Instanzenzug: LG Aachen Az: 95 KLs 2/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen versuchten Totschlags in zwei tateinheitlich begangenen Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls, in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich begangenen Fällen sowie in Tateinheit mit Sachbeschädigung in fünf tateinheitlich begangenen Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung bestimmt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen sowie – unter Aufhebung des Teil-Freispruchs – wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel erzielen den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
I.
21. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Zu Beginn des Jahres 2022 erfuhren der Angeklagte und das soziale Umfeld seiner Familie von dem außerehelichen Verhältnis seiner Mutter zu dem späteren Geschädigten I. . Wegen der damit aus Sicht des Angeklagten verbundenen Herabwürdigung seines Vaters sah er hierin eine Kränkung der Familienehre. Zudem kam es infolge der außerehelichen Beziehung zu fast täglichen Streitigkeiten der Eltern, die den Angeklagten sehr belasteten. Ende 2022 teilte er dem Geschädigten, dem er die alleinige Verantwortung für das Liebesverhältnis mit seiner Mutter zuwies, mit, dass dieser keine Mitglieder seiner Familie mehr belästigen solle, anderenfalls würde es „schlimm“ für ihn werden.
4Am Abend des war der Angeklagte mit dem auf seinen Vater zugelassenen Pkw Fiat Stilo in A. unterwegs. Als er sich auf dem Heimweg befand und soeben die D. straße passierte, bemerkte sein Beifahrer, der ebenfalls um die Affäre wusste, den späteren Geschädigten. Dieser lief auf dem linksseitigen Gehweg in Begleitung der späteren Geschädigten H. – dabei miteinander scherzend – in Fahrtrichtung des Angeklagten. Auf die Frage seines Beifahrers, ob er gesehen habe, wer da sei, hielt der Angeklagte augenblicklich an und setzte das Fahrzeug zurück. Dabei erkannte er zwischen den am Fahrbahnrand geparkten Fahrzeugen den Geschädigten. Dieser nahm den rückwärtsfahrenden Pkw wahr und ging davon aus, dass der Fahrer auf der Suche nach einem Parkplatz sei. Vor dem Beginn eines abgesenkten Bordsteins bremste der Angeklagte sein Fahrzeug erneut ab, legte den ersten Gang ein und trat das Gaspedal vollständig durch. Er fuhr in einer S-Kurve über den abgesenkten Bordstein auf den dort 4,1 Meter bis 4,7 Meter breiten Gehweg. Spätestens jetzt erkannte er im Scheinwerferlicht auch die neben dem Geschädigten auf der linken, der Hauswand zugewandten Seite des Bürgersteiges gehende Geschädigte H. . Obgleich sein Beifahrer ihm noch zurief, er solle es nicht tun, fuhr der Angeklagte mit weiterhin vollständig durchgedrücktem Gaspedal von hinten auf die Geschädigten zu. Hierbei heulte der Motor – wie dem Angeklagten bewusst war – deutlich wahrnehmbar auf. Trotz des nun auch von der Geschädigten H. vernommenen Motorengeräuschs drehte sich diese nicht um. Schließlich kollidierte der vom Angeklagten gesteuerte Pkw bei einer Geschwindigkeit von 38 km/h nach circa 21 Metern auf dem Bürgersteig ungebremst mit den Geschädigten. Dabei beabsichtigte er, den Liebhaber seiner Mutter mit dem Pkw zu treffen und ihn hierdurch erheblich zu verletzen. Dessen Tod sowie den Tod oder erhebliche Verletzungen dessen Begleiterin nahm der Angeklagte billigend in Kauf. Mit dem mittigen Frontbereich prallte er gegen den linken Unterschenkel des Geschädigten I. . Das linke Drittel der Stoßstange stieß gegen die rechte Wade der Geschädigten H. . Mit der rechten Fahrzeugseite touchierte der Pkw zugleich einen am Fahrbahnrand geparkten Pkw. Während die Geschädigte sich nach einem kollisionsbedingten Sturz in Richtung Hauswand rasch wieder aufrichten und schreiend dem Fahrzeug hinterherlaufen konnte, wurde der Geschädigte I. infolge des Anpralls rücklings auf die Motorhaube aufgeladen und seine Füße wurden bis auf das Fahrzeugdach geschleudert. Dabei prallte er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe, so dass diese zerbarst. Nach einer Fahrstrecke von mindestens 13 Metern auf dem Fahrzeug des Angeklagten stürzte der Geschädigte auf die Motorhaube eines am Fahrbahnrand abgestellten Pkw und von dort auf den Gehweg. Der Angeklagte fuhr danach weiter und insgesamt circa 50 Meter auf dem Bürgersteig. Hierbei verursachte er Sachschäden an fünf Fahrzeugen in Höhe von insgesamt circa 12.000 €. Als er sein Fahrzeug wieder auf die Fahrbahn zurücksetzte, nahm er im Rückspiegel noch den auf dem Gehweg liegenden Geschädigten wahr. Obwohl er um die potentiell tödlichen Verletzungen der beiden Geschädigten und die Fahrzeugschäden wusste, entfernte er sich von der Kollisionsstelle, ohne sich Gewissheit über deren Zustand und die Folgen seines Handelns zu verschaffen. Der Geschädigte I. erlitt infolge des Zusammenstoßes Hautabschürfungen und -unterblutungen, einen Teilabriss der linken Ohrmuschel und eine Verletzung am linken Zeh, die sämtlich folgenlos ausheilten. Die Geschädigte H. zog sich ein Hämatom an der Außenseite des rechten Unterschenkels zu.
