BVerwG Beschluss v. - 2 WDB 2/24

Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 5 GL 07/23 Beschluss

Tatbestand

1Die Beschwerde richtet sich gegen eine vorläufige Dienstenthebung, ein vorläufiges Uniformtrageverbot und eine teilweise Einbehaltung von Dienstbezügen.

21. Der ... geborene Berufssoldat ist Oberstleutnant und gehört dem Vereinte Nationen Ausbildungszentrum der Bundeswehr an. Der Kommandeur Ausbildungskommando leitete gegen ihn mit Verfügung vom ein gerichtliches Disziplinarverfahren wegen folgenden Vorwurfs ein:

"An einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahre 2018 im ..., ..., entnahmen Sie in ihrer Verantwortung als Leiter der Beratergruppe der Bundeswehr ... den ihnen in Verwahrung befindliche Geldbetrag von ... (entspricht: 11.872,73 €) ohne dienstlichen Grund, um ihn zu behalten und verbuchten dieses mit der Absicht der Täuschung mit einer wahrheitswidrigen Rechnung ... 0326/18 vom , obwohl Sie wussten, dass die benannte Leistung für den Dienstbetrieb der Hundeschule nicht erfolgte.

An einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahre 2018 im ..., ..., entnahmen Sie in ihrer Verantwortung als Leiter der Beratergruppe der Bundeswehr der Republik Senegal den ihnen in ihrer Verwahrung befindlichen Geldbetrag von ... (entspricht: 36.160,91 €) ohne dienstlichen Grund, um ihn zu behalten und verbuchten dieses mit der Absicht der Täuschung mit einer wahrheitswidrigen Rechnung ... vom , obwohl Sie wussten, dass die benannte Leistung im Rahmen des Betriebes der Hundeschule (Infrastruktur Stabsgebäude) so nicht erfolgte."

3Zugleich ordnete er eine vorläufige Dienstenthebung, ein vorläufiges Uniformtrageverbot und die hälftige Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge des Soldaten an.

4Einen Antrag des Soldaten auf Aufhebung der Einleitungsverfügung und der Nebenentscheidungen wies er mit Bescheid vom zurück. Auf einen weiteren Antrag des Soldaten hob er mit Bescheid vom die Einbehaltensanordnung auf und ordnete die Einbehaltung von nur noch 30 % der jeweiligen Dienstbezüge des Soldaten an; im Übrigen wies er den Antrag zurück. Auf Antrag des Soldaten hob das Truppendienstgericht mit Beschluss vom die Nebenentscheidungen in der Einleitungsverfügung und den bestätigenden Bescheid vom in Form des abändernden Bescheids vom auf.

52. Mit einer undatierten Verfügung vom Dezember 2022 ordnete der Kommandeur Ausbildungskommando erneut die vorläufige Dienstenthebung und ein vorläufiges Uniformtrageverbot sowie die Einbehaltung von 30 % der monatlichen Dienstbezüge des Soldaten an. Mit Bescheid vom wies er den Antrag des Soldaten auf Aufhebung dieser Nebenentscheidungen ab. Hiergegen stellte der Soldat am beim Truppendienstgericht einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

63. Am wurde der Soldat beim Truppendienstgericht wie folgt angeschuldigt:

"1. Der Soldat veranlasste im Zeitraum von Ende 2018 bis April 2019 an nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten in ... oder an einem anderen Ort in ... in seiner Funktion als Leiter der Beratergruppe ... mit seiner Genehmigung die Verbuchung durch den ihm als Büroleiter unterstellten Major (damals Hauptmann) ... und aufgrund seines unterschriftlichen Vermerks 'beschafft durch' sowie 'Ltr der BerGrp' (Feststellung der sachlichen Richtigkeit dieser Verbuchung) sowie entgegen seiner Vermögensbetreuungspflicht für Haushaltsmittel gemäß zentraler Dienstvorschrift (ZDv) (Version 1) A-310/3 'Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung für ausländische Streitkräfte' Nr. 324 vierter Unterpunkt in Verbindung mit Nr. 416 folgender von ihm an den Büroleiter übergebene wahrheitswidrige Rechnungen:

