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EuGH Urteil v. - C-623/22

Instanzenzug:

Gründe

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Vorlagefrage

22Mit der ersten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen, die Gültigkeit der geänderten Richtlinie 2011/16 im Licht der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie der Art. 20 und 21 der Charta zu prüfen, soweit sich die in Art. 8ab Abs. 1, 6 und 7 der Richtlinie vorgesehene Meldepflicht nicht auf die Gesellschaftssteuer beschränkt, sondern für alle in ihren Geltungsbereich fallenden Steuern gilt.

23Zu dem in Art. 21 der Charta niedergelegten Diskriminierungsverbot ist zunächst festzustellen, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern die unterschiedslose Anwendung der in Rede stehenden Meldepflicht auf die verschiedenen von ihr erfassten Steuerarten zu einer Ungleichbehandlung aufgrund eines spezifischen Faktors wie den in dieser Bestimmung aufgezählten führen könnte.

24Das Diskriminierungsverbot ist allerdings nur der spezifische Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes, der zu den Grundprinzipien des Unionsrechts gehört; dieser Grundsatz, der auch in Art. 20 der Charta zum Ausdruck kommt, verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C-336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25Die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Sachverhalte ist anhand aller Merkmale zu beurteilen, die sie kennzeichnen. Diese Merkmale sind u. a. im Licht des Gegenstands und des Ziels der Unionsmaßnahme, mit der die fragliche Unterscheidung eingeführt wird, zu bestimmen und zu beurteilen. Zu berücksichtigen sind auch die Grundsätze und Ziele des Regelungsbereichs, zu dem die betreffende Maßnahme gehört (Urteil vom , OE [Gewöhnlicher Aufenthalt eines Ehegatten - Kriterium der Staatsangehörigkeit], C-522/20, EU:C:2022:87, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26Überdies hat der Gerichtshof zur gerichtlichen Kontrolle der Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch den Unionsgesetzgeber entschieden, dass Letzterer im Rahmen der Ausübung der ihm übertragenen Zuständigkeiten über ein weites Ermessen verfügt, wenn er in einem Bereich tätig wird, der politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen impliziert, und wenn er komplexe Beurteilungen und Prüfungen vornehmen muss. Daher kann eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig sein, wenn sie zur Erreichung des Ziels, das die zuständigen Organe anstreben, offensichtlich ungeeignet ist (Urteil vom , OE [Gewöhnlicher Aufenthalt eines Ehegatten - Kriterium der Staatsangehörigkeit], C-522/20, EU:C:2022:87, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 und 2 der geänderten Richtlinie 2011/16, dass die in ihrem Art. 8ab Abs. 1, 6 und 7 vorgesehene Meldepflicht im Wesentlichen für Steuern aller Art gilt, die von einem Mitgliedstaat und seinen gebiets- oder verwaltungsmäßigen Gliederungseinheiten erhoben werden, nicht aber für die Mehrwertsteuer und Zölle oder für Verbrauchsteuern, die in anderen Rechtsvorschriften der Union über die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten erfasst sind.

28Diese Pflicht fügt sich in den Rahmen der Schaffung einer internationalen steuerlichen Zusammenarbeit zur Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung ein, die sich durch einen Informationsaustausch zwischen Mitgliedstaaten konkretisiert. Sie soll zur Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung und zur Verhinderung der Gefahr von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung beitragen (Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a., C-694/20, EU:C:2022:963, Rn. 43 und 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

29Daraus folgt, dass die Gefahr aggressiver Steuerplanung sowie von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung das Referenzkriterium ist, anhand dessen im vorliegenden Fall zu beurteilen ist, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung vorliegen könnte, weil die geänderte Richtlinie 2011/16 die Pflicht zur Meldung grenzüberschreitender Gestaltungen nicht auf die Gesellschaftssteuer beschränkt, sondern auf alle Steuern außer der Mehrwertsteuer, den Zöllen und den Verbrauchsteuern erstreckt.

30Nichts in den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, lässt aber den Schluss zu, dass aggressive Steuerplanungspraktiken nur im Bereich der Gesellschaftssteuer umgesetzt werden können, nicht aber im Bereich der übrigen direkten Steuern wie z. B. der Einkommensteuer für natürliche Personen und im Bereich der indirekten Steuern, die - im Unterschied zur Mehrwertsteuer, zu den Zöllen und zu den Verbrauchsteuern, die vom Geltungsbereich der geänderten Richtlinie 2011/16 ausgenommen sind - nicht wie diese drei Arten indirekter Steuern Gegenstand spezifischer Regelungen der Union sind, in deren Kontext das Ziel der Bekämpfung solcher Praktiken unter Umständen gezielter erreicht werden kann.

31Wie der Generalanwalt hierzu in Nr. 35 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, lag zwar der Schwerpunkt der Folgenabschätzung der Kommission vom (SWD[2017] 236 final) zum Vorschlag für die Änderung der Richtlinie 2011/16 (im Folgenden: Folgenabschätzung) bei den direkten Steuern, doch wird darin dargelegt, dass Steuern aller Art Gegenstand einer aggressiven Steuerplanung sein können. Die in der Folgenabschätzung angestellte Erwägung, dass die Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung im Bereich der Mehrwertsteuer besser im Rahmen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) erfolgen könnte, was darin zum Ausdruck kommt, dass die Mehrwertsteuer nicht in den sachlichen Geltungsbereich der geänderten Richtlinie 2011/16 fällt, bedeutet nicht, dass zur Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung bei anderen indirekten Steuern ein Rückgriff auf die Meldepflicht unangebracht wäre.

32Überdies belegt, wie der Generalanwalt in Nr. 28 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, auch das OECD/G20-Projekt zu Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, von dem sich der Unionsgesetzgeber, wie dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/822 zu entnehmen ist, leiten ließ, dass ein Meldesystem wie das mit dieser Richtlinie eingeführte geeignet war, das größtmögliche Spektrum von Steuerarten zu erfassen.

33Unter diesen Umständen handelt es sich bei den verschiedenen Arten von Steuern, die nach der geänderten Richtlinie 2011/16 der Meldepflicht unterliegen, angesichts der mit dieser Richtlinie im Bereich der Bekämpfung aggressiver Steuerplanung sowie der Steuervermeidung und Steuerhinterziehung im Binnenmarkt verfolgten Ziele um vergleichbare Situationen, so dass ihre Einbeziehung in einem Bereich, in dem der Unionsgesetzgeber über ein weites Ermessen bei der Ausübung der ihm übertragenen Befugnisse verfügt, zur Erreichung dieser Ziele nicht offensichtlich ungeeignet war.

34Nach alledem ist festzustellen, dass die Prüfung des Aspekts, auf den sich die erste Frage bezieht, nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der geänderten Richtlinie 2011/16 im Licht der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie der Art. 20 und 21 der Charta berühren könnte.

Zur zweiten und zur dritten Vorlagefrage

35Mit der zweiten und der dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, die Gültigkeit der geänderten Richtlinie 2011/16 im Licht des Grundsatzes der Rechtssicherheit, des in Art. 49 Abs. 1 der Charta verankerten Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen und des in Art. 7 der Charta garantierten Rechts auf Achtung des Privatlebens zu prüfen, da der Begriff "Gestaltung" und somit die Begriffe "grenzüberschreitende Gestaltung", "marktfähige Gestaltung" und "maßgeschneiderte Gestaltung", "Intermediär", "Beteiligter" und "verbundenes Unternehmen", das Adjektiv "grenzüberschreitend", die verschiedenen "Kennzeichen", das "Kriterium des ,Main benefit'-Tests" und schließlich der Beginn der Frist von 30 Tagen für die Erfüllung der Meldepflicht, die in dieser Richtlinie zur Bestimmung des Geltungsbereichs und des Umfangs der Meldepflicht verwendet und festgelegt würden, nicht ausreichend klar und bestimmt seien.

36Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet, dass Rechtsvorschriften - vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen haben können - klar und bestimmt sowie in ihrer Anwendung für den Einzelnen vorhersehbar sind. Insbesondere verlangt er, dass eine Regelung es den Betroffenen ermöglicht, den Umfang der ihnen auferlegten Pflichten genau zu erkennen, und dass sie ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und sich darauf einstellen können (Urteil vom , Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, EU:C:2022:97, Rn. 223 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37Diese Erfordernisse sind jedoch weder so zu verstehen, dass sie den Unionsgesetzgeber daran hindern, im Rahmen einer von ihm erlassenen Norm einen abstrakten Rechtsbegriff zu verwenden, noch so, dass in einer solchen abstrakten Norm die verschiedenen konkreten Fälle genannt werden müssen, auf die sie angewandt werden kann, sofern der Gesetzgeber nicht alle diese Fälle im Voraus bestimmen kann (Urteil vom , Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, EU:C:2022:97, Rn. 224 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38Zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen ist festzustellen, dass die Mitgliedstaaten, auch wenn die geänderte Richtlinie 2011/16 selbst keine Sanktion für die Verletzung der Meldepflicht festlegt, nach deren Art. 25a insoweit wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorsehen müssen, d. h. Sanktionen, die strafrechtlichen Charakter haben können. Das vorlegende Gericht weist im Übrigen darauf hin, dass dies bei den im belgischen Recht vorgesehenen Sanktionen der Fall ist. Dabei kann ein etwaiger Mangel an Klarheit oder Bestimmtheit der in der zweiten und der dritten Frage angesprochenen Begriffe und Fristen, die festlegen, welche Verhaltensweisen die Betroffenen an den Tag legen müssen, damit gegen sie keine solchen Sanktionen verhängt werden, gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen verstoßen.

39Dieser in Art. 49 Abs. 1 der Charta verankerte Grundsatz, der eine besondere Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit darstellt, impliziert nämlich insbesondere, dass die Straftaten und die für sie angedrohten Strafen im Gesetz klar definiert werden (Urteil vom , Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C-205/20, EU:C:2022:168, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40Die Gesetzmäßigkeit in Strafsachen ist gewahrt, wenn der Einzelne anhand des Wortlauts der einschlägigen Bestimmung und nötigenfalls mit Hilfe ihrer Auslegung durch die Gerichte erkennen kann, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortung begründen (Urteil vom , M. A. S. und M. B., C-42/17, EU:C:2017:936, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41Überdies gehört der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen zu den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und ist in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen, u. a. in Art. 7 Abs. 1 EMRK, verankert. Nach den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) hat das in Art. 49 der Charta garantierte Recht nach deren Art. 52 Abs. 3 dieselbe Bedeutung und Tragweite wie das von der EMRK garantierte Recht (Urteil vom , M. A. S. und M. B., C-42/17, EU:C:2017:936, Rn. 53 und 54).

