Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 3 KLs 71/23
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen sie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 55 € angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
21. Zum für die nachfolgende revisionsrechtliche Prüfung maßgeblichen Fall B. I. Tat 1 der Urteilsgründe (nachfolgend: Fall 1) hat das Landgericht festgestellt:
3Die Angeklagte übernahm von einem Drogenhändler 150 Gramm Marihuana sowie Heroin, Kokain und Haschisch. Sie lagerte die Drogen in ihrer Wohnung. Von dem Marihuana waren 125 Gramm (16 Gramm Tetrahydrocannabinol [THC]) zur gewinnbringenden Veräußerung durch sie bestimmt, die Restmenge (3,2 Gramm THC) für den Eigenkonsum. Die anderen Rauschmittel bewahrte die Angeklagte als Bunkerhalterin für den Drogenhändler auf, um dessen Verkaufsgeschäfte zu fördern. Zum Zeitpunkt einer Wohnungsdurchsuchung verfügte sie noch über 104,9 Gramm Marihuana sowie 59,4 Gramm Heroin (27 Gramm Heroinhydrochlorid), 8,4 Gramm Kokain (6,2 Gramm Kokainhydrochlorid) und 9,4 Gramm Haschisch (2,6 Gramm THC). In der Nähe der Drogen deponierte die Angeklagte während dieses Zeitraums griffbereit eine Taschenlampe aus Metall in Form eines Baseballschlägers, um sich im Fall einer Auseinandersetzung im Zusammenhang mit der Veräußerung des Marihuanas effektiv verteidigen zu können.
42. Das Landgericht hat die zum Fall 1 getroffenen Feststellungen auf der Grundlage des im Verurteilungszeitpunkt anzuwendenden Rechts dahin gewertet, dass sich die Angeklagte durch eine Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG (zum Weiterverkauf bestimmtes Marihuana), Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Heroin, Kokain, Haschisch, zum Eigenkonsum bestimmtes Marihuana) und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB (Heroin, Kokain, Haschisch) strafbar machte. Die für diese Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren hat die Strafkammer dem für den minder schweren Fall vorgesehenen Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG entnommen, wobei sie eine „Sperrwirkung“ der in § 29a Abs. 1 BtMG bestimmten Strafuntergrenze angenommen hat.
II.
5Die Revision führt zur Änderung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung der für den Fall 1 festgesetzten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe.
61. Hinsichtlich dieses Falls ist der - nach dem Tatzeitrecht rechtsfehlerfrei ergangene - Schuldspruch infolge des Inkrafttretens des Cannabisgesetzes vom (BGBl. I Nr. 109) zu ändern. Im Übrigen dient die Neufassung der Urteilsformel dazu, sie sprachlich von Überflüssigem zu befreien, damit das von der Angeklagten verwirklichte Tatunrecht möglichst knapp und anschaulich bezeichnet wird.
7a) Soweit die Angeklagte im Fall 1 auch aufgrund des Umgangs mit Marihuana und Haschisch nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden ist, hat der Schuldspruch keinen Bestand. Denn nach der Urteilsverkündung ist am - als Artikel 1 des Cannabisgesetzes - das Konsumcannabisgesetz in Kraft getreten. Nach der Neuregelung unterfällt der Umgang mit Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern, soweit er anderen als medizinischen oder medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken dient, allein jenem Gesetz.
8aa) Nach der gemäß § 354a StPO zu berücksichtigenden geänderten Rechtslage ist die Angeklagte im Fall 1 tateinheitlich des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis, des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Cannabis schuldig.
9(1) Durch die Übernahme des zur gewinnbringenden Veräußerung bestimmten Marihuanaanteils von 125 Gramm (vgl. § 1 Nr. 4 KCanG) unter Bereithalten der metallenen Taschenlampe machte sich die Angeklagte wegen bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 4 Nr. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 KCanG strafbar. Mit 16 Gramm THC war die von dieser Vorschrift vorausgesetzte nicht geringe Menge von 7,5 Gramm THC (s. , juris Rn. 8 f. mwN) erreicht. Indem die Angeklagte die 9,4 Gramm Haschisch (vgl. § 1 Nr. 5 KCanG) als Bunkerhalterin des Drogenhändlers aufbewahrte, leistete sie zudem Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 Abs. 1 StGB. Hinzu treten, wie ausgeurteilt, der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und die Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, nunmehr allerdings ausschließlich im Hinblick auf die den Händler unterstützende Lagerung der 59,4 Gramm Heroin (27 Gramm Heroinhydrochlorid) und 8,4 Gramm Kokain (6,2 Gramm Kokainhydrochlorid).
10(2) Dagegen verwirklichte die Angeklagte nicht die Tatbestände der Entgegennahme von Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG und des Besitzes von Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG, weil die dort geregelten Freigrenzen von den nicht unter § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG fallenden Mengen eingehalten werden:
11Eine Entgegennahme im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 12 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 12 KCanG ist lediglich hinsichtlich des für den Eigenkonsum vorgesehenen Marihuanaanteils von 25 Gramm gegeben. Dieser im Betäubungsmittelstrafrecht nicht explizit geregelte Tatbestand setzt die unentgeltliche Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt auf abgeleitetem Weg voraus (s. BT-Drucks. 20/8704 S. 94; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 172 f. [„neu kreierte Tatvariante“]) und entspricht somit einem Unterfall des Erwerbs nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG (vgl. , juris Rn. 7; Weber, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1197). Nach den Urteilsfeststellungen übernahm die Angeklagte von dem Drogenhändler, ohne ein - weit zu verstehendes (vgl. Patzak/Fabricius aaO, § 29 Rn. 890) - Entgelt zu erbringen, den Eigenkonsumanteil an dem Marihuana zur freien Verfügung. Anders verhält es sich mit den 9,4 Gramm Haschisch. Diesbezüglich scheidet eine Entgegennahme aus, weil die Angeklagte, soweit sie als Bunkerhalterin fungierte, die Sachherrschaft nicht mit der Möglichkeit und dem Willen erhielt, über die Drogen als eigene zu verfügen (für den Erwerb von Betäubungsmitteln s. , BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Sichverschaffen 2 Rn. 9; vom - 2 StR 180/17, NStZ-RR 2018, 146, 148; zur grundsätzlichen Übertragbarkeit der Auslegung der unter Strafe gestellten Handlungsformen auf das Konsumcannabisgesetz vgl. BT-Drucks. 20/8704 S. 94, 130; , NJW 2024, 1968 Rn. 5; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 322). Infolgedessen geht die an einem Tag entgegengenommene Cannabismenge nicht über die von der strafrechtlichen Verbotsnorm des § 34 Abs. 4 Nr. 12 Buchst. a KCanG ausgenommenen 25 Gramm hinaus.