a. Rechnung ... 0326/18 vom im Umfang von ... (entspricht etwa: 11.872,73 €) unter dem Buchungsnamen 'IT-Infrastruktur Hundeschule' mit der Dokumentennummer 259 für das 'Teilprojekt: 3. 0. 7. Dienstbetrieb Hundeschule' und

b. Rechnung ... vom im Umfang von ... (entspricht etwa: 36.160,91 €) unter dem Buchungsnamen 'Wasser Unteroffizierschule' mit der Dokumentennummer 24 für das 'Teilprojekt: 3.0.1. Infra Stabsgebäude ...',

obwohl er wusste, dass weder die benannten Firmen existierten noch die dort beschriebenen Leistungen tatsächlich erbracht wurden, mit der Folge, dass Projektgelder hierdurch dienstwidrig verrechnet wurden und dadurch der Bundesrepublik Deutschland ein Vermögensschaden im Umfang von insgesamt ... (etwa 48.000,00 €) entstand.

2. Der Soldat veranlasste zu einem nicht mehr näher bezeichneten Zeitpunkt, wenigstens an einem Tag im Zeitraum von bis April 2019, in ... oder an einem anderen Ort in ... in seiner Funktion als Leiter der Beratergruppe ... mit seiner Genehmigung die Verbuchung des Betrages in Höhe von 1554,88 € aufgrund der Rechnung der Firma Autovermietung ... vom im Rahmen der eigenmächtigen Anmietung eines Mietfahrzeugs im Inland (Deutschland) der Firma Autovermietung ... für die Nutzung eines Mietfahrzeugs für ca. 2063 km im Zeitraum bis , wahrheitswidrig als 'Teilprojekt: 3.0.5 Beschaffung Diensthunde' mit der Dokumentennummer 72 durch seinen ihm als Büroleiter unterstellten Major (damals Hauptmann) ... und entgegen seiner Vermögensbetreuungspflicht für Haushaltsmittel gemäß ZDv (Version 1) A-310/3 'Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung für ausländische Streitkräfte' Nr. 324 vierter Unterpunkt in Verbindung mit Nr. 416, obwohl eine dienstliche Nutzung dieses Mietfahrzeuges im ... überhaupt nicht erfolgt war und eine Abrechnung mit dem Vermögen der Bundesrepublik Deutschland, hier mit den Haushaltsmitteln des AH-P, nicht hätte erfolgen dürfen, was er wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, mit der Folge, dass es zu der Auszahlung des o. a. Betrags an ihn kam.

3. Der Soldat veranlasste zu einem nicht mehr näher bezeichneten Zeitpunkt, wenigstens an einem Tag im Zeitraum von bis April 2019, in ... oder an einem anderen Ort in ... in seiner Funktion als Leiter der Beratergruppe ... mit seiner Genehmigung die Verbuchung des Betrages in Höhe von 950,00 € aufgrund einer Kaskoschadenforderung gegen ihn wegen eines Schadens am im Rahmen der eigenmächtigen Anmietung eines Mietfahrzeugs im Inland (Deutschland) der Firma Autovermietung ... vom wahrheitswidrig als 'Teilprojekt 3.0.8 Transportfahrzeuge' mit der Dokumentennummer A 80 durch seinen ihm als Büroleiter unterstellten Major (damals Hauptmann) ... und entgegen seiner Vermögensbetreuungspflicht für Haushaltsmittel gemäß ZDv (Version 1) A-310/3 'Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung für ausländische Streitkräfte' Nr. 324 vierter Unterpunkt in Verbindung mit Nr. 416, obwohl eine dienstliche Nutzung des Mietfahrzeugs im ... überhaupt nicht erfolgt war und eine Abrechnung mit dem Vermögen der Bundesrepublik Deutschland, hier mit den Haushaltsmitteln des AH-P, nicht hätte erfolgen dürfen, was er wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, mit der Folge, dass es zu der Auszahlung des o. a. Betrags an ihn kam.