42Insoweit geht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) zu Art. 7 EMRK hervor, dass der Wortlaut von Rechtsakten wegen ihres notwendigerweise allgemeinen Charakters keine absolute Bestimmtheit aufweisen kann. Daraus folgt u. a., dass die Gesetzgebungstechnik, eher allgemeine Kategorien zu verwenden als abschließende Aufzählungen, zwar oft Grauzonen bei der Abgrenzung lässt, doch ist eine Vorschrift nicht bereits wegen solcher in einer begrenzten Zahl von Fällen bestehender Zweifel mit Art. 7 EMRK unvereinbar, sofern sie in den meisten Fällen hinreichend klar ist (vgl. in diesem Sinne u. a. EGMR, , Cantoni/Frankreich, CE:ECHR:1996:1115JUD001786291, §§ 31 und 32).

43Ebenso darf der Bestimmtheitsgrundsatz nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht so verstanden werden, dass er die schrittweise Klärung der Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortlichkeit durch Auslegungen seitens der Gerichte untersagt, sofern diese hinreichend vorhersehbar sind (Urteil vom , Rosneft, C-72/15, EU:C:2017:236, Rn. 167 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44Nach alledem steht der Umstand, dass in einer Regelung auf weit gefasste Begriffe Bezug genommen wird, die schrittweise zu klären sind, grundsätzlich nicht der Annahme entgegen, dass diese Regelung klare und bestimmte Vorschriften enthält, die es dem Einzelnen ermöglichen, vorherzusehen, welche Handlungen und Unterlassungen Gegenstand strafrechtlicher Sanktionen sein können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , BV, C-570/20, EU:C:2022:348, Rn. 42). Insoweit kommt es darauf an, ob der Anschein der Mehrdeutigkeit oder Unbestimmtheit dieser Begriffe unter Rückgriff auf die üblichen Methoden der Rechtsauslegung zerstreut werden kann. Entsprechen diese Begriffe den im Rahmen der einschlägigen internationalen Übereinkommen und Gepflogenheiten verwendeten Begriffen, können diese Übereinkommen und Gepflogenheiten dem mit der Auslegung betrauten Gericht zusätzliche Hinweise geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , État luxembourgeois [Information zu einer Gruppe von Steuerpflichtigen], C-437/19, EU:C:2021:953, Rn. 69 bis 71).

45Schließlich hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass der Grad der verlangten Vorhersehbarkeit in hohem Maß vom Inhalt der in Rede stehenden Vorschriften, von dem durch sie erfassten Bereich sowie von Zahl und Eigenschaft ihrer Adressaten abhängt. Mit der Vorhersehbarkeit des Gesetzes ist es nicht unvereinbar, dass die betreffende Person gezwungen ist, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. Das gilt insbesondere für die in Ausübung ihres Berufs tätigen Personen, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen. Daher kann von ihnen erwartet werden, dass sie die Risiken, die eine solche Tätigkeit mit sich bringt, besonders sorgfältig beurteilen (Urteil vom , BV, C-570/20, EU:C:2022:348, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46Im Licht der vorstehenden Erwägungen sind die in der zweiten Frage genannten Begriffe zu prüfen.

47Erstens wird der Begriff "Gestaltung" in Art. 3 ("Begriffsbestimmungen") der geänderten Richtlinie 2011/16 nicht gesondert definiert. Er wird in dieser Richtlinie entweder allein oder zusammen mit anderen Worten ("grenzüberschreitende Gestaltung", "meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung", "marktfähige Gestaltung" und "maßgeschneiderte Gestaltung") verwendet. Der Begriff "Gestaltung" wird auch in Anhang IV in Wendungen wie "Gestaltung, die sich so auswirkt, dass Einkünfte in Vermögen, Schenkungen oder andere niedriger besteuerte oder steuerbefreite Arten von Einkünften umgewandelt werden", "Gestaltung, die zirkuläre Transaktionen nutzt", oder "Gestaltung, bei der der Intermediär Anspruch auf eine Vergütung ... für die Gestaltung hat und diese Vergütung in Bezug auf [den Betrag des aufgrund der Gestaltung erlangten Steuervorteils] festgesetzt wird". Schließlich kann es sich nach Art. 3 Nr. 18 der Richtlinie bei einer "Gestaltung" auch um eine Reihe von Gestaltungen handeln, und sie kann mehr als einen Schritt oder Teil umfassen.

48Darüber hinaus wird im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/822 ausgeführt: "Für die Mitgliedstaaten wird es immer schwieriger, ihre nationalen Steuerbemessungsgrundlagen gegen Aushöhlung zu schützen, da die Steuerplanungsstrukturen immer ausgefeilter werden und sich häufig die höhere Mobilität von Kapital und Personen im Binnenmarkt zunutze machen. Derartige Strukturen umfassen häufig Gestaltungen, die für mehrere Hoheitsgebiete gemeinsam entwickelt werden und durch die steuerpflichtige Gewinne in Staaten mit vorteilhafteren Steuersystemen verlagert werden oder die eine Verringerung der Gesamtsteuerbelastung der Steuerpflichtigen bewirken."

49Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Begriff "Gestaltung" in seiner üblichen Bedeutung als Mechanismus, Vorgang, Struktur oder Kniff zu verstehen ist und im Kontext der geänderten Richtlinie 2011/16 die Durchführung einer Steuerplanung zum Gegenstand hat. In Anbetracht der großen Vielfalt und Ausgefeiltheit möglicher Steuerplanungsstrukturen, auf die im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/822 hingewiesen wird, kann, wie im Wesentlichen in Art. 3 Nr. 18 in fine der geänderten Richtlinie 2011/16 dargelegt wird, nicht ausgeschlossen werden, dass eine Gestaltung ihrerseits aus mehreren Gestaltungen besteht. Dies kann bei einer Gestaltung der Fall sein, mit der u. a. in verschiedenen Mitgliedstaaten oder nach einem gestaffelten Zeitplan gesonderte rechtliche und steuerliche Mechanismen koordiniert umgesetzt werden, die nicht nur Schritte oder Teile dieser Gestaltung sind, sondern mit denen bereits individuell und getrennt voneinander die Verwirklichung von Steuerplanungen und in Verbindung miteinander die Verwirklichung einer Gesamtsteuerplanung verfolgt werden.

50Hinzuzufügen ist, dass die Berücksichtigung der Steuerplanungspraktiken durch den allgemeinen Begriff "Gestaltung" eine gängige Vorgehensweise ist; dies spiegeln u. a. die Model Mandatory Disclosure Rules for CRS Avoidance Arrangements and Opaque Offshore Structures (Mustervorschriften für verbindliche Offenlegungsregeln für die Bekämpfung von Gestaltungen zur Umgehung des gemeinsamen Meldestandards und von undurchsichtigen Offshore-Strukturen) der OECD von 2018 (im Folgenden: OECD-Mustervorschriften) wider, die gestützt auf die im Bericht über den Aktionspunkt 12 des BEPS-Projekts empfohlene bewährte Praxis erarbeitet und vom Unionsgesetzgeber am Ende des vierten Erwägungsgrundes der Richtlinie 2018/822 angesprochen wurden. In Nr. 23 der in den OECD-Mustervorschriften enthaltenen Kommentare heißt es, dass der Begriff "Gestaltung" integraler Bestandteil der Definition der "Gestaltungen zur Umgehung des gemeinsamen Meldestandards" ist und dass diese Definition weit und umfassend genug sein soll, um alle Vereinbarungen, Vorhaben oder Pläne zu erfassen sowie alle Schritte und Transaktionen, die Teil der Gestaltung sind oder sie umsetzen.

51Der OBFG trägt vor, da die Meldepflicht für jede "meldepflichtige Gestaltung" gelte, sei der Umstand, dass eine solche Gestaltung aus einer Reihe von Gestaltungen bestehen könne, geeignet, Unsicherheit über den Umfang der zu beachtenden konkreten Meldepflichten auszulösen.

52Insoweit geht aus Art. 8ab der geänderten Richtlinie 2011/16 hervor, dass die Meldepflicht grundsätzlich für jede "meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung" gilt, d. h. nach Art. 3 Nr. 19 der Richtlinie für jede grenzüberschreitende Gestaltung, die mindestens eines der in Anhang IV aufgeführten Kennzeichen umfasst; diese deuten nach Art. 3 Nr. 20 der Richtlinie auf ein potenzielles Risiko der Steuervermeidung hin. In diesem Kontext gilt nur dann, wenn und soweit eine Gestaltung ihrerseits aus Mechanismen besteht, die nicht nur Schritte oder Teile der Gestaltung darstellen, sondern bereits individuell und getrennt voneinander die Verwirklichung von Steuerplanungen verfolgen und bereits "meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen" darstellen, d. h. aus Gestaltungen, von denen jede individuell und isoliert ein "potenzielles Risiko der Steuervermeidung" mit sich bringt, die Meldepflicht für jede dieser Gestaltungen und darüber hinaus zu gegebener Zeit für die von ihnen gebildete Gesamtgestaltung. Besteht eine "meldepflichtige Gestaltung" aus Mechanismen, die diese Merkmale nicht aufweisen, besteht die Meldepflicht hingegen nur für diese Gestaltung und entsteht erst dann, wenn die Gestaltung eine der in Art. 8ab Abs. 1 der geänderten Richtlinie 2011/16 vorgesehenen zeitlichen Voraussetzungen erfüllt.

53In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und im Licht der oben in den Rn. 36 bis 45 angeführten Rechtsprechung erscheint der Begriff "Gestaltung" hinsichtlich der Anforderungen, die sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen ergeben, hinreichend klar und bestimmt.

54Zweitens werden die Begriffe "grenzüberschreitende Gestaltung", "marktfähige Gestaltung" und "maßgeschneiderte Gestaltung" in Art. 3 Nrn. 18, 24 und 25 der geänderten Richtlinie 2011/16 definiert.

55Für die Einstufung als "grenzüberschreitende Gestaltung" sind nach Art. 3 Nr. 18 der geänderten Richtlinie 2011/16 im Wesentlichen die steuerliche Ansässigkeit des oder der an einer solchen Gestaltung Beteiligten, der Ort, an dem sie eine Geschäftstätigkeit ausüben, die möglichen Auswirkungen der Gestaltung auf den automatischen Informationsaustausch oder die Identifizierung ihrer wirtschaftlichen Eigentümer maßgebend.

