BGH Beschluss v. - XII ZB 496/22

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 6 UF 182/22vorgehend AG Michelstadt Az: 42 F 31/22

Gründe

I.

1Das Amtsgericht hat die am geschlossene Ehe der beteiligten Eheleute auf den am zugestellten Scheidungsantrag - insoweit rechtskräftig - geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt.

2Während der gesetzlichen Ehezeit ( bis ) haben beide Ehegatten Versorgungsanrechte erlangt. Der Antragsteller hat bei der DRV Hessen ein Anrecht von 50,2699 Entgeltpunkten mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 25,1350 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 181.866,45 € erworben. Die Antragsgegnerin hat bei der DRV Bund ein Anrecht von 18,8929 Entgeltpunkten mit einem Ausgleichswert von 9,4465 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 63.350,96 € sowie zusätzlich einen Zuschlag von 0,7540 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sogenannte Grundrenten-Entgeltpunkte) mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 0,3770 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 2.727,82 € erworben. Neben den Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung haben der Antragsteller ein betriebliches Anrecht bei der P. GmbH und die Antragsgegnerin ein Anrecht aus einem privaten Rentenversicherungsvertrag bei der U. AG erlangt.

3Das Amtsgericht hat die interne Teilung der gesetzlichen Rentenanrechte der Ehegatten angeordnet, allerdings mit Ausnahme des von der Antragsgegnerin erworbenen Anrechts aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, welches nach Ansicht des Amtsgerichts nicht dem Versorgungsausgleich unterfällt. Daneben hat es das betriebliche Anrecht des Antragstellers intern geteilt und vom Ausgleich des von der Antragsgegnerin erworbenen Anrechts aus der privaten Rentenversicherung wegen Geringfügigkeit abgesehen.

4Mit ihrer Beschwerde hat die DRV Bund (Beteiligte zu 3) die Teilung des von der Antragstellerin erworbenen Anrechts aus den Grundrenten-Entgeltpunkten erstrebt. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen, weil dieses Anrecht auch nach seiner Auffassung kein auszugleichendes Anrecht im Sinne von § 2 VersAusglG darstellt. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die DRV Bund weiterhin eine Einbeziehung der Grundrenten-Entgeltpunkte in den Wertausgleich bei der Scheidung.

II.

5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

61. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts handelt es sich - wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat (Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761) - bei dem Anrecht der Antragsgegnerin aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (§ 76 g SGB VI) um ein im Wertausgleich bei der Scheidung auszugleichendes Anrecht.

7Das Anrecht ist im Sinne von § 2 Abs. 1 und 2 VersAusglG auf eine Rente gerichtet, dient der Absicherung im Alter oder bei Invalidität und wird durch Arbeit geschaffen, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Höhe des Rentenanspruchs mit der Höhe der erbrachten Beitragszahlungen korrespondiert. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts lässt sich auch daraus, dass sich das Anrecht unter Umständen als nicht hinreichend ausgleichsreif im Sinne von § 19 VersAusglG erweisen und sein schuldrechtlicher Ausgleich möglicherweise im Wertungswiderspruch zu § 97 a SGB VI stehen könnte, nichts gegen dessen Einbeziehung in den Wertausgleich bei der Scheidung herleiten. Denn ein Anrecht aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung erfüllt regelmäßig die Anforderungen an die Ausgleichsreife im Sinne von § 19 Abs. 1 und 2 VersAusglG. Es ist kein verfallbares Anrecht im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG, weil sich insbesondere die in der Leistungsphase vorzunehmende Einkommensanrechnung gemäß § 97 a SGB VI von vornherein nicht auf die Bezugsgröße des Anrechts - nämlich Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung - auswirken kann und deshalb die hinreichende Verfestigung des Stammrechts als solches nicht infrage stellt. Es kann in der Regel auch nicht festgestellt werden, dass die nach § 97 a SGB VI vorgesehene Einkommensanrechnung ganz oder teilweise zu einer Unwirtschaftlichkeit des Ausgleichs im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 3 VersAusglG führen wird. Ob es zu einer Einkommensanrechnung kommt, ergibt sich erst im laufenden Leistungsbezug und kann sich zudem jährlich ändern (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 8 ff.). Das Beschwerdegericht geht im vorliegenden Fall selbst davon aus, dass nicht sicher festgestellt werden könne, ob der Antragsteller aus einem ihm im Versorgungsausgleich übertragenen Anrecht aus dem Zuschlag für langjährige Versicherung überhaupt keine Leistungen beziehen könne.

82. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben und ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung durch den Senat reif, weil sich das Beschwerdegericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - noch nicht die Frage vorgelegt hat, ob von dem Ausgleich des von der Antragsgegnerin erworbenen Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung im Wertausgleich bei der Scheidung wegen Geringfügigkeit nach § 18 Abs. 2 VersAusglG abgesehen werden kann. Die insoweit zu treffende Ermessensentscheidung ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Die bislang getroffenen Feststellungen lassen eine abschließende Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht zu.

9Für das weitere Verfahren sind noch die folgenden Hinweise veranlasst: Der Senat hat zwischenzeitlich entschieden, dass die in der Rentenbezugsphase gemäß § 97 a SGB VI vorzunehmende Prüfung einer Einkommensanrechnung auf einen Rentenanteil aus dem Zuschlag nach § 76 g SGB VI für den Träger der Rentenversicherung einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringt, der im Rahmen der nach § 18 Abs. 2 VersAusglG vorzunehmenden Ermessensausübung zu berücksichtigen ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 277/23 - zur Veröffentlichung bestimmt). Neben den Belangen der Verwaltungseffizienz sind insbesondere die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten einschließlich ihrer Versorgungssituation in den Blick zu nehmen, so dass es im Rahmen der Abwägung unter anderem für einen Ausgleich sprechen kann, dass der Ausgleichsberechtigte dringend auch auf Bagatellbeträge angewiesen ist. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sind aber auch das Votum der beteiligten Eheleute und des Versorgungsträgers von Bedeutung, so dass ein Absehen vom Ausgleich gerechtfertigt sein kann, wenn die Ehegatten übereinstimmend und eindeutig zum Ausdruck bringen, kein Interesse am Ausgleich von Bagatellversorgungen zu haben, während es umgekehrt für die Durchführung des Ausgleichs sprechen kann, wenn der beteiligte Versorgungsträger ausdrücklich seine Bereitschaft zur internen Teilung eines bei ihm bestehenden Bagatellanrechts erklärt (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 389/22 - FamRZ 2024, 677 Rn. 23 f.). Im vorliegenden Fall hat zwar die DRV Bund Beschwerde und Rechtsbeschwerde mit dem ausdrücklichen Ziel der internen Teilung des bei ihr bestehenden Anrechts der Antragsgegnerin aus dem Zuschlag an Grundrenten-Entgeltpunkten eingelegt. Zu berücksichtigen wäre im Rahmen der Ermessensausübung nach § 18 Abs. 2 VersAusglG aber nur ein mögliches Petitum der DRV Hessen, die das Versicherungskonto des Antragstellers führt (§ 149 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) und die bei einer Teilung der Grundrenten-Entgeltpunkte zu seinen Gunsten mit dem zusätzlichen Verwaltungsaufwand belastet werden würde (vgl. näher zur internen Teilung von gesetzlichen Rentenanrechten: Ruland FamRZ 2013, 169 f.). Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Beschwerdegericht insoweit auch Gelegenheit, die DRV Hessen als potentiellen Zielversorgungsträger am Beschwerdeverfahren zu beteiligen (§ 219 Nr. 3 FamFG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:120624BXIIZB496.22.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-73711