BVerwG Beschluss v. - 8 B 59/23

Instanzenzug: Az: 9 K 40/23 Urteil

Gründe

1Der Kläger begehrt seine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung. Den darauf gerichteten Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom ab. Die nach erfolglos gebliebenem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom , berichtigt durch Beschluss vom , abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil aufgehoben, soweit es die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung des Klägers wegen dessen Überwachung durch Mitarbeiter und Informelle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR während des Grundwehrdienstes, wegen der drei Festnahmen des Klägers durch Sicherheitsbehörden der DDR im Jahr 1987 sowie wegen des mit der Androhung - weiterer - Haft verbundenen Verbots zweier Fotoausstellungen in den Jahren 1987 und 1989 abgelehnt hat. Insoweit hat es die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Im Übrigen hat es die Revision zurückgewiesen. Die vorgenannten Maßnahmen seien rechtsstaatswidrig im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwRehaG. Der Senat könne jedoch nicht abschließend beurteilen, ob die Rehabilitierung wegen dieser Maßnahmen nach § 2 Abs. 2 VwRehaG ausgeschlossen sei. Anlässlich der Selbstanzeige seiner Fluchtvorbereitungen bei der Polizei im Dezember 1978 habe der Kläger zwei weitere, daran beteiligte DDR-Bürger namentlich benannt; diesbezüglich erscheine die Annahme eines Ausschließungsgrundes möglich. Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage erneut abgewiesen. Eine Rehabilitierung sei nach § 2 Abs. 2 VwRehaG ausgeschlossen. Der Kläger habe sich freiwillig als Denunziant betätigt, um hieraus eigene Vorteile zu erlangen. Die Tätigkeit sei auch konkret geeignet gewesen, Dritte zu schädigen oder Verfolgungsmaßnahmen auszulösen. Seine Behauptung, zur Selbstanzeige gezwungen worden zu sein, sei nicht glaubhaft. Die Revision gegen sein Urteil hat das Verwaltungsgericht nicht zugelassen.

2Die dagegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg.

31. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. nur 8 B 37.18 - ZfWG 2019, 262 Rn. 4). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

4a) Die vom Kläger aufgeworfene Frage,

ob jemand gegen die Gesetze [gemeint: Grundsätze] der Menschlichkeit bereits durch eine Selbstanzeige wegen schwerer Republikflucht verstößt, bei der er auch zwei andere Personen namentlich genannt hat, wenn er mit der Selbstanzeige einer angekündigten Anzeige einer dritten Person zuvorgekommen ist,

würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen und wäre deshalb nicht klärungsfähig. Das Verwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Kläger mit seiner Selbstanzeige der angekündigten Anzeige einer dritten Person zuvorgekommen ist. Es hat den diesbezüglichen Vortrag des Klägers, der Stiefvater seiner Freundin hätte auch seine beiden Mitstreiter angezeigt, zum einen für nicht glaubhaft gehalten. Zum anderen hat es angenommen, dass dieser Vortrag - selbst bei Wahrunterstellung - nicht zur Annahme eines Zwanges zur Benennung der beiden DDR-Bürger führe.

5b) Die weitere Frage,

ob der für inoffizielle Mitarbeiter des MfS entwickelte Maßstab an die Freiwilligkeit auch bei einem Antragsteller anzuwenden ist, der sich ausdrücklich einer Zusammenarbeit verweigert hat,

bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass die Freiwilligkeit der Betätigung zu verneinen ist, wenn sie unter Zwang aufgenommen oder fortgeführt wurde. Eine Zwangsanwendung kann auch in der Ausnutzung einer psychischen oder sozialen Notlage liegen. Dabei ist im Einzelfall der Persönlichkeitsstruktur und den Lebensumständen des Betroffenen Rechnung zu tragen (vgl. 3 C 23.01 - BVerwGE 116, 100 <101 f.> und vom - 8 C 15.21 - Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 12 Rn. 31). Dieser Maßstab ist nicht auf den Ausschluss eines Rehabilitierungsanspruchs wegen inoffizieller Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS) beschränkt. Er beruht vielmehr auf dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass sich derjenige sein Verhalten nicht anrechnen lassen muss, der unter Zwang gehandelt hat (vgl. BT-Drs. 12/4994 S. 28). Weitergehenden oder erneuten Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde insoweit nicht auf.

62. Das angegriffene Urteil leidet nicht unter einem Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht verletzt. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Vermeintliche Fehler in der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind (stRspr, vgl. nur 8 B 9.21 - juris Rn. 17 m. w. N.). Solches legt der Kläger nicht dar.

7a) Das Verwaltungsgericht hat den Unterlagen des MfS keinen "exklusiven Beweiswert" zuerkannt. Es hat die Freiwilligkeit des Verhaltens des Klägers nicht nur auf der Grundlage der in den Unterlagen des MfS vorhandenen Selbstanzeige des Klägers vom gewürdigt, sondern die beiden vom Kläger verfassten Gedächtnisprotokolle vom und vom bei der Beweiswürdigung berücksichtigt. Es hat die vom MfS verfassten Unterlagen nur als eine von mehreren Erkenntnisquellen herangezogen und diese im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung kritisch gewürdigt (vgl. - BGHSt 38, 276 <278 f.>; ferner VerfGBbg, Urteil vom - 2/13 - ZOV 2014, 13 Rn. 26). Das Verwaltungsgericht hat auch nicht die vom Kläger behauptete Beweisregel aufgestellt, wonach dem Inhalt der Unterlagen des MfS erst einmal zu glauben sei und der Kläger diesen Inhalt dann zu widerlegen habe. Vielmehr ist es unter Würdigung sämtlicher Tatsachen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Handlung des Klägers freiwillig war. Soweit der Kläger geltend macht, die verschiedenen Darstellungen der Ereignisse durch den Kläger wichen nicht im Kern, sondern nur in Details voneinander ab, wendet er sich gegen die hiervon abweichende Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, mit der ein Verfahrensmangel nicht begründet werden kann.

8b) Das Verwaltungsgericht hat die Beweislastverteilung nicht verkannt. Insbesondere hat es dem Kläger nicht die Darlegungs- und Beweislast dafür aufgebürdet, dass die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit nicht vorliegen. Vielmehr hat es unter Würdigung der ihm vorliegenden Unterlagen und Erkenntnisse positiv festgestellt, dass der Kläger nicht unter Zwang, sondern freiwillig gehandelt hat.

9Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:310724B8B59.23.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-74014