Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 10 S 1388/22 Urteil
Gründe
I
1Die Klägerin und der Beigeladene (Kläger im Parallelverfahren BVerwG 7 B 13.23) begehren jeweils die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windkraftanlage. Sie streiten darum, welchem der beiden Vorhaben, deren Standorte rund 137 m voneinander entfernt sind, der Vorrang gebührt.
2Der Verwaltungsgerichtshof hat den Beklagten dazu verpflichtet, der Klägerin die beantragte Genehmigung zu erteilen. Die Revision gegen sein Urteil hat er nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beigeladenen.
II
3Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Beigeladenen hat keinen Erfolg.
41. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
5Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. 7 B 15.21 - NVwZ 2022, 1634 Rn. 7).
6a) Soweit der Beigeladene der Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst,
ob es für die rangsichernde Wirkung eines Vorbescheidsantrags gegenüber einem konkurrierenden Genehmigungsantrag erforderlich ist, dass der Vorbescheidsantrag speziell die Frage des Vorrangs gegenüber einem Konkurrenzvorhaben zur Entscheidung stellt,
ist die Zulassung der Revision nicht gerechtfertigt. Die Voraussetzungen, unter denen ein immissionsrechtlicher Vorbescheid Vorrang gegenüber einer konkurrierenden Genehmigung hat, sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Wenn beide Anlagen in einer echten Konkurrenzsituation stehen, sich beide (potentiell) sowohl in der Rolle des Störers als auch des Gestörten befinden und die Art der Störung übereinstimmt, ist es regelmäßig sachgerecht und damit rechtlich geboten, die Frage des Vorrangs nach dem Prioritätsprinzip zu beantworten ( 4 C 3.19 - BVerwGE 169, 39 Rn. 19). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist die Genehmigungsreife des Antrags maßgebend (vgl. 7 C 27.17 - BVerwGE 165, 340 Rn. 28), auch im Verhältnis von immissionsschutzrechtlichem Vorbescheids- und Genehmigungsantrag. In dieser Konstellation ist maßgeblich, ob mit dem Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids begehrt wird, mit verbindlicher Wirkung den Vorrang einer Anlage an einem bestimmten Standort hinsichtlich eines bestimmten Konflikts zu sichern. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. 4 C 3.19 - BVerwGE 169, 39 Rn. 23). Von diesen Maßstäben ist der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Die Auslegung des Vorbescheidsantrags durch die Vorinstanz, die das Erstreben einer solchen Entscheidung durch den Beigeladenen verneint hat, ist eine Frage des Einzelfalls, die einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich ist.
7Abgesehen davon ist die Frage nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof hat selbständig tragend angenommen, dass die Windkraftvorhaben der Klägerin und des Beigeladenen nicht (mehr) in einem bei der Genehmigungsentscheidung zu berücksichtigenden Konkurrenzverhältnis hinsichtlich der Luftverteidigungsradaranlage Lauda-Königshofen standen. Die Revision kann nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. 7 B 19.21 - NVwZ-RR 2023, 95 Rn. 11). Der Beigeladene vermag mit seiner Beschwerdebegründung indes hinsichtlich dieser weiteren tragenden Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs keinen Revisionszulassungsgrund darzulegen (vgl. b).
8b) Der Beigeladene möchte ferner grundsätzlich geklärt wissen,
ob es für den Ausschluss eines radartechnischen Konkurrenzverhältnisses zwischen zwei Vorhaben genügt, dass beiden Vorhaben im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange zugestimmt wurde, unabhängig vom Vorliegen einer tatsächlichen nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung der Radarerfassung.