4. Der Soldat veranlasste zu einem nicht mehr näher bezeichneten Zeitpunkt, wenigstens an einem Tag im Zeitraum von bis April 2019, in ... oder an einem anderen Ort in ... in seiner Funktion als Leiter der Beratergruppe ... mit seiner Genehmigung die Verbuchung in Höhe von ... (entspricht 95,28 €) für ein gemeinsames Frühstück am der deutschen Beratergruppe anlässlich der Verabschiedung eines Kameraden, Stabsfeldwebel ..., durch seinen ihm als Büroleiter unterstellten Major (damals Hauptmann) ... und entgegen seiner Vermögensbetreuungspflicht für Haushaltsmittel gemäß ZDv (Version 1) A-310/3 'Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung für ausländische Streitkräfte (AH-P)' Nr. 324 vierter Unterpunkt in Verbindung mit Nr. 416 wahrheitswidrig als 'Teilprojekt: Betriebskosten' mit der Dokumentennummer A 47, obwohl diese Verwendung von Projekthaushaltsmitteln keinen dienstlichen Zweck hatte und somit eine Abrechnung mit dem Vermögen der Bundesrepublik Deutschland, hier mit den Haushaltsmitteln des AH-P, nicht hätte erfolgen dürfen, was er wusste, mit der Folge, dass es zu der Auszahlung des o. a. Betrags kam.

5. Der Soldat veranlasste zu einem nicht mehr näher bezeichneten Zeitpunkt, wenigstens an einem Tag im Zeitraum von bis April 2019, in ... oder an einem anderen Ort in ... in seiner Funktion als Leiter der Beratergruppe ... die Verbuchung in Höhe von ... (entspricht ca. 1.500,00 €) durch seinen ihm als Büroleiter unterstellten Major (damals Hauptmann) ... und mit seiner Genehmigung entgegen seiner Vermögensbetreuungspflicht für Haushaltsmittel gemäß ZDv (Version 1) A-310/3 'Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung für ausländische Streitkräfte' Nr. 324 vierter Unterpunkt in Verbindung mit Nr. 416 als 'Teilprojekt: 4.0.0 Dienstbetrieb Büroleiter' sowie 'Gehalt Sekretärin' mit der Dokumentennummer A 126 für eine Probearbeitszeit im August 2018, obwohl er wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, dass dies den ortsüblichen Monatslohn um das Fünffache überstieg und hierdurch Haushaltsmittel nicht wirtschaftlich und sparsam verwendet wurden, mit der Folge, dass es zu der Auszahlung des o. a. Betrags an Frau ... kam."

74. Auf Antrag des Soldaten an die Wehrdisziplinaranwaltschaft vom auf erneute Prüfung der Nebenentscheidungen in der Verfügung vom Dezember 2022, den der Soldat mit Schriftsatz vom auch dem Truppendienstgericht zur Vorbereitung von dessen Entscheidung übersandte, wies der Kommandeur Ausbildungskommando den Antrag mit Bescheid vom zurück. Gegen diesen Bescheid hat der Soldat weder einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt noch ihn in das laufende Antragsverfahren beim Truppendienstgericht einbezogen. Der Kommandeur Ausbildungskommando hat den Bescheid am nachrichtlich beim Truppendienstgericht eingereicht.

85. Nachdem im sachgleichen Strafverfahren unter dem gegen den Soldaten Anklage wegen Untreue, Urkundenfälschung und Betrugs erhoben worden war, lehnte das Truppendienstgericht mit Beschluss vom den am vom Soldaten gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung ab.

96. Mit seiner dagegen gerichteten Beschwerde macht der Soldat im Wesentlichen geltend, in Anbetracht seiner finanziellen Situation sei seine Existenz gefährdet.

107. Nach Auffassung des Bundeswehrdisziplinaranwalts kommt eine Reduzierung der teilweisen Einbehaltung der Dienstbezüge in Betracht.

