BGH Urteil v. - VIa ZR 521/22

Instanzenzug: OLG Celle Az: 16 U 788/21vorgehend LG Hildesheim Az: 5 O 158/21

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der damalige Ehemann der Klägerin erwarb im September 2017 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW Tiguan mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 der Schadstoffklasse Euro 6. Der Ehemann trat etwaige Ansprüche gegen die Beklagte im Jahr 2019 an die Klägerin ab. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht hat ihre Klage abgewiesen. Ihre Berufung hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Weder eine temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung in Form eines "Thermofensters" noch die von der Klägerin vorgetragene Funktion des "Kaltstartheizens" begründeten eine Haftung aus § 826 BGB, selbst wenn beide Funktionen als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren seien. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus, weil die vorgenannten Bestimmungen der EG-FGV nicht den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Käufers bezweckten und damit nicht dessen Interesse dienten.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2, § 398 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Die Berufungsentscheidung ist (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grund­sätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                 Möhring                Götz

                 Rensen               Vogt-Beheim

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070824UVIAZR521.22.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-74151