56Zunächst ist zu den Begriffen "steuerliche Ansässigkeit" und "Ort, an dem sie eine Geschäftstätigkeit ausüben", festzustellen, dass sie keine besondere Verständnisschwierigkeit aufwerfen.

57Sodann ist der Begriff "an der Gestaltung Beteiligter", auch wenn er in der geänderten Richtlinie 2011/16 nicht eigens definiert wird, gleichwohl ohne Weiteres so zu verstehen, dass darunter der "relevante Steuerpflichtige" im Sinne von Art. 3 Nr. 22 der Richtlinie fällt, a priori aber nicht der "Intermediär" im Sinne von Art. 3 Nr. 21 der Richtlinie, unbeschadet der Möglichkeit, dass der Intermediär nicht nur die in Nr. 21 genannten Transaktionen vornimmt, sondern auch als relevanter Steuerpflichtiger aktiv an der Gestaltung beteiligt ist.

58Schließlich wird die Beurteilung der möglichen "Auswirkungen auf den automatischen Informationsaustausch oder die Identifizierung der wirtschaftlichen Eigentümer" einer Gestaltung in Anhang IV hinreichend erläutert, da dort in Kategorie D die spezifischen Kennzeichen hinsichtlich des automatischen Informationsaustauschs und der wirtschaftlichen Eigentümer aufgeführt sind. Kategorie D enthält in den Nrn. 1 und 2 Listen verschiedener Organisations- oder Funktionsmodalitäten, aufgrund deren eine Gestaltung zu einer Aushöhlung der Meldepflicht oder, durch den Rückgriff auf intransparente Eigentümerketten, zu einer Verschleierung der Identität der wirtschaftlichen Eigentümer, die von diesen Organisations- oder Funktionsmodalitäten profitieren, führen kann.

59Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Begriff "grenzüberschreitende Gestaltung" in seinen verschiedenen Aspekten bei der Prüfung der Bestimmungen der geänderten Richtlinie 2011/16 unter Berücksichtigung der oben in den Rn. 36 bis 45 angeführten Rechtsprechung hinsichtlich der Anforderungen, die sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen ergeben, hinreichend klar und bestimmt erscheint.

60Gleiches gilt für die - einander ausschließenden - Begriffe "marktfähige Gestaltung" und "maßgeschneiderte Gestaltung", wobei mit Ersterem eine grenzüberschreitende Gestaltung bezeichnet wird, die konzipiert wird, vermarktet wird, umsetzungsbereit ist oder zur Umsetzung bereitgestellt wird, ohne dass sie individuell angepasst werden muss, während Letzterer als jede grenzüberschreitende Gestaltung definiert wird, bei der es sich nicht um eine marktfähige Gestaltung handelt. Insbesondere wird nämlich das Merkmal des fehlenden individuellen Anpassungsbedarfs durch das Kennzeichen A.3 des Anhangs IV dergestalt erläutert, dass es bei einer Gestaltung vorliegt, deren Dokumentation und/oder Struktur im Wesentlichen standardisiert ist und für mehr als einen relevanten Steuerpflichtigen verfügbar ist, ohne dass sie für die Umsetzung wesentlich individuell angepasst werden muss.

61Drittens wird der Begriff "Intermediär" in Art. 3 Nr. 21 der geänderten Richtlinie 2011/16 so definiert, dass er jede Person bezeichnet, "die eine meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung konzipiert, vermarktet, organisiert oder zur Umsetzung bereitstellt oder die die Umsetzung einer solchen Gestaltung verwaltet" (Abs. 1), aber auch "jede Person, die - unter Berücksichtigung der relevanten Fakten und Umstände und auf der Grundlage der verfügbaren Informationen sowie des einschlägigen Fachwissens und Verständnisses, die für die Erbringung solcher Dienstleistungen erforderlich sind - weiß oder vernünftigerweise wissen müsste, dass sie unmittelbar oder über andere Personen Hilfe, Unterstützung oder Beratung im Hinblick auf Konzeption, Vermarktung, Organisation, Bereitstellung zur Umsetzung oder Verwaltung der Umsetzung einer meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung geleistet hat" (Abs. 2).

62Weiter heißt es in Art. 3 Nr. 21, dass eine Person, damit sie als Intermediär fungieren kann, mindestens eine der folgenden vier zusätzlichen, eine Verbindung zum Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten herstellenden Voraussetzungen erfüllen muss: Sie ist in einem Mitgliedstaat steuerlich ansässig, hat eine Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat, durch die die Dienstleistungen im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Gestaltung erbracht werden, ist nach dem Recht eines Mitgliedstaats eingetragen oder unterliegt dem Recht eines Mitgliedstaats oder ist in einem Mitgliedstaat Mitglied in einer Organisation für juristische, steuerliche oder beratende Dienstleistungen.

63Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass sich die Zweifel des vorlegenden Gerichts vor allem darauf beziehen, dass der Begriff "Intermediär" nach Art. 3 Nr. 21 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2011/16 Personen erfasst, die der Sache nach nur "Auxiliarintermediäre" oder, nach der Terminologie in den OECD-Mustervorschriften, "Dienstleistungserbringer" sind, da sie nur "Hilfe, Unterstützung oder Beratung" leisten (im Folgenden: Auxiliarintermediäre), während die in Art. 3 Nr. 21 Abs. 1 der Richtlinie genannten Personen die grenzüberschreitende Gestaltung konzipieren, vermarkten, organisieren, zur Umsetzung bereitstellen oder ihre Umsetzung verwalten (im Folgenden: Hauptintermediäre) und in den Mustervorschriften als "Promoter" der Gestaltung bezeichnet werden.

64In diesem Kontext ist aber festzustellen, dass der Formulierung, die in Art. 3 Nr. 21 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2011/16 nach seinem oben in Rn. 61 wiedergegebenen Inhalt enthalten ist, in Anbetracht der oben in den Rn. 36 bis 45 angeführten Rechtsprechung nicht die erforderliche Bestimmtheit fehlt, damit die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer erkennen können, ob sie zur Kategorie der meldepflichtigen Personen gehören. Dies gilt insbesondere für die insoweit zentrale Wendung, dass die Person "unmittelbar oder über andere Personen Hilfe, Unterstützung oder Beratung" leistet.

65Viertens wird der Begriff "verbundenes Unternehmen" in Art. 3 Nr. 23 der geänderten Richtlinie 2011/16 definiert, der vorsieht, dass ein solches Unternehmen für die Zwecke von Art. 8ab der Richtlinie eine Person ist, die mit einer anderen Person auf eine der verschiedenen in Art. 3 Nr. 23 aufgeführten Arten verbunden ist, sofern sie unter bestimmten Modalitäten und Bedingungen an der Geschäftsleitung, der Kontrolle, dem Kapital oder den Gewinnen der anderen Person beteiligt ist. Diese Bestimmung sieht ferner u. a. vor, dass im Fall einer gemeinsamen Beteiligung mehrerer Personen an der Geschäftsleitung, der Kontrolle, dem Kapital oder den Gewinnen einer oder mehrerer anderer Personen alle beteiligten Personen als verbundene Unternehmen gelten. Sie regelt außerdem die Modalitäten für die Berücksichtigung mittelbarer Beteiligungen und stellt klar, dass eine natürliche Person, ihr Ehepartner und ihre Verwandten in aufsteigender oder absteigender gerader Linie als eine einzige Person behandelt werden.

66In Anbetracht der oben in den Rn. 36 bis 45 angeführten Rechtsprechung genügt eine solche Vorschrift, auch wenn sie weit gefasst ist, offensichtlich den Erfordernissen der Klarheit und Bestimmtheit, die sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen ergeben. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Ausführungen des OBFG in seinen Erklärungen zu dieser Definition weniger auf einen etwaigen Mangel an Klarheit dieser Vorschrift beziehen als auf ihren Umfang.

67Fünftens heißt es in Bezug auf die in Anhang IV der geänderten Richtlinie 2011/16 aufgeführten Kennzeichen im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/822 im Wesentlichen, dass es angesichts dessen, dass die aggressive Steuerplanung immer komplexer geworden ist und ständig an die Gegenmaßnahmen der Steuerbehörden angepasst wird, wirksamer ist, potenziell aggressive Steuerplanungsgestaltungen durch die Zusammenstellung einer Liste von Merkmalen und Elementen, die "Kennzeichen" dieser Gestaltungen darstellen, zu erfassen, statt den Begriff der aggressiven Steuerplanung zu definieren.

68In Art. 3 Nr. 20 der geänderten Richtlinie 2011/16 wird "Kennzeichen" definiert als "ein Merkmal oder eine Eigenschaft einer grenzüberschreitenden Gestaltung gemäß Anhang IV, das bzw. die auf ein potenzielles Risiko der Steuervermeidung hindeutet".

69Die in Anhang IV definierten Kennzeichen sind in verschiedene Kategorien unterteilt, und zwar "Allgemeine Kennzeichen in Verbindung mit dem ,Main benefit'-Test" (Kategorie A) und "Spezifische Kennzeichen", erstens in Verbindung mit dem ",Main benefit'-Test" (Kategorie B), zweitens im Zusammenhang mit "grenzüberschreitenden Transaktionen" (Kategorie C), drittens hinsichtlich des "automatischen Informationsaustauschs und der wirtschaftlichen Eigentümer" (Kategorie D) und viertens hinsichtlich der "Verrechnungspreisgestaltung" (Kategorie E).

70Während bei bestimmten Kennzeichen die Tatsache, dass eine grenzüberschreitende Gestaltung sie aufweist, als Nachweis dafür genügt, dass diese Gestaltung ein potenzielles Risiko der Steuervermeidung aufweist, können andere, und zwar die der Kategorien A und B sowie der Kategorie C Abs. 1 Buchst. b Ziff. i, Buchst. c und Buchst. d, nur berücksichtigt werden, wenn sie das in Teil I von Anhang IV definierte Kriterium des "Main benefit" Tests erfüllen. Dieser Test ist erfüllt, wenn "festgestellt werden kann, dass der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile, den eine Person unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände vernünftigerweise von einer Gestaltung erwarten kann, die Erlangung eines Steuervorteils ist".

71Die in Anhang IV definierten Kennzeichen beziehen sich auf spezifische und konkrete Merkmale von Steuergestaltungen, die Intermediäre im Sinne der geänderten Richtlinie 2011/16, die in der Regel Steuerfachleute sind, oder - in Ermangelung eines Intermediärs - Steuerpflichtige, die selbst grenzüberschreitende Steuerplanungsgestaltungen konzipieren, ohne übermäßige Schwierigkeiten ermitteln können.