118. Die Vorsitzende der Truppendienstkammer hat der Beschwerde mit Verfügung vom nicht abgeholfen und sie dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

12Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

131. Die auf den Ermächtigungsgrundlagen des § 126 Abs. 1 und 2 Satz 1 WDO beruhenden Nebenentscheidungen im Bescheid des Kommandeurs Ausbildungskommando von Dezember 2022, die in seinem Bescheid vom bestätigt wurden, unterliegen keinen formellen Bedenken. An der Rechtswirksamkeit der Einleitungsverfügung bestehen keine Zweifel. Auch wurden die Nebenentscheidungen in den Bescheiden ausreichend begründet.

142. Die vorläufige Dienstenthebung und das vorläufige Uniformtrageverbot sind auch materiell rechtmäßig. Anordnungen nach § 126 Abs. 1 WDO bedürfen eines besonderen rechtfertigenden Grundes, weil das Gesetz nicht stets bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens die in § 126 Abs. 1 WDO vorgesehenen Maßnahmen anordnet, sondern dafür eine behördliche Einzelfallprüfung vorsieht. Ein solcher kommt regelmäßig bereits dann in Betracht, wenn eine Dienstgradherabsetzung im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde ( 2 WDB 1.23 - juris Rn. 24).

15Im vorliegenden Fall ist bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage die Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme zu erwarten. Wie das Truppendienstgericht zutreffend ausgeführt hat, ist nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand in tatsächlicher Hinsicht davon auszugehen, dass dem Soldaten das angeschuldigte Verhalten aufgrund der vorliegenden Aussagen nachgewiesen werden kann. Damit hätte er in rechtlicher Hinsicht schuldhaft seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zur Wahrheit (§ 13 Abs. 1 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG) verletzt. Für das Dienstvergehen stünde auch die Höchstmaßnahme im Raum. Zwar bildet bei einem Soldaten, der sich vorsätzlich am Eigentum oder Vermögen seines Dienstherrn vergreift, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen im Regelfall eine Dienstgradherabsetzung. Handelt er jedoch - wie hier - wiederholt über einen längeren Zeitraum hinweg und bewegt sich der Gesamtschaden im fünfstelligen Euro-Bereich, ist regelmäßig die Höchstmaßnahme angezeigt (vgl. 2 WD 28.20 - juris Rn. 48). Mildernde Umstände solchen Gewichts, dass auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen ein Übergang zu einer milderen Maßnahme veranlasst wäre, sind derzeit nicht ersichtlich.

16Der Dienstherr ist ermessensfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde. Die Entscheidung, den Soldaten vorübergehend auf keinem Dienstposten einzusetzen, ist nicht unverhältnismäßig. Denn die Prognose der Höchstmaßnahme impliziert, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Soldaten und dem Dienstherrn aller Voraussicht nach objektiv zerstört ist. Dies spricht regelmäßig mit hohem Gewicht für die Annahme, dass der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst erheblich gestört ist und der Soldat deshalb nicht im Dienst bleiben kann ( 2 WDB 1.23 - juris Rn. 51). Ein Grund, davon abzuweichen, besteht nicht. Es liegt im Ermessen des Dienstherrn darüber zu befinden, wie er seine Soldaten einsetzt; dies umfasst seine Befugnis, von einer Verwendung vollständig abzusehen, wenn ein Soldat wahrscheinlich wiederholt auf das Vermögen des Dienstherrn zugegriffen hat und sich der Gesamtschaden im fünfstelligen Euro-Bereich bewegt. Dem Soldaten werden dadurch keine Nachteile zugefügt, die außer Verhältnis zu dem Interesse des Dienstherrn stehen, ihn bis zur endgültigen Klärung des Vorwurfs von der Dienstausübung und dem Tragen der Uniform auszuschließen ( 2 WDB 3.19 - juris Rn. 26).

173. Die genannten Bescheide sind aber in materieller Hinsicht rechtswidrig, soweit sie die Einbehaltung von Dienstbezügen des Soldaten ab Februar 2024 betreffen; für die Zeit davor ist eine Aufhebung der Einbehaltensanordnung aus Rechtsgründen ausgeschlossen.

