Reichweite des Drittschutzes im Wasserrecht
Gesetze: § 10 Abs 1 WHG, § 12 Abs 2 WHG
Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 3 S 192/22 Urteilvorgehend VG Sigmaringen Az: 4 K 3933/19
Gründe
I
1Der Kläger wendet sich gegen eine der beigeladenen Gemeinde erteilte Erlaubnis zur Einleitung von Regenmischwasser aus einem bestehenden und zuvor befristet erlaubten Regenüberlauf in das Gewässer Wolfegger Ach. Er ist Eigentümer eines oberhalb der Einleitungsstelle an jenes Gewässer angrenzenden Grundstücks. Auf seinen Antrag zur Nutzung von Wasser aus einem Kontrollschacht der Entlastungsleitung des Regenüberlaufs wurde ihm die Erlaubnis erteilt, Quell- und Grundwasser zu entnehmen, jedoch vor dessen Einlauf in den Regenüberlauf. Eine Entnahme aus der Entlastungsleitung des Regenüberlaufs dürfe nicht erfolgen, weil es sich um Abwasser handele.
2Seine Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Einleitungserlaubnis ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen seine Entscheidung nicht zugelassen.
II
3Die hiergegen gerichtete, auf die Revisionszulassungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg.
41. Die Revision ist nicht wegen Divergenz zuzulassen. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten, ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 61.95 - juris Rn. 5 und vom - 1 B 15.23 - juris Rn. 14). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
5Der Kläger macht geltend, das angegriffene Urteil erkenne nur von der beantragten Gewässernutzung adäquat kausal individuell nachteilig betroffenen Dritten einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Belange bei der Ausübung des Bewirtschaftungsermessens nach § 12 Abs. 2 WHG zu, und widerspreche damit den Urteilen des 4 C 41.86 - (ZfW 1988, 337) und vom - 4 C 56.83 - (BVerwGE 78, 40). Nach ihnen zählten nicht nur die von einer Gewässerbenutzung nachteilig Betroffenen, sondern auch diejenigen zum Kreis der nach § 12 Abs. 2 WHG qualifiziert und individualisiert Betroffenen, die aufgrund eigener Wassernutzung in das Bewirtschaftungsermessen bei der Verteilung des Wassers einzubeziehen seien. Eine adäquat kausale Belastung infolge der beantragten Wassernutzung sei danach keine Voraussetzung für einen Anspruch auf Berücksichtigung der Belange Drittbetroffener bei der Ausübung des Bewirtschaftungsermessens.
6Die geltend gemachte Abweichung liegt nicht vor, weil den vom Kläger bezeichneten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts ein solcher entscheidungstragender Rechtssatz nicht zu entnehmen ist. Nach ihnen gehören zu dem Kreis der nach den allgemeinen wasserrechtlichen Grundsätzen geschützten Personen alle rechtmäßigen Wasserbenutzer sowie diejenigen Personen, deren private Belange nach Lage der Dinge von der Benutzung betroffen werden und deren Beeinträchtigung nach dem Wasserhaushaltsgesetz tunlichst zu vermeiden ist. Eine drittschützende Funktion wasserrechtlicher Gestattungstatbestände setzt die qualifizierte und individualisierte Betroffenheit von Belangen voraus, wobei auch auf bereits vorhandene Nutzungen abzustellen ist. Soweit durch eine Gestattung in die bestehende Verteilung des Wassers eingegriffen wird, sind die dadurch beeinträchtigten übrigen rechtmäßigen Benutzer in aller Regel auch qualifiziert und individualisiert betroffen (vgl. 4 C 41.86 - ZfW 1988, 337 <338 f.> und vom - 4 C 56.83 - BVerwGE 78, 40 <43 f.>; hierauf bezugnehmend auch 3 A 16.15 - BVerwGE 161, 356 Rn. 21). Mit der Frage, ob die für die Zuerkennung von Drittschutz danach erforderliche Beeinträchtigung adäquat kausal durch die beantragte Gestattung erfolgen muss, setzen sich die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht auseinander.
7Das angegriffene Urteil nimmt auf die vom Kläger angeführten Entscheidungen Bezug und konkretisiert die danach für eine qualifizierte und individualisierte Betroffenheit erforderliche Beeinträchtigung des Dritten durch die zu erlaubende Gewässerbenutzung im Sinne einer adäquat kausalen Folgewirkung. Damit weicht es nicht von den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten entscheidungstragenden abstrakten Rechtssätzen ab.
82. Die Rechtssache hat nicht die ihr von dem Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung.
9Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom - 7 B 6.22 - juris Rn. 5). Daran fehlt es hier.