72Außerdem können die in Anhang IV enthaltenen Definitionen der Kennzeichen mit den detaillierten Analysen im Bericht über den Aktionspunkt 12 des BEPS-Projekts und in der Folgenabschätzung verknüpft werden.

73Überdies implizieren zwar, wie der Generalanwalt in Nr. 88 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Vielfalt und die Tragweite der Kennzeichen, dass sie eine heterogene Gesamtheit von Gestaltungen abdecken, doch ist dieser Umstand nicht geeignet, die Anwendung der Meldepflicht für die ihr unterliegenden Personen unvorhersehbar werden zu lassen.

74Zum Vorbringen des OBFG, das Kriterium des Hauptvorteils stelle ein subjektives Kriterium dar, ist festzustellen, dass es auf den Vorteil Bezug nimmt, "den eine Person unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände vernünftigerweise von einer Gestaltung erwarten kann". Es dürfte für einen Intermediär - und in Ermangelung eines meldepflichtigen Intermediärs für den relevanten Steuerpflichtigen - nicht besonders schwierig sein, sich dazu zu äußern, ob der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile, der vernünftigerweise von der von ihnen konzipierten und/oder genutzten Gestaltung erwartet werden kann, steuerlicher Natur ist. Hierzu heißt es im Bericht über den Aktionspunkt 12 des BEPS-Projekts, dass bei dem Kriterium des Hauptsteuervorteils die Höhe des erwarteten Steuervorteils mit allen übrigen Vorteilen verglichen wird, die sich aus der Gestaltung ergeben können, was den Vorzug hat, sich auf eine objektive Bewertung der Steuervorteile zu stützen.

75In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und im Licht der oben in den Rn. 36 bis 45 angeführten Rechtsprechung erscheinen die in Anhang IV definierten Kennzeichen hinsichtlich der Anforderungen, die sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen ergeben, hinreichend klar und bestimmt.

76Sechstens beginnt nach Art. 8ab Abs. 1 Unterabs. 1 der geänderten Richtlinie 2011/16 die Frist von 30 Tagen für die Erfüllung der Meldepflicht durch die Intermediäre an dem Tag, nach dem die meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird, oder an dem Tag, nach dem diese Gestaltung umsetzungsbereit ist, oder wenn der erste Schritt zur Umsetzung dieser Gestaltung gemacht wurde, je nachdem, was früher eintritt.

77Ferner bestimmt Art. 8ab Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie: "Ungeachtet des Unterabsatzes 1 sind auch die in Artikel 3 Nummer 21 Absatz 2 genannten Intermediäre zur Vorlage der Informationen innerhalb von 30 Tagen, beginnend an dem Tag, nach dem sie unmittelbar oder über andere Personen Hilfe, Unterstützung oder Beratung geleistet haben, verpflichtet."

78Schließlich bestimmt Art. 8ab Abs. 7 der Richtlinie für den Fall, dass die Meldepflicht in Ermangelung eines meldepflichtigen Intermediärs dem relevanten Steuerpflichtigen obliegt, im Wesentlichen und mit ähnlichen Worten wie bei den Hauptintermediären, dass die Frist von 30 Tagen an dem Tag beginnt, nach dem die Gestaltung dem relevanten Steuerpflichtigen zur Umsetzung bereitgestellt wird oder zur Umsetzung durch ihn bereit ist oder wenn der erste Schritt zu ihrer Umsetzung im Zusammenhang mit dem Steuerpflichtigen gemacht wurde, je nachdem, was früher eintritt.

79Der Grundgedanke der geänderten Richtlinie 2011/16 und der durch sie auferlegten Meldepflicht implizieren, den Zeitpunkt festzulegen, zu dem diese Pflicht entsteht. Wie sich aus den oben in den Rn. 76 bis 78 erwähnten Bestimmungen ergibt, handelt es sich bei der Umsetzung der meldepflichtigen Gestaltung oder der Leistung von Hilfe, Unterstützung oder Beratung um die vom Unionsgesetzgeber insoweit gewählten Gegebenheiten.

80Zum einen bezeichnet die Wendung "Bereitstellung der grenzüberschreitenden Gestaltung zur Umsetzung", wie der Generalanwalt in Nr. 107 seiner Schlussanträge ausgeführt hat und wie der gewöhnliche Sprachgebrauch nahelegt, den Übergang von der Konzeptphase der Gestaltung zu ihrer operationellen Phase. Dieser Begriff kann nicht als unbestimmt oder unklar für den oder die Intermediäre im Sinne von Art. 3 Nr. 21 Abs. 1 der geänderten Richtlinie 2011/16 bzw., in Ermangelung eines Intermediärs, für den relevanten Steuerpflichtigen angesehen werden. Denn die Intermediäre bzw., in Ermangelung eines Intermediärs, der relevante Steuerpflichtige kennen die fragliche Gestaltung und sind daher in der Lage, den Zeitpunkt, zu dem ein solcher Übergang erfolgt, genau zu bestimmen.

81Zum anderen ist hinsichtlich der für die in Art. 8ab Abs. 1 Unterabs. 2 der geänderten Richtlinie 2011/16 genannten Intermediäre, bei denen es sich um Intermediäre im Sinne ihres Art. 3 Nr. 21 Abs. 2 handelt, geltenden Bezugnahme auf die Leistung von Hilfe, Unterstützung oder Beratung festzustellen, dass sich diese Leistung über einen gewissen Zeitraum erstrecken kann.

82In Art. 8ab Abs. 1 Unterabs. 2 wird allerdings nicht klargestellt, ob die den Intermediären zur Verfügung stehende Meldefrist am Tag nach dem ersten oder dem letzten Tag des Zeitraums beginnt, in dem Hilfe, Unterstützung oder Beratung geleistet wird.

83Außerdem ist hervorzuheben, dass die Meldepflicht der Intermediäre im Sinne von Art. 3 Nr. 21 Abs. 2 der Richtlinie logischerweise erst dann bestehen kann, wenn die betreffende Person weiß oder vernünftigerweise wissen müsste, dass sie unmittelbar oder über andere Personen Hilfe, Unterstützung oder Beratung im Hinblick auf Konzeption, Vermarktung oder Organisation einer meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung geleistet hat und somit ein der Meldepflicht unterliegender "Intermediär" ist. Dieser Zeitpunkt kann gegebenenfalls, je nach den Informationen, die dieser Person über die genaue Art der fraglichen Gestaltung zur Verfügung stehen, nach dem Beginn der Hilfe, Unterstützung oder Beratung durch sie liegen. In Anbetracht insbesondere dieses Umstands heißt es in Art. 3 Nr. 21 Abs. 2 der Richtlinie, dass die betreffende Person das Recht hat, Beweise zu erbringen, wonach sie nicht wusste oder vernünftigerweise nicht wissen konnte, dass sie an einer meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung beteiligt war.

84Schließlich ist, wie der Generalanwalt in Nr. 109 seiner Schlussanträge ausgeführt hat und wie sich aus dem siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/822 ergibt, davon auszugehen, dass die frühzeitige (d. h. vor der Umsetzung der Gestaltung erfolgende) Vorlage von Informationen bei der Steuerverwaltung vorzugswürdig ist. Gleichwohl ist, wie der Generalanwalt in Nr. 112 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die Gefahr möglichst gering zu halten, dass Meldepflichten in Bezug auf Gestaltungen zu erfüllen sind, deren Umsetzung ungewiss bleibt, was insbesondere bei Auxiliarintermediären der Fall sein könnte, bei denen es, da sie nicht so unmittelbar involviert sind wie die Hauptintermediäre, weniger wahrscheinlich ist, dass sie genau über den Stand der Umsetzung der betreffenden Gestaltung informiert sind.

85Unter diesen Umständen ist sowohl aus der Verwendung einer Vergangenheitsform in Art. 8ab Abs. 1 Unterabs. 2 der geänderten Richtlinie 2011/16 ("geleistet haben") als auch aus der für die Hauptintermediäre geltenden Regel, wonach die Meldefrist nicht schon ab dem Beginn ihrer Beteiligung an der Konzipierung der Gestaltung läuft, sondern erst im Stadium ihrer Umsetzung, abzuleiten, dass die Meldefrist für Auxiliarintermediäre erst an dem Tag beginnen kann, nach dem sie ihre Hilfe, Unterstützung oder Beratung beendet haben, und spätestens an dem in Art. 8ab Abs. 1 Unterabs. 1 festgelegten Tag, ihre Kenntnis vorausgesetzt. Hinzuzufügen ist, dass diese Erwägungen ihre Möglichkeit unberührt lassen, ihrer Meldepflicht, wenn sie dies wünschen, nachzukommen, bevor die hierfür geltende Frist von 30 Tagen zu laufen beginnt, also etwa schon zu Beginn ihrer Hilfe, Unterstützung oder Beratung.

86In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und im Licht der oben in den Rn. 36 bis 45 angeführten Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass der Beginn der Meldefrist für die verschiedenen von der geänderten Richtlinie 2011/16 erfassten Kategorien von Intermediären sowie für den relevanten Steuerpflichtigen, wenn ihm die Meldepflicht obliegt, in einer hinsichtlich der Anforderungen, die sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen ergeben, hinreichend klaren und bestimmten Weise festgelegt ist.

87Unter diesen Umständen stellt die Prüfung der zweiten und der dritten Frage die Gültigkeit der geänderten Richtlinie 2011/16 im Licht der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen nicht in Frage.

88Hinsichtlich der Beachtung von Art. 7 der Charta geht es bei der zweiten und der dritten Frage im Wesentlichen darum, ob die darin angesprochenen Begriffe und Fristen unabhängig von der Frage der Wahrung des Berufsgeheimnisses hinreichend genau sind, um sicherzustellen, dass der mit der Meldepflicht verbundene Eingriff in das Privatleben des Intermediärs und des relevanten Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Informationen, die diese Meldung enthalten muss, seinerseits hinreichend genau bestimmt wird.

89Da, wie der Generalanwalt in Nr. 123 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Art. 7 der Charta hinsichtlich des Erfordernisses der Klarheit und Genauigkeit der verwendeten Begriffe und der festgelegten Fristen keine strengere Verpflichtung als ihr Art. 49 aufstellt, ist davon auszugehen, dass der mit der Meldepflicht verbundene Eingriff in das Privatleben des Intermediärs und des relevanten Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Informationen, die diese Meldung enthalten muss, seinerseits hinreichend genau bestimmt wird. Diese Erwägung gilt jedoch unbeschadet der Prüfung, ob der Eingriff nicht über das hinausgeht, was zur Wahrung der mit der geänderten Richtlinie 2011/16 verfolgten, dem Gemeinwohl dienenden Ziele erforderlich ist; dies ist Gegenstand der fünften Vorlagefrage.