52. Die Jugendkammer hat die Tat als versuchten Totschlag in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls, gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und mit Sachbeschädigung in fünf rechtlich zusammentreffenden Fällen gewertet. Sie hat die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe verneint. Eine heimtückische Tötung hat sie mit der Begründung abgelehnt, dass der Angeklagte nicht mit dem nötigen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt habe, weil er damit rechnen „musste“, dass die Geschädigten sein Fahrzeug wegen des aufheulenden Motors und des Scheinwerferlichts wahrnehmen würden. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen hat sie verworfen, da nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte die Tat auch aus Angst und Verzweiflung, seine Familie werde auseinanderbrechen, begangen habe. Vom (tatmehrheitlichen) Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hat die Jugendkammer den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es handele sich bei dem Kollisionsgeschehen nicht um einen Unfall im Straßenverkehr im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB. Das gesamte Schadensereignis stelle nicht die Auswirkung eines allgemeinen Verkehrsrisikos dar, sondern sei einer vom Angeklagten deliktisch geplanten Kollision seines Fahrzeugs mit dem Geschädigten I. geschuldet.
II.
Revision der Staatsanwaltschaft
6Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat durchgreifende Rechtsfehler sowohl zum Nachteil als auch zum Vorteil (§ 301 StPO) des Angeklagten ergeben.
71. Die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke verneint hat, hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Ausführungen zum fehlenden Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten sind widersprüchlich und lückenhaft.
8a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt (vgl. Rn. 12 mwN; Beschluss vom – 1 StR 732/88, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 7). Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. ; Urteil vom – 4 StR 168/05, NStZ 2006, 167, 169; Urteil vom – 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15 mwN).
9Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 26 mwN; Beschluss vom – 5 StR 65/11 Rn. 9 mwN). Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (vgl. Rn. 10 mwN und vom – 4 StR 147/14 Rn. 7 mwN).
10b) Dem werden die Erwägungen im angefochtenen Urteil nicht gerecht. Zur Begründung der Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins hat die Jugendkammer angeführt, dass der Angeklagte wegen der Fahrt „mit aufheulendem Motor und durchgehend angeschaltetem Licht“ damit rechnen „musste“, dass die Geschädigten das sich nähernde Fahrzeug wahrnehmen würden. Damit hat das Landgericht auf Umstände abgestellt, die lediglich die Wahrnehmungssituation der Tatopfer betreffen, und zwar, obwohl es ebenfalls angenommen hat, dass diese das Fahrzeug als ihnen drohende Gefahr für Leib und Leben vor der Kollision nicht erkannt haben. Denn nach den Urteilsgründen ging der Geschädigte I. von einem Fahrzeug auf Parkplatzsuche aus. Ebenso sah die Geschädigte H. in dem wahrgenommenen Motorengeräusch keinen Anlass, sich nach hinten umzudrehen. Aber auch im Falle eines dahingehenden Vorstellungsbildes des Angeklagten ließen die vorgenannten Umstände die Arglosigkeit dann nicht entfallen, wenn die verbleibende Zeitspanne zu kurz gewesen wäre, um der erkannten Gefahr zu begegnen. Insoweit geht die Jugendkammer im Rahmen der Ausführungen zum bedingten Tötungsvorsatz selbst davon aus, dass die Wahrnehmbarkeit des vom Angeklagten durchgeführten Fahrmanövers aufgrund der sehr kurzen Phase vom Anfahren bis zur Kollision von nur knapp sechs Sekunden für die Geschädigten stark eingeschränkt war. Stattdessen legen die festgestellten äußeren Umstände ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten nahe. Danach fuhr er mit einem Pkw plötzlich und überfallartig von hinten auf einem Gehweg auf sein anvisiertes Tatopfer zu, welches in der kurzen Phase der Annährung hierauf keinerlei Reaktion zeigte, die auf ein Erkennen des Angriffs hindeutete. Anhaltspunkte, weshalb der Angeklagte, der sich selbst dahin eingelassen hat, der Geschädigte habe sich bei der Zufahrt von hinten nicht umgedreht, diese Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt nicht erfasst haben könnte, benennt die Jugendkammer nicht. Eine hierfür in Betracht kommende psychische Ausnahmesituation mit Auswirkungen auf die Erkenntnisfähigkeit hat sie nicht festgestellt.