9Diese Frage führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist jedenfalls nicht entscheidungserheblich, weil der Verwaltungsgerichtshof eine entsprechende Rechtsauffassung in der angegriffenen Entscheidung nicht vertreten hat. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ist die Genehmigung zu erteilen, wenn andere öffentlich-rechtliche Vorschriften der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Dies gilt entsprechend für die Erteilung eines Vorbescheides nach § 9 Abs. 1 BImSchG. Nachdem das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr beiden Vorhaben ausdrücklich zugestimmt hat und das für die zivile Flugsicherung zuständige Regierungspräsidium im Prozess mit Schriftsatz vom die nach § 14 Abs. 1 LuftVG aus luftverkehrsrechtlicher Sicht erforderliche Zustimmung uneingeschränkt erteilt hatte, stand dieser ursprüngliche Versagungsgrund der Genehmigungsfähigkeit der Windkraftanlagen nicht mehr entgegen. Bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen war die Immissionsschutzbehörde nunmehr verpflichtet, beide Genehmigungen zu erteilen. Soweit die Beschwerde meint, allein das Vorliegen einer im Rahmen der Trägerbeteiligung erteilten formalen "Zustimmung" binde mitnichten die Genehmigungsbehörde, verfehlt sie den rechtlichen Charakter der Zustimmung nach § 14 Abs. 1 LuftVG. Nach § 14 LuftVG darf die für die Erteilung einer Baugenehmigung zuständige Behörde die Errichtung von Bauwerken, die eine Höhe von 100 m überschreiten, nur mit Zustimmung der Luftfahrtbehörden genehmigen. Der luftverkehrsrechtliche Zustimmungsvorbehalt bindet auch die immissionsschutzrechtliche Behörde. Auch diese bedarf der Zustimmung der Luftfahrtbehörde, weil diese Zustimmung nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG umfasst ist, sondern die Verantwortung für das materiell-rechtliche Bauverbot allein der zuständigen Luftfahrtbehörde obliegt. Mit der Entscheidung über die Zustimmung nimmt die Luftfahrtbehörde die ihr in § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG zugewiesene Aufgabe wahr, betriebsbedingte Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs sowie für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch die Luftfahrt abzuwehren ( 4 B 37.14 - ZfBR 2015, 168 Rn. 5; OVG Lüneburg, Urteil vom - 12 LB 123/19 - BauR 2020, 248 f.; vgl. zum Bauverbot nach § 18a LuftVG 4 C 1.15 - BVerwGE 154, 377 Rn. 28). Ist eine erforderliche Zustimmung nach § 14 LuftVG versagt worden, so besteht daher weder Raum noch Bedarf für eine weitergehende Prüfung insoweit im Genehmigungsverfahren durch die Immissionsschutzbehörde. Gleiches hat für den Fall zu gelten, dass die Zustimmung nach § 14 Abs. 1 LuftVG erteilt worden ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom - 12 LB 123/19 - BauR 2020, 248 <250>). Diesen rechtlichen Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof zutreffend zugrunde gelegt, wenn er angenommen hat, dass ein Konkurrenzverhältnis der beiden Anlagen hinsichtlich der Luftverteidigungsradaranlage Lauda-Königshofen im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht mehr bestand.
10c) Die vom Beigeladenen aufgeworfene Frage,
ob die Prüffähigkeit eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsantrags für eine Windenergieanlage, deren Standort im Erfassungsbereich eines Luftverteidigungsradars geplant ist und den Separationsabstand im Seitenwinkel von mindestens 1,0° unterschreitet, voraussetzt, dass ein signaturtechnisches Gutachten vorgelegt wird,
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass prüffähige Unterlagen dann vorliegen, wenn die Unterlagen sich zu allen rechtlich relevanten Aspekten des Vorhabens verhalten und die Behörde in die Lage versetzen, den Antrag unter Berücksichtigung dieser Vorgaben näher zu prüfen. Nicht vollständig sind Unterlagen dann, wenn sie rechtlich relevante Fragen vollständig ausblenden ( 4 C 3.19 - BVerwGE 169, 39 Rn. 26). Ob ein prüffähiger Genehmigungsantrag ohne Vorlage eines signaturtechnischen Gutachtens gegeben ist, was der Verwaltungsgerichtshof hier hinsichtlich des Antrags der Klägerin bejaht hat, ist eine Frage der Umstände des konkreten Einzelfalls. Dies vermag eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu begründen. An die von der Vorinstanz zu dieser Frage getroffenen tatsächlichen Feststellungen, nach denen u. a. die Einholung eines signaturtechnischen Gutachtens im vorliegenden Fall keineswegs zwingend erforderlich gewesen sei, wäre der Senat in einem Revisionsverfahren auch gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.
11d) Schließlich kommt auch der vom Beigeladenen formulierten Rechtsfrage,
ob die Prüffähigkeit eines Antrags auf immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer Windenergieanlage voraussetzt, dass die Antragsunterlagen auch die belastenden Auswirkungen des Rückbaus von bestehenden Windenergieanlagen berücksichtigen, wenn die Antragsunterlagen die positiven Auswirkungen des Rückbaus in Form eines "Belastungsabzugs" anrechnen,
keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Frage ist nicht klärungsbedürftig. Sie lässt sich auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s. o. zu 1. a) ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Der Verwaltungsgerichtshof hat zutreffend ausgeführt, dass der die Verwirklichung des Vorhabens der Klägerin lediglich vorbereitende Rückbau der drei Bestandsanlagen nicht Teil des Prüfprogramms des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens nach § 6 BImSchG ist. Soweit die positiven Auswirkungen des Rückbaus in den Genehmigungsunterlagen berücksichtigt wurden, die negativen hingegen nicht, hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass dies die Prüffähigkeit des Genehmigungsantrags nicht in Frage stellte und weitere Unterlagen hätten nachgereicht werden können. Angaben über Auswirkungen des Rückbaus von bestehenden Windenergieanlagen betreffen deshalb nicht die Genehmigungsreife des immissionsrechtlichen Antrags.
