermessbetrag 2012 bezieht, als unbegründet zurück.
6 Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) wendete sich die Klägerin gegen die gewinnerhöhende Auflösung der Rückstellung. Das FG setzte mit Beschluss vom das Verfahren bis zum Abschluss des gegen die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum und zur Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den gerichteten Einspruchsverfahrens aus und vertrat die Auffassung, über die Höhe des festzustellenden Verlustes könne wegen der Regelung in § 10d Abs. 4 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) bzw. § 35b Abs. 2 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) nur im Rahmen eines gegen die Verlustfeststellungsbescheide gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens entschieden werden. Das FA hat die Einsprüche gegen die Verlustfeststellungsbescheide mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurückgewiesen. Die Verlustfeststellungsbescheide sind formell in Bestandskraft erwachsen.
7 Das (Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1467) die Klage wegen Körperschaftsteuer 2012 und Gewerbesteuermessbetrag 2012 als unzulässig abgewiesen. Über die Höhe des Verlustes im Falle der Nullfestsetzung wegen der Regelung in § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 3 GewStG könne ausschließlich im Rahmen eines gegen die Verlustfeststellungsbescheide gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens entschieden werden. Diese Bescheide seien in Bestandskraft erwachsen. Es fehle daher für die Klage gegen die Nullfestsetzungen am Rechtsschutzinteresse. Dies entspreche zwar nicht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach auch bei einer Nullfestsetzung über die Höhe des Verlustes im Steuerfestsetzungsverfahren und nicht im Verlustfeststellungsverfahren zu entscheiden sei. Dem vermöge aber das FG nicht zu folgen.
8 Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, nach der Rechtsprechung des BFH sei die Klage zulässig.
9 Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
10 Das FA tritt der Revision nicht entgegen.
11 Auch nach seiner Auffassung hätte das FG die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen.
12 Die Beteiligten stimmen einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu.
Gründe
II.
13 Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen.
14 1. Gemäß § 40 Abs. 2 FGO ist eine Anfechtungsklage nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies ist bei der Anfechtung eines Nullbescheids regelmäßig nicht der Fall (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 158, 540, BStBl II 1990, 91; vom - IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 15; jeweils m.w.N.). Ausnahmsweise kann die Klage gegen einen Nullbescheid jedoch zulässig sein, wenn der Bescheid sich für den Kläger deshalb nachteilig auswirkt, weil in ihm angesetzte Besteuerungsgrundlagen im Rahmen anderer Verfahren verbindliche Entscheidungsvorgaben liefern (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704, m.w.N.; vom - IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 15, m.w.N.; vom - I R 41/19, BFHE 280, 131, Rz 16; vom - IX R 7/22, BStBl II 2024, 406, Rz 20).
15 a) Eine Beschwer liegt vor, wenn die verlusterhöhende Besteuerungsgrundlage im angefochtenen Steuer- beziehungsweise Steuermessbescheid (nach Ansicht des Klägers) nicht oder nicht in vollem Umfang berücksichtigt ist, mithin der Gesamtbetrag der Einkünfte beziehungsweise der Gewerbeertrag zu hoch ist (vgl. , BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704; vom - I R 41/18, BFH/NV 2019, 1109, Rz 19 ff.). Dann entfaltet der Steuerbescheid beziehungsweise Steuermessbescheid für die Verlustfeststellung aufgrund der Verweisung in § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. in § 35b Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GewStG auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) eine negative Bindungswirkung, die es verhindert, den Verlustvortrag beziehungsweise vortragsfähigen Gewerbeverlust in zutreffender Höhe festzustellen. Das Klagebegehren ist in diesem Fall darauf gerichtet, die negative Bindungswirkung zu beseitigen und eine positive Bindungswirkung zu erreichen (vgl. , BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 18).
16 b) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Das FG hat danach die Klage zu Unrecht für unzulässig erachtet.
17 Die Klägerin hat für ihre Klage gegen die Bescheide über Körperschaftsteuer 2012 und den Gewerbesteuermessbetrag 2012 eine Beschwer in obigem Sinne geltend gemacht. Es geht ihr um die Beseitigung der negativen Bindungswirkung der nämlichen Bescheide gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 2 EStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GewStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, die es verhindert, den Verlustvortrag aus seiner Sicht in zutreffender Höhe festzustellen (vgl. , BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 18). Entgegen der Rechtsauffassung des FG stehen die Bestimmungen des § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 3 GewStG der Annahme einer Beschwer nicht entgegen. Denn gerade diese Vorschriften erlauben die Berücksichtigung der zutreffenden Besteuerungsgrundlagen, auch wenn die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Festsetzung der Steuer beziehungsweise des Steuermessbetrags unterbleibt (vgl. , BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704, Rz 15; vom - I R 58/17, BFHE 271, 514, BStBl II 2021, 945; vom - IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 17; vom - IX R 7/21, BFHE 277, 158, BStBl II 2023, 104, Rz 15; vom - I R 25/19, BFH/NV 2022, 1313, Rz 25). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
18 2. Die Sache ist nicht spruchreif und daher an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat sich mit dem inhaltlichen Vorbringen der Beteiligten nicht befasst. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht in der Sache entscheiden (vgl. z.B. , BFH/NV 2008, 53, unter II.3.b; vom - V R 49/15, BFH/NV 2016, 1754, Rz 23; vom - XI R 39/22, BFHE 282, 216, BStBl II 2024, 490, Rz 9).
19 3. Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO).
20 4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:U.170724.XIR18.22.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2024 S. 328 Nr. 11
AO-StB 2024 S. 329 Nr. 11
BB 2024 S. 2070 Nr. 37
BBK-Kurznachricht Nr. 19/2024 S. 880
BFH/NV 2024 S. 1358 Nr. 11
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2024 S. 886
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2024 S. 887
PAAAJ-74509