90Nach alledem hat die Prüfung der Aspekte, auf die sich die zweite und die dritte Vorlagefrage beziehen, nichts ergeben, was die Gültigkeit der geänderten Richtlinie 2011/16 im Licht des Grundsatzes der Rechtssicherheit, des in Art. 49 Abs. 1 der Charta verankerten Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen und des durch Art. 7 der Charta garantierten Rechts auf Achtung des Privatlebens berühren könnte.

Zur vierten Vorlagefrage

91Die vierte Frage betrifft die in Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 vorgesehene Unterrichtungspflicht und ähnelt der in Bezug auf Rechtsanwälte in der Rechtssache, in der das Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a. (C-694/20, EU:C:2022:963), ergangen ist, gestellten Frage. Im vorliegenden Fall betrifft sie Intermediäre, für die, ohne dass sie Rechtsanwälte sind, nach nationalem Recht eine Verschwiegenheitspflicht besteht.

Vorbemerkungen zur Tragweite von Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16

92Vor der Prüfung dieser Frage ist auf die in der mündlichen Verhandlung wiederholten Erklärungen der Kommission einzugehen, wonach die in Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 vorgesehene Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Meldepflicht durch die Unterrichtungspflicht zu ersetzen, nicht für alle Berufsangehörigen eingeführt worden sei, für die nach nationalem Recht eine Verschwiegenheitspflicht bestehe, sondern nur für diejenigen unter ihnen, die Rechtsanwälten gleichzustellen seien, da sie nach nationalem Recht befugt seien, Parteien vor Gericht zu vertreten. Die Kommission hat hinzugefügt, angesichts der Vielfalt der nationalen Rechtssysteme habe der Unionsgesetzgeber die Bestimmung dieser Berufsangehörigen in das Ermessen jedes Mitgliedstaats stellen wollen.

93In seinen schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung hat auch der Rat der Europäischen Union die Auffassung vertreten, dass es in Bezug auf die Verschwiegenheitspflicht nicht gerechtfertigt sei, den Intermediären, die keine Rechtsanwälte seien, den gleichen Schutz wie Rechtsanwälten zu gewähren. Insoweit hat er im Wesentlichen geltend gemacht, dass die in Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 vorgesehene Möglichkeit, die Meldepflicht durch die Unterrichtungspflicht zu ersetzen, den Mitgliedstaaten nur eingeräumt worden sei, damit sie den Anforderungen nachkommen könnten, die sich aus der Charta sowie der Rechtsprechung des EGMR und des Gerichtshofs ergäben.

94Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur deren Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom , Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Rückführung eines Opfers des Menschenhandels], C-66/21, EU:C:2022:809, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

95Zum Wortlaut von Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 ist festzustellen, dass die Sprachfassungen dieser Bestimmung voneinander abweichen. In der englischen Sprachfassung wird der Ausdruck "legal professional privilege" verwendet, der im Kontext des Unionsrechts, wie die Kommission geltend macht, als Bezugnahme auf das Berufsgeheimnis des Rechtsanwalts und Angehöriger anderer Berufe anzusehen ist, die ihm gleichzustellen sind, da sie nach dem anwendbaren nationalen Recht zur rechtlichen Vertretung eines Mandanten vor den nationalen Gerichten befugt sind. Zwei Sprachfassungen, und zwar die maltesische und die rumänische, enthalten eine wörtliche Übersetzung dieses englischen Ausdrucks (privilegg professjonali legali und privilegiu profesional legal). In der griechischen Fassung wird ausdrücklich auf das "Berufsgeheimnis des Rechtsanwalts nach nationalem Recht" (δo διКηγoριКό αόρρηТo ȕάσει Тης εθνιКής νoµoϴεíԂας) Bezug genommen. Dagegen enthalten die übrigen achtzehn Sprachfassungen Ausdrücke, die im Wesentlichen auf das nach nationalem Recht bestehende Berufsgeheimnis verweisen, ohne Bezugnahme auf das anwaltliche Berufsgeheimnis. Diese anderen Sprachfassungen können daher Berufe (wie Steuerberater, Notar, Wirtschaftsprüfer, Buchprüfer oder Bankier) erfassen, die nach nationalem Recht einem Berufsgeheimnis unterliegen, aber a priori nicht zur Vertretung vor Gericht befugt sind.

96Der achte, die Einfügung von Art. 8ab Abs. 5 in die Richtlinie 2011/16 betreffende Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/822 weist in seinen 22 Sprachfassungen die gleichen terminologischen Unterschiede sowie folgende zusätzliche Besonderheiten auf. In der griechischen Sprachfassung dieses Erwägungsgrundes (Тo εαγγεɛʎαТιКό ααóρρηo) wird auf das Berufsgeheimnis im Allgemeinen Bezug genommen, ohne dass - wie in der griechischen Fassung von Art. 8ab Abs. 5 - das anwaltliche Berufsgeheimnis erwähnt wird. Umgekehrt nimmt die dänische Fassung dieses Erwägungsgrundes Bezug auf den Rechtsanwalt und sieht vor, dass die Meldepflicht im Fall der "Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten oder einer ähnlichen gesetzlichen Verpflichtung" ("på grund af fortroligheden af korrespondance mellem advokat og klient, eller en tilsvarende lovbaseret tavshedspligt") nicht auferlegt werden darf, während in der dänischen Fassung von Art. 8ab Abs. 5 Rechtsanwälte nicht erwähnt werden.

97Daraus ergibt sich, dass die Auslegung des Wortlauts von Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 es nicht erlaubt, klar und eindeutig zu bestimmen, welche Tragweite die den Mitgliedstaaten durch die geänderte Richtlinie 2011/16 eingeräumte Befugnis, die Meldepflicht durch die Unterrichtungspflicht zu ersetzen, hinsichtlich der möglicherweise betroffenen Berufe hat.

98Zum Kontext und zu den mit der geänderten Richtlinie 2011/16 verfolgten Zielen ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2018/822, wie sich aus ihrem zweiten Erwägungsgrund ergibt, es den Mitgliedstaaten ermöglichen soll, ihre nationalen Steuerbemessungsgrundlagen wirksam gegen die Aushöhlung zu schützen, die ihnen aufgrund der Schaffung immer ausgefeilterer Steuerplanungsstrukturen durch Steuerpflichtige droht. Aus diesem Erwägungsgrund geht ferner hervor, dass die Mitgliedstaaten, um einen solchen wirksamen Schutz zu ermöglichen, umfassende und relevante Informationen über potenziell aggressive Steuergestaltungen erhalten müssen, damit sie zeitnah gegen schädliche Steuerpraktiken vorgehen und Schlupflöcher durch den Erlass von Rechtsvorschriften oder die Durchführung geeigneter Risikoabschätzungen sowie durch Steuerprüfungen schließen können. Überdies soll die Richtlinie, wie aus ihren Erwägungsgründen 4 und 8 hervorgeht, durch die Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung im Binnenmarkt dessen reibungsloses Funktionieren gewährleisten. Zur Verwirklichung jedes dieser Ziele hat der Unionsgesetzgeber, wie sich aus den Erwägungsgründen 6 bis 8 der Richtlinie ergibt, die verpflichtende Offenlegung von Informationen zu potenziell aggressiven Steuerplanungsgestaltungen mittels Meldepflichten der Intermediäre für unabdingbar erachtet.

99Wie der Generalanwalt in den Nrn. 202 bis 204 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, hätte eine Auslegung von Art. 8ab der geänderten Richtlinie 2011/16, wonach er es den Mitgliedstaaten gestattet, alle Intermediäre, u. a. Steuerberater, Notare, Wirtschaftsprüfer, Buchprüfer oder Bankiers, von der Meldepflicht zu befreien, sofern für sie nach dem einschlägigen nationalen Recht eine Verschwiegenheitspflicht besteht, potenziell zur Folge, dass der Weg zu einer Infragestellung der Wirksamkeit des vom Unionsgesetzgeber geschaffenen Meldesystems offenstünde.

100Zweitens ist der Kommission und den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 206 seiner Schlussanträge beizupflichten, dass die geänderte Richtlinie 2011/16 und insbesondere die in ihrem Art. 8ab vorgesehene Melde- und Unterrichtungspflicht eng mit OECD-Dokumenten und insbesondere mit der Vorschrift 2.4 der OECD-Mustervorschriften verbunden sind.

101Diese Vorschrift ("Umstände, unter denen ein Intermediär von der Meldepflicht befreit ist") bestimmt, dass die Befreiung von der Meldepflicht aufgrund von innerstaatlichen Vorschriften über das Berufsgeheimnis nur gilt, "soweit durch die Meldung vertrauliche Informationen offenbart würden, die ein Rechtsanwalt oder ein anderer zugelassener Rechtsvertreter [,attorney, solicitor or other admitted legal representative' in der englischen Sprachfassung] in Bezug auf einen Mandanten gemäß der Definition im Kommentar zu Art. 26 des OECD-Musterabkommens hat".

102Desgleichen heißt es in Nr. 80 von Teil III ("Kommentar") der OECD-Mustervorschriften: "Vorschriften über die Meldepflicht verpflichten einen Rechtsanwalt oder einen anderen zugelassenen Rechtsvertreter [,attorney, solicitor or other admitted legal representative' in der englischen Sprachfassung] nicht zur Offenbarung von Informationen, die durch das Berufsgeheimnis oder gleichwertige berufliche Verschwiegenheitspflichten geschützt sind."

103Auch in Nr. 19.4 des Kommentars zu Art. 26 des OECD-Musterabkommens zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen wird auf den Schutz vertraulicher Kommunikationen zwischen einem Mandanten und einem "Rechtsanwalt oder einem anderen zugelassenen Rechtsvertreter [,attorney, solicitor or other admitted legal representative' in der englischen Sprachfassung]" Bezug genommen.

104Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Arbeiten, auf denen der Wortlaut der geänderten Richtlinie 2011/16 in Bezug auf die Meldepflicht und die Unterrichtungspflicht beruht, im Wesentlichen nur zum Schutz der Berufsgeheimnisse von Rechtsanwälten und anderer Berufsangehöriger dienten, die wie Erstere von Rechts wegen zur Vertretung vor Gericht befugt sind.