12Ein Besitz im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG liegt sowohl für den Eigenkonsumanteil an dem Marihuana als auch für das Haschisch vor. Die addierte Cannabismenge von 34,4 Gramm bleibt allerdings hinter den 60 Gramm zurück, die nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG den für den Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt maßgebenden Grenzwert zum strafbewehrten Besitzverbot bilden.
13bb) Das neue Recht ist anzuwenden, weil es sich bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Vergleich im Einzelfall (vgl. , BGHSt 20, 74, 75; Beschlüsse vom - 3 StR 154/24, juris Rn. 5; vom - 3 StR 159/24, juris Rn. 10) gegenüber dem altem als milder erweist. Insbesondere der Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG, der in Bezug auf das Umsatzgeschäft mit dem Marihuanaanteil von 125 Gramm erfüllt ist, führt hier zu einer günstigeren Strafandrohung als derjenige des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG. Soweit die Strafkammer - im Ausgangspunkt - den Ausnahmestrafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG zugrunde gelegt hat, ist auszuschließen, dass sie die Sanktion nach aktueller Gesetzeslage dem Regelstrafrahmen aus § 34 Abs. 4 KCanG entnommen hätte. Denn sie hat bei der zugrundeliegenden Würdigung der Strafzumessungsgesichtspunkte die vergleichsweise geringe Gefährlichkeit der metallenen Taschenlampe als ausschlaggebend für die Annahme eines minder schweren Falls erachtet.
14Diese Günstigkeitsbetrachtung gilt unabhängig davon, dass sich unter Geltung des neuen Rechts der auf der Grundlage der Wertungen der Strafkammer gesetzlich vorgesehene Strafrahmen infolge der Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 34 Abs. 4 KCanG nicht verändert hätte, weil nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB wegen des tateinheitlichen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge derjenige des § 29a Abs. 1 BtMG anzuwenden gewesen wäre. Denn im zu beurteilenden Fall führt das bewaffnete Handeltreiben mit Marihuana (anstatt mit Betäubungsmitteln), wenngleich dieses Delikt aufgrund der Ablehnung eines minder schweren Falls gemäß § 29a Abs. 2 BtMG weder für die Strafunter- noch für die -obergrenze bedeutsam ist, dennoch zu einem reduzierten Unrechts- und Schuldgehalt der gesamten Tat im materiellrechtlichen Sinne (vgl. , juris Rn. 5 f.). Darauf, dass die Strafkammer § 29a Abs. 1 BtMG rechtsfehlerhaft lediglich insoweit als maßgeblich erachtet hat, als sie der dort normierten Mindeststrafe eine Sperrwirkung beigemessen hat (so - ausschließlich - für einen im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängten Tatbestand , BGHR BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 5 Rn. 4 f.; Urteil vom - 3 StR 467/23, juris Rn. 8; vgl. nunmehr , juris), kommt es nicht an. Entscheidend ist hier, dass in dem Ausnahmestrafrahmen aus § 34 Abs. 4 KCanG eine gegenüber § 30a Abs. 3 BtMG günstigere Bewertung des Tatunrechts und der Tatschuld zum Ausdruck kommt; das Landgericht hat sich bei seiner gesamten Strafzumessung in erster Linie am bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln orientiert.
15cc) Danach ist hinsichtlich des Falls 1 der Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO zu ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die weitgehend geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
16b) Der Senat hat den gesamten Schuldspruch auch dahin neu gefasst, dass die Bezeichnung des strafbaren Umgangs mit Betäubungsmitteln als „unerlaubt“ entfällt. Denn Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz haben ebenso wie solche nach dem Konsumcannabisgesetz ausschließlich den unerlaubten Umgang mit den jeweils betroffenen Rauschmitteln zum Gegenstand (s. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 340/22, NStZ-RR 2023, 51, 52; vom - 2 StR 520/23, juris Rn. 3 f.; vom - 3 StR 142/24, juris Rn. 6; zur Reihenfolge der verletzten Strafgesetze in der Entscheidungsformel vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 459/06, juris Rn. 9; vom - 3 StR 120/23, juris Rn. 14).
172. Die Schuldspruchänderung im Fall 1 hat die Aufhebung des Ausspruchs über die hierfür festgesetzte Einzelstrafe zur Folge. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des Konsumcannabisgesetzes auf eine mildere Strafe erkannt hätte (vgl. § 337 Abs. 1 StPO). Der Wegfall der Einzelstrafe entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage, so dass sie ebenfalls aufzuheben ist.
18Die jeweils zugehörigen Feststellungen sind von dem Aufhebungsgrund nicht betroffen; sie haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Ihre Ergänzung um weitere Feststellungen, die ihnen nicht widersprechen, ist möglich.
193. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen der Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260624B3STR40.24.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-73978