112. Auch der Teil-Freispruch vom Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hat keinen Bestand; insoweit hat die Jugendkammer zu Unrecht das Vorliegen eines Unfalls im Straßenverkehr verneint und deshalb den Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB als nicht erfüllt angesehen.
12a) Unter dem Begriff des Unfalls im Straßenverkehr ist jedes mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängendes Ereignis zu verstehen, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird. Der Kennzeichnung eines solchen Geschehens als Verkehrsunfall steht nicht entgegen, dass ein daran Beteiligter es vorsätzlich herbeigeführt hat, wenn nur einem anderen ein von ihm ungewollter Schaden entstanden ist. Dann handelt es sich mindestens für diesen anderen um ein ungewolltes, ihn plötzlich von außen her treffendes Ereignis (st. Rspr.; vgl. , BGHSt 47, 158, 159 mwN und vom – 4 StR 287/72, BGHSt 24, 382, 383 mwN). Zudem setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ einen verkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang in der Weise voraus, dass sich in dem „Verkehrsunfall“ gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben müssen. Eine solche Verknüpfung des Schadensereignisses mit einem Verkehrsgeschehen ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn sich das Verhalten schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild als Auswirkung einer deliktischen Planung, wie sie an beliebigen anderen Orten mit beliebigen anderen Mitteln auch durchführbar wäre, darstellt (vgl. aaO mwN).
13b) Danach liegt es nahe, dass sich jedenfalls in den Kollisionen mit den geparkten Fahrzeugen verkehrstypische Gefahren realisiert haben. Denn der Angeklagte hat den Pkw insoweit nicht mehr (ausschließlich) als Tatwaffe benutzt. Der in der Folge entstandene Sachschaden könnte als Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos verstanden werden und damit zum Begriff des Verkehrsunfalls gehören.
143. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei tateinheitlichen Fällen weist aber auch einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf (§ 301 StPO). Denn die Beweiserwägungen, mit denen die Jugendkammer einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten bezogen auf die Geschädigte H. angenommen hat, halten auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. nur Rn. 19; vom – 1 StR 360/16 Rn. 10; vom – 5 StR 224/08 Rn. 10) rechtlicher Überprüfung nicht stand.
15a) Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement) (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 15 mwN und vom – 1 StR 67/18 Rn. 13 mwN). Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. Rn. 18 und vom – 2 StR 483/14 Rn. 14). Die Prüfung erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände. Dabei sind neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung und der konkreten Angriffsweise des Täters auch seine psychische Verfassung bei Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen (vgl. Rn. 8 und vom – 4 StR 399/17 Rn. 19 mwN).
16b) Diesen Anforderungen werden die Beweiserwägungen der Jugendkammer zum bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten – bezogen auf die Geschädigte H. – nicht gerecht.