105Drittens dürfte die Bezugnahme in Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 auf die "nach dem nationalen Recht" bestehende Verschwiegenheitspflicht damit zu erklären sein, dass der verstärkte Schutz der Kommunikation zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten auf Unionsebene zwar bereits aufgrund der Art. 7 und 47 der Charta gewährleistet ist, doch sind die Modalitäten dieses Schutzes und vor allem die Bedingungen und Grenzen, unter denen sich andere der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Berufsangehörige gegebenenfalls auf einen vergleichbaren Schutz berufen können, im nationalen Recht geregelt. Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass einige Mitgliedstaaten die Befugnis zur Vertretung vor Gericht auf andere Berufe als den des Rechtsanwalts ausdehnen.

106Somit ist es zwar, wie in Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 vorgesehen, gerechtfertigt, dass die Mitgliedstaaten in diesem Kontext über einen Spielraum bei der Ausübung ihrer Befugnis verfügen, die Meldepflicht durch die Unterrichtungspflicht zu ersetzen, damit sie andere von ihnen zur Vertretung vor Gericht ermächtigte Berufsgruppen als Rechtsanwälte berücksichtigen können; gleichwohl soll dieser Spielraum es den Mitgliedstaaten nicht ermöglichen, die mit dieser Ersetzung von Pflichten verbundene Vergünstigung auf Berufe auszudehnen, die nicht vor Gericht auftreten dürfen.

107Hinzuzufügen ist, dass bei einer anderen Auslegung von Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 und der Befugnis der Mitgliedstaaten, die Meldepflicht durch die Unterrichtungspflicht zu ersetzen, die Gefahr der Schaffung von Verzerrungen zwischen Mitgliedstaaten bestünde, da eine weite Ausübung dieser Befugnis in Form der Einbeziehung von Berufen, die einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen, aber nicht vor Gericht auftreten, durch einige Mitgliedstaaten dazu führen könnte, dass potenziell aggressive Steuerplanungstätigkeiten in ihr Hoheitsgebiet verlagert und dadurch die Wirksamkeit und Einheitlichkeit der Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung im Binnenmarkt auf Unionsebene beeinträchtigt werden.

108In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist davon auszugehen, dass die Befugnis der Mitgliedstaaten nach Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16, die Meldepflicht durch die Unterrichtungspflicht zu ersetzen, nur für Berufsangehörige besteht, die im nationalen Recht wie Rechtsanwälte zur Vertretung vor Gericht befugt sind.

109Zu klären bleibt jedoch noch, ob - wie der Gerichtshof in Bezug auf das Verhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten bereits in seinem Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a. (C-694/20, EU:C:2022:963, Rn. 19 in fine und 27), entschieden hat - schon die Existenz einer Beziehung zwischen einem zur Vertretung vor Gericht befugten Berufsangehörigen, der kein Rechtsanwalt ist, und seinem Kunden Dritten gegenüber geheim bleiben sollte, mit der Folge, dass es gar nicht in Betracht käme, einem solchen Berufsangehörigen die subsidiäre Meldepflicht aufzuerlegen, mit der die Offenbarung der Existenz einer Beziehung zwischen ihm und seinem Kunden gegenüber Dritten verbunden wäre.

110Auf die letztgenannte Frage ist im Wesentlichen im Rahmen der Prüfung der vierten Vorlagefrage einzugehen.

Prüfung der Frage

111Mit der vierten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen, die Gültigkeit von Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 im Licht von Art. 7 der Charta zu prüfen, soweit die Anwendung von Art. 8ab Abs. 5 durch die Mitgliedstaaten zur Folge hat, dass ein Intermediär, der, obwohl kein Rechtsanwalt, zur Vertretung vor Gericht befugt ist, verpflichtet ist, sofern er aufgrund seiner Verschwiegenheitspflicht von der in Art. 8ab Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Meldepflicht befreit ist, jeden anderen Intermediär, der nicht sein Kunde ist, unverzüglich über dessen Meldepflichten gemäß Art. 8ab Abs. 6 der Richtlinie zu unterrichten.

112Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 7 der Charta, der jeder Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation zuerkennt, Art. 8 Abs. 1 EMRK entspricht (Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a., C-694/20, EU:C:2022:963, Rn. 25).

113Gemäß Art. 52 Abs. 3 der Charta, der die notwendige Kohärenz zwischen den in ihr enthaltenen Rechten und den entsprechenden durch die EMRK garantierten Rechten gewährleisten soll, ohne dass dadurch die Eigenständigkeit des Unionsrechts berührt wird, muss der Gerichtshof daher bei der Auslegung der durch Art. 7 der Charta garantierten Rechte die entsprechenden durch Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierten Rechte in ihrer Auslegung durch den EGMR als Mindestschutzstandard berücksichtigen (Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a., C-694/20, EU:C:2022:963, Rn. 26).

114Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ergibt sich aus der Rechtsprechung des EGMR, dass Art. 8 Abs. 1 EMRK die Vertraulichkeit jeder Korrespondenz zwischen Privatpersonen schützt und dem Schriftwechsel zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten einen verstärkten Schutz zuweist (vgl. in diesem Sinne EGMR, , Michaud/Frankreich, CE:ECHR:2012:1206JUD001232311, §§ 117 und 118). Ebenso wie diese Bestimmung, deren Schutz nicht nur die Verteidigungstätigkeit, sondern auch die Rechtsberatung umfasst, garantiert Art. 7 der Charta notwendigerweise das Rechtsberatungsgeheimnis, und zwar im Hinblick sowohl auf den Inhalt als auch auf die Existenz der Beratung. Wie der EGMR ausgeführt hat, können nämlich Personen, die einen Rechtsanwalt konsultieren, vernünftigerweise erwarten, dass ihre Kommunikation privat und vertraulich bleibt (EGMR, , Altay/Türkei [Nr. 2], CE:ECHR:2019:0409JUD001123609, § 49). Abgesehen von Ausnahmefällen ist es daher legitim, wenn diese Personen darauf vertrauen, dass ihr Anwalt ohne ihre Zustimmung niemandem offenlegen wird, dass sie ihn konsultieren (Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a., C-694/20, EU:C:2022:963, Rn. 27).

115Wie der Gerichtshof ferner entschieden hat, wird der durch Art. 7 der Charta und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährte besondere Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses, der vor allem in anwaltlichen Pflichten zum Ausdruck kommt, dadurch gerechtfertigt, dass den Rechtsanwälten in einer demokratischen Gesellschaft eine grundlegende Aufgabe übertragen wird, nämlich die Verteidigung der Rechtsunterworfenen (EGMR, , Michaud/Frankreich, CE:ECHR:2012:1206JUD001232311, §§ 118 und 119). Diese grundlegende Aufgabe umfasst zum einen das in allen Mitgliedstaaten als bedeutsam anerkannte Erfordernis, dass es dem Einzelnen möglich sein muss, sich völlig frei an seinen Rechtsanwalt zu wenden, zu dessen Beruf schon dem Wesen nach die Aufgabe gehört, all denen unabhängig Rechtsberatung zu erteilen, die sie benötigen, und zum anderen die damit zusammenhängende Loyalität des Rechtsanwalts seinem Mandanten gegenüber (Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a., C-694/20, EU:C:2022:963, Rn. 28).

116Aus der oben in den Rn. 114 und 115 angeführten Rechtsprechung geht hervor, dass die Vertraulichkeit der Beziehung zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten einen ganz spezifischen Schutz genießt, der sich aus der singulären Stellung des Rechtsanwalts innerhalb der Gerichtsorganisation der Mitgliedstaaten sowie der ihm übertragenen grundlegenden Aufgabe ergibt, die von allen Mitgliedstaaten anerkannt wird. Aufgrund dieser Erwägungen hat der Gerichtshof im Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a. (C-694/20, EU:C:2022:963), festgestellt, dass die dem Rechtsanwalt auferlegte Unterrichtungspflicht gegen Art. 7 der Charta verstößt.

117Insoweit ist schließlich darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis, dass der Berater, von dem die zu schützende Kommunikation ausgeht, die Position und Eigenschaft eines unabhängigen Rechtsanwalts haben muss, auf einem Verständnis von der Rolle des Anwalts als eines Mitgestalters der Rechtspflege beruht, der in völliger Unabhängigkeit und in deren vorrangigem Interesse dem Mandanten die rechtliche Unterstützung zu gewähren hat, die dieser benötigt. Das Gegenstück zu diesem Schutz bilden die Berufs- und Standespflichten, die im allgemeinen Interesse festgelegt und kontrolliert werden. Ein solches Verständnis entspricht den gemeinsamen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten und hat auch in der Unionsrechtsordnung ihren Niederschlag gefunden, wie sich aus Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt (Urteil vom , Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission u. a., C-550/07 P, EU:C:2010:512, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118Im Licht dieser Erwägungen und der singulären Stellung, die sie dem Beruf des Rechtsanwalts in der Gesellschaft im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuerkennen, ist davon auszugehen, dass sich die im Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a. (C-694/20, EU:C:2022:963), in Bezug auf Rechtsanwälte entwickelte Lösung nur auf Personen erstrecken kann, die ihre beruflichen Tätigkeiten unter einer der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/5 aufgeführten Berufsbezeichnungen ausüben.

119Bei anderen Berufsangehörigen, die zwar - wie z. B. Universitätsprofessoren in einigen Mitgliedstaaten - von den Mitgliedstaaten zur Vertretung vor Gericht ermächtigt worden sein mögen, aber nicht die oben genannten Merkmale aufweisen, lässt somit nichts den Schluss zu, dass Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 gemessen an Art. 7 der Charta ungültig ist, weil die von einem Mitgliedstaat anstelle der Meldepflicht vorgesehene Unterrichtungspflicht zur Folge hat, dass die auf einer Konsultation beruhende Beziehung zwischen dem unterrichtungspflichtigen Intermediär und seinem Kunden dem unterrichteten Intermediär und letztlich der Steuerverwaltung zur Kenntnis gebracht wird.

120Unter diesen Umständen ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die vom Gerichtshof im Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a. (C-694/20, EU:C:2022:963), festgestellte Ungültigkeit von Art. 8ab Abs. 5 der geänderten Richtlinie 2011/16 im Licht von Art. 7 der Charta nur für Personen gilt, die ihre beruflichen Tätigkeiten unter einer der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/5 aufgeführten Berufsbezeichnungen ausüben.

