Instanzenzug: LG Traunstein Az: 2 KLs 650 Js 44917/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen und das Leben gefährdenden Einschleusens von Ausländern in drei Fällen, „davon in einem Fall auch mit einer erniedrigenden Behandlung und in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, mit Urkundenfälschung, mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, mit vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung und mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen mit Gefährdung Dritter“, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zudem hat es eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a) StGB im Fall II. 2. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3a) Nach den Feststellungen – soweit hier relevant – bewegte der Angeklagte, der unter dem Einfluss von Amphetamin und Methamphetamin stand, im öffentlichen Straßenverkehr einen Transporter. Mit diesem hatte er 25 türkische Staatsangehörige, die über keine Aufenthaltstitel für eine Einreise in die Bundesrepublik verfügten, nach Deutschland verbracht. Als sich noch eine geschleuste Person auf dem Beifahrersitz und 13 weitere Personen ungesichert auf der geschlossenen Ladefläche des Fahrzeugs befanden, wurde eine Polizeistreife auf den Angeklagten aufmerksam. Er ignorierte die polizeilichen Anhaltesignale und trat über eine Wegstrecke von etwa zehn Kilometern mit bis zu ca. 120 km/h die Flucht an, bei der er auch innerorts die jeweils maximal mögliche Geschwindigkeit seines Fahrzeugs ausschöpfte und verkehrswidrige Fahrmanöver durchführte. Hierbei traten drei Verkehrssituationen ein, die das Landgericht als „Beinaheunfälle“ angesehen hat (Schleudern des Fahrzeugs an einem Bahnübergang; drohendes Umkippen nach Touchieren des Bordsteins; Durchfahren eines Kreisverkehrs auf der linken Seite bei Gegenverkehr).
4Die Fahrunsicherheit des Angeklagten hat die Strafkammer auf die hohe Menge Methamphetamin (390 μg/l) gestützt, die in der ihm entnommen Blutprobe festgestellt worden war. Dessen „überaus riskante“ Fahrweise sei auch auf die Beeinflussung durch das Methamphetamin zurückzuführen.
5b) Damit ist eine Fahruntüchtigkeit des Angeklagten nicht belegt.
6aa) Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a) StGB nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. Rn. 5; Beschluss vom – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom – 4 StR 111/15 Rn. 9; Beschluss vom – 4 StR 395/98, BGHSt 44, 219, 221 ff.). Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. Rn. 8; Urteil vom – 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42, 44 ff.).
7bb) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Das Landgericht hat die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten rechtsfehlerhaft bereits durch den Blutwirkstoffbefund für erwiesen gehalten. Soweit es zusätzlich darauf abgestellt hat, dass die festgestellte Fahrweise des Angeklagten auch auf dessen Methamphetaminkonsum zurückgehe, vermag dies ebenfalls eine drogenbedingte Fahrunsicherheit des Angeklagten nicht zu belegen. Vielmehr hätte die Strafkammer weitergehend bedenken müssen, dass dessen Fahrverhalten darauf ausgerichtet war, sich von einem verfolgenden Polizeifahrzeug abzusetzen. Sie hätte deshalb erörtern müssen, ob und inwieweit die fehlerhafte und riskante Fahrweise des Angeklagten auf dem Rauschmittelkonsum und nicht auf seinem Fluchtwillen beruhte (vgl. dazu Rn. 9; Beschluss vom – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom – 4 StR 520/13 Rn. 2). Hierzu bestand umso mehr Anlass, als die Strafkammer dem Angeklagten im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung gerade eine rasche Auffassungsgabe, eine sehr gute Reaktionsfähigkeit – dank derer er sein Fahrzeug in instabilen Fahrsituationen wieder unter Kontrolle bringen konnte – und eine vollständig erhaltene Handlungskompetenz zugeschrieben hat.
8c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dahin ab, dass im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Schleusungsfahrt bei M. am ) die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nach dem vom Landgericht allein herangezogenen § 315c Abs. 1 Nr. 1a) StGB entfällt. Denn es ist nicht zu erwarten, dass ein neues Tatgericht die Tatbestandsvoraussetzungen rechtsfehlerfrei würde belegen können.
9Der Strafausspruch bleibt hiervon unberührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht ohne das Hinzutreten einer rauschmittelbedingten Gefährdung des Straßenverkehrs im Fall II. 2. der Urteilsgründe auf eine mildere Einzelstrafe erkannt hätte. Straferschwerend hat es insoweit lediglich berücksichtigt, dass der Angeklagte eine Vielzahl weiterer Straftatbestände verwirklicht habe. Diese Erwägung trifft auch auf Basis des geänderten Schuldspruchs zu. Soweit es im Hinblick auf tschechische Vorstrafen des Angeklagten zudem auf ein „Fahren unter Drogeneinfluss“ abgehoben hat, bleibt ein solches festgestellt. Die Maßregel hat ebenfalls Bestand. Denn zu deren Begründung hat das Landgericht maßgeblich das mit dem verbotenen Kraftfahrzeugrennen erfüllte Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 Nr. 1a) StGB herangezogen.
102. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Quentin Bartel Scheuß
Dietsch Marks
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140824B4STR251.24.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-74492