122. Aus dem Vorbringen des Beigeladenen ergibt sich nicht das Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das angegriffene Urteil beruhen kann.
13a) Die erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 und 2 VwGO) greift nicht durch.
14Die Beschwerde rügt, dass die Vorinstanz entgegen den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisanträgen des Beigeladenen nicht weiter aufgeklärt habe, ob die kumulierten Auswirkungen der streitgegenständlichen Windenergieanlagen der Klägerin und des Beigeladenen zu einer nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung der Radarerfassung der Luftverteidigungsradaranlage Lauda-Königshofen führen. Diese Verfahrensrüge muss erfolglos bleiben. Denn auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, wonach die nunmehr vorliegende Zustimmung der zuständigen Luftfahrtbehörde zu beiden Anlagen für deren Genehmigungsfähigkeit maßgeblich sei (s. o. zu 1. b), hat sich diese Frage nicht gestellt. Von ihrem Rechtsstandpunkt aus hatte die Vorinstanz keinen Anlass, den Sachverhalt in der von dem Beigeladenen bezeichneten Richtung durch Zeugenvernehmung oder Sachverständigengutachten bzw. amtliche Auskünfte weiter aufzuklären. Auf die Hilfserwägung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es sich hierbei zudem um sogenannte Beweisanträge "ins Blaue hinein" gehandelt habe, kommt es danach nicht mehr an.
15b) Eine Verletzung des Grundsatzes rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) wird nicht dargelegt. Das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs gewährleistet jedem Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, zu dem gesamten Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 765, 766/89 - BVerfGE 89, 381 <392> und vom - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <129>). Einen Verstoß gegen diese Anforderungen legt die Beschwerde nicht dar. Er folgt insbesondere nicht aus der - zudem erfolglosen - Aufklärungsrüge.
163. Die Revision ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil das Urteil von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ( 4 C 3.19 - BVerwGE 169, 39 Rn. 19, 22) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
17Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung (unter anderem) des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat ( 7 B 19.21 - NVwZ-RR 2023, 95 Rn. 13). Daran fehlt es hier.
18Die Beschwerde benennt keinen Rechtssatz des Verwaltungsgerichtshofs, der von der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Sie bezieht sich auf Rechtssätze des Bundesgerichts, in denen im Hinblick auf geplante Windenergieanlagen ausgeführt wird, dass es regelmäßig sachgerecht und rechtlich geboten ist, die Frage des Vorrangs einer immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlage vor einer gleichartigen genehmigungspflichtigen Anlage auch im Verhältnis von Vorbescheid und Genehmigung nach dem Prioritätsprinzip zu beantworten, wenn beide Anlagen in einer echten Konkurrenzsituation stehen, sich beide (potentiell) sowohl in der Rolle des Störers als auch des Gestörten befinden und die Art der Störung übereinstimmt. Diese Rechtssätze hat die Vorinstanz, wie bereits oben zu 1.a) angesprochen, ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Die Beschwerde übersieht die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in derselben Entscheidung, wonach durch Auslegung zu ermitteln ist, ob der Vorbescheid den Vorrang einer Anlage an einem bestimmten Standort hinsichtlich eines bestimmten Konflikts sichert ( 4 C 3.19 - BVerwGE 169, 39 Rn. 23). Diese Auslegung hat der Verwaltungsgerichtshof hier bezogen auf den Vorbescheidsantrag vorgenommen. Mit der Rüge, die Vorinstanz habe nicht verlangen dürfen, dass der Vorbescheidsantrag speziell die Frage des Vorrangs gegenüber einem Konkurrenzvorhaben zur Entscheidung stellt, macht die Beschwerde allenfalls einen Rechtsanwendungsfehler, nicht aber eine abweichende Rechtsauffassung geltend.
19Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:210324B7B12.23.0
Fundstelle(n):
HAAAJ-74503