Zur fünften Vorlagefrage

121Mit dieser Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen, die Gültigkeit von Art. 8ab Abs. 1, 6 und 7 der geänderten Richtlinie 2011/16 im Licht des in Art. 7 der Charta garantierten Rechts auf Achtung des Privatlebens zu prüfen, soweit diese Bestimmungen bewirken, dass Intermediäre, die nicht in den Genuss der in Art. 8ab Abs. 5 genannten Befreiung kommen, und - in Ermangelung eines meldepflichtigen Intermediärs - der relevante Steuerpflichtige verpflichtet sind, die in Art. 8ab Abs. 1 vorgesehene Erklärung abzugeben.

122Insoweit weist das vorlegende Gericht insbesondere darauf hin, dass die Meldepflicht grenzüberschreitende Gestaltungen betreffen könne, die rechtmäßig, authentisch und nicht missbräuchlich seien und deren Hauptvorteil nicht steuerlicher Art sei.

123Somit geht die fünfte Frage dahin, ob sich aus der Pflicht zur Meldung einer Gestaltung, mit der in legaler und nicht missbräuchlicher Weise ein Steuervorteil angestrebt wird, ein Eingriff in das Recht auf Schutz des Privatlebens ergeben kann, da sie die Freiheit des Steuerpflichtigen, den Weg der geringsten steuerlichen Belastung zu wählen, sowie die Freiheit des Intermediärs, diesen Weg zu konzipieren und ihm anzuraten, einschränken würde.

124Wie oben in den Rn. 112 und 113 ausgeführt, entspricht Art. 7 der Charta Art. 8 Abs. 1 EMRK, und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta berücksichtigt der Gerichtshof bei der Auslegung der durch ihren Art. 7 garantierten Rechte die entsprechenden durch Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR garantierten Rechte.

125In diesem Kontext hat der Gerichtshof entschieden, dass Bestimmungen, die vorschreiben oder gestatten, dass personenbezogene Daten wie der Name, der Wohnsitz oder die finanziellen Mittel natürlicher Personen ohne deren Einwilligung einer Behörde übermittelt werden, unabhängig von der späteren Verwendung dieser Daten als Eingriff in ihr Privatleben und damit - unbeschadet einer etwaigen Rechtfertigung - als Einschränkung des durch Art. 7 der Charta garantierten Rechts einzustufen sind (Urteil vom , Kommission/Ungarn [Transparenz von Vereinigungen], C-78/18, EU:C:2020:476, Rn. 124).

126Überdies geht aus der Rechtsprechung des EGMR hervor, dass der Begriff des Privatlebens ein weiter Begriff ist, der den Begriff der persönlichen Autonomie einschließt. Insbesondere hat der EGMR entschieden, dass Art. 8 EMRK "das Recht auf persönliche Entfaltung, sei es in Form der persönlichen Entwicklung oder der persönlichen Autonomie, [schützt,] das ein wichtiges, der Auslegung der Garantien von Art. 8 zugrunde liegendes Prinzip widerspiegelt". Er hat ausgeführt, dass diese Bestimmung "das Recht jeder Person [umfasst], sich anderen zuzuwenden, um Beziehungen zu ihnen und zur Außenwelt zu knüpfen und auszubauen, d. h. das Recht auf ein ,soziales Privatleben', was berufliche Tätigkeiten oder Tätigkeiten, die in einem öffentlichen Kontext stattfinden, einschließen kann" (EGMR, , FNASS u. a./Frankreich, CE:ECHR:2018:0118JUD004815111, § 153 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dabei hat er u. a. festgestellt, dass es im Prinzip keinen Grund dafür gibt, berufliche oder gewerbliche Tätigkeiten vom Begriff "Privatleben" auszuschließen, und dass die Auslegung, wonach er solche Tätigkeiten erfasst, dem wesentlichen Ziel und Zweck von Art. 8 EMRK entspricht, den Einzelnen vor willkürlichen staatlichen Eingriffen zu schützen (vgl. in diesem Si nne EGMR, , Niemietz/Deutschland, CE:ECHR:1992:1216JUD001371088, §§ 29 und 31).

127Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Begriff des Privatlebens ein weiter Begriff ist und den Begriff der persönlichen Autonomie einschließt, der zumindest die Freiheit jeder Person umfasst, ihr Leben und ihre persönlichen, beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeiten zu gestalten. Der Gerichtshof hat jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen ist, wonach der Eingriffsvorbehalt in Art. 8 Abs. 2 EMRK bei beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeiten durchaus weiter gehen könnte als in anderen Fällen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Roquette Frères, C-94/00, EU:C:2002:603, Rn. 29).

128Im vorliegenden Fall ist hervorzuheben, dass die Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer, ihre Tätigkeiten so zu gestalten, dass ihre Steuerlast begrenzt wird, u. a. im elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/1164 zum Ausdruck kommt, in dem es im Wesentlichen heißt, dass in der Union zwar die allgemeinen Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch auf unangemessene Gestaltungen angewendet werden sollten, anderenfalls der Steuerpflichtige aber das Recht haben sollte, die steuereffizienteste Struktur für seine geschäftlichen Angelegenheiten zu wählen. Zudem soll die in Rede stehende Meldung, wie sich aus dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/822 ergibt, es u. a. den Steuerverwaltungen und den nationalen Gesetzgebern ermöglichen, zeitnah auf Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften oder auf Regelungslücken zu reagieren, die häufig dazu führen, dass grenzüberschreitende Steuergestaltungen zur Verringerung der Steuerlast der Steuerpflichtigen entwickelt werden.

129Die in Rede stehende Meldepflicht impliziert, dass der Steuerverwaltung zusammen mit den die betreffenden Personen identifizierenden Daten Informationen über die in Rede stehende grenzüberschreitende Gestaltung offenbart werden. Zu diesen Informationen gehören nach Art. 8ab Abs. 14 der geänderten Richtlinie 2011/16 u. a. eine Zusammenfassung des Inhalts dieser Gestaltung und Einzelheiten zu den nationalen Vorschriften, die ihre Grundlage bilden. Damit stellt diese Pflicht als solche einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Kommunikation dar, der dazu führt, dass der Verwaltung Einblick in das Ergebnis steuerlicher Planungs- und Gestaltungsaktivitäten im Kontext persönlicher, beruflicher oder geschäftlicher Tätigkeiten des Steuerpflichtigen selbst oder, in den meisten Fällen, eines oder mehrerer Intermediäre im Sinne von Art. 3 Nr. 21 der Richtlinie verschafft wird.

130Damit ist diese Pflicht, da sie den Steuerverwaltungen die Möglichkeit gibt, die den grenzüberschreitenden Gestaltungen zugrunde liegenden Unterschiede und Regelungslücken zeitnah zu beheben, geeignet, das Interesse der Steuerpflichtigen am Rückgriff auf steuerliche Gestaltungen zu verringern, deren sinnvolle Nutzungsdauer für sie sich entsprechend verkürzen kann.

131Die Meldepflicht ist daher geeignet, sowohl die Steuerpflichtigen als auch ihre Berater von der Konzipierung und Umsetzung von Mechanismen zur grenzüberschreitenden Steuerplanung abzuhalten, die zwar rechtmäßig sind, aber auf vorhandenen Unterschieden zwischen den verschiedenen einschlägigen nationalen Regelungen beruhen.

132Daraus folgt, dass die Meldepflicht, soweit sie u. a. auf solche Gestaltungen abzielt, zu einer Beschränkung der Freiheit der Steuerpflichtigen und Intermediäre führt, ihre persönlichen, beruflichen und geschäftlichen Tätigkeiten zu gestalten, und daher einen Eingriff in das durch Art. 7 der Charta garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens darstellt.

133Mithin stellt sich die Frage, ob dieser Eingriff gerechtfertigt werden kann.

134Die in Art. 7 der Charta verankerten Rechte können keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Nach ihrem Art. 52 Abs. 1 lässt die Charta nämlich Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte zu, sofern diese gesetzlich vorgesehen sind und den Wesensgehalt der Rechte achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit müssen sie erforderlich sein und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Privacy International, C-623/17, EU:C:2020:790, Rn. 63 und 64).

135Erstens bedeutet das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für jede Einschränkung der Ausübung von Grundrechten, dass der Rechtsakt, der den Grundrechtseingriff ermöglicht, selbst festlegen muss, in welchem Umfang die Ausübung des betreffenden Rechts eingeschränkt wird. Dieses Erfordernis schließt aber zum einen nicht aus, dass die fragliche Einschränkung hinreichend offen formuliert ist, um Anpassungen an verschiedene Fallgruppen und an Änderungen der Lage zu erlauben. Zum anderen kann der Gerichtshof gegebenenfalls die konkrete Tragweite der Einschränkung im Wege der Auslegung präzisieren, und zwar anhand sowohl des Wortlauts als auch der Systematik und der Ziele der fraglichen Unionsregelung, wie sie im Licht der durch die Charta garantierten Grundrechte auszulegen sind (Urteil vom , Ligue des droits humains, C-817/19, EU:C:2022:491, Rn. 114 und die dort angeführte Rechtsprechung).

136Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 8ab Abs. 1 der geänderten Richtlinie 2011/16 ausdrücklich vorsieht, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Intermediäre zu verpflichten, die "ihnen bekannten, in ihrem Besitz oder unter ihrer Kontrolle befindlichen Informationen über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen" den zuständigen Steuerbehörden vorzulegen. Gibt es keinen meldepflichtigen Intermediär, obliegt diese Pflicht nach Art. 8ab Abs. 6 der Richtlinie dem relevanten Steuerpflichtigen. Außerdem wird der Begriff "meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung" in Art. 3 Nr. 19 der Richtlinie in Verbindung mit den Kennzeichen in Anhang IV definiert. Und schließlich kann der Inhalt dieser Pflicht Art. 8ab Abs. 14 der geänderten Richtlinie 2011/16 entnommen werden.

137Unter diesen Umständen ist das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Einschränkung der Ausübung von Grundrechten erfüllt.

138Zweitens ist in Bezug auf das Erfordernis der Achtung des Wesensgehalts des in Art. 7 der Charta garantierten Rechts auf Achtung des Privatlebens festzustellen, dass eine Pflicht wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die nur die Übermittlung von Daten über die Konzeption und Umsetzung einer potenziell aggressiven steuerlichen Gestaltung betrifft, ohne die Möglichkeit ihrer Konzeption oder Umsetzung unmittelbar zu berühren, nicht als Beeinträchtigung des Kernbestands des Rechts auf Achtung des Privatlebens der betreffenden Personen angesehen werden kann.