18a) Die Einleitungsbehörde kann zwar nach § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO gleichzeitig mit der vorläufigen Dienstenthebung oder später anordnen, dass dem Soldaten ein Teil, höchstens die Hälfte der jeweiligen Dienstbezüge einbehalten wird, wenn im gerichtlichen Disziplinarverfahren - wie hier - voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis erkannt werden wird. Jedoch erweist sich die teilweise Einbehaltung von Dienstbezügen des Soldaten jedenfalls ab Februar 2024 als ermessensfehlerhaft, weil sie unverhältnismäßig ist.

19Zwar darf der Dienstherr bei der Ermessensentscheidung über die Einbehaltung der Dienstbezüge das öffentliche Interesse an einer Kürzung infolge des Wegfalls der Dienstleistung des Soldaten berücksichtigen. Daher können einem des Dienstes enthobenen Soldaten vertretbare Einschränkungen in seinem Lebensaufwand zugemutet werden ( 2 WDB 6.82 - BVerwGE 76, 1 <3>; Dau/​Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 126 Rn. 18). Bei der Prüfung, ob und in welcher Höhe die Einbehaltung von Dienstbezügen gerechtfertigt ist, muss jedoch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch die wirtschaftliche Lage des Soldaten berücksichtigt werden. Eine Einbehaltung darf nicht in einem Umfang erfolgen, dass dadurch die wirtschaftliche Existenz des Soldaten vernichtet, ihm ein schwerwiegender und nicht wiedergutzumachender Nachteil zugefügt oder ihm die Rechtsverteidigung unmöglich gemacht wird ( 2 WDB 12.99 - NZWehrr 2000, 213 <214>).

20Aus der Vorläufigkeit der Maßnahme und der fortbestehenden Alimentationspflicht des Dienstherrn folgt, dass der betroffene Soldat durch den Einbehalt nicht zu wirtschaftlichen Dispositionen gezwungen werden darf, die - wie der Verkauf eines kreditfinanzierten Einfamilienhauses oder die Aufnahme von Darlehen zur Erfüllung von Unterhaltspflichten - erst im Fall der endgültigen Entfernung aus dem Dienst von ihm erwartet werden können ( 2 WDB 6.82 - BVerwGE 76, 1 <3 f.>). Vielmehr hat die Einleitungsbehörde den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der zeitlichen Dauer ihrer Einbehaltensanordnung zu beachten ( 2 WDB 6.94 - BVerwGE 103, 222 LS 2).

21Nach diesen Maßstäben ist die vom Soldaten geschilderte schwierige wirtschaftliche Situation mit den vor Einleitung des Disziplinarverfahrens eingegangenen Darlehensverpflichtungen und dem aktuell fehlenden landwirtschaftlichen Einkommen seiner Ehefrau zu berücksichtigen. Danach kann die im Dezember 2022 angeordnete Einbehaltung von 30 % der jeweiligen Dienstbezüge des Soldaten angesichts der zuletzt mit Schriftsatz vom aktualisierten und mit Schriftsatz vom belegten Einnahmen und Ausgaben keinen Bestand mehr haben, weil die wirtschaftliche Lage des Soldaten jedenfalls ab Februar 2024 allenfalls ein wesentlich geringeres und wahrscheinlich nicht mehr ins Gewicht fallendes Einsparpotenzial bietet. Die Einleitungsbehörde, die ohnehin zur laufenden Überwachung verpflichtet ist, ist dadurch nicht daran gehindert eine erneute Ermessensentscheidung zu treffen.

22b) Für die Zeit davor ist eine Aufhebung der Einbehaltensanordnung demgegenüber wegen des zwischenzeitlich ergangenen, bestandskräftigen Ablehnungsbescheids des Kommandeurs Ausbildungskommando vom ausgeschlossen. Diesen Bescheid hat der Soldat weder gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung mit einem Antrag auf Entscheidung des Truppendienstgerichts angefochten noch ihn innerhalb dieser Frist in das seinerzeit laufende gerichtliche Antragsverfahren beim Truppendienstgericht gegen die Bescheide von Dezember 2022 und vom einbezogen.

234. Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedurfte es nicht. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens mit erfasst.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:210624B2WDB2.24.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-74017