BGH Urteil v. - VIa ZR 586/22

Instanzenzug: Az: 1 U 85/22vorgehend LG München II Az: 2 O 2846/21

Tatbestand

1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2 Die Klägerin erwarb im April 2015 einen neuen VW Tiguan 2.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet. Fahrzeug und Motor sind von der Beklagten hergestellt worden.

3 Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher die Klägerin die Zahlung von 30.595,82 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I), die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu II) und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zuzüglich Zinsen (Berufungsantrag zu III) beantragt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu III begehrten Freistellung von Zinsen weiter.

Gründe

4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht, das einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht geprüft hat, hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - wie folgt begründet:

6Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB wegen der im Grundsatz unstreitigen Implementierung eines sogenannten Thermofensters und einer Fahrkurve in die Motorsteuerung des klägerischen Fahrzeugs bestehe nicht, auch wenn es sich insoweit um unzulässige Abschalteinrichtungen handeln sollte. Aus dem Vortrag der Klägerin ließen sich keine greifbaren Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten auf Seiten der Beklagten gewinnen.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

92. Das Berufungsgericht hat es jedoch rechtsfehlerhaft unterlassen, auf mögliche Ansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen eines fahrlässigen Verhaltens der Beklagten einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Danach besteht aus dieser Anspruchsgrundlage zwar kein Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes (vgl. aaO, Rn. 22 bis 27). Doch kann ihr nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).

III.

10Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang des Rechtsmittelangriffs zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer              Möhring              Krüger

                Wille                 Liepin

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240724UVIAZR586.22.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-73974