139Drittens ist hinsichtlich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zunächst zu prüfen, ob mit der in Art. 8ab Abs. 1, 6 und 7 der geänderten Richtlinie 2011/16 vorgesehenen Meldepflicht eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung verfolgt wird. Sollte dies zu bejahen sein, ist sodann zu klären, ob diese Pflicht zur Erreichung der Zielsetzung geeignet ist, ob der Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens, der sich aus ihr ergeben kann, insofern auf das absolut Notwendige beschränkt ist, als die verfolgte Zielsetzung bei vernünftiger Betrachtung nicht ebenso wirksam durch andere Mittel erreicht werden könnte, die dieses Recht weniger beeinträchtigen, und ob, sofern dies der Fall ist, der Eingriff nicht unverhältnismäßi g ist und keine Nachteile mit sich bringt, die außer Verhältnis zu der Zielsetzung stehen, was insbesondere eine Gewichtung ihrer Bedeutung und der Schwere des Eingriffs impliziert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Luxembourg Business Registers, C-37/20 und C-601/20, EU:C:2022:912, Rn. 64 und 66).

140Zu dem Erfordernis, dass die Einschränkung des Grundrechts einer dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung entsprechen muss, ist festzustellen, dass sich die Änderung der Richtlinie 2011/16 durch die Richtlinie 2018/822 in den Rahmen einer internationalen steuerlichen Zusammenarbeit zur Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung einfügt, die sich durch einen Informationsaustausch zwischen Mitgliedstaaten konkretisiert. Insoweit geht u. a. aus den Erwägungsgründen 2, 4, 8 und 9 der Richtlinie 2018/822 hervor, dass die durch Art. 8ab der geänderten Richtlinie 2011/16 geschaffenen Melde- und Unterrichtungspflichten zur Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung und zur Verhinderung der Gefahren von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung beitragen sollen.

141Die Bekämpfung aggressiver Steuerplanung und die Verhinderung der Gefahren von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung stellen von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta dar, die es erlauben, die Ausübung der durch Art. 7 der Charta garantierten Rechte einzuschränken (Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a., C-694/20, EU:C:2022:963, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

142Zu der Frage, ob die in Art. 8ab Abs. 1, 6 und 7 der geänderten Richtlinie 2011/16 vorgesehene Meldepflicht zur Erreichung dieser Zielsetzungen geeignet ist, ist darauf hinzuweisen, dass die Bereitstellung detaillierter Informationen über grenzüberschreitende Steuergestaltungen an die nationalen Steuerbehörden, insbesondere der in Art. 8ab Abs. 14 der Richtlinie genannten Informationen, in dem in ihrem Art. 8ab Abs. 1 vorgesehenen frühen Stadium, wie der Unionsgesetzgeber insbesondere in den Erwägungsgründen 2, 6 und 7 der Richtlinie 2018/822 hervorgehoben hat, besonders geeignet ist, es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, zeitnah gegen schädliche Steuerpraktiken, auch wenn sie rechtmäßig sind, vorzugehen sowie Unterschiede und Regelungslücken zu beseitigen, die die Entwicklung solcher Praktiken erleichtern können.

143Zu dem Erfordernis, dass sich der Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens, der aus der Meldepflicht resultieren kann, insofern auf das absolut Notwendige beschränkt sein muss, als die verfolgte Zielsetzung bei vernünftiger Betrachtung nicht ebenso wirksam durch andere, dieses Recht weniger beeinträchtigende Mittel erreicht werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass diese Pflicht ein besonders wirksames Mittel zur Bekämpfung aggressiver Steuerplanung und zur Verhinderung der Gefahren von Steuervermeidung und -hinterziehung ist. Indem der Unionsgesetzgeber den Intermediären und ersatzweise dem relevanten Steuerpflichtigen vorschreibt, der Steuerverwaltung in einem sehr frühen Stadium Informationen über grenzüberschreitende Gestaltungen zu übermitteln, die eines der in Anhang IV aufgeführten Kennzeichen aufweisen, ermöglicht er es den Mitgliedstaaten nämlich, genau und schnell, gegebenenfalls koordiniert, auf aggressive Steuerplanungsmechanismen zu reagieren, während die nachträgliche Prüfu ng und Kontrolle steuerlicher Verhaltensweisen dies nicht in gleichem Maß gestatten.

144Überdies betreffen die nach Art. 8ab Abs. 14 der geänderten Richtlinie 2011/16 im Rahmen der Meldung zu übermittelnden Informationen Angaben zu den Intermediären und den relevanten Steuerpflichtigen sowie gegebenenfalls zu verbundenen Unternehmen dieser Steuerpflichtigen und zu den in Anhang IV aufgeführten Kennzeichen. Ferner enthalten sie eine Zusammenfassung des Inhalts der betreffenden grenzüberschreitenden Gestaltung, soweit vorhanden einschließlich einer abstrakt gehaltenen Beschreibung der relevanten Geschäftstätigkeiten oder Gestaltungen, die nicht zur Preisgabe eines Handels- oder sonstigen Geheimnisses führt. Sie nennen das Datum der Umsetzung der betreffenden grenzüberschreitenden Gestaltung, die nationalen Vorschriften, die ihre Grundlage bilden, und den Wert der Gestaltung. Sie bezeichnen den oder die wahrscheinlich betroffenen Mitgliedstaaten sowie alle anderen Personen in einem Mitgliedstaat, die wahrscheinlich von der Gestaltung betroffen sind.

145Diese Informationen gehen nicht über das hinaus, was unbedingt erforderlich ist, um es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, die betreffende grenzüberschreitende Gestaltung hinreichend zu verstehen und zeitnah zu handeln, sei es allein auf der Grundlage der übermittelten Informationen oder durch Kontaktaufnahme mit den betreffenden Intermediären oder Steuerpflichtigen zur Erlangung zusätzlicher Informationen.

146Außerdem ergibt sich aus Art. 8ab Abs. 1 der geänderten Richtlinie 2011/16, dass die Meldepflicht für den Intermediär und ersatzweise für den relevanten Steuerpflichtigen nur Informationen betrifft, von denen sie Kenntnis haben, die sie besitzen oder die sie kontrollieren. Folglich braucht der Meldepflichtige über die von ihm bereits kontrollierten Informationen hinaus keine weiteren Informationen zu ermitteln und zu suchen.

147Schließlich unterscheiden sich die den Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten durch die Meldepflicht verschafften Informationen sowohl in der Natur der dabei übermittelten Daten als auch in den Modalitäten ihrer Übermittlung von den Informationen, die bereits nach der Richtlinie 2011/16 und ihren fünf vor der Richtlinie 2018/822 erfolgten Änderungen unter den Mitgliedstaaten zu teilen waren. Im Unterschied zu den in diesen früheren Fassungen der Richtlinie 2011/16 vorgesehenen Mechanismen des automatischen Informationsaustauschs verschafft die Änderung durch die Richtlinie 2018/822 den Mitgliedstaaten nämlich frühzeitige und gezielte Informationen über konkrete Steuergestaltungen, die eine potenzielle Gefahr der Steuervermeidung mit sich bringen, sowie über ihre Entwickler und ihre Nutzer, was geeignet ist, die Wirksamkeit der Bekämpfung aggressiver Steuerplanung und die Verhinderung von Gefahren der Steuervermeidung und -hinterziehung erheblich zu verbessern.

148Zu der Frage, ob der mit der Meldepflicht verbundene Eingriff in das Recht auf Schutz des Privatlebens nicht unverhältnismäßig ist und nicht außer Verhältnis zu der verfolgten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung steht, ist festzustellen, dass dieser Eingriff zwar nicht unerheblich ist, aber die Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung und die Verhinderung der Gefahren von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung wichtige Ziele darstellen. von deren Verfolgung nicht nur, wie in den Erwägungsgründen 2 und 6 der Richtlinie 2018/822 hervorgehoben wird, der Schutz der Steuerbemessungsgrundlage und damit der Steuereinnahmen der Mitgliedstaaten sowie die Schaffung einer gerechten Besteuerung im Binnenmarkt abhängen, sondern auch die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis der Mitgliedstaaten und eine effiziente Beitreibung der Steuer, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs legitime Ziele darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Sofina u. a., C-575/17, EU:C:2018:943, Rn. 56 und 67 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Unter diesen Umständen lässt die Tatsache, dass die Meldepflicht womöglich, zu den oben in den Rn. 139 bis 147 genannten Zwecken und unter den dort genannten Voraussetzungen, für rechtmäßige grenzüberschreitende Gestaltungen gelten könnte, nicht den Schluss zu, dass diese Pflicht für den Steuerpflichtigen, der von der betreffenden Gestaltung profitiert, oder den Intermediär, der sie konzipiert hat, unverhältnismäßig ist.

149Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die mit der Meldepflicht nach Art. 8ab Abs. 1, 6 und 7 der geänderten Richtlinie 2011/16 verbundene Einschränkung des Rechts auf Schutz des Privatlebens, verstanden als das Recht jeder Person, ihr Privatleben zu gestalten, gerechtfertigt ist.

150Nach alledem hat die Prüfung der Aspekte, auf die sich die fünfte Frage bezieht, nichts ergeben, was die Gültigkeit der geänderten Richtlinie 2011/16 im Licht des in Art. 7 der Charta garantierten Rechts auf Achtung des Privatlebens berühren könnte.

Kosten

151Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.

Die Prüfung des Aspekts, auf den sich die erste Vorlagefrage bezieht, hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG in der durch die Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates vom geänderten Fassung im Licht der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie der Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union berühren könnte.

2.

Die Prüfung der Aspekte, auf die sich die zweite und die dritte Vorlagefrage beziehen, hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 2011/16 in der durch die Richtlinie 2018/822 geänderten Fassung im Licht des Grundsatzes der Rechtssicherheit, des in Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte verankerten Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen und des durch Art. 7 der Charta garantierten Rechts auf Achtung des Privatlebens berühren könnte.

3.

Die vom Gerichtshof im Urteil vom , Orde van Vlaamse Balies u. a. (C-694/20, EU:C:2022:963), festgestellte Ungültigkeit von Art. 8ab Abs. 5 der Richtlinie 2011/16 in der durch die Richtlinie 2018/822 geänderten Fassung im Licht von Art. 7 der Charta der Grundrechte gilt nur für Personen, die ihre beruflichen Tätigkeiten unter einer der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, aufgeführten Berufsbezeichnungen ausüben.

4.

Die Prüfung der Aspekte, auf die sich die fünfte Vorlagefrage bezieht, hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 2011/16 in der durch die Richtlinie 2018/822 geänderten Fassung im Licht des durch Art. 7 der Charta der Grundrechte garantierten Rechts auf Achtung des Privatlebens berühren könnte.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2024:639

Fundstelle(n):
YAAAJ-74276