10a) Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen:
"Setzt der Anspruch auf Berücksichtigung und Würdigung der Belange eines Dritten in der Ermessensentscheidung der zuständigen Wasserbehörde nach § 12 Abs. 2 WHG voraus, dass der Dritte durch die zu erlaubende Gewässerbenutzung in dem Sinne beeinträchtigt wird, dass die Beeinträchtigung Folgewirkung der Gewässerbenutzung sein muss und ein adäquater Ursachenzusammenhang zwischen der Gewässerbenutzung und dem Eintritt der Nachteile besteht?"
und:
"Ist der Anspruch auf Berücksichtigung und Würdigung der Belange eines Dritten in der Ermessensentscheidung der zuständigen Wasserbehörde nach § 12 Abs. 2 WHG auch dann verletzt, wenn sich die Nachteile des Dritten durch die zu erlaubende Gewässerbenutzung nicht aus der unmittelbaren Gewässerbenutzung selbst, sondern aus einem vorgelagerten Umstand ergeben, der Bestandteil der Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 WHG ist?"
wären in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Das Berufungsgericht hat eine Beeinträchtigung des Klägers durch die angegriffene Erlaubnis für die Gewässerbenutzung der Beigeladenen unabhängig davon verneint, ob eine solche adäquat kausal aus dieser Benutzung folgen würde. Es geht vielmehr davon aus, dass die angegriffene Erlaubnis keine Auswirkungen auf die Qualität des Wassers am Kontrollschacht der Entlastungsleitung hat und die vom Kläger beantragte Erlaubnis, dort Wasser zu entnehmen, durch die angefochtene Erlaubnis zugunsten der Beigeladenen nicht ausgeschlossen werde. Den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen sich auch sonst keine Anhaltspunkte für Nachteile des Klägers aus der Erteilung dieser Erlaubnis entnehmen.
11Entgegen der Auffassung des Klägers folgt aus der Erlaubnis auch keine für ihn nachteilige Vermischung von Quell- und Grundwasser mit Regenmischwasser in dem Regenüberlauf. Das Berufungsurteil legt dar, dass Gegenstand der angegriffenen Erlaubnis allein die Einleitung von Regenmischwassermengen aus dem Regenüberlauf in das Gewässer Wolfegger Ach ist und nicht auch die vorgelagerte Zuführung von Quell- und Grundwasser in den Regenüberlauf. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus § 10 Abs. 1 WHG. Die Befugnis, ein Gewässer in einer nach Art und Maß bestimmten Weise zu nutzen, bezieht Umstände ein, die sich auf diese Gewässernutzung auswirken, etwa die Eigenschaften des einzuleitenden Wassers und die Art des Einleitevorgangs (vgl. Knopp/Müller, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, Stand August 2023, § 10 WHG Rn. 21, 23; Czychowski/Reinhardt, Wasserhaushaltsgesetz, 13. Aufl. 2023, § 10 WHG Rn. 16). Anknüpfend hieran würde sich auch die zweite der oben wiedergegebenen Fragen in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil der konkrete Standort der Zusammenführung und nachfolgend gemeinsamer Ableitung von Quell- und Grundwasser und Regenmischwasser in dem Regenüberlauf sich auf die Nutzung der Wolfegger Ach nicht auswirkt und weder Bestandteil der angegriffenen Erlaubnis ist noch von ihrer Legalisierungswirkung erfasst wird.
12b) Auch die weiteren vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam erachteten Fragen,
"Umfasst die Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 WHG in der Begrifflichkeit 'Art und Maß' auch die technische Ausgestaltung der zu erlaubenden Nutzung?"
und
"Kommt der Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 WHG Legalisierungsfunktion zu?"
führen nicht zur Zulassung der Revision. Nach dem Voranstehenden können beide Fragen ohne Weiteres bejaht werden, ohne jedoch entscheidungserheblich und damit in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig zu sein.
13c) Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage,
"wie weit die Ermessensreichweite im Drittschutz des § 12 Abs. 2 WHG reicht, mithin ab welchem Zeitpunkt ein Nutzungskonflikt zwischen konkurrierenden Wasserbenutzungen i.S.d. § 12 Abs. 2 WHG anzunehmen ist,"
wäre über die bereits bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung zum wasserrechtlichen Drittschutz hinaus (s. o. 1.) einer fallübergreifenden Klärung nicht zugänglich, sondern jeweils abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalls zu beantworten. Der Fall des Klägers böte außerdem keine Veranlassung zu ihrer Klärung, weil - wie oben ausgeführt - nach dem angegriffenen Urteil keine tatsächlichen Anhaltspunkte für einen durch die der Beigeladenen erteilte Erlaubnis ausgelösten Nutzungskonflikt bestehen. Vielmehr wäre auch mit der vom Kläger erstrebten Aufhebung dieser Erlaubnis nicht zu erreichen, dass das durch die Entlastungsleitung aus dem Regenüberlauf geleitete Wasser in Höhe des Kontrollschachtes mit Abwasser unvermischt und deshalb für die Zwecke des Klägers nutzbar wäre. Eine bis zu diesem Standort getrennte Verrohrung von Quell- und Grundwasser einerseits und als Abwasser zu qualifizierendem Regenmischwasser andererseits wäre auch dann nicht gegeben.
14Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:250624B10B26.23.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-74019