17aa) Zwar hat die Jugendkammer in zutreffender Weise die anschauliche Gefährlichkeit des Fahrverhaltens des Angeklagten als ein auch auf die Billigung einer als möglich erkannten Todesfolge hindeutendes Indiz gewertet. Dem entsprechend hat sie darauf abgestellt, dass der Angeklagte nach den belegten Feststellungen zielgerichtet und ungebremst auf dem Gehweg von hinten auf die Geschädigten zufuhr. Jedoch setzt sie sich im Weiteren nicht mit der – in Bezug auf die beiden Geschädigten – durchaus verschieden ausfallenden konkreten Angriffsweise des Angeklagten und den damit einhergehenden unterschiedlichen Auswirkungen seines Fahrmanövers auf die Tatopfer auseinander. Nach den festgestellten örtlichen Verhältnissen war der Gehweg an der Kollisionsstelle mit über vier Metern deutlich breiter als der vom Angeklagten gesteuerte Pkw Fiat Stilo. Danach wäre ein frontales Erfassen der beiden Geschädigten theoretisch möglich gewesen, ohne dabei den am Fahrbahnrand geparkten Pkw zu streifen. Die sich aus dieser Touchierung beim zeitgleichen Zusammenstoß mit den Geschädigten ergebende Fahrzeugposition am rechten Rand des Bürgersteiges, während die Geschädigte auf der linken, der Hauswand zugewandten Seite ging, stellt einen für das Willenselement kritischen und daher erörterungsbedürftigen Umstand dar. Denn er könnte darauf hindeuten, dass der Angeklagte das Fahrzeug an den rechten Gehwegrand steuerte, um einen Anstoß mit der auf der linken Seite laufenden Geschädigten zu vermeiden oder zumindest so gering wie möglich zu halten. Hierbei hätte die Jugendkammer auch die festgestellten (divergierenden) Auswirkungen des Zusammenstoßes in den Blick nehmen müssen. Denn während der Angeklagte den Geschädigten I. mittig mit der Fahrzeugfront mit schwerwiegenden Folgen erfasste, wurde die Geschädigte H. von der linken Frontseite weit weniger erheblich an der Außenseite ihres rechten Unterschenkels verletzt, so dass sie anschließend in der Lage war, nach dem kollisionsbedingten Sturz sogleich wieder aufzustehen und dem Fahrzeug des Angeklagten hinterherzulaufen.
18bb) Die über die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung hinausgehenden Erwägungen der Jugendkammer zum Willenselement beziehen sich sodann ausschließlich auf den Geschädigten I. . Von der Motivlage des Angeklagten, aus Wut, Verzweiflung und Angst um seine Familie den Liebhaber seiner Mutter verletzen zu wollen, hat sie den „Rückschluss“ auf seinen bedingten Tötungswillen gezogen. Allerdings lassen die Urteilsgründe Ausführungen dazu vermissen, dass dem Angeklagten schon jedweder Schädigungsvorsatz – bezogen auf die Geschädigte H. – fehlte. Damit entbehrt der von der Jugendkammer gezogene Schluss einer billigenden Inkaufnahme auch ihres Todes einer tragfähigen Grundlage.
194. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
20a) Die unter Ziffer II. 1 und II. 2 aufgezeigten Mängel zwingen auch zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden tateinheitlichen Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3; § 315 Abs. 3 Nr. 1a) StGB), gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie bezogen auf den Geschädigten I. zugleich in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und Sachbeschädigung in fünf rechtlich zusammentreffenden Fällen (§ 303 Abs. 1 StGB) (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 353 Rn. 12; Rn. 8). Demgegenüber können die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um solche ergänzt werden, die zu den bisherigen nicht im Widerspruch stehen. Hiervon ausgenommen sind die Feststellungen zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort. Diese sind schon deswegen aufzuheben, weil sie den Angeklagten belasten und er sie mangels Beschwer durch den Freispruch nicht hat angreifen können (vgl. Rn. 19; vom – 6 StR 282/20 Rn. 37 mwN). Hierbei wird zu beachten sein, dass die Feststellungen zum Schadensereignis an sich und dessen Herbeiführung jedoch an der oben genannten Bindungswirkung teilhaben. Denn diese sind zugleich Bestandteil des äußeren Tatgeschehens, das die Grundlage der Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und Sachbeschädigung bildete.
21b) Sollte das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht erneut die Entziehung der Fahrerlaubnis anordnen, wird es eine Entscheidung über die Einziehung des Führerscheins des Angeklagten nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB zu treffen haben (vgl. Rn. 7).
III.
Revision des Angeklagten
22Auf die allgemeine Sachrüge hat die Revision des Angeklagten im selben Umfang wie das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg. Die weitergehende Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:200624U4STR15.24.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-74415